Tholuck, August - „Was gehört zu einem treuen Haushalter?“

Wenn man mit großem Schmerz wahrnimmt, dass Predigten in unseren Tagen so gar wenig aufbauen, so liegt die Schuld wohl nicht allein an den Zuhörern, sondern zum Teil auch an den Predigern und Predigten. Ein gerechter Vorwurf, den man vielen Predigten macht, ist unter andern der, dass sie gar zu allgemein sind, dass sie nicht anwendbar sind auf das innere und äußere Leben eines Jeden. In das Herz der Leute sollten sie fahren, wie der Blitz, so aber fahren sie über die Herzen der Leute hin, hoch wie die Wolken über ihre Häupter, und lassen keine Spur nach sich. Wenn ich in meiner letzten Ansprache an euch im Allgemeinen zur Heiligung aufrief, so hättet ihr vielleicht auch eine solche Anklage machen können. Der Prediger muss indessen auch darauf rechnen können, dass die Gemeindeglieder, wenn einmal ihr Herz eine Liebe zum göttlichen Wort gewonnen, nicht bloß dann und wann vor ihm erscheinen werden, er muss also darauf rechnen können, dass seine Predigten sich wechselseitig unterstützen. So habe denn auch ich darauf gerechnet, dass die große Frage, was denn der Quell aller christlichen Heiligung sei? und wiederum: welches ihre Tugenden, und welches ihre Hilfsmittel? euch durch manches frühere Wort von dieser Stätte klar geworden sei, oder durch manches spätere noch wird ans Herz gelegt werden. Dieser eine heutige Vortrag soll indes doch noch dazu dienen, das zuletzt gehörte Wort vollständiger und anwendbarer für euch zu machen; er soll ein Ganzes bilden mit dem früheren Wort, indem ich heut mit Gottes Hilfe euch eine Regel an die Hand geben möchte, an der ihr prüfen könnt, wie es mit eurer Heiligung stehe.

Ich schließe unsere heutige Betrachtung an das Wort des Apostels an, 1 Kor. 4,1-4. „Dafür halte uns Jedermann, nämlich für Christi Diener, und Haushalter über Gottes Geheimnisse. Nun sucht man nicht mehr an Haushaltern, als dass sie treu erfunden werden. Mir aber ists ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde, oder von einem menschlichen Tag; auch richte ich mich selbst nicht. Ich bin mir wohl nichts bewusst, aber darinnen bin ich nicht gerechtfertigt: der Herr ist's, der mich richtet.

Wenn ich täglich höre, wie Dieser und Jener ruhigen Gewissens dem Gericht Gottes entgegen geht, mit keinem andern Schild, als dem: „ich habe mir nichts vorzuwerfen,“ und wenn ich bedenke, was Paulus an dieser Stelle sagt, so erschrecke ich über den Leichtsinn der Menschen. Für wen ein Paulus lebte, und wie er lebte, das wisst ihr. Jener Mann, auf dessen ganzem Tun und Treiben von dem Augenblick seiner Bekehrung an die Inschrift leuchtete: der am Kreuz ist meine Liebe! - der, wenn er am Tage sich müde gepredigt, die Nacht hindurch sich müde arbeitete, um der Gemeinde nicht zur Last zu fallen, und der von sich sagen konnte: „ich habe mehr gearbeitet, denn sie alle;“ ein solcher Mann tut den Ausspruch, dass alles gute Zeugnis der Menschen über ihn ein Geringes sei, dass, wenn er auch sich selbst nichts vorzuwerfen habe, auch das ein Geringes sei: „der Herr ist es, der mich richtet!“ Von den Menschen im Großen und Ganzen gelobt zu werden, das kostet freilich nicht viel, du brauchst nur vor ihren Götzen dich niederzuwerfen, wie sie, und mit ihnen zu rufen: „Groß ist die Diana von Ephesus!“ (Apg. 19, 28.), so sind sie deine guten Freunde.

Wenn man aber mitten unter ernsten Jüngern Christi lebt, wenn man viele genaue Freunde unter diesen hat, und diese alle ein gutes Zeugnis geben, so sollte man meinen, müsse dieses etwas gelten. Ein solches Zeugnis hatte Paulus. „Ich hoffe - konnte er sagen - dass wir vor eurem Gewissen offenbar sind;“ allein derselbe Paulus weiß auch, was er 1 Kor. 2,11. sagt: „Welcher Mensch weiß, was im Menschen ist, ohne des Menschen Geist, der in ihm ist?“ Wenn nun aber sein eigener Geist ihm das gute Zeugnis gab - sein, Pauli, Geist, der uns des menschlichen Herzens Tiefen geschildert hat, wie sonst kein Sterblicher; so - sollte man meinen - wird doch das Zeugnis wahr sein. Allein, meine Freunde, Paulus weiß auch, dass wiederum geschrieben steht: „alle Menschen sind Lügner,“ und gerade deshalb, weil er tief in sein Herz gesehen, weiß er auch, dass kein Schleier so dicht ist, als der, womit der Mensch sich vor sich selbst verhüllt, und dass der Rechtshandel selten gut abläuft, wo der Angeklagte zugleich der Richter ist; darum spricht er denn: „der Herr ists, der mich richtet.“ Wer so spricht, an dem erkennen wir dreierlei; erstens: er muss ein Mensch ohne alle Heuchelei, von einer himmlischen Wahrheitsliebe sein, sodann: er muss tief von dem Worte Gottes durchdrungen sein, welches spricht: „Des Menschen Herz ist ein Abgrund,“ und endlich: er muss eine ungemein hohe Vorstellung von den Forderungen Gottes an die Menschen haben.

Diesen letzteren Gedanken lasst uns weiter verfolgen. Was Gott von den Menschen verlange, fasst Paulus hier in ein ganz kleines Wort zusammen: „Nun sucht man nicht mehr an den Haushaltern, denn dass sie treu erfunden werden.“ Worin nun die Heiligung bestehe, werden wir zugleich mit einer herrlichen Regel zur Selbstprüfung erkennen lernen, wenn wir uns - und zwar mit Beziehung auf unser Verhältnis zu Gott - die Frage vorlegen: Was gehört zu einem treuen Haushalter? Wir sagen dreierlei; erstens: dass er alle seine Habe als die Habe seines Herrn betrachte; zweitens: dass er treu sei im Kleinen wie im Großen; drittens: dass der Quell seiner Treue die Liebe sei zu seinem Herrn.

Erstens: dass er alle seine Habe als das Eigentum des Herrn betrachte.

Es gibt gewisse Wahrheiten, die Jedermann als Wahrheit anerkennt, und die doch nichtsdestoweniger, wenn man einen wieder einmal daran erinnert als ganz neu erscheinen; so geht es mit dem eben ausgesprochenen Gedanken. Dass Alles, was wir haben, unser Geist und Körper, unser Amt und unser Vermögen, unsere Familie und unsere Freunde nicht unser Eigentum sind, sondern Gott angehören, leugnet Niemand von uns, und doch kann es uns ganz wie ein neuer Gedanke überraschen. So lange dem nun so ist, so ist aber auch gar sehr zu befürchten, dass wir eben so lange auch vergessen haben, dass wir Haushalter Gottes sind, mithin auch vergessen, dass man uns die Rechnung abfordern wird von unserer Verwaltung. O wehe, wehe, wenn der Tor, der sich Herr wähnte, und der ein Menschenleben lang geschaltet und gewaltet hat mit aller seiner Habe, wie er wollte, auf einmal sich als Knecht, als ungetreuer Knecht erkennen wird! O ihr Eltern, tut Rechenschaft von eurer Haushaltung, erzieht ihr eure Kinder ihm als seine Kinder? O ihr Reichen, euer Reichtum war nicht euer, sondern eures Herrn, tut Rechenschaft von eurer Haushaltung, habt ihr ihn verwaltet als seine Habe? O ihr Gelehrten eure Talente sind nicht euer, sondern eures Herrn, tut Rechenschaft von eurer Haushaltung, gebraucht ihr sie zu seiner, nicht zu eurer Ehre? O ihr Jünglinge, die Zeit und die Kräfte, die euch jetzt gegeben sind, sie sind nicht euer, sie sind des Herrn, tut Rechenschaft von eurem Haushalte! - Ich frage euer Gewissen, wie ist der Gedanke, dass über Alles, was ihr habt, ihr Haushalter Gottes seid, an eure Seele getreten? als ein schreckenbringender Fremdling oder als ein wohlbekannter Freund? Ist er als ein Fremdling an euch getreten, o meine Brüder, so seht ihr wohl ein, dass ihr Ursache habt, euch mit ihm bekannt zu machen, und ihm öfter ins Angesicht zu schauen, dieweil ihr lebt, damit ihr nicht zum erstenmal ihm ins Angesicht schaut, wenn ihr sterbt! Ihr seht, warum ich euch so ernstlich ermahnte, die stillen Stunden zu suchen. Ihr seht, dass die unzweifelhafteste Wahrheit von uns vergessen werden kann, wenn in unserem Leben die stillen Stunden fehlen. Wahrlich, ihr braucht sie alle Tage auch dazu, damit ihr an keinem Tage vergesst, dass ihr einen Herrn habt. Ihr wisst, dass es jeder Religion wesentlich ist, das Gefühl der Abhängigkeit im Menschen zu erwecken. Meint ihr aber nur dann und wann? Nein, sag' ich euch! Von Allem, was ihr habt, geht ein Faden hinauf in die Wolken, der um die Hand Gottes gewunden ist - ein Zug dieser Hand - und alle eure Güter gehen dahin zurück, woher sie gekommen waren. Diese Fäden soll das Christenauge ununterbrochen sehen, und damit soll ununterbrochen der Gedanke verbunden sein: „Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn.“ Einmal kommt freilich im menschlichen Leben der Augenblick, wo man sich daran erinnert, dass der Mensch auch gar nichts eigen hat. Der Tod, meine Brüder, macht alle Menschen gleich. O Freunde, es ist heilsam, am Sterbebett des Reichen zu stehen, wenn man sieht, wie er von allen seinen Herrlichkeiten nichts mitnehmen kann, als was die vier engen Sargeswände umschließen, am Sterbebett des Gelehrten zu stehen, wenn ihm vom blassen Tod das Zepter seiner geistigen Herrschaft aus der Hand gerissen wird, am Sterbebett des Regenten zu stehen, wenn der blasse Tod das Diadem der weltlichen Herrschaft ihm von seiner Stirn nimmt - da sieht man, dass sie Alles, was sie hatten, nur zum Lehen trugen. Der Tod macht gleich, meine Brüder, der Tod lehrt uns, dass wir nur Haushalter waren: o lernt diese Lehre, ehe denn ihr sterbt!

Es gehört

zweitens zum treuen Haushalter, dass er im Kleinen treu sei.

Mit unserem eigenen Gut, meine Freunde, können wir schalten und walten, wie wir wollen, aber mit fremdem Gut ist man vorsichtig. So leitet jene Betrachtung, dass all' unser Eigentum fremdes Gut ist, uns dahin, treu zu sein. Wer die Güter eines Königs, noch mehr eines geliebten Freundes, dem er mit tausend Banden der Dankbarkeit verknüpft ist, zu verwalten hätte - würde der auch nur das kleinste unter ihnen zu verschwenden wagen? Christen! ihr habt die Güter eines Königs zu verwalten, und dieser König ist überdies euer Freund, der sein Leben für euch gelassen - kann in dem Bewusstsein noch irgend Etwas euch klein dünken? Einst - wird der Christ euch sagen - da ich meinte, alle meine Habe wäre mein, da war ich zufrieden, wenn des Lebens Bedürfnis befriedigt war, und alles Übrige streut' ich aus, wie der Sturmwind der Lust trieb. Jetzt trägt jedes Stück meiner Habe einen Stempel - den Stempel des himmlischen Eigentümers, und ich erschrecke, wenn ich Eines vergeudet habe. Sonst sorgte ich, dass ich meine Jugend im Ganzen auskaufte, damit ich als Mann von den Früchten ihrer Arbeit zehren möchte; aber auf den Stunden des Tages glitt ich hin, wie der Schiffer auf den Wellen, ohne sie zu zählen - jetzt ist jeder Schlag der Glocke auch ein Schlag an mein Herz, denn - ich muss Rechnung ablegen auch von jeder Stunde. Ja möchtet ihr, meine Geliebten, mit dieser heiligen Scheu vor Allem, was euch verliehen ist, erfüllt werden, als dem Eigentum eines großen Königs! Es bringt dieser Gedanke, wo er festgehalten wird, die Eigenschaft der christlichen Nüchternheit hervor. Wenn ich viele Einzelne unter euch jammern höre, dass sie seit Jahren das Wort Christi kennen und glauben, aber seine Kraft nicht erfahren, so denke ich manchmal: O fehlte es nur nicht an der Treue im Kleinen! Unter diesem Kleinen verstehe ich zunächst, wie ich es sagte, das Einzelne, die Gewissenhaftigkeit im Einzelnen und Unscheinbaren, jene zarte Gewissenhaftigkeit, wie sie sich uns insbesondere in dem Briefe des Jakobus ausspricht, die sich auch vor dem kleinsten Unrecht fürchtet, weil sie weiß, wie Jakobus spricht, dass „wer das Gesetz in Einem gebrochen, des ganzen Gesetzes schuldig ist.“ Lasst es mich euch gerade heraus sagen, dass ihr euch nicht bloß über den Taler als Haushalter Gottes anseht, sondern über die Groschen, nicht bloß über den Tag euch als Haushalter anseht, sondern über die Stunde, nicht bloß über eure Geisteskraft überhaupt, sondern über jeden Gedanken, jede Empfindung.

Aber ich verstehe nicht dies allein unter der Treue im Kleinen, sondern verstehe unter dem Kleinen ferner das Äußerliche im Verhältnisse zum Innerlichen, insbesondere den Gebrauch der äußern Gnadenmittel und Gnadenordnung im Verhältnisse zu den inneren Wirkungen der Gnade. Melanchthon sagt in der Rechtfertigung des augsburgischen Glaubensbekenntnisses: „Darum ist's gut, dass man dieses klar unterscheidet, nämlich die Vernunft und freier Wille vermag etlichermaßen äußerlich ehrbar zu leben, aber neu geboren werden, inwendig ander Herz, Sinn und Mut kriegen, das wirkt allein der Heilige Geist. Also bleibt weltliche, äußerliche Zucht.“ Diese äußerliche Zucht im Verhältnisse zur innerlichen Gnadenwirkung verstehe ich insbesondere unter dem Kleinen im Verhältnisse zum Großen. Warum das Geistesleben nicht Kraft, in euch gewinnt? Darum, weil ihr die äußerliche Zucht zu gering anschlägt. Meine lieben Freunde, durch Morgen- und Abendandachten, durch Kirchen- und Abendmahlgehen, durch Beten und gottseligen Umgang an sich kann kein Mensch ein Kind Gottes werden, aber wiederum Morgen- und Abendandachten, Kirchen- und Abendmahlgehen, Beten und gottseliger Umgang: das sind die Stätten, wo der Herr zu erscheinen versprochen hat. Willst du deinen Gott überhaupt finden, so musst du auch an die Stätte kommen, wo er dir begegnen will. Unser altes Sprichwort sagt freilich: „Es begegnet der liebe Gott wohl Manchem, wenn man ihn nur grüßen möchte“, und meint damit, dass unser Gott auch noch an manchen andern Stellen sich finden lässt als da, wo er es verheißen hat. Wer mag's leugnen? Beim Trinkgelage hat er wohl den Einen ergriffen, der am Altar sich nicht einstellte, und im Donner des Schlachtfeldes den Anderen, der beim Geläute der Glocken ihm nicht entgegen gehen wollte. Solches Alles aber nennt Unser Luther eine zufällige Gnade Gottes, und kann kein Mensch darauf rechnen. Darum so stellt euch ein, ihr Alle, die ihr hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, stellt euch ein, wo der Herr verheißen hat, „seines Namens Gedächtnis zu stiften.“ Bei Morgen- und Abendandacht, bei Kirchengehen und gottseligem Umgang kannst du freilich nichts, als das Opfer auf den Altar legen, die Flamme, die es anzündet, kannst du dem Himmel nicht entreißen; aber kann auch die Flamme vom Himmel das Opfer anzünden, wo das Opfer nicht bereit liegt auf dem Altare? Darum noch einmal: Ihr achtet die äußerliche Zucht zu gering, naht euch zu Gott, so naht er sich zu euch! Tut, was ihr könnt, so wird Gott tun, was ihr nicht könnt! In einem gewissen Sinn gilt auch hier das Wort des Herrn: „Wer im Geringsten nicht treu ist, der ist auch im Großen nicht treu, so ihr in dem ungerechten Mammon nicht treu seid, wer will euch das Wahrhaftige vertrauen?“

Drittens aber verstehe ich unter dem Kleinen auch die kleine Gabe des Geistes Gottes. Brüder, ihr seid nicht treu, wenn Gott einen Finger nach euch ausstreckt; darum greift er nicht mit der ganzen Hand nach euch. Es hat noch nie ein Feuer gegeben, was nicht zuerst ein Funke war, und noch nie einen Wald, der nicht zuerst aus Samenkörnlein bestand. Haltet die Funken des Geistes fest, so werdet ihr Flammen bekommen. Diese Geistesfunken nennt die Schrift die Züge des Vaters. O dass euch diese Züge des Vaters recht heilig würden! Sie sind der verborgene, unscheinbare und doch wahrhaftige Anfang alles göttlichen Lebens. An ihnen erfüllt sich vor Allem der Ausspruch: „wer da hat, dem wird gegeben,“ das heißt: wer wahrhaft besitzt und festhält, was ihm gegeben ist, dem wird mehr gegeben. Es ist wahr, was das Sprichwort sagt: „Es kommt der liebe Gott wohl manchmal entgegen“ - auch wo er's nicht versprochen hat. In diesen geheimnisvollen Zügen sucht der Vater dich auf, nicht bloß in der Kirche, sondern auch, wo du ihm entronnen zu sein meinst, auf dem Feld, in der lustigen Gesellschaft, in der Mitternacht auf deinem Lager - o Menschenkind, willst du deinen Gott nicht grüßen, wenn er dir entgegen kommt? Es gibt einen heiligen Wucher in Bezug auf diese Züge des Vaters. An jedem leisen Zug, wo du mit Treue ihn festhältst, hängt ein stärkerer, und stärker und stärker wird er, bis die Liebe dich gebunden hat, und du nicht mehr loskannst, und es heißt:

Ein seliges Herz führt diese Sprach':
Lieben, nur Lieben ist meine Sach';
Meiner Seel' Erretter im Geist umfangen,
An seinem Herzen ohn' Unterlass hangen
Mit ganzer Seel'.

Das leitet uns, Geliebte, zu der dritten Beschaffenheit eines treuen Haushalters. Er tut, was er tut, aus Liebe zu seinem Herrn. Wenn ich euch vorher beschrieben, wie auch über das Kleinste soll Haus gehalten werden, dass der Groschen Ihm gehört wie der Taler, die Stunde wie das Jahr, der einzelne Gedanke wie der denkende Geist, dass für Alles Rechenschaft abgelegt wird, und dass darum bei Allem an die Rechenschaft zu denken ist, so dürfte es euch scheinen, als ob aus solcher Betrachtung ein jämmerlich geplagtes und zerknicktes Leben hervorgehen müsse. Denkt ihr euch einen Haushalter, der seinen Herrn nicht eben lieb hat, und viel lieber alle Güter für sich selber verwalten und verwenden möchte, und der dennoch von Gewissenhaftigkeit getrieben, sich überall dazu nötigt, für seinen Herrn und im Sinne seines Herrn zu verwalten, der aber auch eben wieder, weil nicht sein ganzes Herz dabei ist, dieser Pflicht oftmals vergisst, und dann von seinem Gewissen mit Vorwürfen gegeißelt wird, so ist das freilich ein jämmerlich zerknicktes Leben. Gerade darum will aber auch die evangelische Predigt euch nicht bloß zur Gewissenhaftigkeit führen. Die Gewissenhaftigkeit ist ein hoher Fels - wer ihn erklimmt, er ist aller Ehren wert - aber, meine Lieben, wohl ist dem, welcher die Höhe des Gesetzes Gottes kennt, auf diesem Felsen nicht, im, Gegenteil, es weht eine kalte, stechende Luft - die evangelische Predigt will euch darüber hinausführen auf eine schöne, grüne Ebene, wo man Blumen bricht im milden Sonnenschein. Das Land, wohin euch die evangelische Predigt führen will, ist das Land der Liebe. Schnell eilt das Ross vom Stachel des Reiters getrieben, aber schneller eilt der Nachen, den leichte Winde führen auf rauschender Flut. Der Stachel ist das Gesetz des Gewissens, der leichte Windeshauch ist der Hauch der Liebe. Lieben, lieben müsst ihr, ihr Haushalter Gottes, den Herrn, dessen Eigentum ihr verwaltet, so wird euer Geschäft ein leichtes sein. O wie man für den Freund, für den Gatten, den man liebt, so leicht und so treu Haus halten kann!

O was für ein Gnadengrund liegt im Lieben,
Wenn man den Freund nicht will betrüben;
Durch die Liebe wird die Last
Auf unserem Rücken,
Welche unsre Schwachheit
Fast möchte erdrücken,
Einer Feder gleich.
Ja, man kann fragen:
Gibt es noch was zu tragen?

Und warum wollt ihr Ihn nicht lieben? O ihr Erwählten, hat er's etwa um euch nicht verdient? Ist er für euch aus des Vaters Schoße gestiegen unter die Dornen und Disteln der Erde, hat er für euch den Kreuzesstamm nach Golgatha getragen, ist er euch suchen gegangen, da ihr verirrt waret in der Wüste und auf den Höhen - warum wollt ihr ihn nicht wieder lieben? Das Gesetz auf Sinai und in der Wüste gegeben, war lang und groß, und die Menschheit erblasste davor; das Gesetz auf Golgatha gegeben, ist kurz: „Lasst uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.“ Ja liebt ihn mit ganzer Seele. In dem Schein dieser Liebe wird euch nichts mehr klein erscheinen, was ihr ihm zur Freude tun könnt. Alle seine Gebote werden auf euren Lippen Gebete werden, und alle eure Gebete werden ein seliges Amen haben. So sei es denn ihm gelobt:

Ein seliges Herze führt diese Sprach':
Lieben, nur Lieben ist meine Sach',
Meiner Seel' Erretter im Geist umfangen,
An seinem Herzen ohn' Unterlass hangen
Mit ganzer Seel'.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/t/tholuck/hauptstuecke/tholuck_hauptstuecke_20_neu.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain