Anselm von Canterbury - Gebet 8 - Für die Feinde.
Jesu Christe, du allmächtiger und allgütiger Herr, wohl wünsche ich meinen Freunden deine Gunst und Gnade, aber du weißt auch, was für Segenswünsche für meine Feinde in meinem Herzen ruhen. Denn du, Gott, erforschest Herz und Nieren, du schauest hinab in meines Geistes geheime Tiefen. Es ist dir offenbar, wenn du in die Seele deines Knechtes hinein eine Saat gesät, die dir ein wohlgefälliges Opfer däucht, es bleibt dir nicht verborgen, wenn wir, ich selbst und der mir feindlich gesinnte Bruder, eine Saat dorthinein jäten, die mit Feuer verbrannt werden muß. Wende deine Augen nicht ab, du gnadenreicher Gott, von dem, was du gesäet, du wollest vielmehr es hegen und pflegen, segnen und behüten. Denn wie ich nichts Gutes zu beginnen vermag ohne dich, so vermag ichs auch nicht hinauszuführen und zu vollenden ohne deine Hülfe. Richte mich nicht, o barmherziger Gott, um des willen, das dir mißfällt, sondern reiße aus, was du nicht gepflanzet hat, und rette meine Seele, die du geschaffen hat. Ich vermag mich ja nicht besser zu machen ohne dich; find wir gut, so hast du selbst uns dazu gemacht, und nicht wir selbst. Meine Seele vermag nicht vor dir zu bestehen, wenn du sie nach ihrer Bosheit richten wolltest. Darum, o Herr, der du allein mächtig, allein barmherzig bist, laß all die Segenswünsche, die du selbst mir gegen meine Feinde ins Herz gegeben, ihnen und dann hin wiederum auch mir zu gute kommen. Und wenn ich ihnen ja einmal in meiner Unwissenheit, oder Schwachheit, oder Bosheit etwas anwünschen sollte, was dem Gebot der Liebe widerspricht, das laß, o guter Gott, weder ihnen, noch mir entgelten. Du bist das wahre Licht, erleuchte du ihre Blindheit. Du bist die lautere Wahrheit, benimm du ihnen den Irrthum. Du bist das wahrhaftige Leben, mache du ihre Seelen lebendig. Nun hast du aber durch deinen Jünger, den du lieb hattest, das Wort geredet: „Wer nicht liebet, der bleibet im Tode.“ 1. Joh. 3, 14. Darum bitte ich dich, o Herr, du wollest ihnen gerade so viel Liebe gegen dich und den Nächsten schenken, als sie nach deinem Willen haben sollen, damit sie sich nicht vor dir am Bruder versündigen.
Laß mich, du frommer Gott, ach laß mich meinen Brüdern nicht ein Gift des Todes, ein Fels des Aergernisses, ein Stein des Anstoßes werden. Ich habe schon genug daran, ja übergenug, o Herr, daß ich mir selbst zum Aergerniß gereiche; schon meiner eigenen Sünde ist mir zu viel. So bittet dich denn dein Knecht für seine Mitknechte flehentlich, du wollest verhüten, daß sie deine Gnade, du großer, guter Gott, je mit Füßen treten um meine willen, sondern mit dir versöhnt und mit mir im Frieden leben nach deinem Gebote und um deinetwillen. Das sei die Buße, die der verborgene Mensch meines Herzens meinen Mitknechten und Mitsündern, die mir feindlich sind, auferlegen soll. Das sei die Strafe, die meine Seele für meine Mitknechte, die mich hassen, erbittet, auf daß wir dich und uns unter einander lieben, so wie du willst und es uns frommt, auf daß wir dir, dem guten Gott, ein jeder für sich und beide zusammen Gehorsam leisten, und von dir, unserm gemeinsamen Herrn, gemeinsamen Lohn kraft unserer Liebe gemeinsam erlangen mögen. Das sei die Rache, die über Alle kommen müsse, die mir armen Sünder übelwollen und Uebles thun. Diese Rache, du erbarmungsreicher Gott, laß auch über mich kommen, der ich an dir gesündigt habe. So bitte ich denn, du mein gütiger Schöpfer und barmherziger Richter, ich bitte die um deiner unausdenklichen Erbarmung willen, vergib mir alle meine Schuld, gleichwie auch ich vor dir vergebe allen meinen Schuldigern. Und wenn mein Geist das noch nicht, ja weil er es noch nicht in der vollkömmlichen Weise thut, die vor dir besteht, so will ers doch thun, und thut sich Gewalt an, es in deiner Kraft so gut er kann hinauszuführen; und auch dies Opfer laß dir gefallen, und vergib mir um des willen meine Sünden vollkömmlich, und sei meiner Seele gnädig so sehr du kannst.
Erhöre mich, erhöre, du großer guter Gott, an des Liebesinbrunst sich meine hungrige Seele so gern weidet, obwohl sie deiner nimmer satt zu werden vermag. Ich rufe dich an, o Herr, für den mein Mund keinen Namen zu finden weiß, der meinem Herzen völlig genügte. Denn kein Wort vermag ganz wiederzugeben, was du in Gnaden meiner Seele bist. So habe ich denn, o Herr, gebetet, so gut ichs vermochte; hätte es gerne in besserer Weise gethan, als ich vermochte. Ach erhöre, erhöre du, so gut du vermagst; du vermagst ja, was du willst. Aus meiner Schwachheit und Sünde heraus habe ich gebetet; ach erhöre, erhöre du, der du voller Kraft und voller Erbarmung bist. Und nicht allein meinen Freunden, auch meinen Feinden wollest du geben, was ich ihnen erbat; du weißt ja, was einem Jeglichen unter ihnen frommt, und was deinem Willen gemäß ist, so wollest du sie denn Alle überschütten mit den Gnadengaben deines Erbarmens. Und auch mir wollest du geben, nicht was mein Herz will, und mein Mund bittet; sondern was ich nach deiner Weisheit und nach deinem Willen wollen und bitten sollte, das verleihe mir allezeit, du Erlöser der Welt, der du mit dem Vater und mit dem heiligen Geiste lebest und regierest, wahrer Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.