Besser, Wilhelm Friedrich - Predigt am dritten Sonntage nach Trinitatis 1882.

Besser, Wilhelm Friedrich - Predigt am dritten Sonntage nach Trinitatis 1882.

Evangelium Lukas 15,1-10.
Text: Es nahten aber zu ihm allerlei Zöllner und Sünder, dass sie ihn hörten. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten, und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an, und isst mit ihnen. Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis, und sprach: Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat, und so er deren eins verliert, der nicht lasse die neun und neunzig in der Wüste, und hingehe nach dem verlornen, bis dass er es finde? Und wenn er es gefunden hat, so legt er es auf seine Achseln mit Freuden. Und wenn er heim kommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn, und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. Ich sage euch: Also wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, vor neun und neunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen. Oder, welches Weib ist, die zehn Groschen hat, so sie deren einen verliert, die nicht ein Licht anzünde, und kehre das Haus, und suche mit Fleiß, bis dass sie ihn finde? Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen, und spricht: Freut euch mit mir, denn ich habe meinen Groschen gefunden, den ich verloren hatte. Also auch, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.

Wir konnten es heut vor acht Tagen nicht lassen, meine Lieben, schon einen Blick hineinzuwerfen in das Evangelium, welches der HErr uns heute geschenkt. Heut vor acht Tagen fanden wir unsern lieben HErrn und Heiland in der Gemeinschaft von Pharisäern und Schriftgelehrten, die Ihn nicht kannten, und die auch die Tischreden, welche Er ihnen hielt, mit einer gewissen Verdrießlichkeit anhörten; und einer unter ihnen wollte das etwas verdrießliche Thema von denen, die da erwählten, obenan zu sitzen, in eine andre Bahn lenken, und sagte: „Selig ist, der das Brot isst im Reiche Gottes“. Ja, es war unserm lieben Heilande recht, dass er dies sagte, um nun daran anknüpfend die köstliche Gleichnisrede vom großen Abendmahl zu halten. Im heutigen Evangelium nun geht es ähnlich her. Waren ihnen vor acht Tagen die Tischreden des HErrn Jesu im Hause des Obersten der Pharisäer nicht recht gewesen, heut murrten sie über die große Sünderliebe des Heilandes, dass er sich mit den Zöllnern abgab, dass er sich mit diesem von den Juden verächtlich gehaltenen Gesindel einließ. Dieser Jesus, dieser, der der Messias sein will, „Er nimmt die Sünder an und isst mit ihnen“. An dieses Wort, womit sie Ihn verächtlich machten wollten, knüpft der HErr Seine Gleichnisse an, worin Er Seine große Sünderliebe uns anpreist und den Pharisäern gegenüber rechtfertigt, die das Verlorene sucht und das Verlorene selig machen will. Unser Evangelium ist wieder ein Berufungs-Evangelium, wie es alle Evangelien sind zu Anfang der heiligen Trinitatiszeit, in denen uns vor die Seele gestellt wird, wie ein großer Ernst es dem dreieinigen Gott ist, kein einziges unter den verlorenen Menschenkindern zu versäumen; ja, wie Er danach strebt, sagen zu können auch in diesem Sinne: „Welcher unter euch kann mich der Sünde zeihen“, auch nur einen Verlorenen nicht gesucht zu haben?

Vor acht Tagen schon führte ich euch jenes schöne Woltersdorf'sche Lied an, und mancher unter euch hat's vielleicht nachher zu Hause noch ganz nachgelesen: „Es ist noch Raum!“ Ja, meine Lieben, „es ist noch Raum, die Arme Jesu sind zum Tragen stark und weit; die Hände stehn für jedes Gnadenkind zum Heben ausgebreit't; er will sie auf die Achseln legen und ihrer gar im Busen pflegen; es ist noch Raum!“

Seht, Geliebte, in diesem Verse ist der Fortschritt bezeichnet, welchen wir in der Berufung im Evangelium des vorigen Sonntags zum heutigen bemerken. Im vorigen: Ja, auch Seine Liebe zu den Eingeladenen ist groß, so groß, dass Er auch die ganz Blöden und ganz Schüchternen herein nötigen lässt, nachdem die armen Lahmen und Krüppel hereingeführt worden sind; aber er tat es durch Seine Knechte. Heute aber tritt Er selbst auf den Plan, Jesus Christus, der Sohn Gottes. Er selbst ist es, der da nötigt durch Seine Knechte, aber Er selbst ist es vor allem, der das Verlorene und Verirrte sucht, und Er hält nun hier in unserm Evangelium Seine Schutzrede für Seine große Sünderliebe. „Hier wird teuer mir vereidigt, dass ich selig werden kann, weil mein Heiland Sich verteidigt, dass Er nimmt die Sünder an.“

Und nun, meine Lieben, werden wir Ihm die Ohren unseres Gemütes gern öffnen und unsere Herzen spannen, um Ihn reden zu hören von Seiner großen Sünderliebe im Suchen des Verlorenen, und uns von Ihm finden zu lassen zum Heimtragen.

Die große Sünderliebe unseres Heilandes ist's, welche aus dem Evangelium uns anleuchtet. Die Alten sagten von diesem Sonntage, der ja meistens in die Junitage fällt: „Jetzt baden sich die Tauben in dem warmen Regen, der vom Himmel fällt.“ Heut ist nun auch solch besonders schöner Sonntag uns geschenkt, o liebe Seele, willst du nicht die Taube sein, die sich in dem warmen Regen badet, welcher aus diesem Evangelium auf uns niedertrieft? Wäre es nicht o, so gehörtest du ja noch unter diejenigen, die da murren über den HErrn Jesum, weil er die Sünder annimmt und isst mit ihnen! Nein! Wir wollen uns nicht schämen, uns unter die Zöllner und Sünder zu sehen; das sind die rechten Krüppel, die armen Lahmen und Blinden, die da draußen an den Zäunen, die Er nötigen lässt, hereinzukommen, und für die es noch einen Heiland gibt. Und was für einen? Einen solchen, wie sie ihn brauchen, der sich nicht ihrer schämt. Der HErr preist Seine Sünderliebe in diesem Kapitel in drei Gleichnissen, in den beiden Gleichnissen vom verlornen Schaf und verlornen Groschen; und damit die Schnur, damit Er uns binden will, dreifältig sei, fügt Er dann noch das hinzu vom verlornen Sohne. Es sind drei Worte nur, meine Lieben, in welchen der Inhalt unsers Evangeliums sich zusammenfasst, in welchen die große Liebe, die große Sünderliebe unsers Heilandes sich uns anpreist, die Worte: Verloren, gesucht, gefunden!

Verloren! Das waren wir alle in Adam. In dem Menschen, der hundert Schafe hat und geht hin, das eine zu suchen, das er verloren hat, bis er es findet, vergleicht der HErr Jesus Sich selber. Ihm war alles in Seine Hände gegeben von Anbeginn der Schöpfung, Ihm fehlte nichts. Alle Engel und Seraphim füllten Seinen Himmel und lobten Ihn und die Erde jauchzte Ihm zu; nur eine Gattung von Kreaturen nicht, die Menschheit, der wir alle zugehören, sie ist Ihm verloren gegangen und zwar durch ihre Schuld; und diese eine bist auch du, liebe Seele. Und nun lasst uns recht darauf achten, denn es ist das Hauptstück im Evangelium, es ist nicht die Schuld der Verlorenen, die der HErr hervorhebt, sondern ihr Unglück; das Unglück, das Elend, das darin liegt, dass sie von Ihm verirrt und damit auch verloren sind, das jammert Ihn. Er ist der Hirte, der sich über den 99 Schafen, die er noch in seinem Stalle hat, nicht trösten kann über dem einen, das verloren ist. Er vergleicht Sich dem Weibe, das die 9 Groschen, die es noch in der Hand hat, nicht trösten könne über den einen, den es verlor. Das Weib kehrt das Haus und leuchtet in alle Winkel, und sucht, bis es ihn findet.

Verloren! O, mein Erbarmer, o mein Gott und Heiland, ist Deine Liebe zu mir denn so groß, dass ich Dir fehle? O, was das für ein Jammer ist, wenn wir fühlen, dass wir ferne von Ihm sind, wir ohne Ihn leben und hingehen in der Verlorenheit unseres Sündenelendes, das wissen wir alle - aber davon ist heute nicht die Rede. Hier hören wir heute vor allem von dem Jesusherzen, das sich uns öffnet, damit wir's merken sollen, wie wir Ihm fehlen, wenn Er uns nicht hat. Denn Er hat ein heiliges Anrecht an uns, Er hat uns teuer erkauft zu Seinem Eigentum; und die Lobgesänge aller heiligen Engel und Seraphinen, die sich doch niemals von Ihm verlaufen und verloren haben, können Ihn nicht trösten über den Verlust auch nur einer fluchbeladenen Menschenseele und Er geht hin, sie zu suchen. O, Geliebte! Das ist doch wunderbar genug! So, so sind wir geliebt. Schon Moses hat einen Eindruck davon bekommen, wie der HErr die Leute so lieb hat. Aber wie ein andres ist es noch um Seine Liebe, wie sie sich uns im Neuen Testamente offenbart! „Ich habe mein Schaf, ich habe meinen Groschen verloren,“ nur diese Seine große Liebe hat es Ihm möglich gemacht, nach etwas so Schmutzigem, so gründlich Hässlichem Sich umzusehen und zu suchen, wie unsere Seele es ist, wenn sie im Schmutz der Sünde sich verloren hat. Aber es muss doch wohl irgend etwas Liebenswürdiges an uns gewesen sein, da wir wenigstens keine Liebe kennen, die ohne irgend welche Anknüpfung wäre. Wodurch waren wir Ihm denn nun wohl so liebenswürdig? Ja, das wirst du freilich nicht herauskriegen, du müsstest denn noch in dem Wahne der Pharisäer befangen sein, dass du von deiner eigenen Liebenswürdigkeit überzeugt wärest. Nun, wie liebenswürdig die waren, können wir leicht wissen; kein Mensch mochte sie leiden in ihrer Aufgeblasenheit, in der sie danach trachteten, Ihm ihr äußerstes Missfallen an Seiner Rede kund zu tun. Aber Er lässt Sich nicht stören, Er liebt auch die Pharisäer und will sie herauslieben aus ihrem Elend. Wie mag Er da, wo Er spricht von den Freunden und Nachbarn, die das Weib herbeiruft, dass sie sich mit freuen sollen, die Schriftgelehrten angeschaut haben, die sich gar nicht freuten und darüber murrten, dass Er die Sünder annimmt. Verloren, das waren wir alle, und wenn wir heute Gefundene sind, und unser Plass auf Seiner Achsel ist - ach, wie wehe ist die Erfahrung, dass es auch ein Wiederverlieren gibt! Ja, lieber Heiland, ich entwinde mich oft Deinen Händen, und der Platz auf Deiner Achsel und auf Deinen Armen genügt mir nicht, und ich springe herunter und bin alsbald wieder verloren! Ja, Geliebte, wir sind nicht um dies Evangelium heut wieder versammelt, so wie man etwa eine schöne Blume in die Hand nimmt und sich daran freut und sie dann zwischen zwei Blätter legt und aufbewahrt, und sie verliert ihren Duft. Nein, unser Text, dies Evangelium vom verlorenen Schaf, ist eine immergrüne Aue zu unserer Weide; es bedürfen auch die Gefundenen und Gewonnenen immer wieder Seiner suchenden Liebe. Das lasst uns recht erkennen, uns Ihm zu geben. Ja, lieber Heiland, zwar hast Du mich angenommen in meiner heiligen Taufe und ich habe mich von Dir finden lassen; aber auch ich bedarf heute wieder, mich aufzurichten an Deiner Botschaft, dass Du ein solcher Heiland bist, der den Sündern nachgeht und sie sucht, bis er sie findet. Ja, ich bekenne es Dir, ich gehöre zu denen, die sich wieder verloren haben und die sich nicht zu Dir zurückfinden würden, wenn Du nicht immer wieder den Anfang machtest. Gewiss, Er tut es, Er macht den Anfang, und wenn wir vielleicht noch lange nicht merken, dass wir uns verlaufen, dass die Sünde wieder über uns die Herrschaft erlangen will, und dass wir in großer Gefahr stehen, Er merkt es und geht hin und sucht, bis Er uns wiederfindet.

Und nun lasst uns den Finger legen auf das Suchen, denn hier ist ein Wunder. Wenn ein irdischer Hirte des Abends, wenn er heimkehrt und die Schafe in den Stall zählt, findet, dass eines ihm fehlt, und er geht hin und sucht es, so ist das ganz selbstverständlich, denn er weiß nicht, wo es ist. Bei dem HErrn Jesu aber ist das nicht der Fall, Er weiß immer, wo wir sind; vor Seinem Auge ist auch der geheimste Winkel bloß und entdeckt, und doch geht Er hin und sucht. Er tut es nicht, dass Er uns plötzlich erhascht und ergreift; nein, Er sucht und lockt mit Seiner uns bekannten und Ihm eigenartigen Stimme. Freilich, wollte Er, wie wir es verdienten, uns allemal gleich mit Seinen Gerichten treffen und mit Seinen Augen wie Feuerflammen, es würde nicht lange dauern, dass Er uns gefunden hätte, aber so, dass uns die Haut schauerte; wenn Er aber mit Seinen Gnadenblicken Sich an uns wendet, dann sucht Er uns heim, wie unsere Sprache dieses schöne Wort dafür hat; Er sucht uns in unserem jammervollen Heim, um uns in Sein seliges Heim zu bringen. Und wie hat Er das möglich gemacht? „Wir gingen alle in der Irre wie Schafe, ein jeglicher sah auf seinen Weg, aber der HErr warf unser aller Sünde auf Ihn,“ das ist der Anfang Seines Suchens nach der verlorenen Menschheit geworden: Er kam vom Himmel auf die Erde und versenkte Sich in unser Elend. Und so machte Er unsere Bekehrung möglich durch Sühne, Sühne unserer Schuld; ja, Er hat sie gesühnt damit, dass Er Sich auch hineinversenkt hat für uns in die tiefste Gottverlassenheit, und als Er das getan, da hat Er den Erstling gefunden unter den Gesuchten, den Schächer am Kreuz. O, wir beten an die große Sünderliebe, die es sich möglich gemacht hat, ein verlorenes Schaf zu suchen und wiederzufinden; einen verlorenen Groschen, der so unkenntlich geworden war von dem Staub und Schmutze, unter dem er im Winkel verborgen gelegen, so zu reinigen, dass das königliche Bild seiner Prägung „Kind Gottes“ wieder zum Vorschein kam und die Umschrift wieder leserlich wurde, die davon handelt, wie viel wir Ihm gelten, wie viel wir Ihm wert sind. Und wenn Er uns gefunden hat, dann lasst uns anbeten die Geduld und den Fleiß, womit Er uns gesucht hat. Der Fleiß tritt besonders bei dem suchenden Weibe hervor. Sie lässt sich keine Mühe verdrießen, sie fürchtet nicht den Staub, den sie schlucken muss, wenn sie ihn aus allen Winkeln hervorkehrt, und zündet zuletzt auch ein Licht an, um die finstern Stellen zu beleuchten, damit sie ihn finde. Hat unser lieber Heiland nicht auch diesen Fleiß an uns gewandt? Er hat gar verschiedene Lichter, mit denen Er uns sucht, auch solche, die bis in die tiefsten Falten der Seele dringen, und wo uns plötzlich zum Erschrecken klar wird, wie es um uns steht, und dass wir elende, verlorene und verdammte Sünder sind. Das kann Er, wenn Er will, mit einem Male uns zum Erschrecken klar machen. Aber es verdrießt Ihn nicht, uns mit suchender Liebe nachzugehen und uns nachzukriechen. auf unseren Sündenwegen, das ist keine angenehme Arbeit. Unser Heiland hat Sich mit dem suchenden Weibe verglichen, Geliebte, und wie dies Weib es macht, so macht Er es, und scheut keine Mühe, und scheut keinen Staub und keinen Schmutz. Und etwas davon haben diejenigen Ihm abgelernt, die von Seiner Liebe etwas angenommen haben in der Liebe zu den Brüdern. Nun sieh dich um unter denen, mit welchen du zusammen lebst! Ist da nicht auch einer, der hat nach dir gesucht, mit Fleiß gesucht, und ist dir immer wieder nachgegangen, ob du dich möchtest finden lassen und zurückbringen zu deinem Heilande? „Ja, mir hast du Arbeit gemacht in deinen Sünden und Mühe in deinen Missetaten,“ so spricht der HErr. O, diese Mühe, die wir Dir gemacht haben, lieber HErr Jesu! Wie sollten wir Dir dafür den verdienten Lohn vorenthalten wollen? Nein! Du sollst uns wiederhaben, wir wollen uns finden lassen.

Und nun betrachten wir auch die Geduld. Die finden wir mehr im anderen Gleichnis, aber die Sache übertrifft es weit. Der irdische Hirte weiß nicht, wohin sein Schaf sich verloren hat, und weil der Hirte es nicht weiß, drum sucht er nun mit ängstlicher Spannung. Das ist bei unserm lieben Heiland nicht der Fall. Er weiß voraus, wen Er von uns finden wird, aber Er sucht auch die, von denen Er weiß, dass sie sich nicht finden lassen werden; denn sie wollen nicht, und Er zwingt niemand, Er zwingt kein Schaf mit Gewalt auf Seine Achsel. Einmal zwar wird Er mit richterlicher Gewalt sie zu Seinen Füßen zwingen und Seine Herrlichkeit offenbaren, aber jetzt sucht Er auch die, die sich nicht finden lassen wollen, und das ist ein unbegreifliches Wunder, aber es ist wahr! Bis zum allerletzten Augenblick, so lange noch ein Odem in uns ist, da sucht uns Seine große Sünderliebe. Er versäumt nichts an uns, auch im Alter nicht, und besonders nicht im Kreuz und unter der Trübsal. Und bei denen, die lange mit Ihm bekannt sind, o, da sucht Er mit solchem Ernste.

Bei langwierigen Krankheiten, o wie seufzt da oft der Seelsorger: „Ach HErr, wie so lange,“ aber wir müssen stille sein und es dafür annehmen: es ist noch immer ein Suchen der Liebe Jesu; Er hat an dieser Seele noch zu arbeiten, Er hat sie in dem einen oder andern Stück noch zu vollenden. Vielleicht fehlt es noch an dem, wovon unsere heutige Epistel redet: „So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes,“ an der vollen Demütigung; vielleicht ist's auch eine Verbitterung, die sie aufhält; aber die soll doch weg und da sucht und sucht Er, bis eine solche Seele endlich spricht: „Ich ergebe mich Dir ganz.“ „Soll's ja sein, dass Angst und Pein auf Sünde folgen müssen, dann fahre fort mit Schlägen hier und schone dort,“ dann, dann Geliebte, kommt die Stunde des Findens. Sage du es deinem Heilande, liebe Seele, sage es Ihm in der Stille: „Ich bin eine gesuchte, aber wieder verlorene; aber ich trage die Spuren Deiner suchenden Liebe noch an mir.“

Und nun kommen wir zum letzten Stück: „Gefunden.“ O, wie ließe die selige Freude sich nur ausdrücken „gefunden“, das heißt: ein Sünder, der aus Gnaden selig wird! Aber Geliebte, von der Freude ist im Evangelium nicht die Rede. Nicht von unserer Freude hören wir, nein, von Seiner Freude, von Seiner Freude. „Denn ein Hirte,“ heißt es, wenn er es gefunden hat, so legt er es auf seine Achsel mit Freuden, und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: „Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war; ich sage euch: also wird auch Freude sein im Himmel über einen Sünder, der Buße tut, vor neun und neunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen.“ Gleicherweise auch das Weib ruft ihre Freundinnen und Nachbarinnen, und darauf legt der Heiland den ganzen Nachdruck und ruft zweimal: Also, also wird Freude sein im Himmel über einen Sünder, der Buße tut. Nun, meine Lieben, eine Frage, eine beschämende Frage an uns alle: Muss es denn durchaus die Hölle sein. mit ihrer ewigen Pein, die uns zurückschreckt von dem Wege des Verderbens, muss es nicht die Weise des heutigen Evangeliums vielmehr tun? Ein Wanderer, der im Sturm dahinschreitet, wird sich schwerlich bewogen fühlen, seinen Mantel abzulegen, er hüllt sich nur um so fester hinein; aber wenn einen die liebe Sonne so recht warm bescheint, dann fühlt er sich nicht bloß bewogen, den Mantel auszuziehen, er zieht auch wohl den Rock noch dazu aus. Nun seht, so will der HErr heut besonders Seine Sonne auf uns scheinen lassen, Er will den lindesten Wind um uns wehen lassen, und ich weiß doch nicht, was uns bewegen könnte, uns nicht von Ihm finden zu lassen. Höre doch, wenn du dich bekehrst, da freut sich Gott darüber mit allen Seinen heiligen Engeln. Du, du, kannst Freude im Himmel machen, wenn du dich wahrhaftig bekehrst. Das ist die klare Lehre unsers Evangeliums! Und noch eins! Wo sind denn die heiligen Engel? Sie sind es, die den Thron Gottes umgeben und ihnen wird es gemeldet, wenn ein Sünder auf Erden Buße tut. Jauchzen und Frohlocken bewegt den ganzen Himmel und seine Heerschaaren, wenn ein Sünder Buße tut. Und sind denn die lieben Engel allein? Nein, bei ihnen ist die ganze Schaar der Seligen und Heiligen, sie frohlocken mit ihnen und erfahren es auch. Ich rede jetzt vornehmlich zu euch Kindern; Kinder, denen vielleicht etwas auf dem Gewissen brennt. Vater und Mutter sind vielleicht Längst schon heimgegangen. Ihr seid ihnen ungehorsam gewesen, ihr habt sie betrübt, sie haben sich über euch gegrämt, ihr könnt es ihnen nicht mehr abbitten, das wurmt euch noch, ihr könnt's nicht los werden. Hört, ihr könnt ihnen doch noch Freude machen. Hört doch, geliebte Söhne und Töchter heimgegangener frommer Väter und Mütter; ihr könnt sie tief erfreuen: Freude soll sein im Himmel über einen Sünder, der Buße tut. Sie erfahren's also noch mit den lieben Engeln zugleich.

„Ich will singen von einem Könige; scharf sind Deine Pfeile.“ Ps. 45. Nun, meine Geliebten, ich weiß keinen schärferen Pfeil, womit die große Liebe unsers HErrn uns verwunden könnte, als diesen, womit diese Liebe aus einem gesegneten Köcher auf uns schießt. Wollen wir uns nicht bekehren, wollen wir den Engeln im Himmel, unsern lieben Heimgegangenen allen, wollen wir ihnen diese Freude nicht machen? Wenn wir es nicht wollten, dann wäre freilich unsere Verdammnis ganz gerecht. O HErr, sei gnädig uns armen Sündern, o, wir wollen es, wollen uns in den sicheren Schatzkasten Deiner wiedergefundenen Groschen sammeln lassen. Die heiligen Engel haben schon die Rauchfässer des Gebets in den Händen und das Blutvolk der Seligen hat schon die Harfen genommen, um die Freudentöne anzustimmen über Sünder, die Buße tun, und diese Freude wollten wir ihnen nicht gönnen? O, das wäre zu schnöde. HErr Jesu, ich bin gesucht durch Deine große Liebe, ich will mich finden lassen zu Deiner Gottesfreude! Amen.

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