Blumhardt, Christoph - Andachten zum 1. Buch Mose
1. Mose 17,7
„Ich will aufrichten Meinen Bund zwischen Mir und dir und deinem Samen nach dir bei ihren Nachkommen, dass es ein ewiger Bund sei, also dass Ich dein Gott sei und deines Samens nach dir.“ („… zwischen Mir und dir und deinen Nachkommen von Geschlecht zu Geschlecht, dass es ein ewiger Bund sei, so dass Ich dein und deiner Nachkommen Gott bin.“)
Mit Abraham spricht hier Gott zur Zeit der Einführung der Beschneidung in seiner Familie. Da ist es gar lieblich und tröstlich, dass der Bund, den Gott mit Abraham aufrichten will, in gleichem Maße auch den Nachkommen gelten soll, so dass diese sich Gottes als ihres Gottes sollten rühmen dürfen gerade wie Abraham selber.
Wir sind berechtigt, solchem auch für uns und unsre Kinder eine Bedeutung zu geben, dass Gott nämlich ebenso in den Bund, in den wir mit Ihm durch den Glauben an Christus getreten sind, auch unsre Kinder mit eingeschlossen habe. Abraham ist ja nichts anderes als ein Mensch, ein gläubiger Mensch. Wer nun steht wie er - im Glauben und in der Gemeinschaft mit Gott durch den Glauben -, mit dem kann Gott keinen geringeren Bund machen als mit einem Abraham. Und wir schätzen doch wohl unsern Bund gering, wenn wir uns ihn nicht auch als einen Bund denken, den Gott zugleich mit unsern Kindern und Kindeskindern macht. Wer wollte sagen, so bedeutungsvoll dürften wir's bei uns nicht nehmen wie bei Abraham; und unsre Kinder seien durch den Bund, in welchem wir stehen, um nichts Gott näher gekommen; sie seien Ihm ebenso fern wie wir Ihm fern wären, wenn wir nicht in Seinem Bunde stünden?! Sehen wir doch, wie voll sich der HErr in unsrem Spruch ausdrückt: Der Bund wird gemacht; auf der einen Seite steht Gott der HErr - auf der andern Seite Abraham „und sein Same nach ihm bei ihren Nachkommen“. Zugleich, so sagt Gott, solle es ein ewiger Bund sein, wie es dem entspricht, was Gott auch im Gesetz sagt: „Denen, die Meine Gebote halten, tue Ich wohl bis ins tausendste Glied.“ Und um es ja ganz unmissverständlich zu sagen, setzt der HErr hinzu: „also dass Ich dein Gott sei und deines Samens nach dir.“
Die Verheißung wird auch gleich in Vollzug gesetzt, weil alsbald alle Glieder des Hauses Abrahams, auch seine Knechte, in den Bund der Beschneidung eintraten, ohne dass an ihnen hinsichtlich der Würdigkeit viel herumgefragt wurde.
Sollten wir daraus nicht auch einen Trost für unsre Kinder und Kindeskinder entnehmen dürfen? Und sollten wir wirklich Bedenken haben, unsern Kindern, wenn sie kaum geboren sind, das „Bundeszeichen“ der heiligen Taufe zukommen zu lassen? Ach, wie ist doch Gott so viel freundlicher, als wir oft versucht sind, es zu glauben!
Nehmen wir's also als einen Trost hin, dass Gott unsrer auch in unsern Kindern und Nachkommen gedenkt! Freilich ist's nicht so gemeint, dass Gott die Sünden und Abweichungen unbeachtet, die Sünder ungestraft sein lassen werde. Dass dem nicht so ist, das beweist hinlänglich die Geschichte Israels. Können ja auch die Eltern, wenn sie abtrünnig werden, der Bundesgnade verlustig werden! Aber so wenig diese, auch wenn sie sündigen, ganz aus dem Bunde fallen, so dass Gott nichts mehr nach ihnen fragen würde: so wenig sind ihre Kinder von ihrer Geburt an vom Bunde ausgeschlossen. Wie den Eltern, so geht auch den Kindern Gott nach. Und eine nicht mindere Gnade und Sorgfalt beweist Gott an den Kindern, sie bundestreu zu machen, wie Er sie an den Eltern beweist, wenn sie einmal angenommen sind. Müssen doch oft die Kinder die Retter der Eltern sein!
Sind wir denn etwa für unsre Kinder ängstlich, so dürfen wir's fest glauben, dass Gott, so möchte ich sagen, nicht minder ängstlich auf ihr Seelenheil bedacht ist, weil sie Seinen Verbündeten angehören. Das ist besonders dann der Fall, wenn Er sieht, welch ein großes Anliegen es auch den Eltern ist. Hat daher Gott Seines Volkes nie vergessen - auch jetzt noch nicht vergessen, da es über ihnen immer noch heißt: „Gottes Gaben und Berufung mögen Ihn nicht gereuen“ (Röm. 11,29) -, so werden unsre Kinder und Kindeskinder von Ihm nicht vergessen. Und seufzende Eltern werden einmal große Wunder zu sehen bekommen, wenn alles fertig ist. Solches bekam auch Abraham selber zu sehen, von dessen Geschlecht es heißt: „auf dass ganz Israel selig werde“ (Röm. 11,26) - ein unaussprechlich großes Wort, an dem man sieht, wie es Gott auch beim ersten Bunde schon schließlich auf die ewige Seligkeit abgesehen habe. Dadurch gewinnt die Beschneidung selbst eine höhere Bedeutung.
1. Mose 18, 14
a. Losung; „Sollte dem Herrn etwas unmöglich sein?“
Obiges Wort ist zu Abraham gesprochen, dem ein Sohn in seinem und der Sarah hohem Alter angekündigt wurde. Sarah, die hinter der Hütte stand, lächelte, wie wenn sie gedacht hätte, die Fremden, die gekommen waren, wollten nur etwas zum Scherz sahen, oder sahen sie etwas Unvernünftiges. Da kam es denn zu der Rede des Engels: „Sollte dem HErrn etwas unmöglich sein?“ Verwandt damit ist das, dass Maria, 2000 Jahre später, es nicht recht glauben konnte, dass sie sollte einen Sohn bekommen, ohne von einem Manne zu wissen. Da musste gleichfalls der Engel sagen (Luk 1,37): „Bei Gott ist kein Ding unmöglich.“ Beide scheinbare Unmöglichkeiten mussten geschehen, damit eine dritte Unmöglichkeit wirklich werde. Der HErr JEsus hatte gesagt, wie schwerlich die Reichen würden in das Reich Gottes kommen. Da fragten die Jünger betroffen: „Je, wer kann denn selig werden?“ Der HErr gibt dann zu verstehen, dass das Seligwerden bei den Menschen überhaupt unmöglich sei, setzt jedoch hinzu: „Bei Gott aber sind alle Dinge möglich.“
Das aber, dass bei Gott alle Dinge möglich sind, hat der HErr JEsus selbst durch Sein ganzes Tun bewiesen, um unsrem Glauben eine ganz neue Richtung zu geben. Er hat Dinge getan, bei welchen für uns lauter Unmöglichkeit im Hintergrunde ist. Man denke nur an eines der großen Wunder, die der HErr getan hat. Man denke an die Verwandlung des Wassers in Wein, an die Vermehrung des Brods und der Fische unter Seinen Händen, an die Auferweckung Lazari, - lauter Wunder, welche in vieler Klugen Kopf heute nicht mehr hineinwollen. Aber der HErr hat da recht klar gezeigt, dass wir einem solchen Gott glauben dürfen, der auch uns unmöglich Scheinendes Seinen Menschen zu lieb möglich und wirklich macht. Diese Richtung des Glaubens sollte auch in der Christenheit fortbestehen, nicht als ob man nun überall die großen Wunder erwarten müsste, aber doch, dass wir die Möglichkeit festhalten, Gott könne und werde auch das Unmögliche, wenn's sein muss, wieder tun. Nur so haben wir einen Gott und können wir sagen: „Das ist unser Gott!“ Wenn unser Gott Der ist, der Himmel und Erde aus nichts gemacht hat, so muss Er auch jetzt noch aus nichts etwas machen können, - muss, dass ich's so ausdrücke, Wasser in Wein verwandeln, muss Brod vermehren, muss Tode erwecken können, wenn's Seine Zwecke erfordern, was ja alles nichts Anderes ist, als aus nichts etwas machen. Mit solch' einem Gott haben wir es in der Offenbarung und im Evangelium zu tun; und wir werden es mit der Vollendung Seines Reiches nicht hinausbringen, bis wiederum eine Schar, eine große Schar, da ist, die glaubt, dass Er auch das Unmögliche, - etwas, das nur Er, Gott selbst, tun kann, - wieder tun werde, weil's nötig werden wird, dass Er es tue, um endlich allem Seufzen der Kreatur zu wehren.
Zusatz: Denken wir über das zu Anfang Gesagte ein wenig weiter nach, so muss es vorerst eine Unmöglichkeit gewesen sein, aus dem nächsten besten Sohne Abrahams, wie er eben geboren würde, ein Volk Gottes zu machen, in welchem der Abrahamsglaube, wenn auch nur in wenigeren Gliedern, sollte dauernd forterhalten werden. Es musste darum schon hierfür etwas Besonderes, was es nur war, von Gott geschehen, - von Gott, denn eben hier heißt es: „Sollte dem HErrn etwas unmöglich sein?“ - weswegen Abraham und Sarah so alt und erstorbener Natur werden mussten, dass es für Menschen eine Unmöglichkeit war, von ihnen noch einen Sohn zu hoffen. Ebenso, um weiter zu reden, war es eine Unmöglichkeit, dass je aus dem Menschengeschlecht ein Menschensohn geboren werde, der durch sich einen Ruhm vor Gott, dessen alle in gewöhnlicher Weise geborenen Menschenkinder mangelten (Röm. 3, 23), bekäme, und der vor allem zur Rettung aller durchaus nötig war. Deswegen musste, was nur bei Gott möglich war, eine Jungfrau den Mensch - Werdenden gebären. Es war endlich bei den Menschen eine Unmöglichkeit, wie der HErr ausdrücklich sagt, selig zu werden, weswegen die beiden vorangehenden Wunder oder scheinbaren Unmöglichkeiten geschehen mussten. Wir sehen daraus, wie tief der Rat Gottes zur Erlösung der Menschen ging, und wie übel es mit dem aus der Art geschlagenen Menschengeschlecht stand, wie dankbar wir auch Gott für Seine unbegrenzte Liebe sein müssen, dass Er es so durch lauter Wunder zu veranstalten wusste, dass wir wieder Gottes Kinder würden (1 Joh. 3, 1)!
Nicht nur das Angeführte, sondern auch, was sonst nach gewöhnlichen Gesetzen unmöglich ist, wird dem natürlichen Menschen schwer zu glauben. In der Regel glaubt der nur so weit, als er sich's irgendwie natürlich verlaufend denken kann und die göttliche Dazwischenkunft denkt er sich mehr nur als leitend und regierend, schützend und bewahrend, nicht als persönlich wirkend und schaffend. In dieser Weise glaubt er, wenn er glaubt. Daher gibt es Tausende von Christen, - sie glauben an Gott und Gottes Allmacht, an Gottes Führung und gnädiges Walten; aber es muss immer auch für ihr Verstehen eine gewisse Möglichkeit da sein. Sobald ihnen diese natürliche Möglichkeit nicht mehr vorliegt, so hört häufig des Menschen Glauben auf. Hier aber ist der Punkt, bei welchem sich der eigentliche Glaube erprobt. Wer es Gott nicht zutrauen kann, dass Er auch Unmögliches, d. h. Solches, was über unsere Sinne und Begriffe, überhaupt über die bestehenden Regeln hinaus geht, wenn es sein muss, tun könne und würde, hat nicht den eigentlichen Glauben, wie ihn die Schrift will. Denn von den hervorragendsten Personen der Schrift wird ausdrücklich gefordert, dass sie glauben sollen, bei Gott sei kein Ding unmöglich, seien alle Dinge möglich. Deswegen ist's auch mit dem Beten der Menschen etwas Eigentümliches. Sie beten in allem zu Gott, wenn sie beten - aber wie viel trauen sie Ihm zu? Da ist bei vielen die Grenze des bei Gott Möglichen überaus nahe zusammen gerückt.
Mel. Allein Gott in der Höh'.
Gott, Du erhörst, Dein ist die Macht
Ja, ja, es kann geschehen.
Du bist's, der alle Hilfe schafft,
Und mehr, als wir verstehen.
Was aller Welt unmöglich ist,
Da hilfst Du uns durch Jesum Christ
Von Sünden, Tod und Hölle.
1. Mose 21,22
„Zu derselbigen Zeit redete Abimelech und Phichol, sein Feldhauptmann, mit Abraham, und sprach: Gott ist mit dir in allem, was du tust!“
Wir werden mit diesem Spruch an eine Geschichte erinnert, die uns lehrt, wie der Segen der Freunde Gottes auch andern - selbst solchen, die von Gott ferne stehen - erkennbar wird. Gott weiß die Seinen, die Ihm vertrauen und die in lebendiger Gemeinschaft mit Ihm stehen, wunderbar zu segnen und so, dass jedermann staunt. Da kann es vorkommen, dass die Leute von dem einen und andern sagen: „Es ist doch etwas Besonderes bei dem; und man muss sich in der Tat wundern, wie bei dem alles so gut fortgeht und wie ihm alles gerät, was er vornimmt.“ „Freilich“, so setzen sie dann auch gerne hinzu, „er verdient es auch und hält fest an seinem Gott!“
So weiß der HErr Seine Kinder, wenn sie Ihm treu und redlich dienen, vor jedermanns Augen zu segnen. Und es erweckt auch in Fernerstehenden eine Lust, in eine freundschaftliche Verbindung mit solchen Gesegneten zu kommen - wie wenn sie auch etwas von dem Segen abschöpfen wollten, den sie da erblicken. Denn der König Abimelech kam mit seinem Feldhauptmann nur darum zu Abraham, weil er einen Bund mit ihm machen wollte. Freilich empfand er auch dem Abraham gegenüber, den sein Gott so sehr segnete, eine gewisse Ohnmacht, die ihn fürchten ließ, Abraham werde ihm wohl einmal mit seinem Geschlecht über den Kopf wachsen.
Man denke sich aber in die Verhältnisse hinein, in welchen Abraham sich befand: Er war von ferne hergekommen in ein ihm ganz fremdes Land, weil Gott ihn dahin gerufen hatte. Er kam mit viel Gesinde und Herden, der wichtigsten Habe der damaligen Zeit. Anfangs konnte er denken, Gott rufe ihn in ein Land, das ziemlich unbewohnt wäre und in dem er sich mit leichter Mühe nach allen Seiten ausbreiten könnte. Aber als er kam, fand er das Land bevölkert von verschiedenen Völkerschaften. Wie bange mag es ihm da geworden sein, zumal er mit seinen Herden nicht immer am gleichen Ort sein konnte! Wie leicht konnte doch in rohen Leuten das Gelüste entstehen, Raubversuche zu machen oder Mordpläne zu fassen, um sich seiner Habe zu versichern! Aber ungefährdet konnte er im Lande bleiben, wie später Isaak und Jakob - was allein schon davon zeugte, dass Gott mit ihnen war! Solches wird auch in den Psalmen gerühmt, da es heißt (Ps. 105,14f.): „Er ließ keinen Menschen ihnen Schaden tun und strafte Könige um ihretwillen,“ wie den König von Ägypten, auch einmal jenen Abimelech. Es war, als stünden Herolde um diese Patriarchen her, welche riefen, wie es im Psalm heißt: „Tastet Meine Gesalbten nicht an und tut Meinen Propheten kein Leid!“ Besonders über den steigenden Wohlstand Abrahams waren die Einwohner erstaunt. Dieses und anderes konnte Abimelech nur als einen Beweis nehmen, dass Gott mit ihm sei.
So war Abraham selbst mit dem Segen, den er erfuhr, ein „Licht unter den Heiden“. Und der HErr weiß Seinem Namen Ehre zu verschaffen, so dass, wer wollte, auch Lust bekommen konnte, sich unter den Schutz desselben Gottes zu stellen, wie es jetzt Abimelech tut.
Wie viel Gewinn nach innen und außen kann doch der haben, der gottselig ist und die Furcht Gottes nicht aus den Augen lässt - auch wenn er sonst sich vom Wesen der Welt mehr oder weniger fernestellen muss: wie jene Patriarchen still ihren Weg hingingen, ohne sich in das größere Volksleben zu verwickeln!
1. Mose 21,22
Abimelechs Bundesgesuch
Fassen wir mit wenigem zusammen, was uns der Besuch Abimelechs bei Abraham zu beherzigen gibt. Merken wir denn
- nach dem bereits Gesagten: wie gut wir's haben, wenn wir durch Glauben und Gehorsam Gottes Lieblinge geworden sind! Da kann Er es mit uns auf allerlei Weise - wenn auch nicht gerade vor Augen glänzend, doch allezeit - so machen, dass andere über uns Gott preisen;
- wie wir uns, dem Abimelech gleich, zu Gesegneten herzumachen sollten, weil wir von ihrer Gemeinschaft und Liebe nur gewinnen können. Gott mag es nicht gefallen, wenn wir uns kalt und herzlos oder gar neidisch ihnen ferne stellen;
- wie wir solche, die sich uns liebend nähern wollen, wie Abimelech dem Abraham, nicht gleichgültig und hölzern oder gar lieblos und abstoßend, sondern mit zuvorkommender Liebe aufnehmen sollen. Wir dürfen uns nicht davon abhalten lassen, selbst wenn sie viel zu wünschen übrig lassen, wie auch Abraham den Abimelech zuerst strafen musste; sondern wir sollen nicht abgeneigt sein, auch Freundschaft mit ihnen zu schließen - soweit wir unsererseits der Sache des HErrn nichts dabei vergeben. Denn damit können wir oft an ferner stehenden Seelen Großes ausrichten zur Ehre Gottes und zur Förderung Seines Reiches.
Zusatz 17 - zu 1. Mose 21,22 Gebrauch der Losungen
In der oben benützten Losung der Brüdergemeine stehen nur die Worte: „Gott ist mit dir in allem, das du tust“ - ohne Andeutung, wer die Worte sage und wie sie in dem Zusammenhang zu nehmen sind.
Es ist aber bei der Lesung so gestellter Losungen große Vorsicht nötig, weil sie für solche verführerisch sind, die gerne die Losungen dazu benützen, den Willen Gottes in Diesem und Jenem, das sie unter den Händen haben, zu erfahren. Diese können - und das ist's, wovor sie zu warnen sind - versucht werden, auch den obigen Spruch, den doch nur ein heidnischer König sagt, als einen Gottesspruch zu nehmen, der ihnen unfehlbar sagen würde, dass sie mit dem recht dran seien, was sie vorhaben; sie nehmen ihn als eine Weisung in dem, worin sie bisher nicht entschieden gewesen sind, oder auch wohl gar als Wink zu dem, worin sie sich ein Gewissen machen könnten. Ohne sich nun weiter zu besinnen, wohl gar mit einer Begeisterung, greifen sie zu, als müssten sie jetzt dem Wink und der Weisung Gottes gehorsam sein. Wie sehr können sie aber da oft getäuscht werden, wenn sie sich so leicht und fast abergläubisch unter den Buchstaben gefangen geben!
Besonders gefährlich können so die Sprüche der Losungen werden, wenn man sie sich geflissentlich - um gleichsam Gott um Rat zu fragen - durchs Los zieht. Weil bei solchen Versuchen, sich des Willens Gottes zu versichern, doch eigentlich stets eine unrechte Stimmung zugrunde liegt - indem man zu einer solchen Fragerei durch gar nichts von Gott selbst in Seinem Wort ermächtigt ist und so den schweigenden Gott gleichsam zum Sprechen nötigen will -, so kann es wohl geschehen, dass auch der Feind sich einmischt und selbst durch Bibelworte eine Falle legt: Denn solche Seelen fängt er sicher! Denn sie sind ihm gar gehorsam, in der Meinung, es gegen Gott zu sein! So hat er auch unsern Heiland bei der Versuchung durch Bibelsprüche in die Irre führen wollen. Man hat auch Beispiele genug, wie sich Seelen durch also missbrauchte Bibelsprüche ihren ganzen Lebenslauf verderbt haben. So lieblich es denn auch sein mag, wenn je und je vorkommende oder gefundene Bibelsprüche zutreffen - dabei sich's aber nicht um ein entscheidendes Ja oder Nein handelt, worüber man schon hinaus ist, sondern nur um einen Trost oder eine Stärkung, welche die Seele begehrt zu dem, was sie vorhat -, so sehr muss man sich hüten, mit Gottes Wort eine Art Wahrsagerei zu treiben, welche Gott unter allen Formen ein Gräuel ist.
Auch davor hat man sich zu hüten, dass man nicht in aufgeschlagenen oder durchs Los erhaltenen Losungen eine Art Gottesurteil über sich und andere erkenne. Dabei wiegt man sich einerseits in Sicherheit und Selbstgefälligkeit - wie bei dem obigen Spruch auch jemand versucht sein könnte -, oder man erschrickt bis zur Verzagtheit und Trostlosigkeit, als spräche Gott seine Verwerfung aus.
Lerne man doch alle Gottesworte nicht anders gebrauchen, als wie geschrieben steht (2. Tim. 4,16f.): „Alle Schrift von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit, dass ein Mensch sei vollkommen, zu allem guten Werk geschickt!“ Und bleibe man ferne von dem Gedanken, als wolle Gott die Person so und nicht anders zeichnen!
Immerhin mag ein Spruch zutreffen, und genau genommen, muss es jeder Spruch, laute er, wie er wolle, wenn man's recht zu deuten versteht. Denn jedermann kann immer alles brauchen, auch das Ernsteste! Aber verkehrt ist und bleibt es, ein persönliches Gottesurteil in einem Spruch zu finden - als ob Gott selbst mit diesem Spruch eine persönliche Anerkennung oder Verwerfung (oder eine besondere Lebensentscheidung) zu erkennen geben wolle.
Möchte man doch allzeit nüchtern bleiben und sich aus der Einfalt nicht verrücken lassen!
1. Mose 24, 40
“Der HErr, vor dem ich wandle, wird seinen Engel mit dir senden und Gnade zu deiner Reise geben.“
Abraham schickt seinen Knecht aus in die weite Welt, um seinem Sohne Isaak eine Frau holen zu lassen aus einem andern Geschlecht, als das der Kanaaniter um ihn her gewesen ist, weil das eben heidnische, abgöttische Leute waren, und Abraham auch in seinen Kindern dem wahren Gott dienen will. Einen Oberknecht, oder eigentlich, wie es war, Obersklaven, schickt er ab als seinen Stellvertreter. Für den Knecht war's keine kleine Aufgabe, wie für Abraham, der's ihm anvertrauen musste, eine Frau zu suchen und zu finden, die es wert wäre, im Hause Abrahams zu wohnen. Wie finden? Auf der Gasse findet man das Rechte nicht. Abraham dachte wohl an seinen Vetter in weiter Ferne über dem Euphrat drüben; aber ob bei dem wirklich eine Frau rechter Art, wie er sie wünschte, zu finden wäre, war wieder eine Frage. Ein Wagnis war's, nur so ohne Weiteres hinzugehen, um zu bringen, was man fände. Da denke ich mir, wie sie beide einander fast verlegen angesehen haben, Abraham und Elieser. Aber Abraham sagt: „Der Engel Gottes wird mit dir gehen und Gnade zu deiner Reise geben.” Er wusste, was er wollte, und konnte dem Gott, der ihn selbst nach Kanaan aus jener Gegend geführt hatte, es zutrauen, dass Er für seinen Sohn in dieser wichtigen Angelegenheit sorgen werde. Sein Vertrauen hat ihn nicht getäuscht. Wenn man durchaus ohne Falsch das Richtige im Auge hat, und dabei im Vertrauen fest ist, so führt der Engel sicher, besonders wenn es darauf ankommt, dass die rechten Seelen zusammenkommen.
Aber ein kindlicher Knecht muss doch Elieser gewesen sein, so ganz aus der Schule Abrahams herausgebildet. Dem Abraham hatte der HErr selbst das Zeugnis gegeben (1. Mos. 18,19): „Ich weiß, er wird befehlen seinen Kindern und seinem Hause nach ihm, dass sie des HErrn Wege halten, und tun, was recht und gut ist.“ Demnach ist Abraham der erste Schulmeister gewesen und der erste Stundenhalter, oder der erste Pfarrer und Bischof; denn er lehrte und predigte, sicher nach fester Weise, in seinem Hause, das viele Seelen in sich schloss. Da ist denn der Elieser recht hübsch dazu hingesessen, hat aufgehorcht und sich gemerkt, was er da hörte, und hat es in seinen Geist aufgenommen. Das ist ihm dann zugut gekommen, hauptsächlich darin, dass er tüchtig wurde, selbst auch in eine Gemeinschaft mit Gott zu kommen, und die Winke, die Gott gab, zu verstehen.
Die ganze Kunst des Lebens aber besteht darin, dass man die Fingerzeige, die Gott gibt, versteht; denn von uns aus können wir doch nicht viel machen. Wenn wir's mit unsern Berechnungen, Überlegungen und Künsten alles machen wollen, so geht's ungeschickt zu, und werden Fehler über Fehler gemacht, dabei das Beste nebenhinaus kommt. Ein wahrer Jünger des HErrn hat, wie man sagt, einen guten Merks, hat ein Gefühl für die Winke, die der HErr gibt, ob dahin, oder dorthin, weil er gewohnt ist, aufzumerken, und nicht nach seinem eigenen Kopf nur so fortstürmt. Daher geht er auch mitten in einer argen, verkehrten Welt sicher, wenn gleich alle Tage wieder wartend und harrend, was der HErr geben werde. So war's mit dem Elieser. Dem gelang es mit seiner Einfalt und Kindlichkeit; und alles ist wohl geraten. Rebekka folgte ihm, und wurde die Stammmutter des großen Israels, das werden sollte, wie der Sand am Meer, ja unsres hochgelobten Heilandes selber.
Mel. Allein Gott in der Höh.
O Gott, so richte Deinen Weg
Noch vor mir her zum Leben,
Du wollest, weil ich blind und träg',
Mir Licht und Kräfte geben.
Räum', was mich hindert, aus der Bahn.
Dass ich am Ziel Dich loben kann .
hat mich wohl geführet!“
1. Mose 45,5
„Bekümmert euch nicht, dass ich darum zürne, dass ihr mich hierher verkauft habt; denn um eures Lebens willen hat mich Gott vor euch hergesandt.“
Joseph ist's, der hier mit seinen Brüdern redet, da sie ihn endlich erkannten. Oft wird Joseph als ein Vorbild Christi genommen; und die dabei leitenden Gedanken reihen sich allerdings gut gerade an unsern Spruch an: Joseph ist von seinen eigenen Brüdern verkauft - der HErr Jesus von Seinem Volke, das Ihm als ein Volk von Brüdern galt, in die Hände der Heiden überantwortet worden. Der HErr Jesus ist nicht nur ins Elend, sondern auch ans Kreuz ausgeliefert worden und hätte Ursache gehabt, nicht nur denen, die Ihn überantworteten und töteten, zu zürnen, sondern dem ganzen Menschenstamm, der so entartete Leute in sich schloss. Aber Er zürnt nicht - wie Joseph nicht zürnt - weil Er um unsres Lebens willen vor uns in die himmlische Herrlichkeit hin gesandt worden ist; wie Joseph nach Ägypten in eine irdische Herrschaft, um des Lebens der Seinigen willen, die ihm nachkommen sollten.
Alles hat, wie bei Joseph so beim Heiland, Gott geschehen lassen, damit ihrer viele leben möchten, in dem einen Fall in dieser Welt, im andern Fall in jener Welt.
Wie sich darum ein Joseph freut, dass es so gegangen ist - so herb es ihm war-, so freut's den HErrn Jesus, nun Gelegenheit zu haben, uns zum Leben zu führen. Die Brüder Josephs aber brauchten sich nicht mehr darüber zu bekümmern, dass sie so übel an ihrem Bruder getan hatten; und wir brauchen uns auch nicht mehr darüber zu bekümmern, dass von unsrem Geschlecht der HErr der Herrlichkeit so verworfen worden ist. - So passt alles gar schön und lieblich zu einem Vergleich.
Im Übrigen aber hat die ganze Sache auch wieder eine Bedeutung für unsre Denk- und Handlungsweise: Zürnen wir nicht zu sehr, wenn andere übel mit uns fahren! Wer weiß, ob nicht gerade das, was andere uns übles tun, eben den andern - merke: nicht uns, sondern den andern! - zugutekommen soll? Oder wollen wir den Beleidigern das nicht gönnen? Wenn wir zürnen und erbittert sind, so hat es freilich keine guten Folgen für die Beleidiger. Oder ist dir's vielleicht gerade recht so? Aber das sollten wir von Joseph - noch mehr vom Heiland - lernen: dass wir die Beleidiger und Misshandler nicht mit Zorn und Erbitterung ansehen, welche Rache fordert, sondern mit Mitleiden und Fürbitte, mit der wir ihnen wohlwollen. Dann haben wir einmal die edle Freude, dass eben denen, die uns übles getan haben, ihr übel tun zuletzt zum Guten, zum Heil, zur Lebensrettung hat dienen müssen.
Das sind freilich keine Gedanken nach der Welt Art, keine Gedanken, die der natürliche Mensch so leicht hat, der nur gleich lieber totschlagen als lebendig machen möchte. Das sind göttliche Gedanken! Wir sind aber keine rechten Christen, wenn wir von diesen Gedanken nicht etwas lernen, so dass wir uns viel gefallen lassen können - hoffend und wünschend, jeder Schlag, den uns ein andrer gibt, möchte dem, der ihn gibt, ein Gutes einbringen!
Überlegen wir's und verstehen wir's! Aber ach, wie armselige Leute sind wir!