Auberlen, Karl August - Der Geist zeugt, dass der Geist die Wahrheit ist.
Predigt am Pfingstfeste Nachmittag 1853, von Prof. Dr. Auberlen in Basel.
Text: Der Geist ist's, der da zeugt, dass Geist Wahrheit ist.
1. Joh. 5. 6.
Der Apostel Jakobus sagt gegen den Schluss seines Briefes: „Elias war ein Mensch gleichwie wir, und er betete ein Gebet, dass es nicht regnen sollte, und es regnete nicht auf Erden drei Jahre und sechs Monate; und er betete abermal, und der Himmel gab den Regen, und die Erde brachte ihre Frucht (5, 17. 18).“ Er will damit sagen, was wir alle für eine Gebetskraft haben könnten, wenn wir so ernstliche Beter wären wie Elias, denn Elias war ein Mensch gleichwie wir. Ebenso verhält sich's nun auch mit der Kraft und Gabe des Heiligen Geistes. Wir wollen hier nicht an das reichliche Maß desselben erinnern, mit welchem die Apostel und die andern Jünger am ersten Pfingsttage ausgerüstet wurden, obwohl wir, wenn Jakobus von dem großen Propheten Elias seinen Lesern schreibt: „er war ein Mensch gleichwie wir“, auch von jenen gewaltigen, herrlichen Gottesmännern dasselbe sagen könnten. Lasst uns nur beim Nächsten stehen bleiben! Es sind gewiss einem Jeden von uns in seiner persönlichen Bekanntschaft schon solche Christen vorgekommen, bei denen wir unwillkürlich denken mussten, man sehe an ihnen recht augenscheinlich, was der Geist Gottes aus einem Menschenkinde machen könne; Christen, denen wir es abfühlten, dass sie mit einem viel reicheren Maße der Kraft aus der Höhe gesalbt seien als wir selber, weil wir erkannten, sie tun gewisse Tritte, wo wir noch straucheln, sie nehmen es ernstlicher mit ihrem Wandel im Lichte und dem Hasse gegen die Sünde, sie seien innerlich freier von Menschenfurcht und Menschengefälligkeit, sie seien kindlicher in ihrem Anhangen an Gott, brünstiger in der Bruderliebe und in der allgemeinen Liebe. Und das, Geliebte, sind Menschen gleichwie wir; es könnte bei uns ebenso sein. Das fühlen wir wohl und weil wir es fühlen, so geraten wir oft zu unserer Armut hin auch noch in einen geistlichen Neid über jene Geförderten, statt dass es bei uns nach dem Grundsatze gehen sollte: Wenn Jesus seine Gnadenzeit bald da bald dort verklärt, so freu' dich der Barmherzigkeit, die Andern widerfährt. Nein, durch solche Wahrnehmungen wollen wir uns nur beugen und demütigen lassen und Andere von Herzen höher achten lernen als uns selbst. (Phil. 2. 3). Es soll uns dadurch nur recht empfindlich und schmerzlich werden, wie arm am Geiste von oben wir noch sind. Wohl uns, wenn wir dieser Überzeugung unser Herz nicht verschließen; dann hat der Herr auch für uns sein Wort bereit: „Selig sind, die da geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihr (Matth. 5,3).“ -
Gerade das Pfingstfest, meine Lieben, will solche Leute haben, die ihren Geistesmangel lebendig erkennen und von ganzer Seele begehren, durch Gottes Gnade zu wachsen in der Kraft des Heiligen Geistes. Solchen ist es aber auch zu rechtem Troste zu rechter Freude und Erquickung gegeben; denn es verkündigt ihnen: der allmächtige Gott will nicht kargen mit seinem Heiligen Geiste, er hat ihn reichlich ausgegossen durch Jesum Christum, unseren Heiland (Tit. 3. 5, 6). Und nun ist der Geist ein ausgegossener, du darfst ihn nicht erst vom Himmel herab holen oder in weiter Ferne suchen; er ist seit dem ersten Pfingstfeste da auf Erden, er ist da in der Gemeinde der Gläubigen; auch du bist seit deiner Taufe in den Lebensstrom seiner Gnadenwirkungen hinein gestellt; er hat auch schon an deinem Herzen je und je gearbeitet. Und gerade, dass du deine Armut, deine Schwachheit und dein Elend fühlst - das ist sein Werk an deiner Seele, womit er dich für den Empfang neuer, vollerer Gnadengaben zubereiten will, damit es auch bei dir zu einem rechten Leben in der Kraft des Heiligen Geistes komme.
Wer nun von dem Allem schon etwas erlebt hat, wer schon innerlich ergriffen wurde von der Herrlichkeit der Wirkungen des Heiligen Geistes unter den Menschen, der hat auch schon etwas erfahren und verstanden von dem inhaltsschweren und in seiner Kürze fast dunklen Worte unseres Textes. Ihm hat der Geist in seinem Innern bezeugt, dass der Geist, dessen Wirkungen er an Andern sah, Wahrheit sei, d. h. das allein wahrhaftige, ewige, beständige, vollkommene Wesen und Leben, nach welchem zu streben unsere höchste Aufgabe ist. Dem lasst uns nun in dieser Stunde weiter nachdenken:
Der Geist zeugt, dass der Geist die Wahrheit ist.
Lieber, himmlischer Vater! wir bitten dich, erneuere und vermehre in uns um Jesu Christi willen die Gabe des Heiligen Geistes zur Stärkung unseres Glaubens, zur Kraft in der Gottseligkeit, zur Geduld in dem Leiden und zur seligen Hoffnung des ewigen Lebens! Amen.
I.
Es gibt so mancherlei Geister in der Welt, und wir Menschen brauchen das Wort Geist in dem allerverschiedensten Sinne. Doch hat wohl jeder eine Ahnung davon, dass es um den Geist, von welchem wir heute zu reden haben, um den Heiligen Geist, etwas Anderes ist als um alles das, was man sonst etwa mit dem Worte Geist bezeichnen mag, nämlich eben etwas Heiliges, Überirdisches, Göttliches. Aber wenn man auch von diesem Unterschiede etwas ahnt, so ist man doch oft weit entfernt, in seinem eigenen Herzen und Wesen vom Heiligen Geiste wirklich berührt und ergriffen zu sein; denn es bleibt dabei, der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geiste Gottes (1. Kor. 2. 14); er sucht und findet für denselben allerlei Ersatzmittel, sei es im eigenen Geiste oder in den großen Geistern unter den Menschen, oder in dem, was man den Zeitgeist nennt.
Wir schreiben jedem Menschen Geist zu, indem wir mit diesem Worte, ebenso wie mit dem Worte Seele, die unsichtbare, innere Seite unseres Wesens bezeichnen. Und wenn auch diese Redeweise nicht ganz genau ist, so hat sie doch ihr Recht; denn der Mensch lebt in der Tat nur dadurch, dass ihm Gott etwas von seinem Lebensgeiste eingeblasen hat (1. Mos. 2. 7) und fort und fort zufließen lässt, sowie auch die Naturwelt um uns her nur von dem sie durchwehenden Lebensodem aus Gott erhalten und belebt wird (Ps. 104. 30, 29). Derselbe Geist, der nun wiederum in der Erde schafft und wirkt und sie auf so herzerquickende Weise mit ihrem Frühlingsschmucke bekleidet, der beseelt, nur in einer höheren Weise, auch die Menschen, und führt ihnen ihre eigentümlichen Lebens- und Seelenkräfte zu. Und diese geistigen Kräfte des Menschen, sein Verstand, sein Wille, sein Erfindungsgeist usw. sind ja wahrlich auch köstliche Schöpfergaben Gottes; es ist der Menschheit dadurch schon Vieles und Großes gelungen. Aber wenn unser Text sagt: „Der Geist ist Wahrheit“, so merken wir wohl, dass das auf den Menschengeist keine Anwendung findet. Denn mag unsere Zeit auch noch so bereit sein, den Menschengeist zu vergöttern und ihn als Quelle und Sitz aller Wahrheit zu betrachten, so wird sie doch durch die einfachste, tägliche Erfahrung zu handgreiflich widerlegt. Ein jeder nüchterne Mensch weiß es ja, und je mehr er der Wahrheit sich nähert, desto mehr, mit wieviel Irrtum, Schwachheit und Sünde unser Geist behaftet und gleichsam durchwoben ist, und wenn auch alle Menschen ihren Geist zusammen tragen, so bringen sie ja auch ihre Schwachheiten, ihre Irrtümer und ihre Sünden dazu; und was dabei herauskommt, das hat schon vor Jahrtausenden der babylonische Turmbau sattsam gezeigt (1. Mos. 11, 1-9).
Weiter sprechen wir von Geist in einem gesteigerten Sinne, wenn wir von einem Menschen sagen: er hat Geist, er ist geist reich oder geistvoll, oder gar: er ist ein großer Geist. Und auch darin haben wir die Weisheit und Güte des Schöpfers und Weltregenten dankbar zu verehren, dass er die Menschen von Natur schon mit so verschiedenen Geistesgaben ausgestattet und einigen ein besonders reiches Maß davon geschenkt hat, damit sie als die geistigen Führer ihrer Umgebung, ihrer Zeit, ja des menschlichen Geschlechtes überhaupt, zum Wohle und zur Förderung des Ganzen beitragen. Welcher Segen eine solche reiche, geistige Begabung werden kann, wenn sie von Herzen zur Ehre Gottes angewendet wird, davon haben wir das leuchtendste Beispiel an unseren hochbegnadigten Reformatoren. Aber auch in diesem Sinne ist der Geist als solcher noch nicht die Wahrheit, sondern er kann ebenso wohl auch in den Dienst der Lüge und des Verderbens treten. Die großen Geister sind wahrlich nicht zu beneiden, denn sie sind auch ihren eigentümlichen Gefahren ausgesetzt, dem Stolze, der Gottesvergessenheit, dem Ehre-nehmen von Menschen; und ein solcher Geist, der nicht Gott die Ehre gibt und vor Gott sich beugt, das ist ein arger Geist, denn wem viel gegeben ist, von dem wird man viel fordern, (Luk. 12. 48). Wie haben sich nur schon diejenigen in Acht zu nehmen, denen im Gespräche die Gabe des Geistes und Witzes zu Gebote steht, dass sie ihre Zunge im Zaume halten und nicht der Zucht des Heiligen Geistes vergessen! Und wie haben die Andern sich wiederum zu hüten, dass man nicht solche Leute herausfordert und ihnen durch fleischlichen Beifall Anlass zum Sündigen gibt! Es ist ja überhaupt nur zu gewöhnlich, dass man an einer Sache Wohlgefallen hat, wenn sie mit Geist oder in schöner, ansprechender Form vorgetragen wird, und dass man nicht danach fragt, ob sie auch wahr und ob sie auch recht ist; es ist nur zu gewöhnlich, dass man großen Geistern sich hingibt, eben weil sie für große Geister gelten, ohne zu fragen, ob sie auch aus der Wahrheit sind. Man deckt die Sünde, wo sie an solchen Männern sich findet, mit dem Mantel der Bewunderung zu, oder beschönigt sie wohl gar, ohne die gehörige Unterscheidung nimmt man Alles von ihnen an, und glaubt nach ihnen seine Lebensansichten bilden zu dürfen; man bückt sich oft auch vor sehr unreinen Geistern, bloß weil es große Geister sind, so dass wer geistlich zu richten versteht (1. Kor. 2. 14, 15), oft mit Schmerz ausrufen möchte: „Siehe Israel, das sind deine Götter!“ (2. Mos. 32, 4, 8.) Dadurch entsteht aber eine Leichtigkeit in der sittlichen Beurteilung, eine Verwischung der heiligen, göttlichen Grenzlinie zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Recht und Unrecht, welche nicht anders als zerrüttend und langsam zerstörend auf das Leben eines Volkes einwirken kann. Die so oft nur halbwahren Worte berühmter Männer gelten Vielen mehr als das gerade, ernste Wort des lebendigen Gottes selbst; man beugt seine Kniee vor Menschen, weil man sie vor dem lebendigen Gott nicht beugt; man spricht großen Geistern nach, weil man nicht auf die Stimme des Heiligen Geistes hört. Ach in welch' schmählicher Menschenknechtschaft gehen doch Tausende dahin! Und doch gilt auch von den begabtesten Männern das Wort: „Alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit der Menschen wie des Grases Blume, das Gras ist verdorrt und die Blume abgefallen; nur des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit (1. Petri 1. 24, 25). Ja, das schlichteste Bäuerlein im unbekanntesten Winkel der Erde, wenn es Gott die Ehre gibt und Gottes Willen tut, ist in seinen Augen viel werter geschätzt als der glänzendste, von Ruhm bedeckte Geist, den Jahrhunderte mit Bewunderung nennen, wenn er die zehn Gebote nicht achtet und dem Fleische dient. Und es wird eine Zeit kommen, Geliebte, wo jenes Bäuerlein ein König und ein Priester Gottes sein wird, während der große Geist in die äußerste Finsternis hinaus geworfen ist (Off. 1. 6; Luk. 19. 27; Matth. 25, 30).
Und sollen wir nun auch noch ein Wort über den Zeitgeist sagen, von welchem eine gemeine Rede geht, dass es zu unserer Hauptaufgabe gehöre, mit ihm fortzuschreiten? Es gilt auch hier wieder die rechte Unterscheidung, Geliebte: dass man im Geschäftsleben neue Erfahrungen und Entdeckungen sich zunutze macht, dass ein Staat neue Erfindungen oder gerechtere Gesetze zum allgemeinen Besten einführt, dass die Wissenschaft neuer Forschungen sich freut, das ist Alles recht und notwendig; aber ein Anderes ist die Geistes- und Lebensrichtung, von welcher die weit überwiegende Mehrheit der in einer Zeit Lebenden beherrscht wird. In dieser Beziehung wird es wohl bei dem Worte Jesu sein Bewenden haben: „Die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt, und ihrer sind Viele, die darauf wandeln; und die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, der zum Leben führt, und Wenige sind ihrer, die ihn finden (Matth. 7. 13, 14).“ Danach gerade unterscheiden sich die Menschen, ob sie von der Zeit leben oder aus dem Geiste und Grunde der Ewigkeit, ob sie sich nur so fort tragen lassen von dem Strome der wechselnden Ereignisse des Tages und der gerade geltenden Anschauungen als Menschen dieser Zeit und Welt, oder ob sie zu den wenigen Geistesmenschen der Ewigkeit gehören, welche mitten in der Zeit doch über ihn denken und leben und als Gäste und Fremdlinge hienieden ihren Schatz und ihr Herz, ihren Wandel und ihre Heimat im Himmel haben (Matth. 6. 19-21; Phil. 3. 20; Hebr. 13. 14).
Und zumal in unseren Tagen ist der Zeitgeist nicht ein Geist der Wahrheit, sondern der Lüge, ein Geist des Abfalls und der Empörung, nicht nur wider Christum und sein Kreuz und sein Evangelium, sondern auch wider Gott und die allgemeinsten Gotteswahrheiten und Gottesordnungen. Dieser Geist dringt weiter, als man denkt und sieht; er breitet sich in aller Stille aus und spritzt sein Gift auch da hinein, wo man es nicht vermutet, sondern eher das Gegenteil erwartet. Darum gilt ganz besonders in der gegenwärtigen Zeit zu beherzigen, was unser Apostel sagt (1. Joh. 4. 1-3): „Ihr Lieben, glaubt nicht einem jeglichen Geiste, sondern prüft die Geister, ob sie von Gott sind; denn es sind viel falsche Propheten ausgegangen in die Welt.“ Und er gibt uns nun auch das einzig sichere Kennzeichen für diese Geisterprüfung an: „Daran sollt ihr den Geist Gottes erkennen: ein jeglicher Geist, der da bekennt, dass Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen, der ist von Gott, und ein jeglicher Geist, der da nicht bekennt, dass Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen, der ist nicht von Gott; und das ist der Geist des Antichrists, von welchem ihr habt gehört, dass er kommen werde, und ist jetzt schon in der Welt.“
II.
Also nicht der Menschengeist überhaupt, nicht große Geister, nicht der Zeitgeist sind und haben die Wahrheit; sie sind uns keine Hilfe in unseren eigentlichen Nöten, sie bringen uns nicht mit dem lebendigen Gott in Verbindung. Der Geist, der die Wahrheit ist und sich selbst als Wahrheit bezeugt, muss ganz anders woher kommen, von oben herab, aus Gottes Herzen. Und das kann er nicht, bevor die Sündenschuld von der Menschheit hinweg genommen ist. In unbekehrten Sündern kann Gott nicht wohnen, in unreine und mit Unrat angefüllte Gefäße kann er die heiligste und herrlichste seiner Gaben nicht niederlegen. Die reichbegabtesten Geister und alle Fortschritte des Zeitgeistes konnten aber diesen Grundschaden unseres Geschlechtes nicht heilen, sie konnten nicht die Macht der Sünde brechen und nicht die Schuld der Sünde von uns nehmen; denn sie gehören ja selbst dem Gebiete des Welt- und Fleischeslebens an, das eben gerichtet und in den Tod gegeben werden muss (Joh. 12. 31). Da konnte nur jener eine Mann helfen, den wir nicht bloß als den größten aller Erdengeister anzusehen, sondern als den Herrn vom Himmel anzunehmen haben, Jesus Christus (1. Kor. 15. 45). Er musste zuvor kommen, wie der Apostel in unserem Textesvers sagt, mit Wasser und Blut, nicht mit Wasser allein, wie sein Vorläufer Johannes, dass er nur getauft hätte zur Buße und durch bloße Predigt die Menschen zur Besserung gebracht, sondern mit Wasser und Blut, dass er als Gottes Lamm der Welt Sünde trug und sich selbst zum Opfer für uns dahingab, also dass nun der Bann, der auf uns lag, und die Scheidewand, die uns von Gott trennte, hinweg genommen ist und nunmehr die Kräfte des ewigen Lebens von Gott aus einströmen können in die versöhnte Welt.
Dieser eine Mann, unser Herr Jesus Christus, hat nun, nachdem er wieder aufgefahren war zur Rechten der Majestät in der Höhe, auf diejenigen, die sich ihm als Jünger ergeben hatten, von droben herab ausgegossen die Verheißung des Vaters, die Kraft aus der Höhe, den Heiligen Geist, welcher der Stellvertreter Christi in seiner Gemeinde, der Beistand und Tröster aller Gläubigen, der auf Erden gegenwärtige Gott selber ist (Luk. 24. 49; Joh. 14. 26). Derselbe hat sich gleich in der ersten Christengemeinde bezeugt durch eine Fülle außerordentlicher Geistesgaben; er hat sich aber auch durch alle Jahrhunderte herab bezeugt in der christlichen Kirche auf ordentliche und doch oft fast noch wunderbarere Weise. Denn denken wir nur z. B. an jene dunklen Jahrhunderte, welche durch die Stürme der Völkerwanderung bewegt waren und auf dieselbe folgten, wo das Wort Gottes teuer war im Lande und immer mehr durch Menschensatzungen entstellt und unter totes, heidnisches Zeremonienwesen begraben wurde; - ist es nicht wunderbar, dass es auch in dieser Zeit immer lebendige Christen gegeben hat, dass der goldene Faden der Geistesmenschen auf Erden nie ganz abreißt, ja dass nach jenen Zeiten die Kraft des Evangeliums wieder so mächtig hervorbrechen konnte? Das ist ein Beweis, dass der Heilige Geist da ist auf Erden und fort und fort in redlichen Seelen zeugt von seiner eigenen Wahrheit und von der Wahrheit dessen, der ihn gesandt hat (Joh. 15. 26). Und so bezeugt er sich auch heute noch in allen Seelen, die in aufrichtiger Buße und lebendigem Glauben zu Gott gekommen sind. Wer ihn hat, der weiß auch, dass er Wahrheit ist. Wie das Licht von selbst leuchtet und Niemand am Tage sagen kann, es sei Nacht, und Jedermann fühlt, dass am Tage wandeln besser ist als im Finstern tappen, so ist es auch mit dem Geiste aus Gott. Wer einmal von demselben-berührt und ergriffen ist, der spürt auch, dass er in ihm, und in ihm allein das echte, vollkommene, Bestand und Probe haltende Leben gefunden hat, und dass alles andere Leben gegen dieses Licht entweder nur schwacher Schatten oder böse Finsternis ist. So zeugt der Geist, dass Geist Wahrheit ist; er zeugt so, und wer aus der Wahrheit ist, der nimmt sein Zeugnis an, auch wenn es wehe tut, auch wenn es zu einem Todesurteile über so Vieles wird, was uns vom alten Leben her noch anklebt und lieb ist, auch wenn es zum Gebote wird, das Auge auszureißen und Hand und Fuß abzuhauen, wo sie uns ärgern. Das ist der Beweis des Geistes und der Kraft, Geliebte, der besser redet als alle Beweise, die man für das Christentum anführen kann, auf dass unser Glaube bestehe nicht auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft (1. Kor. 2. 4, 5).
Denn worin liegt die eigentliche Überzeugungskraft dieses Zeugnisses und Beweises? Darin, dass wir sehen, es ist etwas rein Überweltliches, eine Gabe aus der höheren Welt, etwas aus dem Wesen und Leben Gottes selbst, was im Heiligen Geiste uns geschenkt wird. Gott selbst wohnt in uns durch den Heiligen Geist; das ist das Geheimnis seiner Wahrheit (Joh. 14. 23; 1. Kor. 6. 19; 2. Kor. 6.16). Darum nimmt er uns in eine so heilige Zucht, wie alle menschlichen Lehren und Sittenvorschriften es nicht vermögen; darum empfangen wir in ihm eine Lebens- und Überwindungskraft gegen uns selbst und gegen die Welt, wie wir sie vorher nie ahnen konnten; darum haben wir, wenn wir im Geiste leben und durch den Geist des Fleisches Geschäfte töten, einen Frieden, der über alle Vernunft ist; darum ist uns der Heilige Geist im Leiden ein inwendiger Tröster, gegen dessen Zuspruch aller Menschentrost uns schal und leer erscheint. Und wie wir also spüren, dass Gott der Herr selber bei uns drinnen ist (Ps. 46. 6), dass er in uns Ärmsten sein Werk und Wesen zu haben nicht verschmäht, so zieht uns der Geist auch umgekehrt wieder empor zu ihm in den Himmel. Der Geist ist das Band zwischen Gott und Mensch; er ist ganz bei uns von oben herab, und zieht uns eben darum auch wieder ganz hinauf, dass wir nicht ohne Gott sein können. Ist uns nun der Umgang mit dem lebendigen Gott ein tägliches Bedürfnis, ohne dessen Befriedigung wir nicht leben können; ist es uns unmöglich, einen Tag ohne Gebet, aber nicht bloß gewohnheitsmäßiges, sondern herzmäßiges Gebet zu beginnen und zu beschließen; werden wir vom Geiste innerlich gezüchtigt, wenn wir von Gott weichen wollen oder gewichen sind, wenn wir, wie leider so oft geschieht, in unsere eigene Finsternis und Herzenshärtigkeit zurückgehen; lässt uns da der Geist keine Ruhe, bis wir wieder Vergebung und Frieden gefunden haben: - dann gibt er unserem Geiste Zeugnis, dass wir Gottes Kinder sind (Röm. 8. 16); und diese Gemeinschaft mit dem, welcher in sich selbst die Quelle aller Wahrheit, alles Lichtes und Lebens ist, trägt das Gepräge der Wahrheit in sich selbst, sie ist das Allergewisseste, was es für den Menschen geben kann. Und so wird uns das Zeugnis des Heiligen Geistes nicht bloß jeden Pfingsttag aufs Neue fest, sondern jeder Tag wird zu einem Pfingsttage, der da bezeugt, dass der Geist die Wahrheit ist.
Oben damit hängt dann auch das Andere zusammen, dass wir erkennen lernen, wie Alles, was nicht Geist ist, auch nicht Wahrheit ist, kein bleibendes, wahrhaftiges Wesen und Leben in sich hat. Man bekommt durch den Heiligen Geist erleuchtete Augen, um das Zeitliche in seinem Verhältnisse zum Ewigen und das Menschliche in seinem Verhältnisse zum Göttlichen richtig zu beurteilen. Man steht hinein in die völlige Eitelkeit und Nichtigkeit so mancher Dinge, an denen das Herz zuvor hing, und lässt sie immer lieber dahinten, weil man sie zu dem rechnen muss, darunter das Herz sich nagt und plagt und dennoch kein wahres Vergnügen erjagt, und weil man von Herzen sagen kann: „ich hab' ein Bess'res funden.“ Es wird uns die Binde immer mehr vom Auge genommen, dass wir den Betrug des alten Fleischeswesens durchschauen, das durch Lüste und Irrtum sich verderbt; dass wir erkennen, wie jede Fleischesbefriedigung, des Zornes, der Ungeduld, der Eitelkeit, der Sinnenlust, nur Trug und Schein ist, weil auf einen augenblicklichen Genuss ein langer Schmerz folgt, nämlich Unfriede, innere Finsternis und Reue (Eph. 4. 22). Und wenn mit dieser Erkenntnis der Sünde auch ihre Ablegung nicht gleichzeitig verbunden ist, wenn wir uns oft und viel durch Rückfälle müssen demütigen lassen; so haben wir doch einen Zugang zum Vaterherzen Gottes, und wissen, dass er uns erhört, wenn wir im Namen Jesu anhaltend um Erlösung bitten (Joh. 16. 23). Insbesondere lernt man dann auch von Menschenweisheit und Menschenkraft geringer denken, und bekommt dagegen immer mehr Ehrfurcht vor dem heiligen, majestätischen Gott und vor seinem Worte. Weil man ihn fürchtet, braucht man die Menschen nicht zu fürchten, sondern man trachtet nur danach, dass man sie liebe mit ungefärbter Liebe, in des Geistes Lauterkeit und Wahrheit; denn die Liebe Gottes, sagt der Apostel (Röm. 5. 5), ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist, und wer die Liebe Gottes geschmeckt hat, den drängt es, auch die Feinde zu lieben; und es ist das beredtste Zeugnis des Geistes für seine Wahrheit, dass seine Wirkungen in der Liebe sich vollenden.
So lasst es uns denn heute aufs Neue zu Herzen fassen, wie nötig und wie selig es ist, auszugehen aus dem Fleisches- und Weltwesen und Anteil zu erhalten an dem Geisteswesen des lebendigen Gottes. Denn unser Herr spricht (Joh. 6. 63): „Das Fleisch ist kein nütze, der Geist ist es, der da lebendig macht.“ Und Paulus sagt (2. Kor. 4. 18): „Was sichtbar ist, das ist zeitlich, was aber unsichtbar ist, das ist ewig“; und Johannes schreibt (1. Joh. 2. 17): „Die Welt vergeht mit ihrer Lust, wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit.“ Amen.