Ahlfeld, Friedrich - Weckstimmen - VII. Lobe den Herrn, meine Seele.
(Dankfestpredigt nach dem Aufhören der Cholera.)
Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.
Text: Psalm 103:
Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen; lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat, der dir alle deine Sünden vergibt, und heilt alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönt mit Gnade und Barmherzigkeit, der deinen Mund fröhlich macht, und du wieder jung wirst wie ein Adler. Der Herr schafft Gerechtigkeit und Gericht Allen, die Unrecht leiden. Er hat seine Wege Mose wissen lassen, die Kinder Israel sein Tun. Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte. Er wird nicht immer hadern, noch ewiglich Zorn halten. Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden, und vergilt uns nicht nach unserer Missetat. Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, lässt er seine Gnade walten über die, so ihn fürchten. So fern der Morgen ist vom Abend, lässt er unsere Übertretung von uns sein. Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, so ihn fürchten. Denn er kennt, was für ein Gemächte wir sind; er gedenket daran, dass wir Staub sind. Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde; wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennt sie nicht mehr. Die Gnade aber des Herrn währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über die, so ihn fürchten; und seine Gerechtigkeit auf Kindeskind bei denen, die seinen Bund halten, und gedenken an seine Gebote, dass sie danach tun. Der Herr hat seinen Stuhl im Himmel bereitet, und sein Reich herrschet über Alles. Lobt den Herrn, ihr seine Engel, ihr starken Helden, die ihr seinen Befehl ausrichtet, dass man höre die Stimme seines Worts. Lobt den Herrn, alle seine Heerschaaren, seine Diener, die ihr seinen Willen tut. Lobt den Herrn, alle seine Werke, an allen Orten seiner Herrschaft. Lobe den Herrn, meine Seele.
In Christo Jesu geliebte Gemeinde. Den Psalm wissen viele Glieder der Gemeinde auswendig; ich selbst habe ihn viele Hunderte von Konfirmanden lernen lassen, und so haben es viele Geistliche und Lehrer von jeher getan. Er ist daher auch oft wiedergelesen und gebetet worden. Viele Christen haben wohl mit ihm ihren Geburtstag gefeiert. Wenn sie das zurückgelegte Jahr überschauten, wenn ihnen alle die gnädige Durchhülfe Gottes in innerer und äußerer Not noch einmal vor dem Auge der Seele vorüberging, dann wussten sie ihrem Danke mit keinen Worten besser Ausdruck zu geben, als mit den Worten unseres Psalms. Oder es hatte sich Einer mit irgend welcher Sünde, mit Ungehorsam, Hartherzigkeit, Zorn, Untreue oder Übereilung in große Not gebracht. Der Geist der Wahrheit brachte ihn zur Erkenntnis seiner Schuld. Er fing an mit dem Herrn um Gnade zu ringen wie Jakob auf seiner Rückreise von Mesopotamien. Er fand auch Gnade und Frieden im Herzen. Aber nun bebte er noch vor den äußern Folgen feiner Sünde, denn diese nimmt die Gnade des Herrn mit der inneren Schuld nicht immer gleich wieder weg. Da erfuhr er denn, dass Gottes Barmherzigkeit auch dem äußern Schaden vorgebeugt hatte. Seine Sünde hatte doch nicht die Folge, die sie nach seinem Verstande und seiner Sorge hätte haben müssen. Ein Stein war ihm vom Herzen gewälzt. Er konnte nicht anders, er brach aus in die Worte unseres Psalms: „Lobe, meine Seele, den Herrn, und Alles, was in mir ist, seinen heiligen Namen. Lobe, meine Seele, den Herrn, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. Der dir alle deine Sünde vergibt, und heilt alle deine Gebrechen; der dein Leben vom Verderben erlöst, und dich krönt mit Gnade und Barmherzigkeit; der deinen Mund fröhlich macht, und du wieder jung wirst wie ein Adler.“ Wir haben über diesen Psalm hier schon im Silvestergottesdienst gepredigt und das Jahr vor dem Herrn mit ihm beschlossen. Und viele Christen haben schon das Leben mit ihm beschlossen. Er ging mit auf ihr letztes Krankenlager. Im Abenddunkel, im Zwielicht zwischen Zeit und Ewigkeit, war er ihnen eine Leuchte, bei deren Scheine sie noch einmal das nun bald vollendete Leben übersahen. Jedes Wort aus diesem hohen Liede war ihnen Wahrheit. Sie sahen ein ganzes Leben voll Schwachheit, Sünde und Schuld hinter sich. Sie sahen aber auch die Macht und Gnade des Herrn, welche sich als der goldene Faden durch ihr ganzes Leben hindurchzog. Als große Tatsache standen die Worte vor ihnen: „Wenn die Sünde mächtig worden ist, so ist die Gnade viel mächtiger. Wenn mich mein eigen Herz verdammt, so ist Gott größer als mein Herz. Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so hat sich der Herr mein Lebtage über mich erbarmt.“ Und dann zog sich das letzte: „Lobe den Herrn, meine Seele,“ - der Psalm schließt ja mit denselben Worten, mit welchen er begonnen hat - wie eine sanft und langsam verklingende Musik leise, leise durch den Tod in das ewige Leben hinein, um dort aufschwellend als ein mächtiges, gemeinsames: „Herr Gott, dich loben wir“ der ganzen begnadigten Gemeinde durch die ganze Ewigkeit hinzuklingen. - Doch wo wollen wir hin? Wozu heute dieser Text, dieser große Psalm? - Unser liebes Kirchenregiment hat auf den heutigen Sonntag ein schlichtes kirchliches Dankfest angeordnet. Der Herr hat die schwere Krankheit, die Cholera, mit welcher er unsere Stadt vier Monate heimgesucht hatte, in Gnaden von uns genommen. Seine Hand hat schwer auf uns gelegen. Seit dem Jahre 1813, wo in Folge der Schlacht Tausende von Fremden und Einheimischen hier an Wunden und Fiebern starben, also über ein halbes Jahrhundert, hat die Stadt ein solches Sterben nicht erfahren. Und nun kehrt er uns sein freundlich Angesicht wieder zu, nun hat er die wöchentliche Zahl der Toten wieder auf das gewöhnliche Maß zurückgeführt. Sollten wir da nicht danken? Sollten wir nicht danken, wenn wir an die Angst und die Schrecken denken, die mit dieser Krankheit durch die Stadt gingen? Ja unser Psalm ist hier am rechten Orte. Wir behalten aus demselben gleich als Grundton für unsere weitere Andacht den Anfang des ersten Verses: Lobe den Herrn, meine Seele.
Und wir fragen uns kindlich und einfach:
- Wofür denn?
- Wie denn?
Herr, unser Gott, mache du selber diesen Sonntag zu einem rechten Dankfeste! Mache du selber alle Herzen zu Altären, von welchen die helle und warme Flamme des Dankes zu dir emporschlägt. Lass uns deine wunderbare Majestät, Heiligkeit und Gnade recht erkennen. Wir hatten es verdient, dass du uns züchtigst und mit so gewaltiger Weckstimme aufriefst. Wir hatten so sicher hingelebt und uns so fest hier angebaut, wie wenn wir ewig hier leben würden. Wir hatten dein Wort vergessen: „Ich bin der allmächtige Gott, wandle vor mir und sei fromm!“ In unserem eigenen Gelüst und vor der Welt haben wir gelebt, Du rütteltest an den morschen irdischen Hütten. Viele sind zerbrochen, viele haben gewankt, alle haben den Sturm gefühlt. Aber auch in dem Sturme war deine Gnade. Du hast uns ja doch nur angefasst, um uns aus jenem Todesschlafe aufzuwecken. Der Tod ist zu unsern Fenstern hereingestiegen, wie dein Prophet sagt, damit die, welche sterben sollten, dir stürben, und die, welche am Leben bleiben sollten, dir lebten. Und nun hast du in Gnaden der Krankheit gesteuert. Heute feiern wir Dir ein Dankfest. mache du es zu einem wahren und fröhlichen! Gib jetzt auch denen dankbare Herzen, in deren Familien und Freundschaft du hineingegriffen, aus denen du einzelne Glieder in deine Herrlichkeit gerufen hast. Lass sie danken mitten unter den Tränen. Der ganzen Gemeinde gib aber als Dank solchen Ernst, dass wir täglich im Angesichte des Todes wandeln, dass wir täglich leben als ob wir stürben, und dass wir jeden Abend in Wahrheit beten können:
Soll diese Nacht die letzte sein
In diesem Jammertal,
So führ' mich in den Himmel ein
Zur auserwählten Zahl.
Und also leb' und sterb' ich dir,
Du starker Zebaoth;
Im Tod und Leben hilfst du mir
Aus aller meiner Not. Amen.
I. Wofür loben wir heute?
In dem Herrn geliebte Gemeinde. Wollen wir allein für die Befreiung von der Krankheit danken? Nein, dann wäre sie umsonst für uns dagewesen, dann hätte uns Gott ohne Frucht und Erfolg geschlagen. Der Landmann dankt nicht allein dafür, dass Gott dem Winter ein Ende macht und die Frühlingsluft wieder über die Erde wehen lässt; er dankt auch dafür, dass er durch den Frost die Erde locker gemacht und durch Regen und Schnee die Fruchtbarkeit in die Tiefe gesenkt hat. Der einzelne Genesene dankt nicht allein für seine Genesung, sondern auch für Alles, was ihm Gott auf seinem Lager geschenkt hat, für alle Erkenntnis der Sünde, für alle Buße, für alle Stärkung im Glauben und für die Geduld und Freudigkeit, welche er ihm als schönstes Gegenmittel gegen die Schmerzen der Krankheit gegeben hat. Die alten Pilger Gottes dankten nicht allein für die Erlösung von der Züchtigung, sie beteten: „Ich danke dir, Gott, dass du mich gezüchtigt hast, und mich lehrst die Rechte deiner Gerechtigkeit.' Ein alter treuer Bekenner des Herrn sprach unter allen ihm von seinen Feinden zugefügten Martern: „Ich danke Gott für Alles.“- Vergesst nie, liebe Gemeinde, dass in aller Züchtigung Gottes auch seine Gnade und Güte ruht. So lange wir auf der Erde wallen, ist auch sein Vaterherz in allen unsern Schicksalen. Er gibt sich überall mit; er gibt sich, wo er gibt; er gibt sich auch, wo er nimmt; und darum gibt er Mehr als er nimmt. Es ist wahr, jene Krankheit, die nun schon seit fast 40 Jahren von Zeit zu Zeit ihre Reisen von Osten nach Westen um die ganze Erde macht, trat mächtig auf in unserer Stadt. In kurzer Zeit steigerte sich die tägliche Zahl der Toten von etlichen wenigen auf zehn und zwanzig und vierzig und fünfzig und noch darüber. In viele Familien wurden weite Lücken gerissen. Sonst fordert der Herr wohl Einen aus dem Hause ab, selten Zwei zugleich; jetzt hat er oft Mann und Weib und noch eins und das andere der Kinder dazu abgerufen, oder wie es ihm gerade einzugreifen gefiel. In sieben Wochen starben aus unserer Stadtgemeinde mehr Glieder als sonst in einem ganzen Jahre. Dazu war der Weg vom Leben zum Tode ein gar schneller. Wir sahen überall die Wahrheit der gewaltigen Schriftworte: „Der Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde; wenn der Wind darüber geht, ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennt sie nicht mehr. Es ist nur eine Hand breit zwischen mir und dem Tode. Du reißt mein Leben ab wie ein Weber den Faden. Du räumst mit mir schnell auf, wie eines Hirten Hütte schnell abgebrochen wird.“ wie Mancher hätte gern von den Seinen Abschied genommen oder seine Kinder noch gesegnet. Er hätte sie alle zum Segen zusammenrufen mögen wie Jakob alle seine zwölf Söhne. Wenn sie aber nicht ganz in der Nähe waren, blieb keine Zeit dazu übrig. Er konnte nicht zu ihnen von dem Herrn reden, sondern kaum zu dem Herrn von ihnen. Die Krankheit verschonte weder Jung noch Alt, weder Mann noch Weib, weder Reich noch Arm. Sie griff in die Universität, in die Kaufmannschaft und in alle Schichten unseres Volkes ein. Sie kam bei Tage und bei Nacht; sie schlich im Finstern und verdarb am Mittag. - Und doch, geliebte Gemeinde, oder vielmehr eben darum, weil sie so mächtig und schnell einherschritt, war ein Segen darin. Sie ist immer eine mächtige Weckstimme an das sichere Geschlecht gewesen.
Ich gedenke der Tage, wo sie zum ersten Male von Osten her nach Deutschland kam, und Furcht und Schrecken vor ihr hergingen. Es war im Jahre 1831, wir waren junge Leute, Studierende in Halle, und wussten noch nicht Viel von dem Herrn. Viele flohen; über die aber, welche da blieben, kam ein schöner Ernst. Alles eitle Wesen, aller Hader und Streit schwieg. Man dankte Gott von einem Tage zum andern, wenn man sich gesund wiederfand. Ich habe sie in derselben Stadt im Jahre 1849 wieder durchlebt. Auch da konnte man die Hand des Herrn deutlich erkennen. Ich war nicht lange zuvor in eine durch falsche Lehre irregeleitete und verwirrte Gemeinde getreten. An Parteiungen fehlte es nicht. Als aber der Todesengel noch viel mächtiger als diesen Sommer bei uns durch die Stadt ging, da ward es so stille, da erstarb der Streit. Jedermann fühlte: „wir brauchen einen lebendigen Gott, der jedes Leben in sein Herz und in seine Hand gezeichnet hat! Wir brauchen einen Heiland, der Sünde vergibt und vom Tode errettet!“ Es ward Friede. Und wie hat sich die aus dem Herrn geborene dienende Liebe in solchen Zeiten erwiesen! Wie haben, als vor mehreren Jahren das Mecklenburger Land so schwer heimgesucht wurde, die evangelischen Diakonissen gearbeitet! Mit welchem Opfermute haben unsere Diakonissen im vorigen Jahre in Glauchau und andern Städten, und in diesem Jahre in Böhmen in den Choleralazaretten an ihrem Platze gestanden! Ja selbst im fernen Morgenlande, in Smyrna, in Alexandrien und Kairo sind es deutsche evangelische Diakonissen gewesen, welche an den Kranken die alte Christenliebe übten. Sie pflegten die von ihren eigenen Angehörigen Verlassenen, ohne zu fragen, ob sie Christen oder Muhamedaner seien. Selbst die muhamedanische Obrigkeit musste bekennen, dass sie die Einzigen gewesen seien, welche in der großen Not den Mut und das Herz nicht verloren hätten. Und dasselbe darf man Gott zu Ehren auch vielen Pflegern und Pflegerinnen in unserer Stadt nachsagen, mochten sie nun diese dienende Liebe und Treue an Familiengliedern oder an Andern üben. Auch den Ärzten, den alten wie den jungen, dürfen wir nachrühmen, dass sie ihr Amt so recht in der Nachbarschaft des Todes ohne Ansehen der Person an Armen und Reichen mit großer Treue und Aufopferung verwaltet haben. Ist aber ein Arzt oder ein Pfleger oder eine Pflegerin, sei er ein Glied der Familie oder ein Freund oder ein Fremder gewesen, selbst von der Krankheit ergriffen und dahingerafft worden, so starb er recht in seinem Berufe und recht im Dienste des Herrn. Er war darum auch der Barmherzigkeit des Herrn doppelt empfohlen. - Wenn nun ein Sturm solche Flammen anfacht, wenn eine Trübsal so die brüderliche Liebe zu frischer Tätigkeit und Treue erweckt: ist da nicht Großes geschehen? Sollen wir dafür nicht danken? Gibt es denn schönere Blumen auf der armen Erde? - Doch blicken wir nun hinein in die ganze Gemeinde. Hat sich denn diese Krankheit schon so oft und an so vielen Orten als mächtige Weckstimme Gottes erwiesen, so wird sie doch auch an unserer Stadt nicht spurlos vorübergegangen sein. Ich wende mich zuerst an alle die, welche gänzlich verschont geblieben sind. Diese Zeit hat euch doch dem Herrn näher gebracht! Ich möchte am Liebsten glauben, dass Keiner in der Stadt sei, der in dieser Zeit, und wenn es das ärmste Lallen gewesen wäre, nicht gebetet hätte. Ich möchte am Liebsten glauben, dass auf jedem, wenn auch noch so lange verdorrten Rasen wenigstens eine solche Himmelsblume gewachsen sei; dass Jeder, der zu einigem Verstande gekommen ist, wenigstens einmal gerufen hätte: „Herr, raffe mich nicht weg in meinen Sünden! Geh nicht ins Gericht mit deinem Knechte! Handle nicht mit mir nach meinen Sünden, sondern nach deiner großen Barmherzigkeit!
Straf‘ mich nicht in deinem Zorn,
Großer Gott, verschone!
Ach, lass mich nicht sein verlor'n,
Nach Verdienst nicht lohne!“
Sind es aber nicht Alle gewesen, so sind es doch sicher Viele gewesen, die der Morgenhauch des Lebens so aus dem Tode angeweht hat. Es haben sich Viele wieder nach dem umgesehen, der da tötet und lebendig macht, der in die Hölle und wieder heraus führt. Auch für solches Wachwerden, auch für solche Blicke in das wahrhaftige Licht haben wir zu danken. Wir kommen zu denen, welche die Krankheit angefasst, welchen aber die Güte Gottes hindurchgeholfen, welchen sie wie jenem Könige Hiskia, der an der Pest krank lag, noch ein neues Stück Leben zugesetzt hat. Wie war es dir ums Herz, als du so wandeltest vor den Toren des Todes, als du sie schon halb offen sahst? Blicktest du mit Freudigkeit hinein? Mancher hat hineingesehen als in ein Tor des Schreckens. Der Boden wankte ihm unter den Füßen. Er kannte Vieles, aber sterben kannte er noch nicht. Siehe, als nun der Herr der Krankheit bei dir steuerte, als er dir Leben und Lebenskraft wiederschenkte, da musste notwendig ein Gedanke, ein Wunsch in deiner Seele stehen: Ach Herr, wenn ich wieder an die Pforten des Todes komme und einmal muss ich ja doch noch dahin, und nicht allein vor dieselben, sondern in dieselben dann gib mir Gnade, dass ich sie mit anderem Glauben und Herzen anschaue. Hilf mir, dass ich dann nicht bebend und verzagt in dieselben trete, sondern fröhlich, wie dein Knecht Paulus, welcher spricht: „Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein, welches auch besser wäre.“ Lass es dann nicht schwarze Tore sein, die mir nur dies Leben und die Welt zuschließen, sondern goldene Tore, die mir den Himmel und deine volle Gnade aufschließen.“ Wer so beten gelernt hat, und wer den in solchem Gebete beschlossenen Wunsch auch in der neuen Gesundheit im Herzen behält, der ist nicht umsonst krank gewesen, an dem hat Gott Viel getan, der hat reiche Ursache zum Danken. - Wir kommen an die, welche der Herr von der Erde abgefordert hat, welche nicht mehr unter uns sind. Ich weiß es, dass der schnelle und gewaltige Gang des Herrn auch viele Seelen zu einem schnellen und gewaltigen Zugreifen getrieben hat. Wenn der Tod mit so schnellen Schritten naht, dann werfen auch Viele die alten Krücken weg und laufen mit schnellem Schritte zum Herrn. In solchen Tagen leidet das Himmelreich auch Gewalt, und die Gewalt tun, reißen es an sich. Ich weiß es, dass Viele die wenigen Stunden noch nutzten zu einem letzten wahren Sündenbekenntnis und zu dem letzten Bekenntnisse zu dem Lamme Gottes, welches der Welt Sünde trägt. Ich weiß es, wie so Manche das heilige Abendmahl noch verlangt und empfangen haben. Andere sehnten sich danach, aber der Tod ging zu schnell. Diesen rufen wir nach: „Nicht der Mangel des heiligen Abendmahls schadet, wohl aber die Verachtung, und verachtet hast du es nicht. Es war nicht deine Schuld, dass du es nicht empfangen hast. Du bist doch in Frieden deine Straße gezogen.“ - Und wenn sie nun bei dem Herrn sind, dann fragen sie nicht mehr danach, welches Todes sie starben. Ob Stephanus gesteinigt, Petrus gekreuzigt, Paulus enthauptet, Bartholomäus geschunden, Sebastian mit Pfeilen durchschossen, Polycarpus verbrannt, Ignatius von Löwen zerrissen, Perpetua von einer wilden Kuh zerstoßen, Andere ersäuft und die Unsern an der Cholera dahingestorben sind: sie fragen nicht mehr danach, welches Todes sie starben; sie sind gekommen aus großen Wassern der Trübsal, reingewaschen durch das Blut des Lammes, sie sind selig, sie danken mit der ganzen begnadigten Gemeinde für die Seligkeit. Und gewiss ist, dass unsere Krankheit manchen nun Vollendeten erst noch recht zum Glauben aufgeweckt und zur Seligkeit bereitet hat. Liebe Christen, so Viel hat Gott durch die Krankheit an der Gemeinde getan, und er hätte gern noch Mehr getan. Dafür danken wir, und nun noch dafür, dass er uns von der Heimsuchung befreit hat. Wir dürfen diese Befreiung ansehen als ein Siegel, dass er wenigstens an manchen Seelen - ei dass wir doch sagen könnten, an allen! erreicht hat, was er erreichen wollte. Wir dürfen sagen, er hat den Bußfertigen ihre Sünden vergeben, er heilt ihre Gebrechen. Und da kehren wir denn wieder zurück in den Anfang unseres Psalms: „Lobe, meine Seele, den Herrn, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“
II. Wie loben wir ihn?
Sicher hat Gott die schwere Zeit und die Hilfe nicht gegeben, dass wir nur über jene dahin sein sollen, wie man nach dem letzten Froste über den Winter dahin ist. Wir bleiben immer in seiner Hand, er hat noch Frost genug, er hat auch andere Todesarten genug. Er hat uns auch die schwere Zeit und die gnädige Abhilfe nicht gegeben, damit wir nach diesem Dankfeste und nach einem: „Nun dankt Alle Gott,“ in das alte Sündengeleis zurückkehren sollen. Denen, die das wollen, ruft Moses zu: „Dankst du so dem Herrn, deinem Gotte, du toll und töricht Volk?“ Für diese wird er Ruten binden, die noch schärfer schlagen als die bisherigen. Gott hat mächtig mit uns geredet, damit diese Stimme weit, weit in dem Leben unserer Stadt nachklinge. Meine liebe Gemeinde, wenn ein Einzelner lange hart und fest darniedergelegen hat und durch Gottes Gnade wieder aufgerichtet ist, so zieht sich oft ein schöner Ernst noch weit in die gesunden Tage, ja in das ganze fernere Leben hinein. Immer und immer wieder spricht er seinen Dank für Gottes Hilfe aus. Wie Manchen habe ich auch wohl schon sagen hören: „Seit meiner großen Krankheit ist das oder das anders geworden. Und es war ein anders zum Bessern. Jetzt können wir sagen: „Unsere Stadt ist krank gewesen!“ Sie wurde rings herum als eine kranke Stadt angesehen und von Vielen gemieden. So soll sich denn auch auf lange Zeit, am Liebsten auf immer, ein stiller Ernst zum Heil durch die Stadt hinziehen. Ei wenn doch hier auch die Krankheit einen tiefen Einschnitt und Abschnitt zurückließe! Wenn es doch hier in tausend und aber tausend Herzen und Familien auch hieße: „Seit der großen Krankheit ist das und das anders geworden, anders zum Bessern!“ Ihr, die ihr gesund geblieben, die ihr von der Krankheit gar nicht angetastet seid, an euch ist der Herr auch vorübergegangen im Feuer, im Sturme und im Erdbeben. Er hat euch seine Schrecken nur von ferne, aber doch nahe genug gezeigt. Lasst euch von ihm ziehen. Kehrt um, kehrt wieder ein in sein Wort und in den Glauben eurer Kindheit. Ihr Jünglinge, die ihr der Welt und ihrer Lust das Angesicht, dem Herrn aber den Rücken zugekehrt habt, kommt wieder! kommt wieder zu Gottes Wort, kommt wieder zur Kirche und zum heiligen Sakrament! Wenn wir jetzt die Beichtgemeinden ansehen, so bestehen sie in der Regel zu zwei Drittel aus Frauen und zu einem Drittel aus Männern. Die Männer sind aber teils Jünglinge, welche erst vor wenigen Jahren konfirmiert sind, teils Männer im Ehestande und im reiferen Alter. Zwischen Jenen und Diesen ist aber eine große leere Lücke. Wo sind die Jünglinge in der vollen Blüte der Kraft? Ist denn euer Gewissen tot? Drückt euch denn keine Sünde? Bedürft ihr keines Heilandes und keiner Gnade? Wenn ihr kommt, wenn wir in dieser Zeit und in der lieben Adventszeit auch die Scharen der Jünglinge und jungen Männer zum Altare ziehen sehen, dann können wir glauben, dass viele für die gnädige Errettung dankbare Herzen in der Stadt schlagen. Ihr aber, die der Herr selbst mit Krankheit angefasst, dann aber auch wieder von der Krankheit errettet hat, wie wollt ihr danken? Liebe Gemeinde, es haben schon viele Christen auf der See Schiffbruch gelitten, und vielleicht in den gewaltigen Stürmen der letzten Tage wieder recht viele. Manche sind stundenlang, ja tagelang auf einem Balken oder sonst einem Stück von Wrack auf der Flut umhergetrieben worden. Und unter diesen waren Viele, die, wenn sie gerettet wurden und wieder zu Land kamen, das erste Fleckchen fester Erde als ihren Dankaltar ansahen. Da knieten sie nieder, da brachten sie dem Herrn ein Opfer, da gelobten sie: „Was ich noch Zeit vom Leben übrig habe, soll dir gehören, o Herr!“ Solcher Dank ist oft in Wahrheit mitgegangen in das feste Land und in das weite Leben hinein. Vor kurzer Zeit schickte mir ein Ungenannter eine Summe für die Mission mit der Zuschrift: „Ein Dankopfer für eine Errettung an der Nordsee.“
Mein Christ, wer an jener Krankheit darniederlag, der schwamm auch schon in der Flut. Die ersten gesunden Tage und zu den gesunden Tagen gehört für dich, wenn du hier bist, auch der heutige sind das erste Festland unter deinen Füßen. Da knie nieder, da bringe dem Herrn dein Opfer, da danke ihm, da gelobe ihm: „Ich will mir nicht mehr selbst dienen, ich will auch nicht mehr der Welt, ihrem Gut und ihrer Lust dienen; was ich noch hinterstelliger oder übriger Zeit habe im Fleisch, da will ich dem Willen Gottes dienen.“- Solches Gelübde mit der Bitte, dass dir der Herr im heiligen Geiste Kraft dazu verleihen wolle, ist ein rechtes Gott wohlgefälliges Dankopfer. Und du ganze liebe Gemeinde, lass das deinen Dank sein, dass du täglich im Angesicht des Todes wandelst. Bleibe vor dem Angesicht des Herrn stehen, erbaut euch nach Leib und Seele durch das Wort Gottes zu lebendigen Kindern Gottes, die täglich fertig und bereit sind, ihrem Herrn zu leben und zu sterben. Lässt uns innerlich so leben, wie wenn der Gedanke, den wir eben denken, der letzte auf der Erde wäre, wie wenn wir mit diesem vor Gottes Gericht treten müssten. Lasst uns so wandeln, wie wenn das Wort, welches wir eben reden, das letzte wäre, und wie wenn das nächste Wort, welches uns anginge, Gottes Urteil über unser ewiges Heil oder Unheil wäre. Lasst uns in jedem Verkehr mit den Brüdern und in jedem Geschäft so stehen, wie wenn in der nächsten Stunde unser ganzes Leben samt diesem letzten Geschäft auf der Waagschale Gottes läge, und gleich darauf das Wort folgen könnte: Ich habe dich gewogen und zu leicht befunden.“ Das wäre Dank! Glaube aber ja nicht, dass da das Leben ein freudeloses Dasein würde. Du ahnst nicht, welche Seligkeit solche Ruhe in Gott und solche Gemeinschaft mit ihm schafft. - Doch es bleiben uns ja noch die übrig, welchen Gott in dieser Zeit die Nächsten und Teuersten von der Seite genommen hat. Wie Viele sind in diesen Monaten Witwer und Witwen und Waisen und ihrer Kinder beraubte Eltern geworden! Wie Viele wandeln um einen teuren Freund ärmer auf der Erde! Wie Vielen ist der Stab zerbrochen, auf welchen sie sich stützten und weiter stützen wollten! Wie viele Arme sind nun eben recht arm geworden! Sollen die denn auch ein Dankfest mit feiern? Ja, ihr sollt es auch; und wenn ihr es noch nicht könnt, werdet ihr es lernen. Haltet nur an am Glauben und am Gebet. Die beiden Mächte aber, welche euch in eurer Trübsal ein Dankfest bereiten können, sind Gottes Gnade und die brüderliche Liebe der Gemeinde. Der Herr vergisst die Seinen nicht. Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie die Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden. Er trocknet die Tränen, er gießt durch sein Wort Balsam in die Wunden. Er kann die Herzen und Gebeine, die er zerschlagen hat, auch wieder fröhlich machen. Und dazu soll und wird die Gemeinde die Witwen und Waisen gern als die Altäre ansehen, auf die sie die Dankopfer für die eigene Erhaltung in Teilnahme und Gaben der Barmherzigkeit niederlegt. Die Heimgesuchten sollen erfahren, dass sie der großen Familie der Kinder Gottes angehören, wo eins des andern Last trägt, und keins einsam und verlassen dasteht. So dankt, liebe Christen; aber nicht heute allein. So lange euch Gott noch das Leben, die Gnadenfrist zu einem seligen Heimgange schenkt, so lange lasst auch solchen Dank dauern, so lange soll es heißen: „Lobe, meine Seele, den Herrn!“ Dazu bereite du, Herr Jesu Christe, unsere Herzen im heiligen Geist. Amen.