Anselm von Canterbury – Buch der Betrachtungen - Dritte Betrachtung. Beweinen der unglücklich eingebüßten Jungfräulichkeit.

Meine Seele, kummervolle Seele, elende Seele eines elenden Menschleins sage ich, vertreib deinen Stumpfsinn, und erwäge deine Sünde, und erschüttere deinen Geist; kehre zum außerordentlich geliebten Herzen zurück, und kehre aus dem Herzen unendliches Wehklagen hervor. Spanne an, Unglückliche, spänne an den Schauer vor deinem Verbrechen, und spanne aus den schauerlichen Schrecken und den schrecklichen Schauer. Dich meine ich, die einst weiß durch das himmlische Bad, ausgestattet mit dem heiligen Geiste, beeidigt auf das christliche Bekenntnis, eine Christo verlobte Jungfrau gewesen ist. woran gedenke ich! O wen nannte ich! allerdings nun keinen gütigen Bräutigam meiner Jungfrauschaft mehr, sondern den furchtbaren Richter meiner Unreinigkeit. Ach des Andenkens an die zu Grunde gerichtete Anmut! Habe ich nicht Unglück genug, warum vermehrst du so den Druck? welch' klägliches Los des verbrecherischen Menschen, dem Gutes wie Böses zur Qual ist? Denn es quält mich mein böses Gewissen samt seinen Qualen, in denen ich das künftige Feuer fürchte; es quält mich das Andenken an das gute Gewissen und seinen Lohn, wovon ich weiß, dass ich es verloren habe und es nicht mehr erhalten werde. Wehe dem unseligen Verluste! bedauernswert, das unersetzlich zu verlieren, was endlos erhalten werden soll. Wehe dem untröstlichen Verluste dessen, was nicht bloß zum vollen Verluste der Güter, sondern überdies zum vollen Gewinne der Qualen gehört.

O Jungfräulichkeit, nun nicht mehr meine Geliebte, sondern meine Verlorene; nun nicht mehr meine Freude, sondern meine Verzweiflung, wohin gerietest du? O schmutzige Unzucht meines Geistes, Verderberin meiner Seele; wie schlichst du dich bei mir Unglücklichen ein, von welch' glänzendem, von welch' lieblichem Zustande hast du mich herabgestürzt! Daher dein Brand, o bitterer Kummer, weil jenes hinaus: daher deine Bedrängnis, o schwerer Schmerz, und die Furcht vor noch schwererem, weil dieses hereingelassen worden ist. Daher stammt der trostlose Verlust, daher die unerträgliche Qual. Wehe hier, wehe dort. So, so ist es mit dem Guten wie mit dem Bösen, ja so straft ihr nun mit Recht den unglücklichen Bösen noch bei Lebzeiten. Verdienter, gewiss verdientermaßen. Denn du meine Seele, treulos gegen Gott, meineidig an Gott, Ehebrecherin an Christus, hast dich freiwillig von der Höhe der Jungfräulichkeit in die Tiefe der Hurerei gestürzt. Du einst jene Braut des Himmelskönigs, bist mit heißer Begier zur Hure des Höllenhenkers geworden. Ach, von Gott Verworfene, dem Teufel Hingeworfene, ja Gott Verwerfende, den Teufel Umarmende. Denn du, du meine unglückliche Seele, hartnäckige Hure, unverschämte Unzüchtige, erst sagtest du Gott, deinem Liebhaber und Schöpfer ab, und ergabst dich freiwillig an den Teufel, deinen Nachsteller und Verderber. O des kläglichsten Tausches!

Ach! von welcher Höhe bist du gefallen, in welche Tiefe gestürzt! Wehe! welch' Gütigen hast du verachtet, mit welch' Bösartigem dich verbunden! Was hast du gemacht, o Geisteswahnsinn, wahnsinnige Garstigkeit, garstige Bosheit, was hast du gemacht? Im Himmel hast du deine keusche Liebe verlassen, und in die Hölle folgtest du deinem hassenswerten Verderber, und im Abgrund hast du kein Ehebett, sondern dein Hurenlager bereitet. Wunderbarer Abscheu, welch' verkehrter Wille! Abscheuliches Wunder, welch' freiwillige Verkehrtheit! Woher soll mir, Gott, Strafe werden für so große Schlechtigkeit? woher dir, Gott, Genugtuung für ein so großes Verbrechen? Stürze dich, unglückliches Menschlein, in den finsteren Abgrund maßloser Betrübnis, der du dich freiwillig in den Abgrund abscheulicher Bosheit gestürzt hast. Begrabe dich, Unglücklicher, in eine Art von furchtbarem Schmerz, du, der sich freiwillig in den Kot höllischen Gestankes gestürzt hast. Hülle dich, Verbrecher, in die schauerliche Finsternis trostloser Trauer, der du dich freiwillig in den Schlund so schmutzigen Übermuts hineingeworfen hast. Wälze dich im Strudel der Bitterkeit, der du dich ergötzt hast an der Schwemme der Schändlichkeit.

Entsetzlicher Schrecken, schrecklicher Schmerz, trostlose Trauer, sammelt euch über mir, stürzt auf mich, bedeckt, verwirrt, umhüllt, nehmt mich ein. Gerecht ist es, gerecht ist es. Mit unverschämter Frechheit habe ich euch verachtet, und mit stinkender Lust euch herausgefordert; vielmehr Gott, nicht euch, und nun verlange ich nach euch mit kläglicher Buße. Foltert den Schuldigen, rächt Gott. Der Hurer soll von den Qualen der Hölle, die er verdient hat, ein Vorgefühl, einen Vorgeschmack von dem haben, was er bereitet hat, er soll sich an das Leiden gewöhnen, das seiner wartet. Verlängere und dehne aus, maßloser Sünder, die trauervolle Buße, der du so weit die Unreinigkeit deines Verbrechens ausgedehnt hast. Wälze dich, wälze dich in eben den Strudel von Bitterkeiten, wie du dich so oft im nämlichen Strudel der Lüfte gewälzt hast. Trost, Beruhigung, Freude, nichts will ich von euch, ich entsage euch, es sei denn die Sündenvergebung bringe euch wieder. Weg mit euch, weg mit euch vor dem Tode, ob vielleicht Verzeihung euch mir zurückbringen sollte noch nach dem Tode. Beständige Reue sei meiner Tage bittere Begleiterin, beständiger Schmerz die unersättliche Folter meines Lebens, Trauer und herbe Betrübnis seien die unermüdlichen Dränger meiner Jugend und meines Alters. dass es so sei, dass es so sei, wünsche, bitte, verlange ich. Denn wenn ich nicht würdig bin, die Augen im Gebete zum Himmel zu erheben, so bin ich gewiss nicht unwürdig, sie sogar blind zu weinen. Wenn mein Geist in Verwirrung gerät beim Beten mit beschämtem Gewissen, so ist es billig, dass er vom Sturm trauervollen Schmerzens und Traurigkeit verwirrt wird. Wenn er sich schämt, vor seines Gottes Blicken sich zu zeigen, ist es gerecht, dass er die Qualen für seinen Frevel vor seinem Blick hat. Mein Herz denke also und überdenke, was es getan und was es verdient hat. Es steige herab, sage ich, es steige herab mein Geist zum finsteren und mit Todesschatten bedeckten Land des Todes und betrachte, was dort auf meine verbrecherische Seele wartet, richte seine Aufmerksamkeit und seinen Blick darauf, schaue und gerate in Verwirrung. Was ist es, Gott, was ist es, was ich im Lande des Elends und der Finsternis wahrnehme? Grauen, Grauen. Was ist es, was ich da erblicke, wo keine Ordnung, sondern beständiges Grauen wohnt? (Job 10,22.) Wehe, verwirrtes Geheul, lärmendes Weinen, Zähneklappern, ungeordnetes Weinen in Menge. Wehe, wehe; wie viel, wie viel und wie viel Wehe, wehe. Schwefelfeuer, Höllenflamme und Wälzen in Finsternis, mit welch' furchtbarem Gebrülle sehe ich euch euch drehen! Würmer im Feuer lebend, welche staunenswerte Rachegier hat euch so entzündet, die jenes Feuer der Feuer nicht verbrennt? Mitbrennende Teufel, heulend vor Hitze, knirschend vor Wut, warum seid ihr so grausam gegen die, die sich unter euch wälzen? O Qualen aller Art, maßvolle Gerechtigkeit, zum Aushalten maßlose, so wird euch also kein Maß, kein Heilmittel, kein Ende mildern? Das also ist es, großer Gott, was den Hurern und deinen Verächtern, deren einer ich bin, bereitet ist? Ich, ja ich gehöre zu diesen.

Fürchte dich, meine Seele; vergehe, mein Geist; spalte dich, mein Herz. Wohin reißt ihr mich, Vergelter meines Frevels? Wohin stößt du mich, meine Sünde? wohin lieferst du mich, mein Gott? Wenn es meine Schuld ist, mich an dir versündigt zu haben, war es auch meine Schuld, nicht dein Geschöpf zu sein? Wenn ich mir meine Keuschheit raubte, richtete ich dir deine Barmherzigkeit zu Grunde? Herr, Herr, wenn ich mich dazu herbeigelassen, dass du mich verdammen kannst, hast du entlassen, womit du zu retten pflegst? Merke, Herr, merke mein Böses nicht so, dass du dein Gutes vergisst. Wo bleibt, o wahrhaftiger Gott, wo bleibt: So wahr ich lebe, ich will nicht den Tod des Sünders, sondern dass er sich eher bekehre und lebe? (Ezchl. 33,11.) Herr, der Du nicht lügst, Herr, was ist es: ich will den Tod des Sünders nicht, wenn du den zu dir schreienden Sünder in die Hölle begräbst? oder den Sünder in die Hölle stoßen, heißt das: ich will nicht den Tod des Sünders? Oder heißt das, ich will, dass sich der Sünder bekehre und lebe? Ein Sünder bin ich, Herr, ein Sünder bin ich. Wenn Du also den Tod des Sünders nicht willst, was nötigt Dich, dass Du nicht willst, dass Du mich dem Tode überlieferst? Wenn Du willst, dass sich der Sünder bekehre und lebe, was hindert Dich zu tun, was Du willst, dass Du mich bekehrst und ich lebe? Nötigt Dich das Ungeheure meiner Sünden, dass Du nicht willst, und verhindert Dich zu wollen, während Du der allmächtige Gott bist? Das sei ferne, allmächtiger Gott, das sei ferne! Herr Gott: die Bosheit des geständigen und bedauernden Sünders möge den Ausspruch des Allmächtigen nicht überwältigen.

Gedenke, gerechter, heiliger und gütiger Gott, gedenke, dass Du barmherzig, und mein Schöpfer und Wiederhersteller bist. Gedenke also nicht, guter Herr, Deiner Gerechtigkeit wider deinen Sünder, sondern sei eingedenk deiner Güte gegen dein Geschöpf; gedenke nicht des Zorns wider den Schuldigen, sondern sei eingedenk der Erbarmung gegen den Elenden. Wahr ist es, dass mein Gewissen Verdammnis verdient, und meine Reue zur Genugtuung nicht hinreicht, aber gewiss ist es, dass deine Barmherzigkeit größer als jede Beleidigung ist. Schone also, du guter Herr, in dessen Hand Rettung ist und der du den Tod des Sünders nicht willst, schone meiner sündigen Seele. Denn sie flieht erschrocken von deiner schreckbaren Gerechtigkeit zu deiner stärkenden Barmherzigkeit, damit, weil der Lohn für zu Grunde gerichtete Jungfräulichkeit, o Schmerz, nicht wieder zu gewinnen ist, wenigstens die Strafe der Hurerei für den Reuigen nicht unvermeidlich sei, weil es für deine Allmacht keine Unmöglichkeit, noch für deine Gerechtigkeit eine Unschicklichkeit, noch für deine Barmherzigkeit etwas Ungewohntes gibt, weil du gut bist und deine Barmherzigkeit ewig währt, der du gepriesen bist in Ewigkeit. Amen.

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