Rieger, Carl Heinrich - Kurze Betrachtungen über die Psalmen - Der 55. Psalm.
1. Eine Unterweisung Davids, vorzusingen auf Saitenspielen. 2. GOtt, höre mein Gebet, und verbirg dich nicht vor meinem Flehen. 3. Merke auf mich, und erhöre mich, wie ich so kläglich zage und heule, 4. Dass der Feind so schreit, und der Gottlose drängt; denn sie wollen mir einen Tuck beweisen, und sind mir heftig gram. 5. Mein Herz ängstet sich in meinem Leibe, und des Todes Furcht ist auf mich gefallen. 6. Furcht und Zittern ist mir angekommen, und Grauen hat mich überfallen. 7. Ich sprach: O hätte ich Flügel wie Tauben, dass ich flüge und etwa bliebe! 8. Siehe, so wollte ich mich ferne weg machen, und in der Wüste bleiben, Sela. 9. Ich wollte eilen, dass ich entränne vor dem Sturmwinde und Wetter. 10. Mache ihre Zunge uneins, HErr, und lass sie untergehen; denn ich sehe Frevel und Hader in der Stadt. 11. Solches geht Tag und Nacht um und um in ihren Mauern, es ist Mühe und Arbeit darinnen. 12. Schadentun regiert darinnen, Lügen und Trügen lässt nicht von ihrer Gasse. 13. Wenn mich doch mein Feind schändete, wollte ich es leiden; und wenn mir mein Hasser pochte, wollte ich mich vor ihm verbergen. 14. Du aber bist mein Geselle, mein Pfleger und mein Verwandter, 15. Die wir freundlich mit einander waren unter uns, wir wandelten im Hause GOttes zu Haufen. 16. Der Tod übereile sie, und müssen lebendig in die Hölle fahren; denn es ist eitel Bosheit unter ihrem Haufen. 17. Ich aber will zu GOtt rufen, und der HErr wird mir helfen. 18. Des Abends, Morgens, und Mittags will ich klagen und heulen; so wird er meine Stimme hören. 19. Er erlöst meine Seele von denen, die an mich wollen, und schafft ihr Ruhe denn ihrer ist viel wider mich. 20. GOtt wird hören und sie demütigen, der allewege bleibt, Sela. Denn sie werden nicht anders, und fürchten GOtt nicht. 21. Denn sie legen ihre Hände an seine Friedsamen, und entheiligen seinen Bund. 22. Ihr Mund ist glätter, denn Butter, und haben doch Krieg im Sinn; ihre Worte sind gelinder, denn Oel, und sind doch bloße Schwerter. 23. Wirf dein Anliegen auf den HErrn, Der wird dich versorgen, und wird den Gerechten nicht ewig in Unruhe lassen. 24. Aber, GOtt, Du wirst sie hinunter stoßen in die tiefe Grube. Die Blutgierigen und Falschen werden ihr Leben nicht zur Hälfte bringen. Ich aber hoffe auf dich.
Der 55. Psalm hat 1) eine Überschrift: Eine Unterweisung Davids, vorzusingen auf Saitenspielen. Wie diese Überschrift ganz gleich ist mit dem vorhergehenden 54. Psalm, so findet sich auch sonst zwischen beiden viel ähnliches; dass nämlich David in beiden Psalm um Beistand GOttes und Errettung aus der Hand seiner Feinde anhält. Nur hat im vorigen Psalm die Freude am Namen GOttes merklicher vorgeschlagen, und hat die Furcht und Empfindlichkeit völliger verschlungen, nach Psalm 55. aber hat David beides mehr geschmeckt, und sich also auch mit desto größerer Macht des Glaubens und Ernst des Gebets durchschlagen müssen. Beim vorigen Psalm wird auch die Gelegenheit ausdrücklich, bei welchem er gemacht worden, angezeigt. Hier aber muss man nur vermuten, ob sich Psalm 55 auf die Umstände schicke, da die Bürger von Kegila im Sinn hatten, ihn an Saul auszuliefern, oder aber auf Absalom und Ahitophel und was bei diesem Umstand vorgekommen. Dass der Geist Christi in David hierunter auch noch weiter auf die künftigen Leiden in Christo selber gesehen habe, wie sie Ihm besonders durch Seinen ungetreuen Jünger und Verräter Judas, und durch den Undank des wankelmütigen Volks sind verursacht worden, wird Keinem unglaublich vorkommen, welcher bedenkt, wie überhaupt alle von der Schlange und ihrem Samen an David versuchte Fersenstiche eigentlich schon auf Den gezielt haben, der aus dem Samen Davids herkommen sollte. Im Psalm selbst findet sich nun 2) ein demütig gefasster Zugang zu GOtt im Gebet, V. 2-4. 3) Eine Vorstellung von seiner Angst, und dem in seinem Herzen aufgestiegenen Wunsch, V. 5-9. 4) Was ihm der Feind durch an ihm verübtes Unrecht für Leiden verursacht, und für Seufzer ausgepresst habe, und in welchem Sinn und Vorsatz er darüber vor GOtt stehe, und rede, V. 10-22. 5) Gläubiger Schluss, darin er sich selbst oder der Geist der Gnade ihm zuspricht, auf dem einmal gefassten Grund der Hoffnung zu bleiben, V. 23. 24. Der Wunsch: O hätte ich Flügel wie Tauben, ist einem zwar nicht zu verargen; Ich aber hoffe auf dich, muss doch gleichwohl das Herz stillen, wenn man auch nirgends entfliehen kann.