Bengel, Johann Albrecht - Von der Übereinstimmung des Alten und Neuen Testamentes.

Bengel, Johann Albrecht - Von der Übereinstimmung des Alten und Neuen Testamentes.

§. 1.

Der große und gute Gott hat nach seiner unendlichen Weisheit und unermesslichen Güte die Absichten und Anstalten zu seiner Ehre und unserer Seligkeit mit einander verbunden. Auf eine doppelte Weise stellt sich seine, des großen und guten Gottes, Ehre uns vor; sie wird gepriesen durch Werke und durch Worte. Und deswegen besingt die Schrift sehr oft beides mit einander. Ps. 19 und 119. Ferner, so bestehen selbst die Werke der Macht und Gnade durchs Wort. Denn so Er spricht, so geschiehts; so Er gebeut, so stehts da. Ps. 33, 9. Hiermit wird dann die Vortrefflichkeit des Wortes Gottes aufs reichlichste erwiesen, gleichwie auch dadurch, dass es Gottes Wort heißt. Und so wird auch unsere Seligkeit, welche in der Gemeinschaft mit Gott durch Christum besteht, in diesem und in dem zukünftigen Leben durch das göttliche Wort erhalten.

§. 2.

Das göttliche Wort, wie es in Schriften verfasst ist, ist die Heilige Schrift, und diese hat zwei Teile, das Alte und das Neue Testament.

§. 3.

Diese zwei Teile hangen auf das innigste und unzertrennlichste zusammen, und machen mit einander ein Ganzes aus, welches von Einem Ursprung herkommt, mit einerlei Inhalt umgeht, und zu Einem Ziel diejenige, die folgen, durchbringt.

§. 4.

Von Mose an bis auf Maleachi, ungefähr innerhalb tausend Jahren, ist die Schrift Alten Testamentes durch die Propheten verfertigt worden; deren Summa ist die Verheißung von Christo und seiner Zukunft, zuerst im Fleisch, und dann in der Herrlichkeit. Es kam zwar ein ziemlicher Stillstand dazwischen, damit bei den Gläubigen das Warten und Verlangen desto mehr geschärft würde. Endlich aber kam Christus: denn dass Jesus der Christ sei, dessen Zukunft im Fleisch geschehen sei, und in der Herrlichkeit geschehen solle, das hat Er selbst zu verstehen gegeben, und die Apostel und übrigen Zeugen haben es gepredigt. Und dieses Zeugnis ist, während eines Einigen Manns-Alters, durch die Apostel und Evangelisten in der Schrift Neuen Testamentes vorgelegt worden, samt einem näheren Erwarten der herrlichen Zukunft.

§. 5.

Die heiligen Menschen, welche in so langer Zeit die Heilige Schrift ausgefertigt haben, machen eine feine Anzahl aus, und sind von großer Mannigfaltigkeit; stimmen aber doch auf eine verwunderliche Weise zusammen. Die Bücher des Alten Testaments kommen miteinander überein; die Bücher des Neuen Testaments kommen mit einander überein; die Bücher von beiden Testamenten kommen mit einander überein.

§. 6.

Die Bücher des Alten Testaments sind von dreierlei Gattung:

1) die historische,
2) die Lehr-Bücher,
3) die prophetische.

Und die Bücher des Neuen Testaments sind gleichfalls

1) historische,
2) Lehr-Bücher,
3) prophetisch.

So hat man ungefähr bei der Lateinischen Kirche die Bücher des Alten und Neuen Testaments vor Zeiten in Ordnung gestellt; und zu den kanonischen historischen Büchern, von welchen man die Gesetz-Bücher unterschied, setzte man auch das 3. und 4. Buch Esrä, das Buch Tobiä, Judith und Makkabäer; zu den so genannten Weisheit-Büchern setzte man auch das Buch der Weisheit und den Sirach; zu den prophetischen Büchern das Buch Baruch (welche Manier, dass wir dieses beiläufig anmerken, neben andern Ursachen es vermutlich dahin gebracht hat, dass von Manchen die kanonische und apokryphischen Bücher mit einander vermengt wurden). Dem sei, wie ihm wolle, wenigstens erhellt auch hieraus die Übereinstimmung der Schriften des Alten und Neuen Testaments.

§. 7.

Es ist nicht eben alles, was in der ganzen Heiligen Schrift enthalten ist, einem jeglichen Menschen, der selig werden solle, zu wissen nötig; doch aber können alle und jeder aus der Heiligen Schrift dasjenige schöpfen, das genugsam ist, und es ist bei denjenigen, die es recht gebrauchen, gar nichts überflüssig. Hingegen leuchtet die ganze Schrift der ganzen Kirche vor, und zeigt nicht nur den Weg des Heils, soviel einem jeden nützlich ist, sondern erweist auch den Ursprung und das Ziel aller Dinge, die Haushaltung Gottes mit der ganzen Welt, mit dem menschlichen Geschlechte, mit der Kirche, mit den ersten, mittleren und legten Zeiten der Welt, welche den Tag Christi zum Ziel haben.

§. 8.

Vornehmlich knüpft die Zeiten-Linie, welche durch die Schrift des Alten und Neuen Testaments hinläuft, indem sie in dem Alten Testament anfängt, und erst im Neuen Testament ausgemacht wird, beide Teile also zusammen, dass sie ein unwidersprechliches Kennzeichen an die Hand gibt, auf welche Weise durch die beiden Teile jenes einige Ganze zu Stand gebracht werde.

§. 9.

Die Schrift des Alten Testaments ist nun nicht genugsam; die Schrift des Neuen Testaments kann genugsam sein. Es konnte ein Zuhörer Jesu Christi, ein Zuhörer der Apostel, der von heidnischer Herkunft war, von der Schrift des Alten Testaments nichts wusste, und die Botschaft des Neuen Testaments erstmals hörte, zum Glauben und zur Seligkeit gebracht werden; und so möchte heut zu Tage jemand, wenn er schon von der Schrift des Alten Testaments nichts wüsste, bloß aus der Lehre des Neuen Testaments eben solchen Nutzen schöpfen; doch aber hat auch das Forschen im Alten Testamente, wenn man das Neue damit vergleicht, ansehnliche Nutzbarkeiten, und, wenn man die Verwunderungswürdige Übereinstimmung von beiden Testamenten einsieht, so fördert solches einen fleißigen und begierigen Leser und Zuhörer vortrefflich. 2. Petr. 1.

§. 10.

Das Eingeben Gottes war im Alten Testamente mehr gebunden, wie man den Kindern diktiert; im Neuen Testamente war solches um etwas freier. Das Zeugnis der Kirche war im Alten Testamente mehr gebunden; im Neuen Testament ist es um etwas freier.

§. 11.

Die Schrift des Alten Testaments ist ausführlich und weitläufig; die Schrift des Neuen Testaments ist etwas kürzer und geschmeidiger. Jene hatte es mit Lehrlingen zu tun, um sie anzuführen; diese bringt solche Zuhörer zuwege, die lehrbegieriger und gelehriger sind, und leistet dann solchen alle Genüge. Die Schrift des Alten Testaments beschreibt Christum als den der da kommen wird, und entwirft und malt vieles stückweise vor. Die Schrift des Neuen Testamentes setzt viele Sachen voraus, welche man aus dem Alten Testament entweder schon weiß, oder noch erlernen solle, z. Ex. selbst die Geschichte der Schöpfung, die Gebote, die Vorbilder usw. Die Schrift des Neuen Testaments zeigt Jesum Christum gleichsam mit Fingern, und spricht: Dieser ists; dieser ist es, von dem die ganze Schrift des Alten Testaments handelt. Dieses Zeigen ist mit wenigem geschehen.

§. 12.

Gleichwie die Schrift des Alten und Neuen Testaments miteinander übereinstimmt, also stimmt die Auslegung des Alten und Neuen Testaments mit einander. überein. Die Schreibart ist einerlei. Der Vortrag ist einerlei. Die hebräische und griechische Sprache sind sehr unterschieden; aber die griechische Sprache ist dadurch, dass die Schriften Alten Testamentes aus dem Hebräischen in das Griechische übersetzt worden, ein für Juden und Griechen bequemes Mittel geworden, das Wort Gottes vorzutragen. Wo man mit den Hebräern zu tun hat, da pflegt die Schrift Neuen Testaments sich nach den hebräischen Red-Arten zu richten. Röm. IX, und in der Offenbarung.

§. 13.

Man erkennt die Subtilität der Werke Gottes, z. E. an den Kräutern und Blumen; und untersucht dieselbe von Tage zu Tage pünktlicher. Man sehe z. E. des berühmten Herrn Linnaei botanische Schriften. So ist es auch mit dem Worte Gottes in der Heiligen Schrift beschaffen. Je genauer man solches betrachtet, desto mehr sieht man, wie subtil es ist, und wie es bis. auf Kleinigkeiten hinaus ganz bedächtlich so und nicht anders, gerad in dieser, und nicht in einer andern Ordnung gestellt ist. Man sehe die Vorrede zur lateinischen Erklärung des Neuen Testamentes (Gnomon) §. XII-XVII, und vergleiche damit nach Belieben dasjenige, was in der Vorrede zu meiner Übersetzung des Neuen Testaments §. 8 und 10, besonders bei der achten Übersetzungs-Regel bemerkt worden.

§. 14.

Die Schrift hilft der Kirche auf, und unterhält sie. Die Kirche gibt der Schrift Zeugnis, und bewahrt sie. Wenn die Kirche wacker ist, so glänzt die Schrift; wenn die Kirche kränkelt, so bleibt die Schrift verliegen. Demnach pflegt gemeiniglich die Gestalt der Kirche und der Schrift zugleich entweder als gesund, oder als kränklich zu erscheinen, und nach der Beschaffenheit der Kirche richtet sich je und je die Behandlung der Schrift. Dieselbige Behandlung hat von den ersten Zeiten des Neuen Testaments an bis auf den heutigen Tag verschiedene Zeitläufe und Arten gehabt. Die erste Art könnte man die natürliche und echte heißen; die andere, die sittliche, die moralisierende; die dritte, die magere; die vierte, die wieder auflebende; die fünfte, die polemische, streitsüchtige, auf Lehrsätze und gewisse allgemeine Nutzanwendungen hinaus laufende; die sechste, die eritische, mit vielen Sprachen und Antiquitäten geschmückte, homiletische, zum Predigen eingerichtete Art. Bisher ist also noch nicht in der Kirche diejenige Erfahrung und Erkenntnis der Schrift aufgekommen, welche in der Schrift selbst angetragen wird. Dies beweisen die ausschweifenden Verschiedenheiten der Meinungen, und die in den Propheten noch unsere Augen benebelnden Dunkelheiten. Wir werden allmählig weiter berufen, zu derjenigen Macht und Fertigkeit in der Schrift, die männlich und königlich sei, und zu der Vollkommenheit der Schrift fein nahe hinreiche. Aber da werden die Leute vorher durch das Kreuz und Trübsale geläutert werden müssen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/b/bengel/bengel-von_der_uebereinstimmung_at_und_nt.txt · Zuletzt geändert:
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain