Comenius, Johann Amos - Das allein Nothwendige - Achtes Kapitel.

Comenius, Johann Amos - Das allein Nothwendige - Achtes Kapitel.

Wie durch jene christliche Vorschrift alle geistlichen Behörden und Seelenhirten am besten für die Wohlfahrt der Kirche und Gewissensruhe sorgen können.

§. 1.

Um vor den Irrwegen, Sisyphischen Steinen und erbärmlichen Täuschungen der Religionen sich zu sichern, ist das einzige Mittel, daß alle wiederum zu dem Anfange des Weges, von dem sie abwichen, zurückkehren, d. h. zu jener ersten Religion, die der erste Mensch von seinem und unserem einzigen Schöpfer empfangen hat. Denn Gott, der Schöpfer, allein weiß am besten, wie er von seinem Geschöpfe geehrt werden will, und konnte dies den ersten Menschen lehren, wie er auch that. Alles erste aber ist in seiner Art eine Richtschnur des folgenden, so daß, was in dem letzteren aus der Art geschlagen, wieder zu der ersten Form gebracht werden muß.

§. 2.

Welcher Art also war die erste Religion? Sehr einfach; einen Gott glauben, der sich dem ersten Menschen offenbart, ihm steten Gehorsam leisten, mit dem Versprechen, daß der Mensch ewiges Leben haben solle (1. Mos. 2). Darin bestand die paradiesische Religion. Auch dem Abraham schrieb Gott keine andere vor: „Fürchte dich nicht, ich bin der allmächtige Gott, wandle vor mir, und sei fromm. Und ich will dein Schild und großer Lohn sein.“ (1. Mos. 15, 1) Ebenso einfachen Gottesdienst lehrt Moses: „Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, und deinen Nächsten, wie dich selbst.“ Denn obschon durch Moses verschiedene Gesetze gegeben wurden, waren es doch nur Hebungen des Gehorsams, oder Vorbilder und mystische Wetzsteine des Glaubens, oder Befestigungen, der Hoffnung, was Gott durch viele Propheten, z. B. (Micha 6, 8) erklärt. Siehe, das ist der ganze Inhalt der Religion vor und unter dem Gesetz: Gott durch den Glauben ergreifen, durch die Liebe umfassen, und durch die Hoffnung behalten. Dies ist das allein Nothwendige.

§. 3.

Nachdem aber die Menschen von Gott abgewichen, war das einzig Notwendige die Rückkehr zu ihm. Hierin wollte Gott ein Beispiel an sich selbst geben, Deshalb nahm der Sohn Gottes menschliche Natur, die Sünde ausgenommen, an, und lehrte die Menschen in Worten und Beispielen, daß sie sich gänzlich verleugnen und zu Gott kehren sollten. Das ist das nothwendige Höchste im Evangelio für alle, die selig werden wollen. Denn Christus durfte wahrhaft sagen: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ - (Joh. 14, 6). „Kommt her zu mir, die ihr mühselig“ - (Mat. 11, 28). Aber ach! Wie vergessen die Christen dies Nothwendige!

§. 4.

Welche sind nun Christen? Christ heißt ein Jünger und Nachfolger Christi, der, was Christus lehrt, glaubt, was er befohlen, thut, und was er verheißen, hofft. Nur wer dies wahrhaft ist, ist ein wahrer Christ. Mit höheren Worten, wer Christo gleichförmig, durch solche Gleichförmigkeit vergöttert werden soll. Jedes Ding strebt nach höherer Vollkommenheit; da aber der Mensch nichts Höheres über sich hat, als Gott, so verlangt er, zu werden, wie Gott; und eben durch dies Verlangen, als durch eine Angel und Haken, ist er vom Teufel gefangen und verführt worden. Christus nun, Gottes Sohn, verleiht wahrhaftig, was der Teufel fälschlich bot, indem er den Menschenkindern Macht giebt, Gottes Kinder zu werden. (Joh. 1, 12-14) Wie Origenes sehr schön schreibt: Darum ist das Wort (Gott) in das Fleisch heruntergekommen, daß das Fleisch (der Mensch), wenn er glaubt, durch das Fleisch in das Wort hinaufsteige, damit durch den eingeborenen Sohn viele aus Gnaden angenommene Kinder würden. Nicht um seinetwillen ist das Wort Fleisch geworden, sondern um unsertwillen, damit wir nur durch das Fleisch des Wortes in Gottes Kinder verwandelt werden könnten. Er ist allein heruntergestiegen, auf daß er mit vielen hinaufsteige, indem er die Menschen zu Göttern macht, da er, Gott, sich selbst zu einem Menschen gemacht hatte.

§. 5.

Großes ist das! Um aber Christo gleich zu werden, müssen die Menschen ihn als das erhabenste Muster des Glaubens, des Lebens und der Hoffnung betrachten, nach ihm ihre Gedanken, Worte und Werke so einrichten, daß Gott der Vater das Ebenbild seines Sohnes in ihnen erkenne, und mit Christo in den Himmel versetze (Ephes. 2, 6). Hierüber braucht die Heilige Schrift die Ausdrücke: Christi Sinn haben, ihn anziehn, in ihm wandeln, nicht mehr sich selbst sondern Gott leben, ja, daß wir nicht mehr leben, sondern Christus in uns. Mit einem Worte, daß ein Gläubiger von Christi Geist also regiert werde, wie die Glieder unseres Leibes vom Geiste, der vom Haupte herabsteigt und den ganzen Leib durchgeht und bewegt, regiert werden.

§. 6.

Was ist dem ganzen Leibe der Gläubigen, der Kirche, das Höchstnothwendige? Die allgemeine Eintracht, welche Christus die Liebe nennt, und zum Kennzeichen der Seinigen, oder zum Merkmal seiner Kirche gegeben hat (Joh. 13, 35). Die Apostel aber preisen die Liebe als das Band der Vollkommenheit, (Col. 3, 14) da sie vernahmen, die Einigkeit des Geistes durch das Band des Friedens zu halten, als ein Leib, ein Geist, und alle zu einer Hoffnung berufen (Ephes. 4, 3 7). Das höchste Gesetz dieser Einigkeit ist dreifach: Die Einigkeit in allem Notwendigen zu halten; in allem Gleichgültigen, die Freiheit; in Allem aber und gegen Alle die Liebe.

§. 7.

Giebt es denn solche Christen? Zu der Apostel Zeit waren sie, da die Menge der Gläubigen war ein Herz und eine Seele, auch keiner sagte von seinen Gütern, sie seien sein, sondern Alles Allen gemeinsam (Ap. Gesch. 4, 32). Auch bald nach der Apostel Tode, da sie nicht nur um Christi willen, sondern einer für den anderen das Leben ließen (1 Joh. 3, 16). Nachher, als die Liebe erkaltete, vergaßen sie das nöthige Eine, verfielen auf schädliche Dinge, so daß Alles ein Labyrinth, die Kirche aber von der Welt kaum zu unterscheiden, wie ein aus der Welt erwählter Haufe, sondern die Welt selbst mit Christi Namen bedeckt ist. Könnte man nicht behaupten, daß die Kirche, dies Schiff Christi, des Theseus Schiff geworden sei, von welchem Plutarch schreibt, es sei von den Atheniensern so oft ausgebessert worden, daß, weil immer neue Bretter dazu genommen wurden, auch nicht ein einziges von den alten davon übrig geblieben sei, es aber dennoch, Theseus Schiff zu heißen, nicht aufgehört habe? Diese Behauptung halte ich insofern doch für unrecht, als Christus das Schiff der Kirche auf sich selbst so gebauet hat, daß sein Werk in derselben nicht untergehen kann, was auch von fremdem, theils menschlichem, theils teuflischem Werke dazu kommt. Denn gleichwie auf dem Acker des Herrn, der mit gutem Saamen besäet war, der Feind zwar das Unkraut zu dem Weizen säen, den Weizen selbst aber nicht, wegnehmen konnte: (Mat. 13, 35) Also kann ans den Grund der Kirche, außer Gold, Silber und Edelsteinen auch Holz, Heu und Stoppeln gebaut werden: nicht als ob dadurch das Gold und Silber verderben, sondern durch das Feuer der Prüfung geläutert werden, nachdem Stroh und Stoppeln verbrannt sind.

§. 8.

Wohl zu merken also - was von Christi Lehre, Leben und göttlichen Vorschriften der Christen übrig bleibt, ist ganz Gold, Weizen, Edelstein und das allein Nothwendige; was aber durch Menschenerfindung dazu gekommen, ist lauter Unkraut, Heu und Stoppeln, zum Verbrennen da, und kein Rath weiter, als zu jenem zurückzukehren.

§. 9.

Dies Nothwendige ist: Christum als Muster aller Vollkommenheit, das uns vom Himmel gesendet worden, zu betrachten, nach diesem alles Unsrige einzurichten, nach Gottes Befehl: „Siehe zu, daß du es machest nach dem Bilde, das du auf dem Berge gesehen hast.“ (2 Mos. 25, 40) Von Christo aber sagt zweimal eine Stimme vom Himmel: „Dies ist mein lieber Sohn, den sollt ihr hören“ (Mat. 3, 7 und 17, 6). Christus selbst aber spricht: „Kommt, und lernet von mir, so werdet ihr Ruhe finden.“

§. 10.

Das Vornehmste, was wir von Christus zu lernen haben, ist Alles, was er gethan und gelehrt (Joh. 13, 15. 15, 14 15). So sagt Erasmus: „Christus, der himmlische Lehrer, hat ein neues Volk auf Erden errichtet, das ganz aus dem Himmel stammte, auf die Hilfe dieser Welt sich nicht verließe, und auf andere Weise klug, reich, edel, mächtig und glückselig würde; das durch Verachtung aller, von Menschen hochgeschätzter Dinge, zur Seligkeit gelangte; von Neid und Haß nichts wüßte, auch nichts von schändlicher Geilheit; welches sich selbst verschnitte, und im Fleisch lebend, doch nach dem Leben der Engel trachtete;, nichts von Ehescheidung wüßte, sondern alles Unrecht vertrüge und verbesserte; nichts vom Schwören, da er gegen Niemand mißtrauisch und Niemand betrüge; nichts von Geldgier, da sein Schatz im Himmel liege; nichts von Ehrsucht, da es Alles zur Ehre Christi thäte; nichts von Hochmuth, da es je höher, um so mehr um Christi willen sich Allem unterwürfe; nichts von Zürnen, Fluchen, Rächen, da es, beleidigt, auch um die Bösen sich verdient zu machen suche; so unschuldig lebte, daß auch die Heiden es recht heißen müßten; an Reinheit und Einfalt den Kindern gleich, wie von neuem geboren, wie die Vögel und Blumen ohne Sorgen leben, so einträchtig, wie eines Leibes Glieder; unter welchem die Liebe Alles gemeinsam mache, sei es Gutes, um sich damit aufzuhelfen, oder Böses, um es möglichst zu lindern; welches durch den himmlischen Lehrer, den Heiligen Geist, so weise sei, und nach Christi Vorbilde also lebe, daß es das Salz, das Licht der Welt, die Stadt sei, die auf dem Berge liege, und von jedermann gesehn werde; so viel es könne, zur Hilfe Anderer beitrage; dieses Leben gering schätze, und den Tod, aus Verlangen nach der Unsterblichkeit, wünsche; weder Tyrannen, noch Tod, noch Teufel fürchte, sondern auf Christi Schutz baue; endlich in allen Dingen sich so bezeuge, daß es auf jenen jüngsten Tag allezeit gegürtet und bereit sei.“

§.11.

Siehe hier einen von Gott dem Heiland selbst gezeigten, neuen, kurzen und heiligen Weg Zions, auf welchem die Unreinen nicht gehen werden! Es ist ein so richtiger Weg, daß auch die Thoren darauf nicht irren können (Jes. 35, 4 8). Was dem zuwider unter den Christen gefunden wird (es finden sich aber unzählige Abwege) ist entweder unwegsam, oder es führt vom richtigen Wege auf Felsen, in Gruben und auf gefährliche Höhen. Man lese nur das einzige fünfte Kapitel Matthäi, und vergleiche es mit dem Leben der heutigen Christen, so erkennt man, wie weit verschieden alles von einander sei, und daß allen Christen dies Eine wahrhaft noth sei, zu Christo umzukehren, als zu dem allein von oben gesandten Lehrer, der niemand zum Baume des vorwitzigen Wissens, sondern alle zum Baume des Lebens ruft, nicht Worte sondern Werke fordert, und uns in den Werken der Gottseligkeit so vollkommen sehen will, gleichwie der himmlische Vater vollkommen ist (Mat. 5,48).

§. 12.

Findet einer diesen Grad der Vollkommenheit unmöglich, so antwortet Christus: „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich“ (Luc. 18, 27) d. i. was niemand durch sich selbst kann, wird er durch Gottes Hilfe können, nach Paulus: „Ich kann Alles durch den, der mich mächtig macht“ (Phil. 4, 13). Sind wir also nicht solche Christen, wie Christus ist; so liegt die Schuld nicht an ihm, der uns seine Hilfe anbietet, sondern an uns, die das Dargebotene ausschlagen, und nur rühmen, was Adam uns zu verderben, niemals aber erfahren wollen, was Christus wiederzubringen vermöge. Können wir die Wahrheit bestreiten: „Mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht!“ Das ist wahrhaft leicht, was mit der menschlichen Natur so übereinstimmt, sie von allen unnützen Beschwerden befreit. Nur aus Trägheit, uns zur Wiedergeburt, aus dem alten Adam zum neuen zu erheben, erdichten wir Schwierigkeiten, wo keine sind; die wahren Beschwerden aber, die rauhen Wege, Verwirrungen und Labyrinthe, in die uns die Begierden der verderbten Natur, und die Laster menschlicher Satzungen stürzen, wollen wir nicht bedenken, und können sie auch nicht erkennen. Dies und wie uns darin Christi Regel zu Hilfe komme, laßt uns klar machen, und unsere Verwirrungen stückweise durchgehn.

§. 13.

Die heutige Theologie anlangend, so sollte die Erklärung der Heiligen Schrift geschehen, wie die des Priesters Esra (Neh. 8, 89). Aber heutzutage erklären die Propheten und Apostel nicht Propheten und Apostel, oder von Gott getriebene Männer, sondern von Menschen gemachte Gelehrte; und erklären sie gewöhnlich nicht durch diese selbst, sondern durch den Heiden Aristoteles, oder, wie man jetzt will, durch Cartesius, oder durch Eingebung her eigenen Vernunft, die durch menschliche Satzungen dabei unterstützt wird. So sollen Gottes Worte von den menschlichen Worten, und der göttliche Sinn von dem menschlichen Sinn Licht empfangen. So ist die Theologie ein leeres Geschwätz, und so werden menschliche Erfindungen für göttliche Geheimnisse verkauft. Von diesen Führern und Vätern des Volkes Gottes schreiet ein jeder: Hier ist Christus, da ist Christus, und überredet das Volk, seine Theologie sei das wahre Licht. Wieviel Uneinigkeiten im Christenvolke, wie große Verderbniß der Religion selbst dies veranlaßt, ist unaussprechlich!

§. 14.

Diese Irrwege vermehrt der Umstand, daß man über den Ursprung oder Grund der Theologie, das Wort Gottes nicht recht eins werden kann: ob das geschriebene Wort, die Bücher der Propheten und Apostel genug sind? Ob das nicht geschriebene Wort, die Traditionen, d. i. die von den Aposteln mündlich übergebenen Lehren mit dazugehören? Welche Uebersetzung des Grundtextes die beste sei? Hier verwirren Zweifel und gefährliche Meinungen überaus sehr die Gemüther und erschweren die Theologie. Wenn Gott auch bisweilen einen Mann erweckt, wird er nicht gehört, angenommen, verstanden, als ob er etwas Fremdes vorbringe (Jes. 29, 11).

§. 15.

Die Apostolische Vollkommenheit war, nichts wissen wollen, als Christum den Gekreuzigten (1. Cor. 2, 2) und dieses Wissen nirgend anders herholen, als aus der heiligen Schrift (1. Tim. 3, 16 17).

Jetzt wird die Wissenschaft aller Streitfragen erfordert; aber den einfachen Christum kennen scheint eine allzugeringe Theologie zu sein. Viele hundert Bücher gehören jetzt zur theologischen Wissenschaft. Ist aber das nach Christi Sinn: Eins ist noth? Daß wir nemlich von Gott und göttlichen Geheimnissen nicht anders, als aus dem Munde Gottes reden? Schriebe doch mancher Schriftsteller auf sein Buch von tausend Blättern: „Laß das Buch meines Gesetzes nicht von deinem Munde kommen“, (Joh. 1, 8 oder Ps. 1, 2. Jes. 8, 20. 2. Tim. 3, 16), oder endlich den Ausspruch des Hyperius: Ein Theologe wird in der Schrift geboren. Aber weil nichts von diesen allen da ist, sondern ein Predigtamts-Candidat auf viele hundert Lehrer gewiesen wird, unterliegt er eben so vielen Labyrinthen, Sisyphischen Steinen und Tantalischen Täuschungen, deren keine ihm genügen kann.

§. 16.

Soviele der Secten durch einzelne Lehrer entstehen - jede glaubt die einzige, die reinste Kirche zu sein. Der gegenseitige Haß wird leider! immer verwickelter, daß sie sich hinter ihren selbstgeschmiedeten Confessionen, d. i. Bekenntnissen wie hinter Bollwerken, verschanzen. Ich sage nicht, daß fromme Bekenntnisse, deren immerhin mehrere sein mögen, an sich selbst etwas Böses sind; mittelbar aber, insofern sie unversöhnliche Trennung verursachen, sind sie durchaus abzuschaffen; sonst wird das Christenvolk nie wissen, wohin es sich wenden soll.

§. 17.

Aus diesem Irrwege der Serien entspringt ein anderer - die ewige Disputirsucht, in welche zwar schon von den Zeiten des Paradieses an, der Teufel die Kinder der Kirche verwickelt hat, doch nie so heftig als jetzt. Die Apostel und ihre nächsten Nachfolger stritten durch die Kraft des Geistes, jetzt hat man die Aristotelischen Waffen, die Vernunftschlüsse ergriffen. Und was hat man ausgerichtet? Ist nur eine einzige Streitfrage geschlichtet worden? Nichts weniger, sondern unzählig vermehrt. Denn der Teufel, ein Sophist, d. h. der seine Worte so und anders drehen kann, unterliegt niemals in Wortstreitigkeiten; allein wir armen Stümper, Eva‘s Kinder, werden nach einander in den gänzlichen Abfall von Christi Glauben, Leben und Hoffnung hineingezogen.

§. 18.

Diesem Elend sollten die Concilien, Versammlungen der Geistlichen, abhelfen, wo Rechtgläubige gegen einzelne Irrlehren zusammentraten. Aber auch diese verwandelten sich in Irrwege, indem die Kinder des Lichts von den Kindern der Finsterniß oft überstimmt wurden, und die Lüge über die Wahrheit den Sieg davon trug. Gelingt es aber dem Teufel, daß Lüge und Wahn durch Beschlüsse bestimmt werden, so weiß er so listig seine Sache weiter zu spinnen, daß diese einmaligen Beschlüsse auch ferner einen nach dem andern Verführen und verstricken.

§. 19.

Damit der Kirchendiener Sendung, Beruf und Dienst nicht ein unbeständiges und verwirrtes Ding sei, haben die Apostel und deren Nachfolger mannichfach vorgebaut; und was für große Unordnungen haben sich dennoch überall eingeschlichen? Wie viele taufen, die nicht gesandt sind; drängen sich unberufen ein, verrichten den Gottesdienst nur obenhin, die nicht die Heerde Christi, sondern sich selbst weiden! Je reichlicher die Kirchenbesoldungen für die Diener Christi eingerichtet worden, um so mehr reizen dieselben die Bauchdiener an, das Brod Christi den Dienern Christi eilig zu entziehen.

§. 20.

Die Thürhüter sollten wachen, daß keiner, als der Hirt der Schaafe, in den Schaafstall gehe (Joh. 10, 2 3) wozu die Vorgesetzten der Hirten, die Bischöfe, gesetzt sind. Allein die Sache ist zum Mißbrauch geworden, der Eifer des Simon Petrus wider die Krämerei der geistlichen Güter des Zauberers Simon hat aufgehört (Ap. 9, 8-20.), und ist fast allenthalben Alles käuflich geworden. Dies hat ferner anderen Unordnungen und Verderbnissen im Predigtamte Thür und Thor geöffnet.

§. 21.

In den Predigten werden statt Gotteswort oft Menschenworte herabgeschüttet, indem man den Leuten zu Munde redet, oder die Zeit mit Wortstreit und Widerlegung Anderer verbringt, ohne die geringste Sorgfalt anzuwenden, daß die Menschen wiedergeboren und in Christo umgestaltet werden möchten, um der göttlichen Natur theilhaftig zu werden (2 Petr. 1, 14). Da man auch den Bindeschlüssel ganz verloren hat, wird allein der Löseschlüssel behalten, der dem alten Adam ein süßes Gift ohne Gegengift ist. Die Sacramente endlich, die zum Kennzeichen der Einigkeit, Liebe und unseres Lebens in Christo eingesetzt worden, sind leider Gottes! in einen Stoff der heftigsten Zänkereien, in eine Gelegenheit vielfachen gegenseitigen Hasses, und in einen Heerd und Siegel der Secten verkehrt worden.

§. 22.

Mit einem Worte: alle Angelegenheiten der Christen sind zu Labyrinthen geworden. Der Glaube ist in tausend Stückchen von Artikeln zerschnitten; glaubst du eins davon nicht, so bist du ein Ketzer. Das Leben ist in tausend Gewissensfälle eingetheilt, und so du einen davon nicht hältst, wirst du mit Drangsalen überhäuft. Ebenso steht es mit dem Wünschen und Hoffen, da die Meisten nicht wissen, was, von wem, durch wen, mit welcher Zuversicht sie beten und hoffen sollen, und eben darum in blinder Hoffnung in Zweifel gerathen, oder durch gewisse Verzweiflung niedergeschlagen werden, Andere entweder den ganzen Gottesdienst selbst verwerfen, oder doch gering achten. Hierin bemerkt man einen so großen Unterschied unter Menschen, daß sie den Anblick einer Menge Menschen gewähren, die zwar auf einem Wege fort, aber theilweise zur rechten, theilweise zur linken, hinauf und hinunter, vorwärts und rückwärts, und was noch wunderlicher ist, theils auf den Füßen theils auf den Köpfen einhergehen.

§. 23.

Die einzige Abhilfe ist Rückkehr zu Christo, Beachtung seiner, als unseres Führers, Fußtapfen und Nachfolge; hingegen Vermeidung aller fremden Fußtapfen, bis wir alle zur Glaubenseinigkeit gelangen (Eph. 4, 13). Damit, wie der himmlische Lehrer alles das Seinige auf der Schrift gründete, also ein jeder unter uns jedes besondere Bekenntnis fahren lasse, mit dem allgemeinen, dem offenbarten Wort Gottes sich begnüge, und mit Ergreifung der Bibel ausrufen: „Ich glaube, was Gott in diesem Buche offenbart, ich will gern thun, was er befiehlt, und ich hoffe, was er verheißt.“

§. 24.

Hört, ihr Christen! Das Leben ist nur eins und einfach, die Arten zu sterben sind tausenderlei; die Wahrheit ist nur eine und einfach; der Arten zu irren tausend; also auch Christus ist nur einer und einfach, der Arten der Antichristen tausend. Denn, wer nicht mit Christo ist, der ist wider ihn (Luc. 11, 23), d. h. er ist ein Antichrist, und was wider die Lehre Christi geglaubt, gethan und gehofft wird das ist das Antichristenthum. Und weil es davon besondere Arten giebt, Begierden zu haben, groß zu thun, zu herrschen, in Wollust zu leben, zu zanken, zu kriegen und Anderen zu schaden, und alle diese Arten bei den Christen (keine Parthei ausgenommen) eingerissen sind, so folgt, daß der Antichrist überall, bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger, regiere. Wisset daher, alle ihr Christen, daß ihr alle entweder zu Christo zurückkehren, oder mit dem Antichrist zu Grunde gehen müsset. Aber, wer klug ist, der wähle den Herzog des Lebens, auf daß er lebe.

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