Beck, Johann Tobias - Am Geburtsfest des Königs.
Mergentheim 1831.
Tit. 3, 1.
Erinnere sie, daß sie den Fürsten und der Obrigkeit unterthan und gehorsam seyen, zu allem guten Werk bereit.
Ein großer Mann, der vor 300 Jahren lebte, in einer Zeit, wo man von oben herab und von unten her dem Evangelium wollte Gewalt anthun, der im Rathe seines Fürsten viel galt, und auch dem Volke theuer und werth war, ein treuer Unterthan und ein treuer Hirte des Volkes, Luther, schreibt einmal in einer seiner Schriften: „das sind giftige und gefährliche Prediger, die einen Theil allein vor sich nehmen, schelten die Herren, auf daß sie das Volk kitzeln, und wiederum schelten das Volk allein, auf daß sie dem Herrn heucheln; vielmehr es heißet: einem wie dem andern; denn das christliche Predigtamt ist nicht ein Hofdiener und ebensowenig ein Bauernknecht, es ist Gottes Diener und Knecht, und sein Befehl geht über Herr und Knecht.“
Es ist dieß eine Wahrheit, die am meisten Beherzigung verdient in einer Zeit, wo Leidenschaften gegen einander in Rüstung stehen, und der Geist der Zwietracht durch Hütten und Paläste schreitet. Der Mensch ist da so leicht versucht, dem Wort Gottes, wo es wider ihn ist, das Ohr zu verschließen, und es zu vergessen, daß er sich zu demüthigen hat unter die gewaltige Hand Gottes.
Von der Leidenschaft betäubt und geblendet versuchte man schon Alles aus der Bibel zu, beweisen - sie mußte den Unterthanen schon ein Schild sein für Aufruhr und Empörung, und ist es doch nicht, und den Befehlenden ein Schild für Gewaltthat und Unrecht, und ist es doch nicht. Eines wie das Andere streitet wider Gottes Geist, der das Böse unter keinem Namen und Titel heiligt; ob es von oben herab komme, oder von unten herauf, ob man es Volksrecht oder Regentenrecht heiße: es bleibt Böses, und dieweil wir Alle Menschen sind, ein hinfälliges Gemächte, so kann Keiner sagen, ob er hoch oder nieder stehe, an ihm sey nichts Böses, und auf seiner Seite sey das volle Recht. Und eben weil kein Titel und Amt die Menschheit uns auszieht, kein Kleid und Stand uns unfehlbar und zu Heiligen macht, eben darum sagt Gottes Wort, das die herrschenden und die gehorchenden Stände zur gegenseitigen Gerechtigkeit und Liebe, Verträglichkeit und Gelindigkeit ermahnt: „verdammet nicht, auf daß ihr nicht verdammet werdet; denn mit welcherlei Maß ein Theil den andern mißt, mit dem wird ihm wieder gemessen werden!“ und ein andres Gotteswort, das schon an tausend und aber tausend Beispielen erfüllt vor uns steht, sagt: „wer sich selbst erhöht, eine Größe sich aneignen will, die ihm nicht gebührt, über die Grenze hinausgeht, die Gott ihm gesteckt hat, der wird erniedrigt werden.“
Ach, gäbe man überall der versöhnenden und richtenden Stimme des Christenthums Gehör, ehe der Riß zu weit wird; erzeigten sich die Obrigkeiten den Unterthanen als Hirten des HErrn, und die Unterthanen jenen als Eigenthum des HErrn, würden Herren und Untergebene nicht vergessen, daß sie miteinander einen HErrn im Himmel haben, der beide ohne Ansehen der Person vor sein Gericht zieht, würde man seine heiligen Gesetze nicht mit selbstgemachten Aufsätzen unter den Scheffel stellen, und ernstlich und aufrichtig überall prüfen, was Ihm wohlgefällig sey, vor dem die Völker einmal Red' und Antwort müssen stehen, und Könige ihre Kronen niederlegen; behielte man das fest im Auge: wie viel des Unglücks wäre nicht über die Welt gekommen!
Das Christenthum, ich meyne nicht das, das nur im Verkündigen und Hören des Buchstabens steht, und mit dem Kirchenkleid wieder ausgezogen wird, sondern das Christenthum, wie es als Gotteskraft im Herzen lebt und webt, das lehrt jeder menschlichen Ordnung gehorchen, nicht um Menschen willen, nicht um Gewinnes oder Verlustes willen, nicht aus Furcht vor Gewalt, die morgen gebrochen sein kann - sondern um Gottes willen. Der ächte Christ ist zu jedem guten Werk bereit, nicht aus Augendienst, den Menschen zu gefallen, sondern als Knecht Christi, bei dem nur rechtschaffenes Wesen gilt; er folgt der Stimme der Obrigkeit, nicht weil und soweit er muß, sondern weil die Stimme Gottes im Herzen ihn also dringt, und er theuer verbunden ist dem HErrn, der ein HErr der Ordnung und nicht der Unordnung ist. Das ächte Christenthum lehrt Ehre geben, dem Ehre gebührt, also auch bereit sein von Herzen zu der besonderen Ehrerbietung gegen den Inhaber der höchsten Gewalt, vorausgesetzt, daß keine sündliche Ehre gefordert wird. Das ächte Christenthum lehrt jeden Bruder, auch den ärmsten, lieben um Gottes willen, so auch den ersten der Brüder, den König, in seinem „angefochtenen, verantwortungsvollen Stand“, in dem er der herzlichen Theilnahme und der Fürbitte vor Gott so bedürftig ist. Das Christenthum lehrt manche Lasten tragen, die dem verweichlichten Sinne der Weltmenschen zu hart sind, lehrt manche Opfer bringen, vor denen ein Anderer zurückbebt, lehrt durch Fleiß und Sparsamkeit und Mäßigkeit einen Schatz sammeln für Noth und Leiden, wo der vergnügungssüchtige Unterthan Land und Fürst zur Last fällt. Und wenn Krankheiten dem Hausvater die Seinen von der Seite reißen, wenn Seuchen, Wasserfluthen, Feuersbrünste, Hagel das bischen Hab und Gut rauben und verzehren, wenn jedes Herz zagt und der Bettelstab fast an allen Thüren lehnt - wer soll da in die Häuser gehen? wer aufrichten und trösten? wer dem betrübten Unterthanen Muth einsprechen? wer vor der Wuth der Verzweiflung ihn bewahren? Ach armer Mann, wenn du keine Bibel hast, die dein Schatz ist! armes Land, wenn das Licht vom Himmel in dir erloschen ist, das die Todesnacht erhellt! arme Obrigkeit, wenn die Unterthanen an ihrem Glauben Schiffbruch gelitten haben, und ihr Christenthum nur noch ein glimmender Docht ist! Wo ist Trost für die Bekümmerten, wo Erquickung für die Matten, wenn der göttliche Leuchter im Lande umgestoßen ist, das heilige Bibelwort! Dieß Wort allein hält gerechte Vergeltung über allem Fleische, um den Unterdrückten zu heben und den Hoffärtigen zu fällen - dieß Wort, das kein Ansehen der Person vor Gott gelten läßt, gibt dem Armen Muth, zu seinem himmlischen Vater zu gehen, der in sein Kämmerlein sieht, der allein weiß, was er bedarf, und auch über ihn sich erbarmt, wie ein Vater über sein Kind. Wenn der Niedrigste im Volk seine Bibel vor sich hat, das Wort seines Gottes, mit dem seine Väter schwere Zeiten überwanden - da ist es ihm, als ob der letzte Gerichtstag schon hereingebrochen wäre; da stehen seine Freunde und Feinde mit ihm vor dem Throne dessen, der erhaben ist über alles Fleisch, der der Wittwen sich annimmt und die Waisen gnädig anblickt, der die Gewaltthätigen von der Wurzel reißt und die Hungrigen sättigt, den Gedrückten eine Freistätte öffnet und den Elenden ein Reich aufschließt, wo sie nicht mehr seufzen, wo kein Fluch mehr gehört wird und alle Mühsal ihnen wohl belohnt wird. Und das gibt dem armen Sterblichen Geduld, den Abend vollends zu erwarten, wenn es auch hart ihm geht, und zu sehen nach den Bergen, von denen ihm wirkliche Hülfe kommt, ob da nicht ein Licht aufflamme, das sein Auge selig macht und ihn im Frieden von hinnen fahren läßt.
Das wirkt allein das vergessene, verachtete Christenthum, denn es hat Proben hievon gegeben; die Kraft liegt in dem alten Buch, das man unter Modebüchern, Rechnungsbüchern, Klugheitsbüchern n. dergl. beinahe begraben hat - wiewohl es läßt sich nicht begraben; der im Himmel schafft ihm wieder Bahn. Aber ach, wenn der Same des Bösen einmal ausgestreut ist und angewurzelt ist, dann kommt Lehre und Gewalt zu spät. Es ist schon zu viel geschehen, wodurch christliche Sitte, christliche Gottesfurcht und Zucht darniedergetreten wurde, und ein gottloser, hoffärtiger, rechthaberischer, gewinnsüchtiger Weltsinn in's Regiment gesetzt wurde. - Steure noch, wer kann; aber mit weltlichen Mitteln läßt es sich nicht bessern; es muß göttlich gerichtet werden. Das Erste ist vor Allem, daß Jeder, in welchem Stande er stehe, ob er herrsche oder diene, den einfachen alten Spruch nicht vergesse: „säe nicht auf den Acker der Ungerechtigkeit, damit du sie nicht ärndtest siebenfältig! überwinde das Böse mit Gutem!“ Und dazu hat Jeder dahin mit allen Kräften zu arbeiten, daß der Same des göttlichen Wortes nicht nur eingesät werde, sondern ihm auch Raum und Nachdruck verschafft werde zum gesegneten Eingang in Haus und Herz, in das öffentliche und Privatleben. „Die besseren Zeiten hängen von bessern Menschen ab, und die besten Menschen sind die besten Christen.“ Wenn Furcht Gottes und Liebe Christi in Herz, Haus, Beruf, Amt und Stand, bei Obrigkeit und Untergebenen, Lehrern und Zuhörern, Freunden und Nachbarn im Handel und Wandel das Regiment führt, dann sind die guten Zeiten da; ohne dieses wird man noch lange daraus warten müssen! Fassen wir denn unsere Wünsche in das Eine zusammen, das Jeder zu seinem täglichen Nachdenken und Gebet möge machen:
Du Gott hast selbst in Händen die ganze weite Welt,
kannst Menschenherzen wenden, wie es dir wohlgefällt.
So gieb auch deine Gnad' zu Fried' und Liebesbanden
Verknüpf' in allen Landen, was sich getrennet hat.
Beschirm' die Polizeien, bau unsres Königs Thron,
laß Licht und Recht gedeihen; schmück' als mit einer Kron'
die Alten mit Beistand, mit Frömmigkeit die Jugend,
mit Gottesfurcht und Tugend das Volk im ganzen Land.
Amen.