Römer, Kapitel 7
7:1 Wisset ihr nicht, liebe Brüder (denn ich rede mit solchen, die das Gesetz wissen), daß das Gesetz herrscht über den Menschen solange er lebt?
7:2 Denn ein Weib, das unter dem Manne ist, ist an ihn gebunden durch das Gesetz, solange der Mann lebt; so aber der Mann stirbt, so ist sie los vom Gesetz, das den Mann betrifft.
7:3 Wo sie nun eines andern Mannes wird, solange der Mann lebt, wird sie eine Ehebrecherin geheißen; so aber der Mann stirbt, ist sie frei vom Gesetz, daß sie nicht eine Ehebrecherin ist, wo sie eines andern Mannes wird.
7:4 Also seid auch ihr, meine Brüder, getötet dem Gesetz durch den Leib Christi, daß ihr eines andern seid, nämlich des, der von den Toten auferweckt ist, auf daß wir Gott Frucht bringen.
7:5 Denn da wir im Fleisch waren, da waren die sündigen Lüste, welche durchs Gesetz sich erregten, kräftig in unsern Gliedern, dem Tode Frucht zu bringen.
7:6 Nun aber sind wir vom Gesetz los und ihm abgestorben, das uns gefangenhielt, also daß wir dienen sollen im neuen Wesen des Geistes und nicht im alten Wesen des Buchstabens.
7:7 Was wollen wir denn nun sagen? Ist das Gesetz Sünde? Das sei ferne! Aber die Sünde erkannte ich nicht, außer durchs Gesetz. Denn ich wußte nichts von der Lust, wo das Gesetz nicht hätte gesagt: „Laß dich nicht gelüsten!“
Was zeigt mir Paulus als meinen tiefen Schaden? Ich bin ein Haufen von Wünschen, eine Sammlung von Begehrungen, immer hungrig, immer damit beschäftigt, etwas zu gewinnen, immer der Mehrer meines Eigentums und meines Glücks. Du sollst nicht begehren, sagt Paulus und er entfernt vom Gebot jede Beschränkung. Bei Mose sind diese das Gebot beschränkenden Angaben unentbehrlich; denn Mose gibt der Volksgemeinschaft das Recht, auf dem ihr Bestehen und Gedeihen beruht. Darum ist dort vom Weib und Tier und Haus des Nächsten die Rede. Bei Paulus spricht das Gebot zu mir selbst und ordnet nicht meine Beziehungen nach außen, sondern schafft Klarheit über das, was in meinem Inneren geschieht. Was soll ich denn, wenn ich nicht begehren soll? Gehorchen, nicht selbst mir einen Willen erfinden, sondern Gottes Willen tun, nicht für mich sorgen, sondern Gott dienen. Die Antwort, die wir alle dem Gebot geben, lautet: das ist unmöglich; das können wir nicht. Wenn nur das Gesetz zu mir spricht, hat es die Natur gegen sich und sie entkräftet sein Gebot. Damit es zur Erfüllung komme, muss eine andere Macht in mir wirksam werden als nur das Gesetz, nicht nur Gottes gebietender, sondern sein schaffender Wille, nicht nur das Gesetz und die Schrift, sondern der Christus und der Geist. Nun spricht Gottes Wort nicht nur von außen an mich heran, sondern wird mein Eigentum und bewegt, weil es mir Glauben gibt, mein Begehren von innen her. Nun ist nicht nur das Gebot, sondern das Werk des Gesetzes in mein Herz geschrieben, weil Gottes Wille zu meinem Willen wird. Habe ich dadurch das Wünschen, Planen und Erwerben verloren?
Weil die Natur die Begehrung in mir hervorbringt, kann sie nicht verschwinden. Das natürliche Leben ist und bleibt der Boden, in den Christus das geistliche Leben hineinpflanzt. Fordert die Natur von uns, dass wir uns selbst erhalten, so zeigt sie uns die nie entbehrliche Voraussetzung, ohne die die Liebe zerfällt. Wer nichts erwirbt, kann nichts geben und wer kein einziges Begehren hat, kann nicht gehorchen. Es ist aber etwas völlig Neues entstanden, was die Natur niemals schafft, wenn der gnädige Wille Gottes uns so erfasst hat, dass wir an Ihn glauben.
Mein Begehren schreit beständig: Ich, ich! Du aber, Vater, kannst dieses Getöse zur Ruhe bringen. Denn Dein Wort spricht zu mir von Dir. Ich danke Dir, dass wir Dir gehorchen dürfen. Amen. (Adolf Schlatter)
7:8 Da nahm aber die Sünde Ursache am Gebot und erregte in mir allerlei Lust; denn ohne das Gesetz war die Sünde tot.
Unser Etliche luden sich allerlei, theils angerathene, theils selbsterwählte Strengheiten und Bußübungen auf (ohne glauben an die von Christo, durch seine Gnade und durch sein Verdienst geschenkte Vergebung der Sünden. Röm. 3,22.), und wollten damit die herrschende Sünde vertreiben, tilgen und tödten, was doch dem Fleische, der natürlichen Kraft, ohne Gnade unmöglich war, Röm. 8,2.3. Wir haben aus Haß gegen die im Fleische sich regenden Lüste dem leibe auf mancherlei Weise weh gethan. Kol. 2,22.23. Wir haben aber auf diesem gesetzlichen Wege nur Angst und Entkräftung an Seel und Leib gefunden – keinen Frieden Gottes – keine Ruhe für die Seele – weil das Gesetz, wenn es auch noch so heilig, gut und göttlich ist, nur tödten, nicht lebendig machen kann, das Gute wohl gebieten , aber nicht Kraft und Lust zum Guten geben kann; das böse, die Sünde wohl verbieten, aber die Lust und Neigung zur Sünde nicht aufheben, nicht tilgen kann. Röm. 7,7.8. Wie viel weniger werden dies menschliche Satzungen vermögen, da selbst das göttliche Gesetz es nicht vermag. Röm. 8,2. Sobald uns aber der gerechtmachende Glaube, Jesu Christi Verdienst und Gnade vor Gott geschenkt ward, war geholfen. Dies war also das beste Mittel, die Seele zu reinigen, wie Petrus Apstg. 15,9. Denn aus dem gläubigen Herzen brach das zuversichtliche Seufzen hervor, und der Geist Christi gab Kraft und Weisheit, alle Gelegenheiten zu sündlichen Reizen zu meiden, und den von selbst aufsteigenden bösen Begierden, oder vom Satan erweckten Gedanken tapfern Widerstand zu thun. Röm. 6,12.14.19. (Martin Boos)
7:9 Ich aber lebte weiland ohne Gesetz; da aber das Gebot kam, ward die Sünde wieder lebendig,
7:10 ich aber starb; und es fand sich, daß das Gebot mir zum Tode gereichte, das mir doch zum Leben gegeben war.
7:11 Denn die Sünde nahm Ursache am Gebot und betrog mich und tötete mich durch dasselbe Gebot.
7:12 Das Gesetz ist ja heilig, und das Gebot ist heilig, recht und gut.
7:13 Ist denn, das da gut ist, mir zum Tod geworden? Das sei ferne! Aber die Sünde, auf daß sie erscheine, wie sie Sünde ist, hat sie mir durch das Gute den Tod gewirkt, auf daß die Sünde würde überaus sündig durchs Gebot.
Hüte dich vor dem geringsten sündlichen Gedanken. Zur Zeit unsrer Bekehrung ist das Gewissen so zart, dass wir vor der kleinsten Sünde mit Entsetzen zurückschaudern. Aber wie bald entschwindet der zarte Duft von diesen Erstlingsfrüchten des neuerwachten Lebens unter der rauen Hand der stürmischen Welt; die empfindliche Pflanze der jungen Gottesfurcht verwandelt sich später in eine wuchernde Weide, die überall nachgibt, sich überall biegt und beugt und sich allerlei Verletzung gefallen lässt. Es ist leider nur zu wahr, dass auch ein Christ nach und nach so abgestumpft werden kann, dass die Sünde, die ihm einst Angst und Entsetzen einjagte, ihn nicht mehr im mindesten in Unruhe versetzt. Mit der Zeit werden die Menschen mit der Sünde vertraut. Das Ohr, das vom Kanonendonner betäubt ist, nimmt die sanften Töne der Harfe nicht mehr gewahr. Erst setzt uns eine kleine Sünde in die bitterste Not; aber bald sagen wir: „Ach, ist‘s eigentlich nicht nur eine kleine?“ Dann kommt eine andre, größere, und dann wieder eine, bis es endlich soweit mit uns kommt, dass wir die Sünde überhaupt nur als ein kleines Unrecht ansehen; und dann kommt das unselige Vorurteil: „Wir sind doch nicht in offenbare Sünden gefallen.“ So schwächen wir den Blick für die Sünde ab, wir werfen einen Schleier darüber; wir geben ihr gelindere Namen. Christ, hüte dich, dass du es mit der Sünde nicht leicht nimmst! Ja, hüte dich, sonst bringt sie dich endlich zu Falle. Sie Sünde etwas Geringes? Ist sie denn nicht ein tödliches Gift? Was weißt du von ihrer Tödlichkeit? - Die Sünde etwas Geringes? Sind‘s nicht die kleinen Füchse, die die Weinberge verderben? Baut nicht das unscheinbare Korallentierchen einen Fels auf aus der Meerestiefe, daran die Schiffe zerschellen? Fällen nicht kleine Streiche auch die größte Eiche? Wäscht nicht der beständig fallende Tropfen das härteste Gestein aus? Die Sünde etwas Geringes? Sie krönte des Heilandes Haupt mit Dornen und durchbohrte sein Herz! Sie bereitete Ihm Leiden und Todesangst, Bitterkeit und Schmerzen. Könntet ihr auch die kleinste Sünde wägen in den Waagschalen der Ewigkeit, so würdet ihr vor ihr fliehen, wie vor einer Schlange, und auch den geringsten Schein des Bösen meiden und verabscheuen. Betrachtet jede Sünde als eine solche, die den Heiland ans Kreuz genagelt hat, so werdet ihr erkennen, dass die „Sünde überaus sündig“ ist. (Charles Haddon Spurgeon)
7:14 Denn wir wissen, daß das Gesetz geistlich ist; ich bin aber fleischlich, unter die Sünde verkauft.1)
7:15 Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern, was ich hasse, das tue ich.
7:16 So ich aber das tue, was ich nicht will, so gebe ich zu, daß das Gesetz gut sei.
7:17 So tue ich nun dasselbe nicht, sondern die Sünde, die in mir wohnt.
7:18 Denn ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleische, wohnt nichts Gutes. Wollen habe ich wohl, aber vollbringen das Gute finde ich nicht.
7:19 Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.
Wenn Gottes Gebot zu mir kommt, weckt es freilich meinen Widerwillen auf. Denn ich muss empfinden, dass es von meinem Willen gänzlich verschieden ist. Ich kann ihm aber auch zustimmen und meinen Widerspruch zum Schweigen bringen. Dann will ich das Gute. Allein damit ist die in mich hineingelegte große Frage noch nicht erledigt. Denn der Wille ist entwertet und widerlegt, wenn er nicht in der Tat zur Vollendung kommt. Kann ich auch dann, wenn ich das Gute will, so handeln, dass es geschieht? Hier gibt es aber erst wieder Schwierigkeiten, die mir neue Not bereiten, auch wenn das inwendige Gespräch mit dem göttlichen Gebot so zum Abschluss kam, dass ich zum Guten entschlossen bin. Denn zum Handeln brauche ich meinen Leib. Alles, was Tat wird, vollzieht sich im natürlichen Bereich. Das heißt, Lust und Unlust sind aufgewacht und ziehen mich. Glück und Unglück werfen die Bilder in mich hinein und Gott verbirgt sich für mich hinter der massiven Sichtbarkeit des natürlichen Geschehens. Dafür stehen die Menschen als gewaltige Gestalten vor mir, die mir bei jedem Handeln unentbehrlich sind. Mit ihnen, gegen sie, für sie handle ich, und sie legen mir ihren Willen auf, dem ich mich fügen muss. Ihr Lob ist falsch; ihre Ansprüche fordern das Böse; ihre Gemeinschaft erträgt Gottes Ordnung nicht. Diese zum Bösen treibenden Kräfte sind stärker als mein guter Wille. Sowie ich handle, erhält das natürliche Begehren das Übergewicht. Daher sitzt in uns Menschen die Angst vor dem Handeln und wir versuchen es, der Natur zu entrinnen und einen Standort zu erreichen, der uns von der Welt entfernt und uns das Handeln erspart. Sie sind oft rührend, diese Versuche, zwischen unserer Seele und der Welt eine Mauer aufzurichten, hinter der die Seele geborgen sei. Sie scheitern alle; denn sie streiten gegen die Bedingungen, an die unser Leben gebunden ist. Es gibt kein Kloster, und sei es noch so hoch ummauert und in feierlicher Stille eingetaucht, in dem das Wort aufgehoben wäre: Das Böse, das ich nicht will, das tue ich. Wie wird es aufgehoben? Im zentralen Vorgang, der das Innerste in uns ist, entsteht die Änderung. Dort wird uns ein neues Verhältnis zu Gott beschert, nicht nur das, das die Natur uns bereitet, auch nicht nur das, das aus dem uns enthüllten göttlichen Gebot entsteht, sondern das, das der gebende Gott uns schenkt, dessen Gnade zu uns kommt. In Christus sein, sagt mir Paulus, das ist die Befreiung vom Geflecht der natürlichen Notwendigkeit, die stärkere Macht als der natürliche Trieb und als der Menschen Gebot. Das Ende meiner Ohnmacht ist, dass ich im Glauben mit Gott verbunden bin.
Herr Gott, es ist nicht Dein Wille, dass ich auf mich selbst mich stütze und in mir selber ruhe. In mir ist nicht Friede und nicht Kraft und nicht Heil. Das alles ist bei Dir und ist Deines Geistes Werk, Deines Geistes Geschenk. Komm zu mir, Geist des Lebens, dann will und handle ich. Amen. (Adolf Schlatter)
7:20 So ich aber tue, was ich nicht will, so tue ich dasselbe nicht; sondern die Sünde, die in mir wohnt.
7:21 So finde ich mir nun ein Gesetz, der ich will das Gute tun, daß mir das Böse anhangt.
7:22 Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen.
7:23 Ich sehe aber ein ander Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüte und nimmt mich gefangen in der Sünde Gesetz, welches ist in meinen Gliedern.
In einem Gläubigen sind zweierlei Kräfte in Tätigkeit. In seinem natürlichen Zustande war er nur der einen dieser Kräfte untertan, welches war die Finsternis; nun hat das Licht bei Ihm Eingang gefunden, und die beiden Mächte kämpfen nun um die Oberherrschaft. Beachtet die Worte des Apostels Paulus in diesem siebenten Kapitel des Römerbriefs: „So finde ich in mir nun ein Gesetz, der ich will das Gute tun, dass mir das Böse anhanget. Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüt und nimmt mich gefangen in der Sünde Gesetz, welches ist in meinen Gliedern.“
Wie wird dieser Zustand der Dinge hervorgerufen? „Gott schied das Licht von der Finsternis.“ Die Finsternis ist an und für sich ruhig und bleibt ungestört; sobald aber der Herr Licht hineinsendet, so gibt es einen Kampf, denn eines stehet dem andern entgegen. Und dieser Kampf höret nimmer auf, bis der Gläubige völlig verklärt ist im Herrn. Findet nun eine Scheidung innerhalb des einzelnen Christen statt, so erfolgt auch äußerlich eine Scheidung. Sobald der Herr einem Menschen Licht schenkt, so strebt er, sich von der umgebenden Finsternis los zu machen; er will nichts mehr zu schaffen haben mit einer bloß weltlichen Frömmigkeit äußerlicher Formeln, denn ihm genügt von nun an nichts mehr, außer dem Evangelium von Christus, und er entzieht sich aller weltlichen Gesellschaft und allen leichtsinnigen Vergnügungen und sucht die Gemeinschaft der Heiligen, denn „wir wissen, dass wir aus dem Tode in das Leben gekommen sind; denn wir lieben die Brüder.“ Das Licht sammelt sich, und so auch die Finsternis.
Was Gott geschieden hat, wollen wir nicht zu vereinigen suchen, sondern gleichwie Christus hinausging außer dem Lager und seine Schmach trug, so wollen auch wir ausgehen von den Gottlosen und ein heiliges Volk sein. Er war heilig, unschuldig, unbefleckt, von den Sündern ausgesondert; und gleich wie Er, sollen auch wir uns nicht dieser Welt gleichstellen, sondern alle Sünde verabscheuen und uns von den übrigen Menschen dadurch auszeichnen, dass wir unserem Meister ähnlich werden; denn wir sind geheiligt durch den Namen unseres Herrn Jesu Christi. (Charles Haddon Spurgeon)
7:24 Ich elender Mensch! wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?
Dieser Seufzer des Apostels Paulus tönt durch alle Welt, er wird gehört, so weit Christen wohnen. Welch lieblichen Schmuck die Erde auch trägt, wie schön und herrlich sie auch von der Liebeshand Gottes zubereitet ist, und welche Freudenblumen uns auch darauf erblühen, - sie ist und bleibt ein Thränenthal. Wer will darum der Sehnsucht heraus aus der vielgestaltigen Noth dieses Erdenlebens wehren? Wer möchte immer da bleiben, wo so vieles Halbe und Vergängliche, so vieles Schmerzensreiche und Sündige uns umgiebt?
Da hat ein Paulus Lust zu scheiden;
Ein Abraham ist lebenssatt;
Da wird ein Hiob müd und matt
Vor langem Sehnen in dem Leiden;
Elias wünscht bei seinem Wandern
Zu schließen den betrübten Lauf;
Von einem Morgen bis zum andern
Sieht David nach der Hülfe auf.
Wer so natürlich eine Sehnsucht ist nach einer bessern Welt, und so gewiß auch der Herr will, daß uns nach der ewigen Heimath verlangen soll, so leicht kann, doch diese Sehnsucht zur Sünde werden, wenn sie aus Lebensüberdruß hervorgeht, mit Ungeduld im Herzen sich regt und nicht mit einem heilig ernsten Streben nach dem himmlischen Ziel verbunden ist. Wie das rechte Heimweh eines Christen beschaffen ist, das lernen wir von Paulus, wenn er ausruft: Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes! Sein Schmerz ist der Leib dieses Todes, das Erdenleben, die Zeitlichkeit mit ihrem Mangel an wahrem Leben. Wahres Leben ist der Sieg über Fleisch und Sünde, ist herzliche Buße und ungefärbter Glaube, ist völlige Gemeinschaft mit Gott, Friede mit Gott und Erlösung von allen Sünden. Das ist des Apostels Schmerz, daß er noch nicht völlig den Nöthen dieses armen sündigen Lebens entronnen ist. Aber er kennt den Herrn, der ihn erlösen wird von allem Uebel und ihn aushelfen zu seinem himmlischen Reiche. Herz, Seele und Gedanken des treuen Jüngers sind längst droben bei dem lieben Meister und ruhen im Schooße dessen, der ihn je und je geliebet und darum zu sich gezogen hat. O des seligen Herzensstandes, in ihm ist Friede und Freude und der Himmel auf Erden! Hilf mir dazu, mein Herr und mein Gott! Amen. (Spieker, Christian Wilhelm)
7:25 Ich danke Gott durch Jesum Christum, unserm HERRN. So diene ich nun mit dem Gemüte dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleische dem Gesetz der Sünde.2); 3)
Was Paulus hier als eine besondere Erfahrung seines Herzens mittheilt, das ist zugleich eine allgemeine Erfahrung aller Menschen. Man hat viel darüber gestritten, ob hier der innere Kampf im bekehrten oder im unbekehrten Menschen beschrieben sei. Dieser Kampf findet sich gewiß im Herzen des unbekehrten Menschen in seiner schlimmsten Gestalt; aber im Herzen des Gläubigen wird er am deutlichsten erkannt. Dem Sündendiener ist er nicht klar geworden, obwohl sein Inneres schrecklich zerrissen ist; aber der Christ kennt ihn und seine Schmerzen genau, obwohl er durchgedrungen ist zum Siege. Der Christ erfährt eine leisere Widerholung dieses innern, heißen Streites in jeder Anfechtung der Sünde, und darum kann es bisweilen sogar scheinen, als hätte der eitle Mensch mehr Seelenruhe als er; nämlich dann, wenn jener in der Zerstreuung sich vergißt, wenn er in den Lüsten und Sorgen dieser Welt die Stimme seines Gewissens betäubt. Aber wenn er nicht umkehrt, so sinkt er zuletzt durch die finstere Ruhe der Verstockung in die Höllenangst der Verzweiflung, während der Christ durch jeden neuen Kampf einen neuen Sieg über die zurückgebliebene Sünde in seinem Innern erringt und zu einem reicheren Frieden hindurchdringt. Durch die Sünde ist in jedem ein doppeltes Gesetz, ein doppelter Wille entstanden; jede Menschenbrust ist ein ernster Kampfplatz zwischen Selbstsucht und Gottes Geist, Eigenwillen und göttlichem Willen; jeder fühlt beim Streben nach Vollkommenheit die Fesseln der Sünde: wer aber an Christum gläubig geworden ist, der hat in ihm den Sieg über die Sünde gefunden, und Christus ist nicht nur sein Versöhner, sondern auch sein Befreier von der Macht der Sünde. Wohl uns, wenn wir zu dieser Freiheit der Kinder Gottes hindurchgedrungen sind! Ob wir denn auch noch mit Paulus klagen: wer wird mich erlösen? wir können wie er auch hinzusetzen: Ich danke Gott durch Jesum Christum, unsern Herrn. Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)
Der Mensch, der vorher ohne Gesetz gelebt, das ist das Gesetz Gottes in seinem Leichtsinn nicht geachtet hatte, kommt in ein großes Gedränge, wenn das Gebot kommt, wie Paulus Röm. 7,9. sagt, das ist, wenn es seine Kraft in seiner Seele zu zeigen anfängt. Alsdann wird die Sünde lebendig, der Mensch aber stirbt V. 9.10., das ist er fühlt, daß er des Todes würdig sei. Ohne Gnade und Friede, ohne Licht und Leben zu haben, macht er alsdann nach dem Trieb seines aufgewachten Gewissens Versuche, sich selber zu helfen; fühlt aber mit Schmerzen, daß das Gesetz geistlich, er aber fleischlich und unter die Sünde verkauft sei, V. 14. Er findet, daß zwar das Wollen in ihm sei, das Vollbringen des Guten nach der Regel des geistlichen Gesetzes findet er nicht. Er thut wenigstens innerlich durch böse Lüste, was er nicht will, und was er will, nämlich heilige Gedanken und Begierden haben, thut er nicht, V. 19.20. Er hat Lust am Gesetz Gottes nach dem inwendigen Menschen, der aber noch kein neuer Mensch ist, und nichts als Triebe des Gewissens in sich hat; siehet aber ein anderes Gesetz, das ist einen andern Trieb, in seinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in seinem Gemüthe, und ihn gefangen nimmt in der Sünden Gesetz, welches in seinen Gliedern ist, V. 22.23. Weil nun dieser Zustand sehr kümmerlich ist, und weil der Mensch dabei erkennt und fühlt, daß sein verstimmter Leib viele Reizungen zur Sünde macht, und die Sünde gleichsam in alle Glieder desselben ausgebreitet ist, so daß ein jedes Glied das Werkzeug zu einer besonderen Sünde sein will, ruft er aus: ich Elender, daß ich ein Mensch bin! wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes, oder von dem Leibe, worin die Sünde ihre Kraft beweist, und mir dadurch den Tod als den Sold der Sünde zuzieht? Wenn ihn aber doch dabei ein Licht des Evangeliums anstrahlt, und ihm Hoffnung macht, daß er aus seinem gegenwärtigen Zustand in einen bessern, wozu jener eine Vorbereitung sei, übergehen könne, so kann er schon auch sagen: ich danke Gott durch Jesum Christum unsern HErrn. Derjenige Zustand, den Paulus Röm. 7,10-25. beschreibt, war nicht der Zustand des begnadigten Apostels, als welcher Röm. 8. beschrieben wird, obwohl Paulus Röm. 7., um seinen Vortrag lebhafter zu machen, von sich selbst so schrieb, als ob er selber damals unter dem Gesetz stünde. Er erfuhr aber Alles, was er hier beschreibt, schnell auf dem Weg nach Damaskus, als ihm Jesus erschien, und in den dreien Tagen, die vor seiner Taufe hergingen. Uebrigens muß ein Jeder, der sich bekehrt, einmal unter dem Gesetz sein, wie es Paulus Röm. 7,10-25. beschreibt; denn das Gebot: du sollst dich nicht lassen gelüsten, V. 7., welches, wenn auch die äußerlichen Ausbrüche verhütet werden, die größte Noth verursacht, geht wegen der Heiligkeit Gottes alle Menschen an. Und wer wird die Erlösung Jesu Christi hochschätzen, wenn er sich selbst nicht vorher als fleischlich und todeswürdig gefühlt hat? Den ehrlichen Abschied von dem Gesetz bekommt man nur durch den Tod Jesu, wenn man glaubig wird, wie Paulus Röm. 7,1-6. lehrt. Wer dem Gesetz in einem fleischlichen Sinn entlaufen, oder sich seiner erwehren will, wird von ihm ein anders Mal wieder ergriffen, und, wenn dieses allzu spät geschieht, in die Hölle gestürzt.(Magnus Friedrich Roos)
Paulus hatte Röm. 7. beschrieben, was ein Mensch erfahre, der unter das Gesetz gekommen ist, welches nicht nur die groben Ausbrüche der Sünde, sondern auch die böse Lust verbietet, und wie er über seine Gefangenschaft unter der Sünde und über sein Unvermögen, Gutes zu thun, klage. Er hatte aber auch gezeigt, wie der Mensch nach und nach unter einem anhaltenden Ringen Hoffnung bekomme, daß sein Zustand werde verbessert werden, und er als Einer, der in ein tiefes Wasser gefallen ist, an’s Land kommen werde, wie denn die Ausdrücke des Paulus gegen das Ende des Kapitels milder werden. Endlich legt er dem Menschen, der unter dem Gesetz ringet, die Worte in den Mund: ich danke Gott durch Jesum Christum unsern HErrn. Nun erscheint ihm also gleichsam Jesus Christus sein HErr und Erretter in der Ferne. Nun erinnert ihn der Heilige Geist kräftig, daß er einen Heiland habe, der ihn von dem Gesetz, das ist von der Gewalt der Sünde und des Todes, frei machen könne und wolle. Er dankt Gott durch Jesum Christum, das ist, er dankt Gott bei dem sehnlichen Glaubensblick auf Christum, er dankt Gott wegen der Hoffnung der Errettung, die er durch Jesum Christum gefaßt hat; doch kann er diesen Heiland noch nicht mit einem überschwenglichen und siegreichen Glauben fassen. Das Wort Joh. 8,36. ist noch nicht an ihm erfüllt: wen der Sohn frei macht, der ist recht frei. Er steht noch nicht in dem seligen Zustand, worin diejenigen standen, die Paulus Röm. 7,4. Brüder nennt, und von denen er sagt: ihr seid getödtet dem Gesetz durch den Leib Christi, dessen Tod ihr euch zueignet, daß ihr eines Andern seid, nämlich deß, der von den Todten auferwecket ist, auf daß ihr Gott Frucht bringet. Daß es noch nicht so weit mit dem Menschen, den Paulus Röm. 7,25. redend einführt, gekommen sei, erhellt daraus, daß er ihn in eben diesem Vers noch sagen läßt: so diene ich nun mit dem Gemüth dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde. Ganz anders lautet die Sprache im folgenden Kapitel, in welchem der eigentliche Gnadenstand eines Christen, der nicht mehr unter dem Gesetz ist, beschrieben wird. So ist nun nichts Verdammliches, sagt Paulus V. 1.2., an denen, die in Christo Jesu sind, die nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist, denn das Gesetz des Geistes, der da lebendig macht in Christo Jesu, hat mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes; und V. 9.: ihr seid nicht fleischlich, sondern geistlich, so anders Gottes Geist in euch wohnet.
Wir lernen hieraus, daß ein Mensch bei den unkräftigen Vorsätzen und bei den Anstrengungen seiner durch das Gewissen erregten Seelenkräfte, die Röm. 7. beschrieben werden, nicht stehen bleiben soll, wie er dann, wenn er nicht weiter fortrückte, entweder in die Verzweiflung oder in einen neuen Leichtsinn fiele. Er soll nach dem Gnadenstand streben, der Röm. 8. beschrieben ist. Es soll mit ihm so weit kommen, daß man von ihm sagen könne, die Sünde werde über ihn nicht herrschen können, weil er nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade sei. Sind wir aber schuldig, Gott für jeden Glaubensblick auf Jesum Christum zu danken, so sollen wir noch mehr für den völligen evangelischen Gnadenstand danken.(Magnus Friedrich Roos)