Jesaja, Kapitel 61
61:1 Der Geist des Herrn HERRN ist über mir, darum daß mich der HERR gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Elenden zu predigen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, daß ihnen geöffnet werde,
61:2 zu verkündigen ein gnädiges Jahr des Herrn und einen Tag der Rache unsers Gottes, zu trösten alle Traurigen,
61:3 zu schaffen den Traurigen zu Zion, daß ihnen Schmuck für Asche und Freudenöl für Traurigkeit und schöne Kleider für einen betrübten Geist gegeben werden, daß sie genannt werden die Bäume der Gerechtigkeit, Pflanzen des HERRN zum Preise.
61:4 Sie werden die alten Wüstungen bauen, und was vorzeiten zerstört ist, aufrichten; sie werden die verwüsteten Städte, so für und für zerstört gelegen sind, erneuen.
61:5 Fremde werden stehen und eure Herde weiden, und Ausländer werden eure Ackerleute und Weingärtner sein.
61:6 Ihr aber sollt Priester des HERRN heißen, und man wird euch Diener unsers Gottes nennen, und ihr werdet der Heiden Güter essen und in ihrer Herrlichkeit euch rühmen.
Diese Verheißung ist dem Wortlaut nach für Israel, gehört aber geistlich dem Samen nach dem Geist, nämlich allen Gläubigen. Wenn wir unsren Vorrechten gemäß leben, werden wir so klar und deutlich für Gott leben, daß die Menschen sehen, wir seien ausgesondert zum heiligen Dienst, und uns Priester des Herrn nennen werden. Wir mögen arbeiten oder Handel treiben wie andre, und dennoch einzig und völlig Diener Gottes sein. Unser Hauptgeschäft sei, das beständige Opfer des Gebetes, des Lobes, des Zeugnisses und der Selbsthingabe dem lebendigen Gott durch Jesum Christum darzubringen.
Da dies unser Hauptziel ist, so mögen wir zerstreuende Dinge denen überlassen, die keinen höhern Beruf haben. „Laß die Toten ihre Toten begraben.“ Es steht geschrieben: „Fremde werden stehen und eure Herde weiden; und Ausländer werden eure Ackerleute und Weingärtner sein.“ Sie mögen Politik treiben, Finanzprobleme lösen, Wissenschaftliches erörtern und die neuesten Spitzfindigkeiten der Kritik widerlegen; wir aber wollen uns einem Dienste widmen, wie er denen geziemt, die gleich dem Herrn Jesu, zu einem beständigen Priestertum verordnet sind.
Laßt uns diese ehrenvolle Verheißung annehmen als eine, die zugleich eine heilige Pflicht einschließt, und laßt uns die Kleider der Heiligkeit anlegen und den ganzen Tag vor dem Herrn dienen. (Charles Haddon Spurgeon)
61:7 Für eure Schmach soll Zwiefältiges kommen, und für die Schande sollen sie fröhlich sein auf ihren Äckern; denn sie sollen Zwiefältiges besitzen in ihrem Lande, sie sollen ewige Freude haben.
61:8 Denn ich bin der HERR, der das Rechte liebt, und hasse räuberische Brandopfer; und will schaffen, daß ihr Lohn soll gewiß sein, und einen ewigen Bund will ich mit ihnen machen.
61:9 Und man soll ihren Samen kennen unter den Heiden und ihre Nachkommen unter den Völkern, daß, wer sie sehen wird, soll sie kennen, daß sie sein Same sind, gesegnet vom HERRN.
61:10 Ich freue mich im Herrn, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn er hat mich angezogen mit Kleidern des Heils und mit dem Rock der Gerechtigkeit gekleidet, wie einen Bräutigam, mit priesterlichem Schmuck geziert, und wie eine Braut, die in ihrem Geschmeide prangt.
Will man diesen Spruch in die neutestamentliche Sprache übersetzen, so kann man sagen, die Menge derer, die ihres Gnadenstandes gewiß sind, sage: nun wir gerecht worden sind durch den Glauben, so haben wir Friede mit Gott, durch unsern HErrn Jesum Christ – und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben soll – und rühmen uns der Trübsale – nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch Gottes durch unsern HErrn Jesum Christ, durch welchen wir die Versöhnung empfangen haben. Röm. 5. Die Worte Jesaiä lauten prächtig, und doch ist in den Worten Pauli noch mehr enthalten, als in jenen. Wer kann aber diese Worte nachsprechen? Kein Gottloser, kein unbekehrter Heuchler darf es thun: ein begnadigter, aber ängstlicher und schwacher Christ dürfte es thun, kann es aber in seinem dermaligen Zustand nicht ohne Zweifel und Furcht thun. Die Worte Jesaiä und Pauli sind das Bekenntniß eines völligen Glaubens, wobei man vom bösen Gewissen los (Hebr. 10,22.), und seines Gnadenstandes gewiß ist. Wer gelangt aber bis zu dieser Stufe? Vielleicht nur diejenigen, die gar nicht, oder nur wenig gesündigt haben, und deßwegen immer mit sich selber zufrieden gewesen sind. Ach nein! Paulus hatte ja Röm. 3. bewiesen und behauptet, daß alle Menschen ohne Unterschied Sünder seien, und der Herrlichkeit Gottes mangeln, und ohne Verdienst aus der Gnade Gottes, und durch die Erlösung, die durch Christum geschehen ist, gerecht werden. Auch hat er V. 27. die Frage aufgeworfen: wo bleibet nun der Ruhm? und geantwortet: er ist aus; durch welch Gesetz? durch der Werke Gesetz? Nicht also, sondern durch des Glaubens Gesetz; da dann sein Ausspruch dieser ist, daß eben deßwegen kein Mensch einigen Ruhm behalte, weil das Gesetz oder die Regel der Rechtfertigung die Werke ausschließe, und nur Glauben erfordere. Was den Jesaias anbelangt, so hat er Kap. 61 zuerst von Elenden, von zerbrochenen Herzen, von Gefangenen, von Gebundenen, von Traurigen, von Leuten, die in Schmach und Schande gesteckt seien, geredet, und hernach angezeigt, daß eben dieselben durch den freudigen Geist zur rechten Zeit sagen lernen: ich freue mich im HErrn, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn Er hat mich angezogen mit den Kleidern des Heils, und mit dem Rock der Gerechtigkeit gekleidet. Aus traurigen Seelen will also Gott fröhliche machen, und Sünder, die verloren gehen sollten, will Er mit Kleidern des Heils und mit dem Rock der Gerechtigkeit kleiden. Gleichwie mein Kleid nicht aus meinem Leib herausgewachsen ist, also entspringt auch das Heil und die Gerechtigkeit nicht aus mir selbst. Beides ist ein Gnadengeschenk Gottes; mit beidem will mich Gott kleiden. Das Heil wehret dem Verderben, die Gerechtigkeit aber der Anklage und Verdammniß. Das Heil, welches im Gegensatz gegen die vielen Uebel, die Röm. 8, 35-39. genannt werden, mannigfaltig ist, und deßwegen mit Kleidern verglichen wird, erkennt man gemeiniglich bälder als die Gerechtigkeit, welche sich auf Gott allein bezieht, und deßwegen ein Rock genannt wird. Gott sei Dank für den Reichthum Seiner Gnade in Christo Jesu. Er lasse mich diesen Reichthum zu meiner Seligkeit und Rechtfertigung genießen!(Magnus Friedrich Roos)
Der Sohn Gottes, Jesus Christus, hatte nicht nöthig von dem HErrn mit Kleidern des Heils angezogen, und mit dem Rock der Gerechtigkeit bekleidet zu werden; denn Er war selbst das Heil Gottes, und hatte die Gerechtigkeit als Gott und Mensch, und als Mittler zwischen Gott und Menschen wesentlich in sich selber. Zu Zion aber muß gesagt werden: siehe, dein Heil kommt, Jes. 62,11., und ihre Gerechtigkeit muß aufgehen wie ein Glanz, und ihr Heil wie eine Fackel, daß die Heiden ihre Gerechtigkeit sehen, und alle Könige ihre Herrlichkeit, Jes. 62,1.2. Das Heil und die Gerechtigkeit, womit der HErr Zion als einem Kleid, oder als einem Schmuck anzieht, ist ein Geschenk des HErrn, welches derjenige, der es vorher nicht hatte, aus Gnaden bekommt, und worüber er sich im HErrn freuen und in seinem Gott innerlich fröhlich sein kann.
Was aber hier Jesaias von Zion, das ist von dem bekehrten Israel weissagt, geht auch einen jeden einzelnen Menschen an, der an Jesum Christum gläubig geworden ist. Er war vorher bloß, das ist, er lebte ohne das Heil und ohne Gerechtigkeit dahin, und man sah oft seine Schande. Wenn er aber mit einem reuigen und zerknirschten Herzen an Jesum Christum gläubig wird, so erlangt er die Gerechtigkeit, die nicht aus dem Gesetz, sondern durch den Glauben an Christum kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird, und mit dieser Gerechtigkeit auch das Heil, das ist die wirkliche Errettung von der Gewalt der Sünde, des Satans und des Todes. Mit diesem doppelten Kleid muß ein Christ immer bekleidet sein, wenn er vor Gott wandeln und Ihm gefallen soll; insonderheit aber muß er’s anhaben, wenn er aus dieser Welt scheidet. O wie wird eine Menschenseele sich mit der äußersten Bestürzung schämen, wenn sie sich vor Gott in ihrer Schande bloß fühlt! Ihr Nationalcharakter, ihre amtliche Ernsthaftigkeit, und die scheinbare Form, welche sie durch menschliche Gebote und Beispiele bekommen, und womit sie in der menschlichen Gesellschaft geprangt hatte, wird ihr nichts helfen. Dieses Spinnegewebe taugt nicht zum Kleid, und dieses Gewirke taugt nicht zur Decke, Jes. 59,6. Ein von Gott geschenktes Heil, eine von Gott zugerechnete Gerechtigkeit kann die Seele allein decken und schmücken, und vor dem Verderben und der Verdammniß schützen. Sie hat alsdann eine sattsame Ursache, sich so in dem HErrn zu freuen, den ihre Sache ist nun auf ewig gewonnen, und ihre Glückseligkeit auf’s Beste gegründet. Man bedenke, wie Paulus schon bei Leibesleben, als er an dieses Heil und an diese Gerechtigkeit gedachte, gefrohlockt habe, Röm. 8,31-39.
So überzeuge uns denn der Heilige Geist immer mehr, daß wir unser Leben und unser Heil nicht in unserer Hand finden, und keine gültige eigene Gerechtigkeit vor Gott aufrichten können. Hingegen überzeuge Er uns auch kräftig, wie Christus Jesus uns von Gott zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung gemacht sei. Wer sich ihn so zueignen kann, wird mit Heil und Gerechtigkeit bekleidet, und kann alsdann auch im Tode getrost sein.(Magnus Friedrich Roos)
61:11 Denn gleichwie das Gewächs aus der Erde wächst und Same im Garten aufgeht, also wird Gerechtigkeit und Lob vor allen Heiden aufgehen aus dem Herrn HERRN.
Als Jesus gleich nach dem Antritt seines Lehramts nach Nazareth kam, ging Er nach seiner Gewohnheit in die Schule am Sabbathtage, und da Ihm das Buch des Propheten Jesaias gereicht wurde, las Er die obigen Worte und sprach: „Heute ist diese Schrift erfüllt vor Euren Ohren.“ (Luc. 4,16-21.). Da Er es selber sagt, so haben wir hier gewiß eine klare und deutliche Weissagung auf Ihn, und welch eine liebliche und tröstliche! Wie hat nun jeder düstere Name, den wir von Natur an uns tragen, seine Schrecken verloren! Der Name: Gottlose; denn Gott spricht uns gerecht. Der Name: Verlorne; denn Jesus sucht sie. Der Name: Elende; denn Er leitet sie recht. Der Name: Betrübte; denn Er tröstet sie. Der Name: Gefangene; denn Er macht sie frei. Kurz, wir brauchen nur Jesum bei seinem Verdienste zu fassen, so wandeln wir alle jene Namen in lauter muthige und hoffnungsreiche um. Fragt Jesus uns also: wie heißest du? – und wir können in Einfalt mit gründlicher Zustimmung antworten: Sünder, so wird’s uns wie dem Jacob ergehen, dem bei Nennung seines Namens ein liebliches Licht aufging. – Wahre Christen können demnach keine niedergeschlagenen und melancholischen Leute sein; sie haben vielmehr lauter Ursach, sich zu freuen wie Bräute, denn sie dürfen sich rühmen eines Kleides der Gerechtigkeit, mit welchem sie angekleidet sind und ihre nackte Seele bedeckt ist. Es ist dies die vollkommene Gerechtigkeit Jesu Christi, welche allein vor Gott gilt, und die ihren größten und herrlichsten Schatz und Schmuck ausmacht. Fehlt uns diese Gerechtigkeit, so fehlt uns Alles. Haben wir sie aber, so sind wir herrlicher als die Engel Gottes; aller Verlust des Sündenfalles ist uns in Jesu ersetzt. O beflecke dies dein Kleid nicht, meine Seele! Durch jede muthwillige Sünde beweisest Du eine Geringschätzung desselben, und verwundest auf’s neue das rein gemachte Gewissen. O Jesu, erhalte mir Dein Kleid, in welchem ich mich allein für geschmückt ansehe. Ich weiß oft nicht, wo ich vor Wehmuth und Angst hin soll, wenn ich einen Augenblick auf mich allein sehe; aber da Du mir einmal die süße Erkenntniß gegeben hast: Dein Schmuck sei mein Schmuck, so halte ich mich daran durch alle Zeit bis in die Ewigkeit. Erhalte Du mich Dir selbst rein durch Deine allmächtige Gnade. Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)