Quandt, Emil - Große Liebe im kleinen Leben - Sechster Abschnitt.
V. 22-25.
Die Ankündigung des persönlichen Kommens - Pauli und sein und seiner Freunde Gruß.
„Daneben“, so beginnt dieser letzte Abschnitt der Epistel. Er bringt eine Nebenbitte des Apostels, die sich an die große Hauptbitte der Epistel anschmiegt, wie der Efeu an die Eiche. Die Hauptbitte ging auf gütige Wiederannahme des Onesimus, und sie war in einer längeren Reihe von Versen bis hierher dargelegt worden; die Nebenbitte geht auf Gewährung der Gastfreiheit für den Briefschreiber selbst, und ihr wird nur Ein Vers, der 22ste, eingeräumt. Dann ist der Apostel mit Bitten fertig, und er endet den Brief mit drei Grußversen; V. 23 enthält den Gruß seines Mitgefangenen Epaphras, V. 24 die Grüße seiner Gehilfen Markus, Aristarchus, Demas, Lukas, V. 25 seinen eigenen Gruß. Beides, die Bitte wie die Grüße, so unbedeutend sie der oberflächlichen Betrachtung erscheinen möchten, geben dem, der sich andächtig und liebend in sie versenkt, nicht nur die notwendige Abrundung der erbaulichen Betrachtung dieser kleinen und doch so großen Epistel, sondern auch eine reiche Fülle selbstständiger erwecklicher Gedankenreihen.
V. 22. Daneben bereite mir die Herberge, denn ich hoffe, dass ich durch euer Gebet euch geschenkt werde. Daneben heißt wörtlich zugleich. Zugleich mit dem großen Anliegen für einen Andern verbindet Paulus ein kleines Anliegen für sich selbst; er berührt es nachträglich nur mit ein paar Worten, denn er ist viel mehr auf den Nutzen seiner Freunde, als auf seinen eigenen bedacht. Ja es handelt im Grunde auch diese Bitte, in der der Apostel auf sich selbst zu sprechen kommt, viel weniger von seinem eigenen Nutzen, als vielmehr von dem Nutzen, den Philemon und seine Hausgemeinde in Kolossä durch sein persönliches Dahinkommen haben würden. Bereite mir die Herberge! Das ist die Nebenbitte Pauli. Wir können uns den Eindruck, den diese Bitte auf ihren ersten Leser, auf Philemon, gemacht hat, nur als einen sehr überraschenden und freudigen vorstellen. Der in Rom gebundene Apostel bittet sich Herberge in Kolossä aus; so ist denn also sein Gefängnis in Rom kein Gefängnis zum Tode, so werden also diese Bande sich lösen und Philemon wird dem geliebten Herolde des Evangeliums noch einmal in sein liebes Angesicht sehen und an seinen Lippen hängen dürfen, wenn sie überfließen von dem Ruhme des gekreuzigten und auferstandenen Christus. Das hatte Philemon sicherlich nicht mehr erwartet, das musste ihn aufs Höchste überraschen. Nicht nur der verloren geglaubte Onesimus, nein auch der schon halb als ein Toter, vielmehr als ein schon der triumphierenden Kirche Zugehöriger angesehene Paulus kommt wieder; Onesimus soll nur sein Vorläufer und Wegbereiter sein, dann naht der Apostel sich in eigener Person: o wahrlich, nicht nur Hiobsposten können im Christenleben eine auf die andre folgen, sondern auch Freudenbotschaften. Wir denken uns, Philemon hat den Brief bis V. 21 zunächst nur einmal gelesen und ist dann mit sich schon vollkommen im Reinen gewesen hinsichtlich dessen, was er an Onesimus zu tun hatte, aber die Zeile dieses Verses: „Bereite mir die Herberge!“ hat er wieder und wieder gelesen; denn sie ist für sein liebendes Herz sicherlich die köstlichste Mitteilung des ganzen Briefes gewesen. Ähnlich geht es ja jedem Christen mit dem ganzen Bibelbriefe. Alles, was in der Bibel steht, ist köstlich und herzerhebend, aber am köstlichsten und erhabensten für Gläubige sind doch solche Bibelzeilen, in denen nicht einer der Knechte, sondern der Herr selber schreibt: „Siehe ich komme bald! - Über ein Kleines, so werdet ihr mich sehen.“ Allerdings ist diese Mitteilung Pauli über sein Kommen für Philemon auch noch ein besonders kräftiges Reizungsmittel gewesen zur unbedingten Gewährung der paulinischen Hauptbitte um christliche Aufnahme des Onesimus; denn wenn Paulus selbst nach Kolossä kam, hätte er sich ja entsetzlich getäuscht und betrübt fühlen müssen, sobald er inne geworden wäre, dass Philemon seinen heimgekehrten Sklaven nicht zu Gnaden angenommen habe. Große Dinge hat übrigens der Apostel mit seiner Bitte: Bereite mir Herberge“ keineswegs verlangt. Er, der in der Schule Christi gelernt hatte, bei welchem er war, sich genügen zu lassen, der es verstand, satt zu sein und zu hungern, übrig zu haben und Mangel zu leiden (Philipper 4, 11. 12.), er beanspruchte wahrhaftig nicht große Zurüstungen zu herrlichem äußeren Empfang von Seiten seiner Freunde; „der Sinn Pauli, sagt ein alter evangelischer Schriftgelehrter, war hierin von dem Sinn vieler nachfolgenden Bischöfe weit unterschieden.“ Paulo genügte ein Prophetenstübchen, wie Elisa es hatte, von dem die reiche Sunamitin 2 Könige 4, 9. 10. zu ihrem Manne sagte: „Siehe, ich merke, dass dieser Mann heilig ist, der immerdar hier durchgehet. Lass uns ihm eine kleine bretterne Kammer oben machen und ein Bette, Tisch, Stuhl und Leuchter hineinsetzen, auf dass er, wenn er zu uns kommt, dahin sich tue.“ Anspruchslosigkeit ist auch eine von den schönen Blumen im Lebenskranze wahrhaft gläubiger Menschen. Es ist ja klar, je mehr ein Mensch noch von sich selber hält, desto anspruchsvoller ist er auch; mir geht nichts über mich“, so denkt das ungläubige Herz, und aus diesem Gedanken fließt ein Strom von Prätensionen; der Glaube aber macht klein, und je kleiner ein Mensch in seinen eigenen Augen wird, desto weniger fordert er von Andern für sich. Die Ewigkeit wird es offen legen, wie mancher Weltmensch gerade durch die Anspruchslosigkeit geheiligter Gottesmenschen für das Himmelreich gewonnen ist; für Weltmenschen, die sich nur noch ein wenig ernstes Nachdenken bewahrt haben, liegt der Schluss so nahe: Das christliche Bekenntnis, da es seine geistigen Größen so demütig macht, muss doch trefflich sein. Der demütige Paulus hat bei seinem Wunsche nach einer Herberge in Kolossä sicherlich nichts Anderes im Sinne gehabt, als dort in Philemons Hause oder anderswo einkehren zu können und Gelegenheit zu erhalten, das süße Evangelium recht Vielen zu verkündigen. Das Bereiten dieser Herberge, um das er bittet, ist weniger etwas für tätige, als für gefaltete Hände: fleißiges Gebet um seine baldige und gesegnete Ankunft. „Denn ich hoffe, so schreibt er, dass ich durch euer Gebet euch geschenkt werde.“ Er hatte nicht ein offenbarungsmäßiges Wissen von seiner Erlösung aus den römischen Banden; er hatte nur den apostolischen Wunsch, um der Gemeinden willen noch am Leben zu bleiben, die menschliche Überzeugung von der Notwendigkeit einer längeren Fortdauer seines Lebens für die Ausbreitung und Befestigung des Reiches Gottes und vor Allem die christliche Hoffnung, dass es dem Gebet der Christenheit gelingen werde, sein in Rom bedrohtes Leben zu erhalten. „Durch euer Gebet“ hoffe ich euch geschenkt zu werden. Welch' eine Macht traut der Apostel dem Gebete der Gläubigen zu! Eine Macht, von der Graf Zinzendorf singt:
Der Glaube dringt durch Stahl und Stein und kann die Allmacht fassen,
der Glaube wirkt all's allein, wenn wir ihn wirken lassen;
wenn Einer nichts als glauben kann, so kann er Alles machen;
der Erde Kräfte sieht er an, als ganz geringe Sachen.
Nach paulinischer, nach biblischer Lehre sind die Gebete, die im Namen Jesu gebetet werden, nicht bloße menschliche Zustimmungen zu den einmal für immer abgeschlossenen göttlichen Vorherbestimmungen, sondern sie haben ureigene Kraft, greifen bestimmend in das Gebiet der göttlichen Machtübungen ein, sind Faktoren, die der große Gott in seine Rechnung aufnimmt. Denn Gott hat seine unermessliche Macht in den Dienst seiner grundlosen Liebe gestellt, und neigt aus Liebe zum Sohne, in dessen Namen die Gläubigen vor Ihn treten, seinen Herrscherstab vor dem Flehen seiner durch Jesu Blut ihm angenehm gemachten Kinder. Der Christ, so hat Einer sehr kühn, aber doch sehr wahr gesagt, ist eine Großmacht im Himmel, und im Namen seines Königs Christus müssen sich ihm alle Türen auftun im Himmel und auf Erden. Dort in Jerusalem (Apostelgesch. 12, 5.) wurde Petrus zwar im Gefängnis gehalten, aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu Gott, und ihr Gebet zog einen Engel Gottes vom Himmel herab, der die Kerkertüren sprengte und den Apostel befreite. Wie dort Petrus der Gemeinde auf ihr Gebet geschenkt wurde, so hofft hier Paulus der Gemeinde zu Kolossä und den andern auf ihr Gebet geschenkt zu werden. Es lässt sich nicht leugnen, dass Paulus mit den Worten: Ich hoffe, dass ich euch geschenkt werde aus dem Bewusstsein seines hohen apostolischen Ranges heraus spricht; er weiß, dass, wenn sein Leben gespart wird, der Herr dasselbe aus Güte für die christlichen Gemeinden spart, ihnen zum Trost, zur Erquickung, zur Förderung im Glauben. Es gibt eine freudenreiche Erkenntnis der Pfunde, die uns Gott gegeben, die mit tiefer christlicher Demut freundlich zusammenstimmt. Wenn Einer demütig war, war's unser Herr, und doch schloss seine Demut nicht Bekenntnisse aus, wie das: Ich und der Vater sind eins; wer mich sieht, der sieht den Vater; mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Paulus ist allewege in den Fußtapfen des demütigen Meisters gegangen, aber er konnte eben darum auch allezeit freudig bekennen, was er durch Gottes Gnade für Andre war. Ein göttliches Gnadengeschenk war das Leben des teuren Apostels für die Christenheit; selbst wir Spätgeborenen können ja auch heute noch Gotte nie genug dafür danken, dass er seiner Kirche ein solches auserwähltes Rüstzeug, wie Paulus war, geschenkt hat, der, ob er wohl längst gestorben ist, doch in seinen heiligen Episteln noch heute lebt und predigt und Gottes Reich ausbreitet. Aber auch andre rechtschaffene Lehrer der Wahrheit sind, wenn auch in geringerem Maße, Gnadengaben Gottes. Um diese Gnadengaben gilt es in unserer Zeit mit heiliger Inbrunst zu beten:
„Du hast uns Hirten ja versprochen, die Du nach Deinem Herzen geben willt.
Nun wird Dein Wort niemals gebrochen, ein jedes Wort wird Punkt für Punkt erfüllt;
drum halt' ich dieses klare Wort Dir vor; ach, denke dran und neig' uns Herz und Ohr.“
Wo aber auf den Mauern Zions heutzutage durch Gottes Gnade treue Wächter stehen, die das Wort Gottes lauter und rein verkündigen, da sollen die Gemeinden dem treuen Herrn Lob sagen; denn es ist ein köstlich Ding um Evangelisten des Friedens in unsrer unruhigen, friedelosen Zeit: wie liebliche Oasen in einer trostlosen Wüste, so sind gläubige Gemeinden, von gläubigen Hirten geweidet, unter dem unschlachtigen Geschlechte dieser Welt. Wir können bei Erwägung dieses Verses auch noch ein Andres lernen. Paulus, der große Apostel, bittet um die Fürbitte der armen Heiligen von Kolossä. merken also, Niemand steht so hoch, dass er der Fürbitte entbehren könnte; ja gerade je höher Jemand steht, desto mehr ist er auf die Fürbitten der Geringen angewiesen. Es geht in den Kämpfen des Reiches Gottes gerade so zu, wie in dem Kampf der Syrer gegen Israel, davon 1. Könige 22. zu lesen ist. Da gebot der König zu Syrien seinen zweiunddreißig Obersten: Ihr sollt nicht streiten wider Kleine noch Große, sondern wider den König Israels allein. Die da sind wie Fürsten und Gewaltige im Reiche Gottes, sie sind den feurigen Pfeilen des Satans am heftigsten ausgesetzt; darum brauchen sie desto mehr, dass Andere ihnen kämpfen helfen mit Beten für sie zu Gott. Daher bittet denn auch Paulus alle Gemeinden und Freunde, an die er schreibt, regelmäßig um ihre Fürbitte und setzt auf den Erfolg derselben allezeit starke Hoffnungen des Glaubens, in unserm Briefe hier die Hoffnung, aus den römischen Banden befreit zu werden und selbst nach Kolossä kommen zu können. Dass diese Hoffnung ihn nicht getäuscht hat, dass der Apostel aus seiner ersten römischen Gefangenschaft losgebetet ist und in der Tat die Kolosser noch einmal besucht hat, ist zwar nirgends im neuen Testament direkt ausgesprochen, aber indirekt so gut als erwiesen und durch die Nachrichten der ältesten Kirchengeschichte bestätigt.
V. 23. Es grüßt dich Epaphras, mein Mitgefangener in Christo Jesu. Es folgen denn nun die Grüße von fünf christlichen Brüdern, die damals bei dem Apostel in Rom waren, von Paulus sicherlich zu keinem andern Zwecke hingeschrieben, als zu dem, Philemon der fortdauernden Liebe der Brüder zu versichern, vom Heiligen Geiste aber durch Pauli Hand doch auch dazu mitgeteilt, um der Bitte für Onesimus noch einen allerletzten Nachdruck zu geben. In einem Bittbriefe sind die Mitgrüßenden ganz von selber auch Mitbittende; die grüßende Liebe der fünf Männer in Christo ist ein neuer Reiz, den Philemon zur Aufnahme des Onesimus zu bewegen. An erster Stelle nun unter den Grüßenden wird Epaphras genannt, wohl darum, weil er selbst gefangen und also gewürdigt war, an den Banden des Apostels Teil zu nehmen - „mein Mitgefangener in Christo Jesu.“ Man darf Epaphras durchaus nicht verwechseln mit einem Manne ähnlichen Namens: Epaphroditus. Dieser letztere war Vorsteher der Gemeinde zu Philippi und kam allerdings auch nach Rom, um dem Apostel in seiner Gefangenschaft zu dienen (Philipp. 4, 18.); er wurde in Rom sterbenskrank und nach seiner Genesung von Paulus nach Philippi zurückgesendet (Philipp. 2, 25-30). Epaphras dagegen war der Gemeinde zu Kolossä angehörig, vielleicht der Gründer der kolossischen Gemeinde, jedenfalls ihr Leiter und Hirte und wohl auch noch der Gemeinden von Laodicea und Hierapolis (Koloss. 4, 12. 13.). Paulus nennt ihn Koloss. 1, 7. seinen lieben Mitdiener, welcher sei ein treuer Diener Christi für die Kolosser, der ihm ihre Liebe im Geist geöffnet habe; er schildert ihn Koloss. 4, 12. als einen brünstigen Beter, der das Wohl und Wehe seiner Gemeinden allezeit auf priesterlichem Herzen trage. Dass Epaphras in seinem Hirtenamt in Kolossä nicht allein stand, haben wir bei Erwägung des zweiten Verses erkannt: auch Archippus wirkte in Kolossä als Prediger des Evangeliums. Die Liebe zu Paulus und das Bedürfnis, sich bei dem Apostel Rats zu holen in Betreff kirchlicher Angelegenheiten, führten Epaphras nach Rom; sicherlich hat er hier das Predigen und Zeugen auch nicht lassen können und ist so durch seinen Eifer für Christum in die Gefangenschaft geraten. Sein Gruß musste für Philemon ganz besonders teuer sein, als der Gruß seines lieben, nun um Christi willen gefangenen Predigers. Wenn die alten kirchlichen Überlieferungen Recht haben, so ist Epaphras, ebenso wie Paulus, aus seinen römischen Banden wieder befreit worden, nach Kolossä in sein Hirtenamt zurückgekehrt und später in Kolossä den Märtyrertod gestorben. Es lässt sich wohl annehmen, dass Paulus die Angelegenheit des Kolossers Onesimus gerade mit Epaphras, dem Vorsteher der kolossischen Christengemeinde, mehrfach besprochen hatte, und dass Epaphras dann, als der Apostel ihm seine Absicht kund gab, diesen Brief zu schreiben, ihn ganz besonders gebeten hatte: Grüße den teuren Philemon auch von mir! Paulus hat den Gruß gerne bestellt, er hat ein gutes Gedächtnis für seine Freunde und deren Aufträge. Christen sollen auch in diesem Stück von Paulus lernen und in der Bestellung ihnen aufgetragener Grüße nicht saumselig sein. Paulus bestellt aber nicht nur den Gruß des Epaphras, sondern auch noch die Grüße vier andrer Brüder:
V. 24. Markus, Aristarchus, Demas, Lukas, meine Gehilfen. Markus war weiland dem Apostel unnütz gewesen, wie Onesimus dem Philemon, denn er hatte ihn verlassen, hatte sich aber später mit Paulus wieder vollständig ausgesöhnt, wie wir das bei Gelegenheit von V. 15 notiert haben. Der Gruß des Markus war eine unwillkürliche Ansprache an Philemon: Lieber Philemon, mache es mit Onesimus so, wie es Paulus mit mir gemacht hat, nimm ihn, den Entlaufenen, da er nun reuig zurückkehrt, wieder zu Gnaden an. Markus war nach Koloss. 4, 10. ein Geschwisterkind, rechter Vetter des Barnabas („Neffe“ hat Luther übersetzt); er war der Sohn der jerusalemitischen Maria und hieß eigentlich Johannes (Apostelgsch. 12, 12.). Er begleitete, als Paulus ihn bei seiner zweiten Missionsreise nicht wieder mitnehmen wollte, seinen Vetter Barnabas nach Cypern (Apostelgsch. 15, 37-39), war dann ein Gehilfe des Apostels Petrus (1. Petri 5, 13.) und kam dann von Petrus zu Paulus. Die Kirchenväter erzählen, dass er später in Ägypten ein gesegnetes Arbeitsfeld gefunden habe und bei einem Götzenfest in Alexandrien den Märtyrertod gestorben sei. Der Markusdom in Venedig erhebt fälschlich den Anspruch, sein Grab zu sein; wo seine Gebeine ruhen, wissen wir nicht, sollen uns auch keine Sorge drüber machen. Wohl aber wissen wir, dass Markus den Herrn Jesum verherrlicht hat durch sein köstliches Evangelium; in demselben redet er noch heute zu uns als ein geweihter Prediger der Gerechtigkeit; das zweite Evangelium ist der Gruß des Markus an die Christenheit aller Zeiten und Zungen. - Aristarchus ist der dritte unter den grüßenden Brüdern. Er war aus Thessalonich in Makedonien gebürtig (Apostelgsch. 20, 4.), vielfach ein Reisegefährte des Apostels, zu Ephesus einmal um Pauli willen in Lebensgefahr (Apostelgsch. 19, 29.), nach Rom mit dem Apostel zugleich gekommen, dessen Schiffbruch bei Malta er geteilt hatte. Er scheint in Rom auch des Apostels Gefangenschaft im allerstrengsten Sinne geteilt zu haben, denn Koloss. 4, 10. nennt ihn Paulus seinen „Mitgefangenen“; da er an unsrer Stelle nicht so, sondern einfach „Gehilfe“ heißt, so ist anzunehmen, dass die Bande, die er anfänglich in Rom getragen, ihm später abgenommen sind. Wie es scheint haben Epaphras und Aristarchus in der buchstäblichen Teilnahme an den Banden Pauli gewechselt; Epaphras war zuerst frei in Rom und wurde später gebunden, Aristarchus war Anfangs gebunden und wurde später frei. So wechseln die Geschicke der Heiligen Gottes; mit den Banden, die dem einen abgenommen werden, wird der andre gebunden; es gilt im Wechsel der Geschicke festen Glauben zu bewahren an den, der derselbe bleibt gestern und heute und in Ewigkeit. - Demas trägt denjenigen Namen, der unter allen Namen, die die Epistel an Philemon nennt, die wehmütigsten Erinnerungen wach ruft. Dass er sich nicht schämt, dem gefangenen Apostel in Rom als Gehilfe zur Seite zu stehen, ist ihm ja eine Ehre und uns eine Freude. Aber dass Paulus 2. Tim. 4, 10., in dem letzten Briefe, den wir von ihm haben, schreiben muss: „Demas hat mich verlassen und diese Welt lieb gewonnen und ist gen Thessalonich gezogen“, das hat seinem Namen einen ewigen Schandflecken aufgedrückt. Die für Demas günstigste Erklärung der Stelle in 2. Tim. 4 ist die, dass er sich aus Furcht vor Todesgefahr schließlich vom Apostel getrennt habe, doch damit nicht vom Christentum überhaupt. Indessen ist die alte Sage, nach der Demas in Thessalonich ein Götzenpriester geworden sein soll, doch nicht so ganz und gar als der Berücksichtigung unwürdig abzuweisen. Jedenfalls aber ist die Persönlichkeit dieses Mannes, ob sie uns nun leiser oder lauter an die des Judas Ischarioth erinnere, ein warnendes Beispiel, das da predigt: Wer sich dünken lässt, er stehe; mag wohl zusehen, dass er nicht falle! - Lukas endlich wird Koloss. 4, 14. von Paulus als „der Arzt, der Geliebte“ bezeichnet. Es ist der Evangelist, der uns in seinem Evangelium des Menschen Sohn mit so seelenvollen Farben gezeichnet hat, dass die Sage entstand, er sei ein Maler gewesen; es ist der Verfasser der Apostelgeschichte, in welcher er sich selbst als einen Reisegefährten Pauli von Cäsarea bis Rom zu erkennen gibt. Über seine früheren und späteren Lebensumstände schweigt die Heilige Schrift; die Überlieferung weist auf Antiochien als seine Vaterstadt und lässt ihn als 80-jährigen Märtyrer in Griechenland seih irdisches Leben enden. Die Schrift sagt nur, dass er ein Arzt war, der Paulo half und den Paulus herzlich liebte, und ein gottseliger Schriftausleger bemerkt zu dieser biblischen Mitteilung: Wollte Gott, alle Ärzte wären Christen! Im neuen Testamente wird sonst der Ärzte nicht gerade rühmlich Erwähnung getan; Lukas selbst in seinem Evangelium 8, 43. erzählt von dem blutflüssigen Weibe, dass sie alle ihre Nahrung an die Ärzte gewendet habe und doch von Niemand geheilt werden konnte; die Ärzte hatten also das blutflüssige Weib zur Bettlerin kuriert. In Lukas selbst aber ist der ärztliche Stand mit christlicher Weihe umgeben; er hat seine Kranken wahrlich nicht nur äußerlich kuriert, sondern er hat auch mit ihnen gebetet. Das Schönste, was über einen guten und gottseligen Arzt gesagt werden kann, hat wohl Jesus Sirach gesagt, der das 38. Kapitel seines Buches mit den Worten beginnt: „Ehre den Arzt mit gebührlicher Verehrung, dass du ihn habest zur Not; denn der Herr hat ihn geschaffen, und die Arznei kommt von dem Höchsten, und Könige ehren ihn.“ Meine Gehilfen, mit diesem Ehrentitel bezeichnet Paulus zum Schluss die mit ihm grüßenden Männer. Das Wort des Urtextes meint Mitarbeiter. Es waren eben alle die Genannten Gehilfen des Apostels in der Arbeit für die Ausbreitung des Reiches Gottes. Es ist nur Einer, der Alles allein machen kann, Jesus Christus; Menschen sind auf Hülfe angewiesen, Prediger des Evangeliums noch mehr als andre Menschen. Denn das Predigtamt ist nicht nur ein köstliches Ding, sondern auch ein ernster, mühevoller Dienst; wer das nicht fühlt, treibt wahrhaftig sein Predigtamt nicht recht. Wohl allen Dienern am Wort, die sich in ihrem Werke gottseliger Gehilfen erfreuen. Wo aber ein Prediger einsamer ist, als Paulus in Rom, wo er menschlicher Gehilfen entbehren muss, da soll er mit David beten Psalm 30, 11. „Herr, sei Du mein Helfer!“ und sich des Wortes des Herrn Zebaoth an Jeremias getrösten (Jeremias 15, 19.): „Wo du Dich zu mir hältst, so will ich mich zu dir halten, und sollst mein Prediger bleiben. Und wo du die Frommen lehrst sich sondern von den bösen Leuten, so sollst du mein Lehrer sein. Und ehe du solltest zu ihnen fallen, so müssen sie eher zu dir fallen!“ Der Herr ist so huldvoll, Menschenkinder zu seinen Gehilfen in der geistlichen Weinbergsarbeit anzunehmen; Er schämet sich auch nicht, seiner menschlichen Gehilfen göttlicher Helfer zu sein.
V. 25. Die Gnade unsers Herrn Jesu Christi sei mit eurem Geist. Amen. Das ist nun der Gruß des Apostels selbst, mit dem er die Epistel schließt. Während die Gehilfen Philemon allein grüßen lassen, grüßt Paulus in weitherzigerer Liebe Philemon und die Lieben in seinem Hause gemeinsam, indem er ihnen Allen Christi Gnade für ihren Geist wünscht: so kehrt die Epistel am Schluss wie ein Kreis in ihren Anfang zurück; mit dem Gnadengruße an Philemon und seine Hausgemeinde hatte Paulus begonnen, mit eben demselben schließt er auch. Christi Gnade war Pauli Lebenselement, der Ausgangspunkt und der Endpunkt seines Lebens und Webens, seines Schreibens und Treibens. Indem Paulus schließt: „Die Gnade Christi sei mit euch“ ist das so viel, als ob er schriebe: „Weiter habe ich dir nun nichts zu sagen, als dass ich von ganzem Herzen wünsche und bitte, dass unser Herr Christus dich und die Deinigen fort und fort mit seiner Gnade umfangen wolle.“ Mit eurem Geiste steht hier und Galat. 6, 18., wo der letzte Gruß buchstäblich ebenso lautet, für das Einfachere und Gewöhnlichere „mit euch.“ Es gilt die Gnade Gottes ja allerdings dem ganzen Menschen, doch hebt sie in ihrem Wirken an unserm Geiste an und wirkt dann von ihm aus weiter auch über das leibliche Leben. Die Gnade ist wie V. 3. die göttliche Liebe, die sich in die Tiefen unsers Jammers herablässt; im 3. Verse wurde sie mehr dem Vater, hier wird sie dem Sohne zugeschrieben: die Gnade des Sohnes ist eben auch die Gnade des Vaters und also der Sohn gleichen Wesens mit dem Vater, Gott, hochgelobet über Alles in Ewigkeit. Amen, so heißt das allerletzte Wort der Epistel; mit demselben versiegelt Paulus seinen Gnadenwunsch, seine Bitte um Aufnahme des Onesimus, seinen ganzen Brief. Das Wörtlein Amen bedeutet: „Das ist gewisslich wahr! Ja, ja, es soll also geschehen!“ Für Paulus war dies Wort nichts weniger als eine leere Formel, sondern ein herzliches, feierliches Bekenntnis, wie er sich 1. Korinth. 14, 16. selber darüber ausspricht. Das Wort stammt aus dem Hebräischen, ist dann ins Griechische und in alle andern christlichen Sprachen übergegangen und gehört wie Hosianna und Halleluja zu denjenigen Worten der Sprache Canaans, an deren Klange sich alle Christen aller Zeiten und aller Lande gegenseitig erkennen. Selig, wer sich das apostolische Amen im Glauben zueignen und sprechen kann: Die Gnade meines Herrn Jesu Christi ist mit meinem Geiste. Amen.
Wir sind am Ende mit unserer Betrachtung der Epistel Pauli an Philemon. Wir nehmen Abschied von dem Apostel und von all' den teuren Menschen Gottes, deren Namen uns in dieser Epistel begegneten und mit denen wir unter dem Lesen und Bedenken der Epistel in lebendigen Verkehr traten. Gebe Gott, dass die ihnen allen gemeinsame Liebe, die große Liebe im kleinen Leben, in unser Herz und Leben überfließe, so werden wir von der kleinen Epistel großen, bleibenden, ewigen Segen haben. Das Bitten in der Liebe, das Grüßen in der Liebe, das Danken in der Liebe, das Hoffen in der Liebe, das Leben in der Liebe des Glaubens spiegelt sich in der Epistel an Philemon, wie die goldene Sonne in einem kleinen, klaren Wasserbach. Wir stehen vor diesem edlen Bilde der apostolischen Zeit beschämt und nachdenklich und falten unsre Hände und beten: Ach zünde, o Jesu, die Herzen und Seelen mit Deinen Liebesflammen an; hilf, dass wir, o Liebe, zu lieben erwählen Dich, der so viel an uns getan, und dann auch mit treuem und tätigem Willen die Liebe an Freunden und Feinden erfüllen! Amen.