Bomhard, Georg Christian August - Rede am Silvester-Abend 1866
Meine liebe Gemeinde!
Am ersten Tag dieses Jahres war es mir zum letztenmal vergönnt, Euch auf meiner Kanzel das Wort Gottes zu verkündigen, Euch die Wünsche meines treugesinnten Herzens für Euer leibliches und geistliches Wohl auszusprechen und in Eurer Mitte mit Gebet und Flehen um den Segen von oben, in dem großen Namen, den die Kirche an den Anfang des Jahres stellt, in die neue Reihe von Tagen, die sich heute endigen, hinüber zu gehen. Den Gnadenbund, den Gott in seinem eingebornen Sohne mit uns gemacht hat, habe ich Euch dargestellt. Von dort an hat es dem Herrn gefallen, nachdem er mir kurz zuvor einen gläubigen Gehilfen gegeben, meiner öffentlichen Wirksamkeit für immer ein Ziel zu setzen, das neunundfünfzig Jahre lang geführte Amt eines Predigers, Jugendlehrers und Seelsorgers plötzlich von mir zu nehmen und seinem alten Knecht gegen dessen Willen Feierabend zu geben1). Es hat mir sehr leid getan, von der heiligen Stätte scheiden zu müssen, wo ich so oft und reichlich seine Gnade erfahren und mit freudigem Auftun meines Mundes gepredigt hatte, den Unterricht der Jugend aufzugeben, der mir immer so sehr am Herzen lag, einer Gemeinde nicht mehr dienen zu können, mit der ich zweiundvierzig Jahre lang so innig verbunden war, die mir durch ihre Freundschaft und ihr Vertrauen, durch ihre Empfänglichkeit für das Wort Gottes mein Amt leicht und angenehm gemacht hat, und geraume Zeit vor meinem Ende schon einen Wirkungskreis zu verlassen, den ich stets für den heiligsten und segensreichsten gehalten habe, den Gott seinen Haushaltern auf Erden anweisen kann und dessen süße Früchte mich Gottlob mannigfaltig erfreut haben.
Doch des Herrn Wille geschehe - der Name des Herrn sei gelobt!
„Der Herr weiß alle Dinge und sieht zu welcher Zeit ein jegliches geschehen soll.“ Er hat auch in dieser trüben Zeit wie mein Leben lang seine Güte und Treue jeden Morgen über mir neu werden lassen, hat die vielen Fürbitten für mich gnädig erhört; die Wissenschaft und Sorgfalt der Ärzte, die liebevolle Pflege der Meinigen gesegnet, mich von meinem Siechbett wunderbar wieder aufgerichtet, hat durch einen langen Landaufenthalt bei braven Leuten mir wieder angenehme Tage in seiner schönen Natur geschenkt und meine Gesundheit merklich gestärkt und gebessert, so dass ich, wäre nicht der unheilbare Schaden in meiner Brust und daher der Verlust meiner Stimme, für wieder hergestellt gelten könnte.
Auch dafür habe ich seine Güte zu preisen, dass er meiner lieben Gemeinde begabte und treue Haushalter über seine Geheimnisse bestellt hat, die sie im wahren Glauben erhalten und den Weg Gottes recht lehren werden.
Muss ich nun gleich das Zimmer hüten und bei rauer Witterung selbst den Besuch des Hauses Gottes unterlassen, so drängt es mich doch, wie am ersten, so auch am letzten Tag dieses Jahres wenigstens ein schriftliches Wort der Erbauung zu meiner werten Gemeinde, zu allen meinen teuren Freunden in dieser Stadt zu reden, wie mein edler Freund Puchta von seinem Krankenzimmer aus noch kurz vor seinem seligen Heimgang, solches in einer gedruckten, sehr erwecklichen Predigt getan hat. Zudem ist dieses Jahr ein so merkwürdiges Jahr, so reich an großen, außerordentlichen, folgenreichen Ereignissen für unser ganzes deutsches Vaterland und an verschonender Gnade für unsere Vaterstadt gewesen, dass wohl jeder treue Diener der Kirche wünschen muss, am Schluss desselben ein kurzes, zur Erläuterung und Beruhigung dienendes, in Augsburg zum besonderen Danke gegen Gott erweckendes Wort zu seiner Gemeinde zu sprechen. Ich habe das in dieser Sylvester-Rede mit Wenigem zu tun versucht, so viel ein hochbejahrter, den Keim seiner nahen Auflösung in sich fühlender Mann es vermochte. Nehmt diese Rede als ein Vermächtnis in Liebe auf, wie sie aus treuer Liebe hervorgegangen ist.
Noch habe ich schließlich die Pflicht zu erfüllen, für alle die Beweise liebreicher Teilnahme, deren mir von allen Seiten her während meiner Krankheit so viele geworden sind, öffentlich den herzlichsten, wärmsten Dank auszusprechen. Sie sind mir sehr erfreulich und tröstlich gewesen, diese Beweise, Unterpfänder, dass bei denen, die mich gekannt, die das teuer werte Evangelium von unserm Herrn Jesu Christo aus meinem Mund gehört haben, mein Name auch nach meinem Abschied in einem guten Andenken bleiben wird.
Doch möge er vergessen werden, möge, wie das auch gar nicht anders sein kann, mein Name nur in meiner Familie noch eine Zeit lang mit Liebe genannt werden wenn Ihr, o meine teuren Freunde, wenn Ihr nur den Namen im treuen Gedächtnisse, im tiefen Herzen behaltet, der über alle Namen, der allein uns von Gott gegeben ist, darin wir sollen selig werden, wenn Ihr nur im lebendigen Glauben fest und unbeweglich bei der heilsamen Lehre bleibt, die der gnadenvolle Herr der Kirche auch durch meinen Mund Euch so lange hat verkündigen lassen! Dann sind meine väterlichen Wünsche für Euch erfüllt; dann wird Euch der Segen bestätigt werden, mit dem ich Euch in das neue Jahr Eurer Pilgerschaft begleite, mit dem ich noch am letzten meiner Tage, noch droben vor dem Throne Gottes Eurer gedenken werde. Dann werden wir unserer so bald vorübergegangenen Gemeinschaft auf Erden uns ewig erfreuen.
Alles schwindet Herzen brechen,
Denen ihr euch hier hier ergabt,
Und der Mund hört auf zu sprechen,
Der mit Trost euch oft gelabt,
Und der Arm, der euch zum Stabe
Und zum Schilde war, erstarrt,
Und das Auge schläft im Grabe
Das euch sorgsam einst bewahrt.
Nur der Herr steht über'm Staube
Alles Irdischen und spricht:
Stütze dich auf mich und glaube,
Hoffe, lieb' und fürchte nicht.
Darum bleibt bei dem, der bleibt,
Und der geben kann, was bleibt,
Der, wenn ihr euch ihm verschreibet,
Euch in's Buch des Lebens schreibet!
Du hast gesagt, Herr Jesu: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“ - siehe denn, hier sind Hunderte - ja Tausende versammelt in deinem Namen, um sich deiner zu freuen, dir die Opfer des Lobes, Dankes und Gebetes zu bringen, um mit dir einen guten Feierabend des Jahres zu machen, von dir sich Reinigung ihrer Herzen, Vergebung ihrer Sünden zu erbitten, in dir sich ihrer Erhabenheit über Zeit, Welt und Tod, ihrer Berufung zu einem ewigen Leben recht bewusst zu werden, und von deinem Frieden erquickt, von deiner Kraft gestärkt, mit deinem Segen gekrönt in's neue Jahr hinüber zu gehen. Anfänger und Vollender des Glaubens, O Herr hilf, o Herr, lass alles wohlgelingen!“ Sei du, der gerecht ist, unser Fürsprecher bei dem Vater auch in dieser heiligen Stunde und lass dein Blut für uns reden, welches besser redet, denn Abels; sei du der Vermittler unserer Gebete und mache uns in dir dem Geliebten angenehm und wohlgefällig dem Vater; sende uns deinen Geist aus der Höhe und in demselben der Weisheit, des Trostes, des Friedens, der Gnade die Fülle. Du, in welchem gesegnet werden sollen alle Geschlechter auf Erden, scheide nicht von uns mit deiner Gnade und Hilfe, sondern bleibe schützend, tröstend, errettend bei uns in unserm Leben und in unserm Tod, in dieser und in jener Welt. „Hilf deinem Volk und segne dein Erbteil, weide und erhöhe es ewiglich!“ Amen.
Sei mir gegrüßt, Gemeinde des Herrn in seinem gebenedeiten Namen gegrüßt und willkommen geheißen in dieser feierlichen Abendstunde, an diesem heiligen Ort!
Gesegnet sei dein Kommen zu den Altären des Herrn Zebaoth, und wie du jetzt sprichst: „Lass dir wohlgefallen die Rede meines Mundes und das Gespräch meines Herzens vor dir, mein König und mein Gott,“ so erwidere dir der Höchste: „Ehe sie rufen, will ich schon antworten, und wenn sie noch reden, will ich schon hören!“ Eine löbliche Gesinnung, ein christliches Gefühl und Verlangen hat euch hierher geführt. Tritt doch der vernünftige Mensch, der auch nur einigermaßen erleuchtete Christ daheim in seinem Hause am Abend eines jeden Tages im Gebet vor seinen Herrn und Gott, hebt mit Loben und Danken, mit Bitte und Fürbitte Herz und Hände zu ihm auf, bringt seine Anliegen, sein frommes Vaterunser als ein köstliches Rauchwerk und tägliches Abendopfer seinem gütigen, himmlischen Vater, Erlöser und Tröster dar, und legt sein Haupt mit einem gläubigen: „Das walte Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist“ zur nächtlichen Ruhe nieder, um unter Gottes gnädiger Obhut dem kommenden Morgen entgegen zu gehen. Was wird er erst empfinden, wie wird es ihn zu Gott, zu Gott hinziehen, hindrängen am letzten Abend eines scheidenden Jahres! Wie wird da das Gefühl in ihm erwachen: „Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth; meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn, mein Leib und meine Seele freuen sich in dem lebendigen Gott. „Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit, dass ich da hinein gehe und dem Herrn danke!“ Ach wenn ein ganzes Jahr im Begriff ist, sich von uns loszureißen und mit der großen Menge der Tage, der Veränderungen, der Schicksale, der Wohltaten, der Leiden, der Sünden, die es für uns in seinem Schoß trug, für immer aus der Zeit zu scheiden und einem neuen Raum zu machen, das in Dunkelheit heranzieht das wird uns zu viel, um es für uns allein zu tragen, das treibt uns aus unsern engen Wohnungen in die große Gemeinschaft der Gläubigen, in das Haus des Herrn, um das volle, schwere, von Dank, von Freud und Leid, von Todeserinnerung und von lebendiger Hoffnung, von Sehnsucht und von Tränen überfließende Herz vor den Altären des Herrn Zebaoth im Gesang, Gebet und Flehen in den Vaterschoß des Ewigen auszuschütten; da wollen wir den Herrn, unsern Gott durch den Mund seiner Knechte noch einmal mit uns reden lassen, da wollen wir den heiligen Trost der Absolution durch das Blut Christi, die frohe Gewissheit, dass wir Gottes Kinder sind, den hohen Frieden Gottes, der über alle Vernunft ist, die teure Versicherung, dass der Herr auch künftig uns nicht lassen und seine Hand nicht von uns abtun wird, die selige Zuversicht, dass „Israels Zeit kein Ende hat,“ dass weder Tod noch Leben uns scheiden mag von der Liebe Gottes, die da ist in Christo Jesu, unserm Herrn - das wollen wir uns noch recht frisch erneuern, noch einmal fest versiegeln lassen durch das Zeugnis des Heiligen Geistes, das wollen wir als den besten Gewinn uns retten aus dem fliehenden Jahr und mit hinüber nehmen in die kommenden Tage; da heißt es bei den Bessergesinnten: „Kommt, lasst uns niederfallen und knien und anbeten vor dem Herrn - Gebt dem Herrn unserm Gott die Ehre, ehe denn es finster wird - ich habe dir Gott gelobet, dass ich dir danken will.“
Wie ein Mensch den letzten Jahresabend zubringt und feiert, das gibt einen großen Aufschluss über seine Gesinnung, das kann uns sehr zu unserer Selbstprüfung dienen. Wer ohne andächtiges Gebet, in großer Zerstreuung, bei lärmenden Ergötzlichkeiten, bei Trunk und Gläserklang das Jahr beschließen und die ernste letzte Stunde desselben ertönen lassen, wohl gar in das neue Jahr hinüber tanzen kann, der muss noch sehr leichtsinnig, kindisch und unverständig sein, der hat gewiss von dem edlen Ernst, der ein christliches Herz beseelt, noch keine Spur in sich. In brünstigem Gebet, mit Selbstprüfung und tiefer Beugung vor dem Herrn, mit Preis und Dank, mit Bitten und Fürbitten, mit frommen Gelöbnissen, mit frohen auf Gott gesetzten Hoffnungen - so scheidet der Christ von einem fliehenden Jahr, so geht er im Namen und im Segen des Herrn einem neuen entgegen. So mögt ihr jetzt tun, geliebte Christen, und indem ich euch hierzu aus Gottes Wort die Anleitung zu geben habe, so mögt ihr wissen, dass wir gut zusammen passen und einander wohl verstehen können, ich der ich mit euch rede und ihr die ihr mich hört. Ist in euch Freude über Gottes Wohltaten, ich spreche auch: „Ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die der Herr an seinem Knecht getan hat.“ Denkt ihr mit Wehmut an Gottes Züchtigungen, die euch heimgesucht haben, ihr wisst wie schwer seine Hand bald von Anfang dieses Jahres an bis heute über mir sich gemacht, mich mit leiblicher Krankheit geschlagen und dadurch untüchtig zu meinen edlen Ämtern gemacht, dazu auch teure nahe Verwandte mir genommen hat, dass ich gar viel Ursache gehabt und noch habe zu der Bitte: „Tröste uns wieder mit deiner Hilfe und dein freudiger Geist enthalte uns Herr Zebaoth, lass leuchten dein Angesicht über uns, so genesen wir!“ Klagt euch euer Gewissen an und sucht ihr in Christi Blut den Trost der Vergebung der Sünden, ich spreche von Herzen mit euch: „Herr, gedenke meiner nicht nach deiner Gerechtigkeit, sondern nach deiner Barmherzigkeit, die von der Welt her gewesen ist. Wer kann merken wie oft er fehle? verzeihe mir auch die verborgenen Fehler!“ Ist in euch Wunsch und Hoffnung, Verlangen, Bitten und Sehnen für das Künftige - in wem wäre dieses nicht, wer hebt nicht bittend seine Hände auf und möchte sie sich von dem Vater des Lichts gern füllen lassen mit guten und vollkommenen Gaben, wer stimmt nicht in das Gebet ein: „Lass uns nicht und tue von uns nicht die Hand ab, Gott unser Heil - Wir hoffen darauf, dass du so gütig bist, unser Herz freut sich, dass du so gerne hilfst.“
Haben wir aber jemals Ursache gehabt mit solchen Gedanken und Empfindungen am Jahresschluss vor Gott zu treten, so ist es das heute der Fall, das werdet ihr alle bekennen. Denn es war wieder wie das Jahr 1848, voll von außerordentlichen, nicht geahnten, erschütternden Ereignissen für unser ganzes teures, deutsches Vaterland, voll von Kriegsgeschrei, von blutigen Schlachtfeldern, von Jammer und Tränen für Hunderttausende unsrer Brüder, von großen wichtigsten Veränderungen für Staaten und Völker. Wie man auch von diesen Ereignissen denken möge und wir wissen wie ganz entgegen gesetzt Viele davon denken - soviel ist gewiss, nicht bloß auf das Kleinere, Einzelne und Gegenwärtige, sondern auf das Große, Ganze und Künftige müssen wir dabei sehen, nicht bloß von der Vergrößerung Eines Staates, sondern vielmehr von der augenscheinlichen höchst bedeutenden Vermehrung der Macht, des Ansehens, der Sicherheit unseres Gesamtvaterlandes ist dabei die Rede, dafür werden alle wahren Patrioten, denen für Deutschlands Wohl ein Herz im Busen schlägt, wird die Nachwelt Gott loben. Es war nicht von ferne ein Religionskrieg, der in diesem Jahr geführt wurde, wiewohl die Menge der Toren und Böswilligen ihn dafür ausgeschrien hat; unter den Fahnen des Siegers kämpften viele Tausende aus den 8 Millionen seiner katholischen Untertanen mit derselben Treue und Hingebung wie seine protestantischen Krieger, denn sie wussten, dass sie sich unter seinem Zepter vollkommener Gerechtigkeit und Gewissensfreiheit zu erfreuen hatten. Aber doch wissen alle einsichtsvollen Mitglieder unserer evangelischen Kirche, ja mit ihnen viele der Verhältnisse kundige, den Religionsfrieden liebende Katholiken in Bayern, wie sehr sie für die Wendung dieses Krieges Gott zu danken haben. So können wir uns leicht überzeugt halten, dass der Allweise und Allmächtige aus der Blut- und Tränensaat dieses Jahres eine erfreuliche Ernte guter Früchte wird hervorgehen lassen, wie er das ja noch immer getan hat.
Diese wahren und wohl für Manche notwendigen Bemerkungen glaubte ich unserer jetzigen Betrachtung voranstellen zu sollen, um über die Weltregierung Gottes in der jüngsten Vergangenheit einiges Licht zu verbreiten, so weit es jetzt schon die menschliche Schwachheit vermag. Und nun will ich euch ein liebliches Wort der Heiligen Schrift nennen, in welchem kurz und gut alles zusammen gefasst und gedrängt ist, was eine christliche Seele in diesen feierlichen Augenblicken erfüllen und bewegen muss - ein Wort, an das gewiss die Meisten unter euch heute schon gedacht haben und das einen hellen und freudigen Wiederklang in allen Herzen finden wird, sobald ihr es hört, ein Wort, welches die Gläubigen gerne zu ihrem gewöhnlichen täglichen Abendgebet setzen und an dessen gnädiger Erhörung sie niemals zweifeln dürfen. Dieses Wort ist die demütige herzliche Bitte jener beiden redlichen Wanderer nach Emmaus:
“Bleibe bei uns, Herr, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt.“
Ihr wisst, meine Zuhörer, bei welcher Gelegenheit und zu wem Kleophas und sein Freund dieses gesagt hat. Sie hatten mit dem auferstandenen Fürsten des Lebens ihren Gang von Jerusalem nach Emmaus gemacht und so viel Licht, Frieden, Trost und Hoffnung durch ihn bekommen, dass sie, obgleich ihre Augen gehalten wurden, dass sie ihn nicht erkannten, doch innigst wünschten, ihn noch länger bei sich zu haben. Wir müssen aber an das gedenken, was sie zu dieser inständigen Bitte bewogen hat, so wird alles in uns wach und klar werden, wozu der stille Silvesterabend uns erwecken soll, weshalb ich euch unter dem Beistand Gottes kürzlich vorstellen will:
Wie der Christ durch Christum an seine Vergangenheit denkt.
Wir dürfen uns mit unsern Gedanken nur in die Lage, in die Gesinnungen jener beiden Jünger versetzen, als sie diese Bitte an den Herrn richteten, so werden wir den richtigsten Standpunkt finden, von welchem aus wir in unsere Vergangenheit blicken sollen, und ein helles Licht von oben wird die Erinnerungen, Gefühle und Überzeugungen offenbaren, mit welchen wir das Jahr beschließen müssen. Der Christ scheidet von einem vollendeten Jahr: Mit süßem Trost über alles, was ihm darin Trauriges widerfahren ist. Niedergeschlagen, höchst betrübt waren jene beiden Wanderer zuerst auf ihrer Pilgerschaft, bekümmerte Reden führten sie unter sich, mit Tränen gedachten sie an die letzte Vergangenheit, um Trost war ihnen sehr bange, sie meinten, niemals wieder froh werden zu können; sie hielten es für unmöglich über solche Dinge, wie ihnen widerfahren waren, über einen solchen Verlust wie sie erlitten hatten, jemals wieder beruhigt zu werden. Denn der Tod hatte einen großen Raub an ihnen begangen, und unter welchen herzzerreißenden Umständen! Das Grab hatte ihre besten Freuden und Hoffnungen in seine finstere Tiefe versenkt. Was vermochten gegen diesen Schmerz alle Tröstungen der Menschen? Aber der Herr spricht zu ihnen: „Musste nicht Christus solches leiden und zu seiner Herrlichkeit eingehen?“ Und fängt an ihnen alle Weissagungen von ihm in der Heiligen Schrift auszulegen, ihnen die Auferstehung, das Werk, die Herrlichkeit desjenigen zu verkündigen, den sie als tot und verloren beweinten. Da kommt Trost und Friede von Gott in ihre gramvollen Herzen, da fangen sie an sich wunderbar zu freuen in dem Herrn und zu erfahren: „Ich hatte viele Bekümmernisse in meinem Herzen, aber deine Tröstungen ergötzten meine Seele.“ Darum bitten sie: Bleibe bei uns, du herrlicher Tröster, so kann uns nichts mehr trostlos machen, so wird es nicht mehr Nacht in unsern Seelen; denn deine Worte sind wie der Tau eines grünen Feldes für schmachtende Pflanzen, wie Balsam für blutende Wunden, wie die heilende Pflege des barmherzigen Samariters für den unter die Mörder Gefallenen.
Nicht bloß zwei, sondern vielleicht hundert solcher betrübter Pilger Gottes sind hier versammelt, in denen es heute wieder neu wird, was ihnen in diesem Jahr Trauriges widerfahren ist, deren kaum vernarbte Wunden sich schmerzend wieder öffnen, die aufs Neue bitten: „Heile du uns, Herr, denn unsere Gebeine sind sehr erschrocken,“ die mit Tränen des Kummers in ihre Vergangenheit blicken und sprechen: „Mein Gott, betrübt ist meine Seele in mir!“ Weinen ist erlaubt, weinen tut nichts, sagt der erleuchtete Scriver, wenn nur die Tränen nicht ein Vorhang werden, der uns den lieben Herrn verhüllt, wenn nur auf solche Regen die ewige Sonne scheint, dass sich ihr gegenüber der Regenbogen des Friedens malt, das Wahrzeichen der nie wankenden Gnade und Treue des Höchsten. Obwohl die Sonne am Himmel glänzt, ist doch öfters Schatten auf Erden, und obwohl das Morgenlicht leuchtet, hängen doch die Tautropfen an den Blumen und Hecken. So sei es heute mit euch, leidtragende Christen, so spiegle sich die Klarheit des ewigen Lichts in euren Tränen, so empfindet es noch ehe das Jahr mit seinen Verhängnissen entflieht, dass der Herr selbst euer Friede ist. Der die Wanderer nach Emmaus über Größeres so herrlich getröstet hat, ist auch bei euch, obgleich eure Augen noch gehalten werden, dass ihr ihn nicht seht, und wird auch euch zu beruhigen wissen, und was auch in diesem Jahr von euch genommen worden sei, bittet nur den Herrn, dass er bei euch bleibe, so wird es euch an seinem Frieden nicht fehlen. Wie die Sonne am Himmel in der Mitte ihrer dunklen Planeten steht und sie mit ihrem Licht und Glanz, mit ihren Segnungen erfüllt, so steht im Reich der Gnade Christus die Sonne der Gerechtigkeit, die nichts als Licht, Leben, Kraft und Seligkeit enthält, in der Mitte hilfsbedürftiger, seufzender, trostloser, sehnender Herzen; sie will diese Sonne um sich versammeln und sie mit Liebe, Trost und Hoffnung erfüllen, dass sie dankbar rühmen: „Aus seiner Fülle haben wir empfangen Gnade um Gnade.“. Und es kostet nicht viel Mühe diese köstlichen Gaben von ihm zu erhalten, das Herz der ewigen Liebe zu bewegen, dass es sich unserer annehme, sich unserer erbarme. Ist es doch von selbst geneigt die Betrübten zu trösten, die Schwachen zu stärken, die Traurigen zu erfreuen, die Notleidenden zu versorgen, die Kranken zu erquicken, den Verlassenen Beistand und Helfer zu sein. Ruft er nicht selbst die Mühseligen und Beladenen zu sich, um bei ihm Ruhe zu finden für ihre Seelen? Sprach er nicht zuerst die beiden Wanderer nach Emmaus an, fragte sie nach der Ursache ihrer Betrübnis, hieß sie ihre Herzen vor ihm ausschütten, und gab ihnen ohne ihre Bitte seinen göttlichen Trost? Der Wanderer, der in der Hitze des Tages seine Straße dahin zieht, hat keine Mühe seinen Durst zu stillen, wenn er eine frisch fließende Quelle an seinem Weg findet; was sollte es zwischen dem geängsteten betrübten Menschenherzen und dem Jesusherzen für Schwierigkeiten haben, da dieses immer fließt und wallt in Liebe und Mitleid und ruft: „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke - wer des Wassers trinkt das ich ihm gebe, den wird nicht dürsten ewiglich.“ kommt zu ihm mit euren Sorgen, er wird sie euch erleichtern, mit eurer Bitterkeit des Grames, er wird sie euch versüßen, mit euren Wunden, er wird sie euch verbinden, mit euren Tränen, er wird sie euch abwischen, mit euren Wünschen und Hoffnungen, er wird euch die, so euch wahrhaft gut sind, erfüllen, er will denen, die ihre Lust an ihm haben, geben was ihre Herzen sich wünschen. Durch ihn wird uns jeder Schmerz wie ein Schauer im Winterfrost, der die Sehnsucht nach der lieblichen Frühlingszeit in uns erweckt, der uns von den kahlen Feldern winterlicher Erstarrung hoffnungsvoll nach den grünen, blühenden Auen eines unvergänglichen Lebens hinüber schauen lässt. Er tritt an diesem Abend wie dort am Abend seines Auferstehungstages in seiner tröstlichen, weltüberwindenden Siegergestalt mitten unter uns mit seinem Gruße: „Friede sei mit euch!“ Er zeigt uns seine Wunden, aus denen das Heil der Welt geflossen, sein Kreuz, von dem er auf den Thron der Herrlichkeit erhoben worden ist, er fragt uns: „Warum seid ihr so traurig?“ Er lässt seinen milden Verklärungsglanz über unsere dunklen Führungen, über unsere schweren Leidenskämpfe, über unsere nassgeweinten Gräber hinleuchten, er lässt aus dem rauen Dornengebüsch unsers Kummers bald die schönsten Freudenrosen erblühen und macht uns über ein Kleines ewig sein Wort wahr: „Selig sind die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.“ Bleibe du bei uns, o treuer Herr, mit deinen Tröstungen, so fahre in Gottes Namen hin, was sonst nicht bei uns bleiben will und kann es kann uns schmerzlichst betrüben, es kann uns tief darnieder beugen, aber wir werden nicht verzagen, wir werden in dir den Frieden haben, den die Welt nicht geben kann, wir werden sein „als die Gezüchtigten und doch nicht ertötet, als die Traurigen aber allezeit fröhlich, als die Sterbenden und siehe wir leben, als die nichts inne haben und die doch alles haben.“ Darum scheidet der Christ von einem vollendeten Jahre gewiss auch:
Mit dankbarem Preis Gottes für die Wunder seiner Gnade und Treue.
Nicht bloß beruhigt, gestillt, getröstet, mit Ergebung und Frieden erfüllt wurden die beiden Wanderer nach Emmaus, als der Herr anfing mit ihnen zu reden und ihnen die Augen des Verständnisses und des Herzens zu öffnen, sondern auch mit Bewunderung, mit Erstaunen, mit der demütigsten Dankbarkeit und seligsten Anbetung der Wege und Werke Gottes beseelt, als er ihnen die Rätsel löste, die ihnen bisher so unbegreiflich gewesen waren, als er ihnen die Ursachen, die Absichten, das Vorhersehen, Bestimmen und Verkündigen, den inneren Zusammenhang, die unaussprechlich großen beglückenden ewigen Folgen alles dessen erklärte, was ein so schauerliches Geheimnis für den sich selbst überlassenen Verstand war. Wie wurde es nun auf einmal in der düstern Vergangenheit so lieblich hell und glänzend von der Herrlichkeit Gottes! O welch' eine Tiefe des Reichtums, beides der Weisheit und der Erkenntnis Gottes, so gar unerforschlich seine Wege, und unbegreiflich seine Gerichte, und doch so unendlich wohltätig und heilvoll! O welche Taten des Allmächtigen, der alles tut, was er will, im Himmel, auf Erden, im Meer und in allen Tiefen, der seine Hand ausstreckt über den Zorn seiner Feinde und dem kein Ding unmöglich ist! O welche Wunder der ewigen Gnade und Liebe, die in Christo war und versöhnte die Welt mit ihm selber und will uns durch sein Leiden und Sterben „alle unsere Sünden vergeben und heilen alle unsere Gebrechen, unser Leben vom Verderben erretten und uns mit Gnade und Barmherzigkeit krönen!“ Welche Treue Gottes in allen seinen Verheißungen von der Welt her, welche Wahrheit aller Schrift von Gott eingegeben, welche Erfüllung aller Weissagungen der Propheten von dem Messias, welche Majestät und Herrlichkeit des durch Leiden des Todes mit Preis und Ehre gekrönten Erlösers, welche Ströme des Segens, die von Golgatha herab sich forthin in Zeit und Ewigkeit über die Menschen ergießen werden! Das empfanden die beiden Wanderer als sie von Christo erleuchtet in die Vergangenheit blickten und es ihnen klar wurde: „Was ist der Mensch, dass du Gott seiner gedenkst, und das Menschenkind, dass du dich seiner so annimmst!“ Meine Seele erhebt den Herrn und mein Geist freut sich Gottes meines Heilandes; denn er hat große Dinge an mir getan, er der da mächtig und dessen Name heilig ist. - Darum bitten sie: Bleibe bei uns, du herzerfreuendes Licht, in dessen Schein wir nur Wunder Gottes erblicken!
Sind das nicht die Erfahrungen, Überzeugungen, Empfindungen, Bekenntnisse, von welchen heute auch unsere Seelen überfließen vor dem Herrn? Drängt sich uns nicht das Herz auf die Lippen und will danken, loben, preisen, anbeten den, der große Dinge tut, Wunder, die nicht zu zählen sind, der Leben und Wohltat an uns getan hat und dessen Aufsehen unsern Odem bewahrt, der Gebet erhört und das Seufzen seiner Kinder nicht verschmäht, darum kommt alles Fleisch zu ihm, der das Jahr krönt mit seinem Gut, seine Hand auftut und sättigt was da lebt mit Vergnügen und Wohlgefallen, der den Kriegen steuert in aller Welt und zerbricht Spieße, Schwert und Bogen, der sein Reich der Wahrheit und Gerechtigkeit angefangen hat so weit die Welt geht und zugerichtet, dass es bleiben soll, der sein Wort gibt. mit großen Scharen von Evangelisten, der da Frucht schafft der Lippen, die Frieden predigen, beides denen die nahe sind und denen die ferne sind, der als ein guter Hirte uns auf grünen Auen weidet und zum frischen Wasser führt, unsere Seelen erquickt und uns auf rechter Straße führt um seines Namens willen, der, ob wir schon wanderten im finstern Tal, uns kein Unglück fürchten heißt, denn er ist bei uns, sein Stecken und Stab tröstet uns. Vornehmlich beim Blick in dieses zu Ende eilende Jahr, wer unter uns wäre so stumpfsinnig, so undankbar, um nicht von ganzem Herzen und von ganzer Seele einzustimmen: „Preise Jerusalem den Herrn, lobe Zion deinen Gott; er macht fest die Riegel deiner Tore und segnet deine Kinder drinnen, er schafft deinen Grenzen Frieden und sättigt dich mit dem besten Weizen!“
Ein furchtbarer Krieg, in den auch unser engeres Vaterland mächtigen Feinden gegenüber hineingezogen wurde, hat in unsern deutschen Gauen und im benachbarten Böhmerland gewütet, mörderische Schlachten, auch auf bayerischem Boden, sind geschlagen worden, all' der Jammer im Gefolge des Krieges, Tod, Wunden und Krankheiten, Landesverwüstung, Not und Hunger hat viel Tausende heimgesucht, und auch nach der schnellen Beendigung des Blutvergießens, welch' eine Last der Einquartierung hat viele unserer Städte und Dörfer ganz in unserer nahen Nachbarschaft noch lange schwer gedrückt! Wie war uns dahier mit Recht vor diesen Schrecknissen bange! Aber nur aus den öffentlichen Blättern und aus Briefen unserer Freunde, nicht aus eigener Erfahrung haben wir davon Kenntnis bekommen, wir sind davor behütet worden, wie man einen Augapfel im Auge behütet, wie das Land Gosen vor den Plagen Ägyptens; fast schon an die Marken der Stadt Augsburg gekommen, musste der Feind stille stehen, wie einst zu Davids Zeiten der Todesengel an der Tenne Arafnas. „Das hat Gott getan und ist ein Wunder vor unsern Augen.“ Ja, schon der natürliche Mensch kann der großen allgemeinen und besondern Wohltaten Gottes unzählige in diesem Jahr erblicken. Was sieht, was rühmt erst der Christ, der Gottes höhere Gaben kennt und liebt und bedenkt, wie auch dieses Jahr dazu bestimmt war, sie weiter auszubreiten, sie uns und unsern Kindern zu erhalten und immer besser eigen zu machen. Dunkle Schatten breiten sich allmählich aus über unsere durchwanderten Wege, Nacht senkt sich herab auf unsere Vergangenheit; aber diese Nacht ist nicht ohne Glanz für geöffnete Augen; zahllose helle Sterne, kleinere und größere, leuchten in dieser Nacht und ziehen unsere Blicke auf sich. Das sind die Wohltaten Gottes, mit denen unser vergangenes Leben geschmückt war; und wie die Himmel uns die Ehre Gottes erzählen und die Veste uns seiner Hände Werk verkündigt, so tun diese Gnadenerweisungen das Nämliche auf eine noch rührendere Weise. Merkt darauf, o Christen! Doch wer könnte sie alle merken und zählen? Ihr Kinder, die der Herr frühe füllt mit seiner Gnade, auf dass ihr in ihm rühmen und fröhlich sein mögt euer Lebenlang, ihr Eltern, denen er Freude an ihren Kindern schenkt, ihr Ehegatten, die ihr in christlicher Eintracht das Jahr miteinander verlebt habt und euer Haus von ihm behütet und versorgt seht, ihr Arbeiter in jedem Stand und Beruf, denen er Kraft und Gedeihen zu ihrem Werk gegeben, ihr Alten, die er gehoben und getragen, ihr Reichen, die er über viel gesetzt, ihr Armen, die er nicht verlassen noch versäumt, ihr Kranken, die er erquickt und gestärkt, ihr Beter, die er erhört, ihr Traurigen, die er getröstet, ihr Christen allzumal, denen er sein Wort, seine Kirche, seine Predigt des Evangeliums, seine heiligen Sakramente, seinen Geist zum Beistand in der Heiligung gegeben, ihr Unbekehrten, die er noch nicht in ihren Sünden dahingerissen, sondern mit großer Geduld und Langmut geschont, ihr gläubigen Seelen, deren Gewissen er durch das Blut der Versöhnung beruhigt, die er im rechten Glauben durch seinen Geist erhalten und gestärkt und den Weg des Lebens geführt hat, welcher aufwärts geht klug zu machen, auf dass man meide die Hölle unterwärts erkennt, erkennt, was das heiße, die Gnadenwunder Gottes in der Erhaltung, in der Versorgung, in der Regierung, in der Verschonung, in der Beglückung, in der Erleuchtung, Heiligung und Erlösung der Menschen! Vereinigt euch Alle, wie Ein Mann in dem Lob: „Dankt dem Herrn, denn er ist sehr freundlich, und seine Güte währt ewiglich - das ist ein köstlich Ding, dem Herrn danken, und lobsingen deinem Namen, du Höchster, des Morgens deine Gnade und des Nachts deine Wahrheit verkündigen; alles, was Odem hat, lobe den Herrn!“.
Aber je besser wir die Güte Gottes erkennen und dankbar preisen, desto tiefer fühlen wir auch, wie unwürdig wir ihrer sind, und je mehr wir unsere Unwürdigkeit erkennen, desto mehr werden wir seine Gnade bewundern, desto demütiger und herzlicher ihn um sein Bleibe bei uns bitten. Darum blickt der Christ durch Christum in seine Vergangenheit unfehlbar auch:
Mit inniger Beschämung über seine Sünden.
Geirrt, gefehlt hatten auch die beiden Wanderer nach Emmaus, wie die übrigen Jünger Christi in diesen letzten Tagen mannigfaltig, durch Unachtsamkeit auf das Wort Gottes, durch Unglauben gegen die großen Weissagungen der Propheten, durch Vergessen der bestimmten Verheißungen Christi selbst, durch Unzufriedenheit mit der Regierung Gottes, durch Zweifel an der Hoheit, Macht, Wahrhaftigkeit und Bestimmung ihres Herrn, durch Wegwerfen ihrer auf ihn gesetzten Zuversicht, durch Kleinmut, Angst und trostloses Trauern, durch hartnäckiges Verschmähen selbst der ersten frohen Botschaft von seiner Auferstehung. Der Herr lässt ihnen das nicht ungestraft hingehen, verhehlt ihnen nicht seinen gerechten Tadel ihres Verhaltens, seine Erwartung, dass sie künftig besser auf die Schrift achten, seine Verheißungen besser merken, standhafter glauben würden.
Denn der gütige Menschentröster muss uns zuerst züchtigen, ehe er uns trösten kann, soll er uns unsere Sünden vergeben, so müssen wir sie zuerst erkennen und bereuen, soll er unsere Gebrechen heilen, so muss er sie uns zuerst zeigen. „O ihr Toren und träges Herzens zu glauben alle dem das die Propheten geredet haben,“ sagt er ihnen zuerst mit verweisendem Ernst; und wie erkannten sie diese ihre Torheit, als er ihnen die Schrift öffnete, wie fingen sie an, sich ihres Unglaubens zu schämen und als Torheit und Sünde zu erkennen, was ihnen ganz natürlich, erlaubt, notwendig gedünkt hatte, wie viel Angst, Schmerz, Furcht und Verschuldung sie sich hätten ersparen können, wenn sie im Glauben erleuchteter, stärker, unwandelbarer gewesen wären. Darum bitten sie ihn: Bleibe bei uns, du wunderbarer Lehrer der Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt, und hilf uns zu dieser Gerechtigkeit, dass wir los werden von dem Unglauben und von aller daraus kommenden Torheit und Sünde.
Toren und träges Herzens zum weise, heilig, und selig machenden Glauben, das sind wir zu Zeiten mehr oder weniger alle, und wer am meisten wünscht und strebt das nie zu sein, der wird sich dieses Mangels wohl heute am meisten mit Betrübnis und in Demut bewusst sein. Ach, am Glauben, am lebendigen, Herzregierenden, erfreuenden und tröstenden Glauben, an den rechtschaffenen Früchten desselben, an dem Glauben, der durch die Liebe tätig ist, der die Welt mit ihren Versuchungen und Trübsalen überwindet, daran hat es uns oft genug gefehlt, das werden wir alle bekennen, wenn wir im Lichte Christi an unsere Vergangenheit denken. Von der Herrlichkeit des Herrn glänzt sie, aber fürwahr nicht von der unsrigen, von der Treue Gottes gegen uns gibt sie Zeugnis, aber oft wenig von unserer Treue, dagegen oft genug von unserem Mangel der Liebe, der Dankbarkeit, des Gehorsams, der Zuversicht gegen ihn, von der traurigen Schilderung des noch unwiedergeborenen Menschen: „Wollen habe ich wohl, aber Vollbringen das Gute finde ich nicht - das Gute, das ich will, tue ich nicht, und das Böse, das ich nicht will, tue ich; ich sehe ein ander Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz Gottes in meinem Gemüt und nimmt mich gefangen in der Sünde Gesetz.“ Ein Tor, der das Gute, durch sein Gewissen erinnert, wusste und nicht tat, der das Licht der Heiligen Schrift hatte und ihm nicht folgte, der sich über Dinge betrübte, die sich gut und heilsam für ihn erwiesen, der große Wohltaten Gottes besaß und sie nicht erkannte und achtete, bis sie ihm entzogen wurden, der oft an seiner Pflicht vorüberging als ob er nichts von ihr wüsste, der die beste Gelegenheit, Kraft, Aufforderung hatte, Werke Gottes zu tun, sich Schätze für den Himmel zu sammeln und das so häufig versäumte, dem es von Gott leichter als tausend andern gemacht war, und der sich oft so unzufrieden zeigte, ja es mit sich selbst übel gemacht hat, der gar manche Werke, sehr viele Worte, unzählige Gedanken heute vor dem Allwissenden bereuen muss, wodurch er sich versündigt hat - ja, dieser Vorwurf trifft mich, sagt der Christ. „Und träges Herzens zu glauben alle dem, was durch die Propheten, durch die Apostel, durch den Sohn Gottes selbst geredet ist.“ Was ist mein Glaube in diesem Jahre gewesen? Wie oft nur ein Werk der Lippen ohne eine Kraft Gottes im Herzen, oft von Zweifeln angefochten, vom Fleisch geschwächt, von Leidenschaften unterdrückt, von Traurigkeit verdunkelt, vor der Welt und ihrem Spott sich verbergend, vor dem Kreuz flüchtig, vor den Schlägen des Unglücks, vor den Drohungen des Todes erschrocken und wankend, oft ein glimmender Docht und ein zerstoßenes Rohr!
Du träges, schwaches, schuldbewusstes Herz, ich bringe dich heute in tiefster Demut, Beschämung und Buße vor den Richterstuhl Gottes ach nein, da würdest du vergehen müssen - vor seinen Gnadenstuhl bringe ich dich, als welchen er uns Jesum Christum dargestellt hat, an welchem wir haben die Erlösung, nämlich die Vergebung der Sünden durch den Glauben in seinem Blut, damit dass er die Gerechtigkeit darbietet, die vor ihm gilt. Ich bitte dich, o mein Erlöser, du wollest mein Herz reinigen von allen Sünden und mir die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, schenken durch dein teures Blut und göttliches Verdienst, du wollest mich mit der seligen Versicherung in das neue Jahr hinüber gehen lassen: Sei getrost, mein Kind, deine Sünden sind dir vergeben.
„Ich, ich tilge deine Missetat um meinetwillen und gedenke deiner Übertretung nicht.“ Bleibe, Versöhner, Friedefürst, Herr, der unsere Gerechtigkeit ist, bleibe bei uns schwachen, sündigen Menschen, so wird das zerstoßene Rohr nie gebrochen, sondern immer wieder aufgerichtet werden, und der glimmende Docht nie erlöschen, sondern immer wieder hell leuchten, so frohlocken deine Gläubigen allezeit. „Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der da gerecht macht. Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben, ja vielmehr, der auch auferweckt ist und ist zur Rechten Gottes und vertritt uns.“ Deswegen denken wir aber an die Vergangenheit auch:
Mit frommen Gelöbnissen für die Zukunft.
Urteilt selbst, meine Zuhörer, ob es hieran jenen beiden Wanderern nach Emmaus gefehlt haben kann, als der Herr ihnen ihre Torheit aufgedeckt, ihren Unglauben beschämt, ihnen die Wahrheit der Heiligen Schrift bewiesen, ihren Verstand erleuchtet, ihre Herzen getröstet, als er ihnen die Weisheit und Gnade der göttlichen Ratschlüsse, die Wunder der Barmherzigkeit Gottes in Christo, die Erlösung der Menschen durch das Leiden und Sterben des Sohnes Gottes, die Herrlichkeit, zu welcher der Welterlöser nun für immer eingehen und auch alle die Seinigen erheben werde als er ihnen dieses alles erklärt und geoffenbart hatte; als er der Herr vom Himmel ihnen des Himmels Pforten aufschloss und ihnen einen Blick in jenes ewige Reich des Lebens, der Gerechtigkeit, des Friedens und der Freude öffnete, welches der Sohn Gottes und des Menschen Sohn dem sterblichen Geschlecht der Menschen erworben und bereitet hat. Nein, wir, die wir dieser seligmachenden Wahrheiten von Jugend auf so gewohnt sind, die Jenen dort zum erstenmal geoffenbart wurden, wir finden die Worte nicht, um es recht auszudrücken, wir haben die Gedanken nicht, um es uns recht vorzustellen, was in ihren erstaunten, entzückten Seelen vorging. Dunkel wurde es um sie her in der Natur, aber in ihrem Inneren war der Morgenstern aufgegangen, der die Sonne verkündigt; der irdische Tag hatte sich geneigt, aber die Morgenröte jenes großen Tages, auf den keine Nacht mehr folgt, begann in ihren Herzen zu glänzen. Und wer nennt die frommen Gedanken, die heiligen Entschließungen, die bei den Worten des Königs der Wahrheit durch den Geist, der von seinen verklärten Lippen redete, in ihnen erwachten, wodurch sie forthin Wanderer nach dem himmlischen Jerusalem wurden! Lasst uns in dieselben einstimmen und wie sie unsere Gelöbnisse halten, so wird auch uns der Wandel durch die Zeit unfehlbar zum Gang in das ewige Leben. O, werden sie gedacht haben, o Liebe unseres himmlischen Vaters, Gnade unseres Herrn Jesu Christi, Gemeinschaft und Trost des Heiligen Geistes, wie erhebst, stärkst und erfreust du unsere Seelen! Wie wollen wir forthin deiner eingedenk bleiben und durch alles, was in uns ist dich dafür loben und dir danken! Wie wollen wir allezeit dich lieben, dessen Liebe so herrlich sich uns bewiesen hat, dir vertrauen, der du nur Gedanken des Friedens und nicht des Leides über uns hast und uns zu dir ziehen willst aus lauter Güte, dir folgen, der du uns kund tust und führst den Weg zum Leben, da Freude die Fülle ist und liebliches Wesen zu deiner Rechten immer und ewiglich. Nein, wir wollen nicht mehr zweifeln an deinem göttlichen Worte, denn deine Verheißungen sind alle Ja und Amen in Christo „Des Herrn Wort ist wahrhaftig und was er zusagt, das hält er gewiss.“ Wir wollen nicht mehr murren über deine Regierung, denn „des Herrn Rat ist wunderbar, aber er führt ihn herrlich hinaus.“ Wir wollen uns nicht mehr ängstlich fürchten vor unsern Feinden, denn „die Rechte des Herrn ist erhöht, die Rechte des Herrn behält den Sieg“ „Christus hat die Welt und ihre Angst für uns überwunden.“ Wir wollen nicht lieb haben die Welt und die weltlichen Lüste, denn, wer noch lieb hat die Welt, in dem ist nicht die Liebe des Vaters, und die Welt vergeht mit ihrer Lust, wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit. Wir wollen nicht mehr trostlos zagen unter dem Druck der Trübsal dieser Welt, denn, „wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen; ich danke dir ewiglich, denn du kannst's wohl machen.“
Wir wollen nicht in unsern guten Werken unsere Gerechtigkeit suchen, sondern in unserm Glauben an Christum, „denn Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm würden die Gerechtigkeit, welche vor Gott gilt.“ Wir wollen nicht uns selber leben, sondern dem, der für uns gestorben und auferstanden ist.
Bleibe bei uns, geliebter Erlöser! wir wollen an dir bleiben wie die Reben am Weinstock, durch dich vergessen, was dahinten ist und uns strecken nach dem, das da vorne ist, und dem Kleinod nachjagen, welches vorhält die himmlische Berufung Gottes in Christo. Als die Deinigen wollen wir uns beweisen, deinen Ruhm wollen wir verkündigen durch unsre Nachfolge in deinen Fußstapfen, durch unsre Enthaltsamkeit von den fleischlichen Lüsten die wider die Seele streiten, durch unsere Liebe, Sanftmut, Versöhnlichkeit, Gütigkeit gegen die Menschen, durch unsern Fleiß in guten Werken, durch unser freudiges Bekenntnis unseres Glaubens, durch unsere Tätigkeit für die Förderung deines heiligen Reiches, durch unsere Willigkeit deine Schmach zu tragen und mit dir zu dulden, um mit dir einst zu herrschen, durch unsere tägliche Bereitschaft mit dir unsern Lauf getrost zu beschließen und in dir selig zu sterben. Daran soll man erkennen, dass wir Christen sind, dass wir mit dir unsere Jahre durchleben, dass dir unsere Zeit, unser Herz, unser Leib und unsere Seele gehört, und dass „wir warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes Jesu Christi, der sich selbst für uns gegeben hat, auf dass er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte ihm selbst ein Volk zum Eigentum das fleißig wäre zu guten Werken.“
Nun Herr unser Gott und Vater, unser Erlöser und Tröster, Deine Stimme haben wir wieder gehört, lass sie fortklingen in uns in allen unsern künftigen Tagen! Rede gütig, unterweisend, mahnend, warnend, strafend, tröstend mit uns so lange wir hier sind und mit denen, die nach uns kommen sollen auf Erden. Erhalte, beschütze, segne hierzu deine heilige Kirche mit ihren göttlichen Gnadenmitteln; lass deinen Geist in ihr allenthalben mächtig walten und wirken und Millionen Seelen es an sich selber erfahren, sie sei die Pforte des Himmels; lass deine ganze Christenheit sich freuen und fröhlich sein über deinem Heil, und dein teuer wertes Evangelium einen siegreichen Lauf haben unter den Völkern der Erde.
Behalte den König und das ganze königliche Haus, behalte unser ganzes deutsches Vaterland in deiner allmächtigen, gnädigen Obhut; lass die Engel des Friedens nicht aus unseren Grenzen weichen und das Kreuz auf Golgatha unsern Schutz wider schwere Zuchtruten deiner Gerechtigkeit sein.
Segne unsere Stadt, segne diese Gemeinde, sei mit der Jugend und mit dem Alter wie du mit den beiden Wanderern nach Emmaus warst, und wenn sie dich um dein Bleiben bitten, so tue wie du jenen getan hast, bleibe bei ihnen und offenbare ihnen deine Herrlichkeit.
„Herr, wir warten auf dein Heil.“ Willst du uns das nächste Jahr noch hier durchleben lassen, so hilf uns, dass wir es im wahren Christenglauben durchleben. Willst du uns von hinnen rufen, so lass uns wie Simeon im Frieden zu dir fahren, voll der seligen Überzeugung:
Nichts ist das mich von Jesu scheide,
Nichts, es sei Leben oder Tod,
Im Leben ist er meine Freude
Mein Trost in meiner Todesnot.
Mein Gott ich bitt durch Christo Blut,
Mach's nur mit meinem Ende gut!
Amen.