Kohlbrügge, Hermann Friedrich - „Aus tiefer Not“ - Vierte Predigt.

Kohlbrügge, Hermann Friedrich - „Aus tiefer Not“ - Vierte Predigt.

Gehalten den 10. Oktober 1858, abends.

Gesang vor der Predigt.

Psalm 119, Vers 28 u. 29.

In stiller Nacht denk ich, o Herr, an dich;
Dein Nam' ist groß. ich bleib bei deiner Lehre,
Halt dein Gesetz, und o wie froh bin ich!
Das ist mein Schatz, dass ich dich reden höre.
Ja, dein Befehl stärkt und bereichert mich,
Er ist mir mehr als Erdenschatz und Ehre.

Gott ist mein Teil! ich sag's mit frohem Mut.
Mein Herz bewahrt dein Wort, danach zu leben.
Ich bet und fleh' und fühl, wie wohl es tut,
Wenn ich dich kann von Herzen froh erheben.
Sei gnädig, Herr! o du bist ewig gut!
Nach deinem Wort wirst du mir Leben geben.

Text:

Psalm 118, Vers 16 und 17.
Die Rechte des Herrn ist erhöht, die Rechte des Herrn behält den Sieg. Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werk verkündigen.

Meine geliebten Brüder und Schwestern! Es wird hier nicht gesagt: „Ich bin erhöht“, es wird auch nicht gesagt: „Meine Rechte behält den Sieg“, sondern: „Die Rechte des Herrn ist erhöht, die Rechte des Herrn behält den Sieg“. David liegt also danieder; er kann nichts anderes sehen als: die Schlacht ist verloren. Hat man bisher manchmal vom Sieg gesungen, so sieht es doch jetzt am Ende so aus, als werden schließlich die Feinde den Sieg davontragen.

Die „Rechte des Herrn“ das ist: seine Macht, seine Gnade, sein Erbarmen, seine Güte, seine Treue, das Können und Vermögen, das ihm eigen ist, um bei seinen Elenden das auch darzustellen, was er verheißen hat. Ich sage: sein Können und Vermögen; und das nicht allein, sondern auch seine Treue, dass er wirklich tun wird, was er den Armen und Elenden bei sich selbst geschworen hat.

Meine Geliebten! Sein Können, sein Vermögen und seine Treue sind gewiss allemal höher und erhabener als alles, was die Feinde unserer Seele erdenken, erlisten oder zuhauf bringen mögen.

Unser teurer Herr und Heiland hat in der Nacht, da er verraten ward, diese Rechte Gottes, sein Können und Vermögen und seine Treue, um auch zu tun, was er gesagt, im Geist zu Gesicht bekommen; und ob er sie auch nicht äußerlich zu Gesicht bekam, ob er vielmehr drunter lag und hart angefochten war, so glaubt und sagt er dennoch, trotz des Widerspiels, von dieser Rechten Gottes, dass sie erhöht sei.

Ich wiederhole es: Unser teurer Herr und Heiland hat diesen Psalm nicht gesungen, da er auferstand und gen Himmel fuhr, sondern da das schrecklichste Leiden ihm bevorstand, da er wusste, dass sein Jünger Judas ihn verraten, dass die Schar der Schriftgelehrten und Hohenpriester kommen und ihn gefangen nehmen würde, dass man ihn würde des Todes schuldig erklären, dass man ihn martern und an ein Kreuz schlagen würde; demnach, da er alles wusste, was über ihn kommen würde. Und da er nun dieses alles wusste, was über ihn kommen würde, sprang er auch mit diesem Psalm nicht etwa leicht darüber hinweg, sondern es währte nicht lange, nachdem er dieses gesungen hatte, so sprach er: „Meine Seele ist betrübt bis zum Tod!“ und er rang mit dem Tod.

Seht, meine Geliebten, es geht um das Bekenntnis; es geht darum, solches von der Rechten Gottes zu bekennen, dass die Rechte Gottes also erhöht ist, dass sie den Sieg behält, auf dass, wo es aussieht, als ob die Schlacht verloren sei, und die Feinde recht haben, indem sie sagen: „Wir haben dich in unserer Macht!“ und der Teufel: „Du bist mein!“ wenn alles uns in's Ohr raunt: „Es ist aus mit dir und allen Verheißungen Gottes! Du hast dir was eingebildet! höre auf mit deinem Gebet und Flehen, mit deinem Glauben und Hoffen, es ist doch nichts für dich zu erwarten als Umkommen und Verdammnis!“ - auf dass eben da die Seele dennoch bleibe bei der Wahrheit: Ob ich auch untergehe, und es eine verlorene Sache bei mir ist, so ist es doch nicht eine verlorene Sache bei dem Herrn, und sein Wort und seine Treue liegen nie unten! Es hat der Herr Jesus Christus, unser teurer Heiland, da er seinem Leiden entgegenging, solches gesagt und gesungen, auf dass diese Wahrheit und das Bekenntnis dieser Wahrheit bei all den Seinen, die er mit seinem Blut erkauft hat, bleibe. Und so geht es denn für die Seele darum, dabei zu bleiben in allem Schmerz, in aller Traurigkeit und Verzagtheit, dass sie den Artikel des Glaubens festhalte, dass Jesus Christus sich gesetzt hat zur Rechten der Majestät Gottes.

Ein hoher Artikel, meine Geliebten! Indem der Herr sich gesetzt hat zur Rechten der Majestät Gottes, so haben wir den Trost davon, den wir finden im Heidelberger Katechismus Frage 50 und 51: „Warum wird hinzugesetzt, dass er sitze zu der Rechten Gottes?“ Und da ist die Antwort: „Dass Christus darum gen Himmel gefahren ist, dass er sich daselbst zeige als das Haupt seiner christlichen Kirche, durch welches der Vater alles regiert“. Seht, meine Geliebten! ihr, die ihr Gottes Wort für süßer haltet als Honig und Honigseim, ihr möchtet wohl gern stets so zusammenbleiben unter dem Gehör des Wortes Gottes; aber wie wir nun mal aus dem Paradies herausgetrieben sind, müssen wir wieder in's alltägliche Elend hinein und müssen erfahren, wie jeder Tag seine Plage hat. Da befinden wir uns denn nicht in Gottes Haus. Und es gibt viele auf Gottes weitem Erdboden, die wahrhaftig danach dürsten und verlangen, zu sehen und zu hören, was ihr seht und hört, und es doch nicht bekommen. Diese armen Seelen, woher sollen sie Trost haben, wo das Herz vom Sturme hin und her bewegt wird, wenn sie nicht damit getröstet werden, dass Jesus Christus sitzt zur Rechten Gottes, und dass er also regiert, dass bei allen Dingen dieses Lebens das Ende durch seine Gnade doch stets gut sein wird?

Es folgt weiter Frage 51: „Was nützt uns diese Herrlichkeit unseres Hauptes Christi?“ Und die Antwort lautet: „Erstlich, dass er durch seinen Heiligen Geist in uns, seine Glieder, die himmlischen Gaben ausgießt“. Da sind die Glieder also leer und ausgeleert, sie haben nichts vor Augen als Sünde, Tod, Umkommen und Verderben. Wie kommt da nun ein armes Herz zu dem Trost, dass es fest bleibe im Glauben an den Heiligen Geist, an Vergebung von Sünden, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben? Dadurch, dass die Rechte des Herrn erhöht ist, dass Christus sitzt zur Rechten der Macht und gießt von dannen die himmlischen Gaben wie Öl in das verwundete Herz hinein. Und in der Angst und im Gedränge haben wir noch diesen Nutzen: „Dass“ wie abermals unser Katechismus sagt - „er uns mit seiner Gewalt wider alle Feinde schützt und erhält“. Das kann nur Er, der Herr. Er hat den Teufel einmal gefragt, wie sein Name sei? und die Antwort des Teufels war: „Legion, denn unser sind viele!“ Denkt euch mal; wo der Feinde so viele sind, wer wird da mich und meine arme Seele schützen und erhalten? Das tut er, der Herr. Da braucht man nun nicht augenblicklich Hilfe zu haben, nicht augenblicklich Trost zu haben, nicht augenblicklich aus der Gefahr hinweggenommen zu werden; ach, dann ist es leicht zu singen: „Die Rechte des Herrn ist erhöht, die Rechte des Herrn behält den Sieg!“ sondern vielmehr, gerade während ich in aller Not und Anfechtung stecke, soll ich damit begnadigt werden, die Rechte des Herrn zu Gesicht zu bekommen. Da kommt denn das Gebet auf aus Ps. 130: „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir; Herr, höre meine Stimme!“ Und im Herzen liegt, wenn auch unmerkbar, doch der Glaube: Dort oben steht alles gut für dich und die Deinen, dort oben ist alles ausgemacht und in Richtigkeit, dort oben ist Heil, Hilfe, Trost und Leben, und so wird aus der Tiefe geschrien zu ihm mit dem Bekenntnis: „Die Rechte des Herrn ist erhöht, die Rechte des Herrn behält den Sieg!“ Und indem dies bekannt wird, wird geschrien zu dem Herrn, und es wird geglaubt, eben wo das Widerspiel gesehen und empfunden wird.

Das, meine Geliebten, will ich euch noch deutlicher machen, und zwar gerade mit der Übersetzung, die uns vorliegt: „Die Rechte des Herrn behält den Sieg“. Es ist etwas anderes, den Sieg zu erringen und davon zu tragen, als: den Sieg zu behalten. Unser teurer Herr und Heiland Jesus Christus hat obgesiegt. Wir dürfen getrost sagen: Tod, Sünd, Teufel, Leben und Gnad, Alles in Händen er hat! Aber, meine Geliebten, das ist die Kunst eines guten Feldherrn, dafür Sorge zu tragen, nicht allein den Sieg zu erringen, sondern auch ihn zu behalten; und unser Herr Jesus Christus, der vor achtzehn Jahrhunderten den Sieg auf Golgatha errungen hat, dieser Herr Jesus Christus behält den Sieg bis auf diesen zehnten Oktober 1858 und so weiterhin. Da wird wohl manchmal geklagt: Ich habe bisher an dem Herrn festgehalten, aber ob er jetzt noch bei mir ist, weiß ich nicht; das weiß ich, dass ich umringt bin von den Feinden meiner Seele, dass ich nichts als Verlorenheit sehe. Wird der Herr nun auch den Sieg für mich behalten? Das ist die Frage. Da macht denn das Wort die angefochtene Seele gewiss, und wo sie dessen gewiss ist, dass die Rechte des Herrn den Sieg behalten wird, ist die aufrichtige Seele nicht über die Not hinweg, sondern sie liegt in der Tiefe, und da gibt es denn in den Hütten der Gerechten ein Seufzen und Stöhnen, ein Heulen und Schreien zu dem Allmächtigen, er wolle seine Rechte ausstrecken und helfen aus dieser Not; denn es wird nicht zu dem Herrn geseufzt, es wird nicht um Hilfe geschrien, es sei denn Glaube da; aber das Kind weiß nicht, dass es glaubt, sondern es seufzt und weint um Errettung.

Es geht merkwürdig zu im geistlichen Streit. Das sehen wir zum Beispiel an dem Herrn selbst im zweiundzwanzigsten Psalm. Da sagt er Vers 2: „Mein Gott, mein Gott!“ Das kann nur der sagen, der da glaubt; wer den lebendigen Glauben nicht hat, kann dies nicht sagen. Mit dem Wörtlein „mein“ eignet der Glaube sich etwas zu, und indem der Herr sagt „mein Gott!“ sieht er die Rechte Gottes; aber nun schreit er: „Warum hast du mich verlassen? Ich heule“ und die Hilfe ist da? die Rechte des Herrn ist da? hat er so gesagt? Nein: „aber meine Hilfe ist ferne!“ So auch im neunundsechzigsten Psalm, Vers 2: „Gott, hilf mir!“ Wer das sagt, der sieht Gottes Rechte, er glaubt an Gottes Rechte, dass solche Rechte erhöht ist; er schreit aber: „Gott, hilf mir!“ Warum? „denn das Wasser geht mir bis an die Seele!“ Das heißt dem Tod nahe sein! Ich muss ersticken; Traurigkeit und Anfechtung nimmt überhand. „Ich versinke im tiefen Schlamm, da kein Grund ist“. Was kann mir nun die Rechte helfen? „Ich bin im tiefen Wasser, und die Flut will mich ersäufen!“ „Ich habe mich müde geschrien, mein Hals ist heisch1); das Gesicht vergeht mir, dass ich so lange muss harren auf meinen Gott!“ Vers 15 und 16: „Errette mich aus dein Kot, dass ich nicht versinke, dass ich errettet werde von meinen Hassern, und aus dem tiefen Wasser, dass mich die Wasserflut nicht ersäufe, und die Tiefe nicht verschlinge, und das Loch der Grube nicht über mir zusammengehe!“ Wenn nun Gott nicht bald kommt, bin ich begraben! „Erhöre mich, Herr, denn deine Güte ist tröstlich“ er hat selbst keinen Trost, sieht aber den Trost in Gottes Güte „wende dich zu mir“ - nach meiner Gerechtigkeit und Heiligkeit? nach meinem Tun? nein! „nach deiner Barmherzigkeit“ - ja, ja, und nicht allein nach deiner Barmherzigkeit, sondern: nach deiner großen Barmherzigkeit, „und verbirg dein Angesicht nicht vor deinem Knecht!“ Also, er sieht nichts, gar nichts, er fühlt und empfindet nichts von seinem Gott; darum schreit er: „Verbirg dein Angesicht nicht vor deinem Knecht“ - warum? „denn mir ist angst; erhöre mich eilend!“

Wo aber die Seele also trost- und hoffnungslos daniederliegt, im Staub und bis auf den Tod verwundet, sie mag daselbst zu Gesicht bekommen des Herrn Rechte, wie sie erhöht ist und den Sieg behält über alle Feinde hienieden, - so muss sie doch noch einen Trost bekommen wider den Tod an, einen Sterbenstrost, so dass sie, obschon sie den Tod vor Augen hat, dennoch über den Tod hinwegsieht. Und das ist es, was wir in unserem Psalm weiter lesen: „Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werk verkündigen“. Das schien ja von unserem Herrn nicht wahr zu sein, da er sagte: „Ich werde nicht sterben!“ Er starb ja! Er musste sterben, um uns mit Gott zu versöhnen, und er wollte auch sterben, um uns mit Gott zu versöhnen. So stieß also der Tod auf ihn, und er hatte ihn vor seinen Augen, da er sang: „Ich sterbe nicht, sondern ich werde leben und des Herrn Werk verkündigen“. Aber eben da sah er auch die Rechte Gottes und darin den Sieg, Leben, Gnade, Barmherzigkeit; er sah in dieser Rechten die Treue Gottes, und er vernahm: Ich bin dein Gott! Und da hat er für seine Seele in diesem Ringen daran Trost gehabt, dass er ausruft in seiner Verlassenheit: „Mein Gott! mein Gott!“ Ihr könnt es fast in allen Psalmen sehen, wo unser Herr und Heiland, der Herzog unserer Seligkeit, zu Gott klagt, - wie er in der Tiefe liegt und in solcher Tiefe bekennt, dass dennoch Gnade, dennoch Barmherzigkeit bei Gott ist, und wie er nun schreit um solche Gnade und Barmherzigkeit. Ihr könnt es in den Psalmen überall finden, wie er in seiner Hilflosigkeit bekennt, dass bei Gott Hilfe und Rettung ist, eben indem er darum schreit; wie er, obwohl schwach und machtlos, dennoch bekennt des Herrn Macht und Stärke. Nochmals: der Tod stieß auf den Herrn, er hatte den Tod vor Augen und ist gestorben, und hat dennoch vor seinem Tod gesagt: „Ich sterbe nicht!“ Das hat er getan als Bürge, als unser Mittler, für uns, an unserer Statt. Es ging da wunderbar her, wie wir singen:

Das war ein wunderlicher Krieg,
Da Tod und Leben rungen;
Das Leben doch behielt den Sieg,
Es hat den Tod verschlungen.
Die Schrift uns bezeuget das,
Wie ein Tod den andern fraß;
Ein Spott aus dem Tod ist worden!

Und weiter: „Niemand“, spricht der Herr, „nimmt das Leben von mir; ich habe Macht es abzulegen, und habe Macht es wieder anzunehmen; solches Gebot habe ich empfangen von meinem Vater“. Da er also die Rechte Gottes zu Gesicht bekam, bekam er auch zu Gesicht: unser Heil, die Rettung von Sünden, alles, was da dient uns zu erretten vom ewigen Tod. Das war Gottes Befehl, dass er sollte kommen für alle, die der Vater ihm gegeben, auf dass sie alle, die den ewigen Tod sterben müssen, ihn nicht sterben, und dass, wenn sie sterben, es nicht ein Tod sei, sondern eine Absterbung der Sünden und ein Eingang in's ewige Leben. Darum hat er angesichts des Todes gesagt: „Ich sterbe nicht, sondern ich werde leben und des Herrn Werk verkündigen!“

Meine Geliebten! die Kraft seines Todes wie seines Lebens gilt bis heute, und er hat gesagt: „Wer mein Wort hält und glaubt an den, der mich gesandt hat, der wird den Tod nicht sehen ewiglich, sondern er ist vom Tod zum Leben hindurchgedrungen“ (Joh. 5,24). So tut es denn Gottes Rechte allein, Gottes Wahrheit allein, Gottes Verheißung und Treue, der Name des Herrn Jesu Christi allein, dass er den Seinen nahe ist, dass er ihnen immerdar nahe ist, wenn es drum geht, und also auch bei ihnen sein wird im letzten Stündlein, ihnen den Todesschweiß abzutrocknen, und die Angst des Todes ihnen zu lindern, ja ganz hinwegzunehmen, und ihnen solchen Mut des Glaubens und Trost des Sterbens einzuhauchen, dass sie angesichts des Todes, ja mit dem Tod auf den Lippen, trotz der letzten, oft gewaltigen Anfechtungen des Teufels, in nüchternem Glauben ganz nach Wahrheit sagen dürfen: „Ich sterbe nicht, sondern ich werde leben und des Herrn Werk verkündigen“.

Aber ist das denn wirklich ein „am Leben bleiben“, heißt das nicht vielmehr „gestorben sein“, wenn Abel von seinem Bruder Kain erschlagen liegt, - wenn Naboth durch die Ränke einer Isabel mit seinen Söhnen zu Tod gesteinigt wird, wenn Johannes, dem Täufer, das Haupt abgeschlagen, Jakobus, der Apostel, mit dem Schwert getötet wird? Leben denn solche Heilige, die gesteinigt, zerhackt, zerstochen, durchs Schwert getötet sind? Wer wird es wagen zu behaupten, dass sie Gott nicht alle loben, auf Erden durch ihr Zeugnis, im Himmel im Lob Gottes? Der sterbende Jakob rief aus: „Herr, ich warte auf dein Heil“, d. i. auf deine Seligkeit, streckte die Füße aus und gab den Geist auf. Ist er nun gestorben, da er starb, so hat er vergeblich gewartet; ist die Seligkeit dagewesen, da er den Geist aufgab, so lebt er ewiglich und kündet aus die Werke Gottes.

Meine Geliebten! Das hat der Herr gesagt: „Dies Volk habe ich mir zugerichtet, dass es meinen Ruhm verkündige“ (Jes. 43,21). Das legt der Herr seinem Volk ins Herz hinein: seinen Ruhm zu verkündigen. Also hat er sein Volk geschaffen, dass es seinen Ruhm, seine Gnade, Barmherzigkeit, Liebe, Güte und Wahrheit verkündige, dass sie sein Werk verkündigen hienieden auf Erden und droben im Himmel, dass sie also ewig sein Werk verkündigen sollen. Und weil nun der Gläubige dazu geschaffen und zubereitet ist in Christo Jesu, so kann er ruhig sagen: Wenn ich auch sterbe, so kann ich doch nicht sterben, denn ich bin gemacht, Gottes Ruhm, Gottes Werk zu verkündigen!

Meine Geliebten! Dieses „Ich sterbe nicht, sondern ich werde leben und des Herrn Werk verkündigen“ beginnt von dem Augenblick an, da der Mensch von dem Herrn ergriffen, herumgeholt und bekehrt wird. Es sei nun, dass dies langsam und stille zugegangen und er von Jugend auf also geführt worden ist, dass er den Herrn kennen lernte, es sei, dass dies plötzlich und als mit Gewalt geschehen ist, das ist gewiss, der Herr legt in die Herzen der Seinen hinein das Wort: „Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werk verkündigen!“ Ist nun Sündennot da, ist auch Not des Todes vorhanden, donnert das Gesetz in's Herz hinein, so dass der Mensch sich verloren fühlt, - er muss sterben, er verdammt sich selbst zur Hölle, - ja, da kann er sich selbst nicht trösten; aber eben da kommt dann der Herr und offenbart sich den Seinen mit seinem teuren Wort von Gnade, von Vergebung der Sünden, und wo die Seele des mehr oder weniger inne wird, dass sie Gnade gefunden hat bei Gott, da weiß sie auch, dass sie von dem ewigen Tod erlöst ist, und der zeitliche Tod ihr nichts anhaben kann. Dann wird sie sagen, angesichts des Todes, so oft er droht: „Ich sterbe nicht, sondern ich werde Leben und des Herrn Werk verkündigen!“

Das wiederholt sich oft im Leben; denn der Teufel hört nicht auf, die arme Seele mit allerlei Todesgestalt anzufechten, so dass aller Mut entweicht; aber der Herr ist herbei mit seinem Trost, so dass man sich den Mund nicht stopfen lässt, sondern dass es dennoch heißt: „Ich sterbe nicht, sondern ich werde leben und des Herrn Werk verkündigen!“ Man hat das Lamm erblickt, das erwürgt ist, und so hört man auf über Sünde oder Heiligkeit mit dem Teufel zu disputieren, sondern überlässt Gott die guten Werke, und Christo, dem Lamm Gottes, die Sünde, und hält sich, ärmer als der Ärmste, an Christi Genugtuung, Gerechtigkeit und Heiligkeit. So führt diese Rechte des Herrn seine Heiligen zur Hölle, so dass sie ein Nichts werden und selbst keine Werke aufzuweisen haben, und führt sie wieder heraus, dass sie Gottes Werke verkündigen. Welt, Teufel, Tod, Sünde und das verklagende Gewissen wollen freilich fortwährend Gottes Heiligen den Mund stopfen, fordern von Fleisch und Blut, was nur Gottes Rechte schafft, was lediglich von seiner Gnade kommt; darum rücken sie mit einer Heeresmacht von Anfechtungen Gottes Heiligen auf den Leib. Da stehen diese denn verlegen, denn sie sind nichts in sich selbst und haben nichts aufzuweisen, wenn auch ihr ganzes Leben Gott geweiht war; es ist nicht ein Körnlein da eigenen Ruhmes, es ist nicht mal ein Seufzer da aus eigenem Willen oder eigener Kraft. Da bringt denn aber der Heilige Geist ihnen das in Erinnerung, was Gott getan in Christo Jesu, und indem er ihnen so Gottes Werke in Erinnerung bringt, müssen sie dieselben erzählen, ewig erzählen, vornehmlich diese Werke, die ausgesprochen sind in den Worten: „Ich, ich tilge deine Übertretungen um meinetwillen und gedenke deiner Sünden nicht“ (Jes. 43,25). „Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte“ (Jer. 31,3). „Der auch seines eigenen Sohnes nicht hat verschonet, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben, wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ (Röm. 8,32). Und indem sie so auf Gottes Werke geworfen werden, dieselben zu verkündigen, verkündigt sie auch das Werk Gottes: dass er den Tod verschlungen hat ewiglich, - und sprechen: Ich werde nicht sterben, sondern ich lebe ewiglich, so wahr Christus nicht mehr stirbt, sondern ewiglich Gott lebt!

Am meisten will der Herr uns gegen unser letztes Stündlein hin umgürten mit Gnade und Erbarmung, auf dass wir dessen gewiss werden: Ob ich auch sterbe, ich sterbe doch nicht! und dass wir hinwegschauen über Tod und Grab und den zu Gesicht bekommen, von dem die Gemeine singt:

Lebenssonne, deren Strahlen
Auch im Dunkeln geben Schein,
Dich nach Würden abzumalen,
Ist der Sonne Glanz zu klein.

Wie der Teufel im Leben nicht aufhört, den Gläubigen anzufechten, so auch im Sterben nicht, und gerade dann macht er sich am allermeisten herbei, um das, was Gott eben und gerade gemacht hat, ungleich zu machen; was Gott schlecht und recht gemacht hat, höckericht zu machen; was nicht Sünde ist, zu Sünde zu machen; und was in Gerechtigkeit getan ist, als verkehrt zu verklagen. Er ist herbei, um die Seele gefangen zu nehmen im Unglauben, so dass sie, statt zu glauben, fühlen und tasten will im Sterben, und doch sollte sie es für gewiss halten: Der Gott, der geholfen hat im Leben, wird auch durchhelfen im Sterben durch die dunkle Nacht des Todes! Der Teufel möchte der armen Seele den Glauben rauben und Unglauben und Lästerung in das arme Herz hineinwerfen, dass sie eben in der Nacht des Todes alles für verloren achte und der Verzweiflung sich hingebe. Da ist es denn aber wiederum der Herr Gott, der in der Macht seiner Barmherzigkeit und Gnade kommt und die Seinen lehrt, dass sie den Verstand erhalten zu erkennen Gott, als den Einigen und Wahrhaftigen, und den er gesandt hat, Jesum Christum; denn darinnen liegt das ewige Leben (Joh. 17,3). So hört denn der Teufel nicht auf, gerade in den letzten Stunden, und es ist den bekümmerten Seelen bange, ja gerade denen, die sonst im Leben am stärksten waren und am festesten standen, ist es am meisten bange. Obwohl es den Kindern Gottes eigen ist, dass sie lieber möchten entbunden werden und bei Christo sein, und dass sie sich sehnen nach des Leibes Erlösung, so ist es doch allemal dem Fleisch bitter; denn wo der Tod kommt, da kommt auch die Sünde, da kommt auch das Gesetz, und im Herzen kommt die Angst, kommt die große Not auf. Aber da kommt denn auch der Herr mit seiner gewaltigen Stärke, und er predigt uns das Wort seiner Gnade und Erbarmung, dass wir mit ihm den Tod nicht mehr für den Tod, die Not nicht mehr für Not, die Schande und die Schmach, die wir um seinetwillen und mit ihm leiden, nicht mehr für Schande und Schmach achten, sondern dass wir festiglich glauben, dass er das Leben ist. Meine Lieben, da mag es wohl noch etwas spuken im Herzen, aber der Herr ist wunderbar treu! Dass es uns nur darum gehe, die Sache in der rechten Weise anzugreifen; dass wir also nicht spotten mit Sünde, Not und Tod, als wären sie nichts, sondern diese unsere Feinde gut ins Auge fassen und in ihrer Macht durchschauen, uns dagegen erkennen in unserer Schwachheit und Machtlosigkeit!

O, dass wir doch dessen eingedenk seien, wie wir eigentlich keinen Augenblick unseres Leben sicher sind, - dass wir uns deshalb damit beschäftigen, den Tod unseres Herrn Jesu zu verkündigen, ja ihn allein, auf dass wir täglich seinem Tod und Sterben gleichförmig gemacht werden, - und dass in unsern Herzen gegen das letzte Stündlein an das Wort bleibe: Ich muss die Werke des Herrn verkündigen, ich muss die Krone ihm zu Füßen werfen und ihm erzählen, von Angesicht zu Angesicht, wie gut, wie gnädig und barmherzig er mich geführt; ich muss ihm danken für alle Wege, die er mich geleitet, dass er mich in die Tiefe geführt und treulich gedemütigt hat! Des Herrn Werk muss ich verkündigen, und du, Tod, sollst nichts an mir haben, wie der Herr von sich gesagt hat: „Es kommt der Fürst dieser Welt und hat nichts an mir!“ (Joh. 14,30.)

Meine Geliebten! Also stärke uns der Herr und verleihe uns die Gnade, dass, wo wir denn künftigen Sonntag zusammenkommen zu seinem heiligen Tisch, um zu verkündigen seinen Tod, wir durch die Zeichen und Siegel seines für uns gekreuzigten Leibes und für uns vergossenen Blutes gestärkt werden in unserem Glauben, um zu singen: Ich sterbe nicht, ich werde leben! und: Ich habe den ewigen Tod verdient, und erbe das ewige Leben!

Amen.

Schlussgesang.

Psalm 118, Vers 8.

Die Rechte Gottes ist erhöht,
Die Rechte unseres Gottes siegt.
Der Fromme, der nun sicher stehet,
Frohlocket, dass der Feind erliegt.
Ich sterbe nicht, ich werde leben
Durch den, der mich erlöset hat;
Ich will die Werke froh erheben,
Die der Erbarmer für mich tat.

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heiser
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