Hofacker, Ludwig - Predigt am sechsten Sonntage in der Fasten, Palmarum

Hofacker, Ludwig - Predigt am sechsten Sonntage in der Fasten, Palmarum

- Wie bange es dem lieben Heiland auf Seinen schweren Leidens- und Todesgang gewesen, und warum es Ihm so bange gewesen sey;

Text: Leidensgeschichte.

Sechs Tage vor Ostern – siehe, der mich verräth, ist nahe. Er ist da.

Der vorgelesene Abschnitt der Leidensgeschichte reicht bis an die Gefangennehmung Christi im Garten Gethsemane, und enthält alles das, was der Heiland als Vorbereitung auf Seine Uebergabe in die Hände der Sünder gethan, geredet und gelitten hat. Es wird uns hier erzählt die Salbung Christi im Hause Simonis, des Aussätzigen, in Bethanien durch Maria, die Schwester Lazari; sodann wie ER am Mittwoch Abend Seinen Jüngern die Füße gewaschen hat, wobey Er ihnen Seinen Verräther ankündigte; hierauf, wie Er am Donnerstag Abend das Osterlamm mit ihnen aß, das heilige Abendmahl einsetzte, und noch Manches über Seinen Hingang zum Vater und über den Nutzen dieses Hingangs mit ihnen redete, und sie tröstete, und wie Er endlich über den Bach Kidron an den Oelberg gieng, und nach einem übermenschlichen innerlichen Kampfe der Schaar, die Ihn gefangen nehmen wollte, getrost entgegengieng. Es ist natürlich, daß ich nicht alle diese Erzählungen insbesondere abhandeln kann, weil dieß uns viel zu lang aufhalten würde. Ich will darum nur etwas herausnehmen, um darüber zu reden. Und da ist mir für dießmal besonders wichtig geworden die gepreßte Herzensstellung des HErrn JEsu, die man unter allen diesen Geschichten an ihm bemerken kann. ich werde deßwegen reden:

wie bange es dem lieben Heiland auf Seinen schweren Leidens- und Todesgang gewesen, und warum es Ihm so bange gewesen sey;

was wir daraus lernen können.

Wie viel hast Du erduldet,
Erhab’ner Menschensohn,
Als Du, der nichts verschuldet,
Empfiengst der Sünder Lohn!
Da traf Dich Schmerz auf Schmerzen,
Da folgte Schmach auf Schmach,
Da lag auf Deinem Herzen
Angst, die das Herz Dir brach.

Auch die große Herzensnoth, in der wir Dich vor Deiner Uebergabe in die Hände der Menschen erblicken, großer Heiland, kommt uns Sündern ewiglich zu gut! denn auch hier bist du an unserer Statt gestanden. Dieß lehre uns bedenken und glauben. Reiße uns aus unserer schnöden Gleichgültigkeit gegen Deine Liebe. Zerbrich und zerstöre die Aergernisse, die unsere stolzen Herzen an Dir nehmen. O! wie hast Du uns geliebet! Gib uns die Gnade, daß wir in herzlicher Gegenliebe gegen Dich zerschmelzen, und segne dazu heute Dein Wort an uns. Amen!

I.

Dem Heiland ist es auf Sein Leiden und Sterben sehr bange gewesen. Allerdings hat es schon viele Menschen gegeben, die mit der größten Unerschrockenheit, ja leichtsinnig ihrem Todesleiden entgegengegangen sind. Als der gefangene König der Amalekiter, Agag, zu Samuel geführt wurde, der beschlossen hatte, ihn zu tödten, da bezeugte er sich gar getrost und sprach: „also muß man des Todes Bitterkeit vertreiben.“ So sind schon viele Menschen gestorben. Wie mancher Soldat ist schon in seinen gewissen Tod hineingestürzt, ohne daß ein Zeichen von Furcht bey ihm bemerkbar gewesen wäre. Als vor dreißig Jahren in Frankreich Unzählige wegen politischer Meinungen hingerichtet wurden, da sind Manche im größten Leichtsinn, ja scherzend auf das Blutgerüste hinaufgestiegen, und haben ihr Leben hingegeben, wie wenn nichts, gar nichts daran gelegen wäre. Solche Leute nennt der tolle Weltgeist Helden. Je weniger ein Mensch vor dem Tode erschrickt, je mehr er, wie sie es nennen, den Tod verachtet, je mehr er also das menschliche Gefühl ausgezogen hat, für einen desto größeren Helden hält ihn die Welt. Aber ein solcher Held war unser Heiland nicht. So leicht konnte Er nicht über den Gedanken an Sein bevorstehendes Leiden und Sterben hinauskommen.

Schon geraume Zeit vor Seinem Tode sprach Er einmal zu Seinen Jüngern: „Ich bin gekommen, daß ich ein Feuer anzünde auf Erden, und was wollte ich lieber, denn es brennete schon! Aber ich muß mich zuvor taufen lassen mit einer Taufe, und wie ist mir so bange, bis sie vollendet ist.“ Das heißt mit andern Worten: Ich bin deßwegen in die Welt gekommen, daß ich das Feuer des Heiligen Geistes wieder unter die Menschheit bringe. Aber ich wünschte sehr, daß dieses Feuer schon brennete. Denn ehe dieses Feuer sich entzünden und brennen kann, muß ich zuvor durch eine entsetzliche Leidenstaufe hindurchgehen, und den Leidenskelch bis auf die Hefe austrinken: und darauf ist mir schrecklich bange. – O liebe Zuhörer! wie muß es unserem theuren Heiland um’s Herz gewesen seyn, als Er sprach: „wie ist mir so bange, bis meine Leidenstaufe vollendet ist.“ Wie läßt uns dieses Wort einen Blick thun in die inneren Leiden, unter welchen Er in Seinem Laufe dahingieng, die Niemand sahe und kannte als der Vater. Wenn es uns auch schon gewesen ist, so können wir es einigermaßen ahnen, wie es Ihm gewesen seyn muß; aber was Sein reines, unsündliches, was Sein einfältiges Herz, in das nie eine lügenhafte oder heuchlerische Empfindung eingedrungen war, was Sein Herz, so klar wie die Sonne, voll Gottes- und Menschen-Liebe, empfunden habe, als Er sprach: „wie ist mir so bange“, dieß kann kein Mensch fassen, dieß wird erst das Licht der Ewigkeit uns heller und deutlicher machen.

Diese Bangigkeit nahm zu, je näher der Heiland Seinem Leiden und Tode kam. Als Er Sich Seiner Schlachtbank näherte, als Er das letzte Mal in Jerusalem einzog, wo Er nach einigen Tagen Seinen schweren Leidens- und Todes-Gang antreten sollte, da erreichte seine Bangigkeit einen sehr hohen Grad. Der Evangelist Johannes berichtet uns, daß der Heiland, während Er gegen Jerusalem hinritt, in die Worte ausgebrochen sey; „jetzt ist meine Seele betrübt!“ – Eine Seele wird dann betrübt, wenn ihr etwas begegnet, das mit ihrer Hauptneigung im Widerspruch ist. Wenn ein Geiziger einen zeitlichen Schaden erleidet, so wird er betrübt. Die Hauptneigung des Heilandes gieng auf Verherrlichung des Vaters. Nun machte die Bangigkeit vor Seinem Leiden und Sterben den Wunsch rege in dem Herzen des Heilandes, dieses Kelchs überhoben zu seyn. Dieß konnte aber nicht geschehen, wenn des Vaters Wille sollte vollbracht, wenn der Vater sollte verherrlicht werden. Das machte Seine heilige Seele betrübt, weil ein Wunsch in Ihm aufkam und mächtig werden wollte, der gegen die Hauptneigung Seines Herzens stritt. Es war eine Anfechtung. Dieß drückt der Heiland selber aus. „Jetzt ist meine Seele betrübt“, und was soll ich sagen? welchen von beiden Gedanken und Wünschen, die in ihr mit einander streiten, soll ich zuerst aussprechen? „Vater, hilf mir aus dieser Stunde!“ Dieß war einer dieser Wünsche, und: „Vater verherrliche deinen Namen!“ dieß war der andere. O liebe Zuhörer! wie groß muß die Bangigkeit in dem Herzen des Heilandes gewesen seyn, daß sie einen Wunsch in Ihm erregen und mächtig machen konnte, der mit der Ehre des Vaters, mit dem Gehorsam gegen den Vater stritt! Was des Vaters Wille gewesen war, das war doch jederzeit auch des Heilandes Wille gewesen. „Ich kann nichts von mir selbst thun“ – hatte Er gesagt – „sondern was ich sehe den Vater thun, da thue alsobald auch ich“ – und: „meine Speise ist die, daß ich thue der Willen Deß, der mich gesandt hat.“ Sein ganzes Herz meinte allezeit nur den Vater. Wie groß muß das Grauen vor dem Leiden und Tode in Ihm gewesen seyn, daß es Ihm Seine klare Seele trüben, und Ihn etwas wünschen lassen konnte, was nicht nach dem Willen des Vaters war.

Wie bange es dem lieben Heiland auf den Kelch gewesen sey, den Er trinken sollte, können wir auch aus dem sehen, was nachher mit Ihm vorgieng. Als Er Seinen Jüngern die Füße wusch, als Er ihnen Seinen Verräther ankündigte, als Er das Osterlamm mit ihnen aß, und das heilige Abendmahl einsetzte, als Er Seinen Jüngern das Reich Gottes verhieß, weil sie bey Ihm beharret haben in Seinen Anfechtungen – allenthalben spürt man es Ihm an und hört es Seinen Worten an, daß Sein Herz sehr beklemmt und gepreßt war. Nur in Seinem letzten hohenpriesterlichen Gebet kann man nichts von dieser Beklemmung merken, hier war Seine Seele ungetrübt und klar, als ER diese hohen Worte zu dem Vater sprach. Aber wie gieng es bald darauf, als Er über den Bach Kidron an den Oelberg nach Gethsemane kam, und wußte, daß nun die Stunde Seiner Gefangennehmung hereinbreche. „Und Er nahm zu sich“ – lesen wir in der Leidensgeschichte – „Petrum und Jacobum und Johannem, und fieng an zu trauern, zu zittern und zu zagen, und sprach zu ihnen: meine Seele ist betrübt bis an den Tod.“ O mein Heiland! was hast Du da empfunden, als Du zittern und zagen, und bis an den Tod betrübt werden mußtest, weil das Grauen des Todes so sehr auf Dich hereindrang, daß es Dir allen Gehorsam, alle Ergebung in den Willen des Vaters aus dem Herzen hinaustreiben wollte! Wer ist im Stande, sich in den entsetzlichen Kampf, der hier in der heiligen Seele des HErrn anhub, auch nur ein wenig hineinzudenken! „Meine Seele ist betrübt bis an den Tod.“ „Und Er gieng hin ein wenig, und riß sich von ihnen bei einem Steinwurf, und knieete nieder, und fiel auf Sein Angesicht auf die Erde, und betete, daß, so es möglich wäre, dieser Kelch vorübergienge; und sprach: „Abba, mein Vater, es ist Dir Alles möglich; willst Du, so überhebe mich dieses Kelchs, und nimm ihn von Mir; doch nicht was ich will, sondern was Du willst.“ Wer kann diese Seelenangst begreifen, die den Heiland auf die Kniee, ja auf Sein Angesicht hintrieb, daß Er sich in den Staub legte wie ein unwürdiger Wurm vor Seinem Vater? Wer kann es fassen, was in der Seele des Heilandes muß vorgegangen seyn, als ein Engel vom Himmel kommen, und obgleich nur eine arme Kreatur – doch seinen Schöpfer stärken mußte, ja, als der Heiland zu Seinen armen Jüngern hingieng, und Trost bey ihnen suchte: „könntet ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen?“ als Er zum andern und zum dritten Mal auf Sein Angesicht fiel, und dieselbigen Worte sagte, und in Seiner Angst sonst nichts hervorzubringen wußte; als endlich Sein entsetzlicher Kampf einen solch’ unerhörten Grad erreichte, daß Sein Blut Ihm aus den Schweißlöchern hervordrang, sich mit Seinem Angstschweiß vermengte, und in großen Tropfen auf die Erde fiel? Wer kann das fassen? Niemand.

Meine Stimm’ ist viel zu schwächlich,
Und die Sache unaussprechlich,
Mein Gemüth auch viel zu blöde,
Daß ich würdig davon rede.

Die Ewigkeit wird dieß klarer machen.

Wir haben gesungen, liebe Zuhörer: „Da lag auf Deinem Herzen Angst, die das Herz Dir brach“, und können aus dem Bisherigen sehen, wie wörtlich wahr dieß ist. Angst lag auf dem Herzen unsers theuren Hohenpriesters, die Ihm das Herz zerdrücken und alle Gebeine zermalmen wollte; Angst, die Ihn in den Staub, in den Todesstand darniederlegte; Angst, die Ihm den Schweiß, den blutigen Todesschweiß auspreßte; Angst, wie sie noch kein Mensch erduldet hat, Höllenangst; schauet doch, ihr Menschen, wo ist ein Schmerz wie Sein Schmerz? wo ist eine Angst wie Seine Angst? Woher aber diese unerhörte Angst? Es pflegen sich doch sonst die Menschen, wenn ihnen auch bange ist auf den Tod, wenn sie auch keine gute Hoffnung auf die Ewigkeit haben, nicht so sehr abzuängsten, und noch kein Mensch hat aus innerer Seelenbangigkeit blutigen Schweiß geschwitzt. Wie kam es denn, daß die Angst des Heilandes auf einen solchen Grad stieg? Es hatte dieß verschiedene Ursachen bey Ihm. Er war kein Sünder, der sich durch Sünde stumpf gemacht hätte, sondern Er war der reine Menschensohn; in Seinen Empfindungen und Gefühlen war deßwegen Alles überaus scharf und bestimmt; die Liebe war bey Ihm auch mit nichts Fleischlichem, mit nichts Weichlichem, mit nichts Sündlichem vermischt, und so war auch die Bangigkeit bey Ihm lautere Bangigkeit. Und wenn Er nun daran dachte, daß Er in die rohen, in die grausamen Hände blutdürstiger Sünder sollte überantwortet werden; wenn Er daran dachte, daß Er, der Eingeborne des Vaters, der Herrlichkeit bey dem Vater hatte, ehe der Welt Grund gelegt war, nun bald den gröbsten Mißhandlungen, dem empörendsten Spotte und Hohne, der Qual am Kreuzespfahl sollte Preis gegeben werden; wenn Er daran dachte, daß Er, der Lebendige, den Tod schmecken sollte: so mußte darüber Seine innerste Natur erbeben, und Angst über Ihn kommen, von der wir Sünder keinen Begriff haben. Wir sind Sünder und tragen den Keim des Todes, den Keim unzähliger Leiden an Leib und Seele beständig mit uns herum; wenn wir einen Missethäterstod und unter den schrecklichsten Qualen sterben mußten: so könnte das uns nicht so fremd vorkommen; denn wir tragen allezeit ein Bewußtseyn unserer Schuld und unserer Sterblichkeit an uns herum. Aber Ihm, dem Heiligen, dem Reinen, der nie eine Sünde gethan hat, und ist kein Betrug in Seinem Munde erfunden, Ihm, dem unbefleckten, dem unschuldigen Lamme Gottes, Ihm, dem Lebendigen, der das Leben in sich selbst hatte, mußte Sein letzter Leidens- und Todes-Gang als etwas völlig Fremdes und Widernatürliches besonders auffallen; Seine ganze Natur mußte sich davor entsetzen. Es lag aber noch etwas Besonderes, eine besonderer Wille des Vaters, eine besondere Nothwendigkeit darunter, daß Er diese Angst erfahren mußte. Hier sollte der Heiland die größte Probe von Seinem Gehorsam ablegen; hier solle Er zeigen, daß Ihm des Vaters Wille über Alles gehe, daß Er ein in Allem versuchter, ein rechtmäßiger, ein vollkommener Hoherpriester und Versöhner seyn konnte, dessen Gerechtigkeit und Gehorsam durch alle Hindernisse hindurchgebrochen ist, der trotz der härtesten Versuchungen doch nicht gewichen ist aus dem Willen des Vaters, der deßwegen ein Kleid hat, ein Gerechtigkeitskleid, das ohne den geringsten Tadel und Flecken und siebenfach geläutert zur Bedeckung, zur vollgültigen Bedeckung aller armen Sünder, die an Ihn glauben, dienen kann. Wie herrlich, wie ganz ist nun die Gerechtigkeit Christi, die denen zugerechnet wird, die an Ihn glauben, nachdem Er solche Proben des Gehorsams abgelegt hat! Wie herrlich, wie gewiß, wie theuer sind wir erkauft! wie groß, wie köstlich ist das Lösegeld! Es ist nicht nur ein gewöhnlicher Gehorsam, der uns zugerechnet wird, wenn wir an Ihn glauben, sondern es ist ein Gehorsam, der unter übermenschlicher Anfechtung die Probe gehalten hat; es ist ein Gehorsam Dessen, der bis in den Staub des Todes gehorsam war und blieb. Das ist herrlich! das ist köstlich! das ist ein Lösegeld! Ja, zu unserer vollkommenen Versöhnung war dieser Angstweg des Heilandes nothwendig; es gehörte zu den Geschäften des Bürgen der Menschheit, daß Er solches erdulden mußte. Darum ließ der Vater Solches über den Sohn kommen; darum ließ der Vater auch wohl den satanischen Mächten Raum, daß sie auf die heilige Seele des Sohnes einstürmen, und solchen Jammer und solches Entsetzen in ihr anrichten durften; denn es stehet geschrieben: „Die Bäche Belials erschreckten mich, der Höllen Bande umfiengen mich, und des Todes Stricke überwältigten mich“ (Ps. 18,5.6.). Um eine vollgültige, um eine ewige Erlösung zu stiften, darum mußte es dem lieben Heiland so unbeschreiblich bange um’s Herz werden auf Seinem letzten Leidens- und Todes-Gang.

II.

Liebe Zuhörer! was müssen wir für Sünder seyn, weil es zu unserer Erlösung eines solchen Lösegeldes, eines solchen Angstweges des Sohnes Gottes bedurfte! Wer muß ich seyn, daß mein Heiland, um meine Sünden zu büßen, nicht nur Mensch werden, nicht nur ein armes Kind werden, nicht nur in der größten Armuth und Niedrigkeit aufwachsen mußte, sondern daß es, um den Fluch der Sünde von mir hinweg zu nehmen, auch einer solchen Bangigkeit des Sohnes Gottes, einer solchen Angst des Heilandes bedurfte? Wer muß ich seyn, daß sich der Sohn Gottes für mich in den Staub werfen, für mich im Staube sich krümmen mußte wie ein Wurm; daß Er für mich den blutigen Angstschweiß schwitzen mußte? Wer muß ich seyn? Wie groß, wie schrecklich groß und abscheulich in den Augen Gottes müssen meine Sünden seyn, weil nur ein solches Lösegeld sie aufwiegen, und die Gerechtigkeit Gottes befriedigen konnte! O liebe Seelen, kommet doch nach Gethsemane, und sehet an die Leiden des Sohnes Gottes, wie genau es Gott mit der Sünde nimmt; sehet doch, was auf uns Alle gewartet hätte in der Ewigkeit, wenn Christus nicht gekommen wäre, und eine ewige Erlösung erfunden hätte; sehet aber auch, was auf alle Diejenigen wartet, die jetzt noch nicht Buße thun, die in ihrem leichtsinnigen Wesen beharren, und mit der Sünde spielen, wie wenn es nichts auf sich hätte. Sehet doch an JEsu Christo, an Seinem Zittern und Zagen, an Seinem blutigen Schweiß die Gerechtigkeit, den Zorn Gottes, vor dem die Sünde ein Greuel ist; sehet aber auch daran Seine unaussprechliche Liebe zu uns armen Menschen; sehet die Liebe, die für uns armen Sünder in Noth und Tod geht. Das hatte der Heiland gewußt, ehe Er auf die Welt kam, daß nur, wenn Er durch ein solches Angstmeer gehe, die Erlösung des gefallenen Geschlechts könne zu Stande kommen; das hatte Er von Ewigkeit gewußt, wie bange es Ihm auf Seinen Tod seyn werde, was Er in Gethsemane werde erdulden müssen, wenn Sünder, wenn Seine armen, unter die Sünde verkauften Geschöpfe sollten losgekauft werden. Aber nichts desto weniger ist Er Mensch geworden, und hat die Herrlichkeit bey’m Vater verlassen, da Er wohl hätte mögen Freude haben; Er hat Knechtsgestalt angenommen, und dem sauern Geschäft der Versöhnung willig sich unterzogen, und als Er in den Tagen Seines Fleisches sich je mehr und mehr der Zeit Seines Todes näherte, und es Ihm immer banger wurde, so ist Er doch nicht zurückgetreten. Williglich zog Er in Jerusalem ein, ob Er gleich wußte, daß nach einigen Tagen Sein Blut hier am Kreuze fließen werde; williglich stellte Er sich dar in Gethsemane, wo Er Seinen furchtbaren Todeskampf bestehen sollte; und als Er mitten in der Angst war, als Ihm das Wasser an die Seele gieng, als Ihm der Todesschweiß und Blutschweiß zu allen Schweißlöchern herausdrang, was flehte Er da? – „Vater! ist’s möglich“ – betete Er da – „so gehe dieser Kelch vorüber“, das heißt: wenn Du, Vater! nach Deiner unendlichen Gottes-Weisheit, zur Erlösung der Menschen noch einen andern Weg kennst als diesen sauern Todesweg für mich, so schlage ihn ein, so überhebe mich dieses Kelchs, denn Du siehest meine Angst; wo aber nicht, wenn es Dein heiliger Wille ist, daß die Sünder so und nicht anders sollen erlöst werden, so geschehe Dein Wille. – Sein Wille fügte sich ergebungsvoll in den Willen Seines himmlischen Vaters aus Liebe, aus großer überschwenglicher Liebe zu uns, die stärker war als der Tod.

Ich seh’ in bangen Buß-Ideen
Die Seele meines Freundes steh’n;
Die klaren Augen muß ich sehen
Für meine Schulden übergeh’n;
Auch über die Melancholieen,
Die sich um mein Gemüthe zieh’n,
Hat sich mein Freund auf Seinen Knieen
In jenen Stunden müssen müh’n.

Ich sehe Ihn ganz übernommen,
Vom Todeskampfe schwach und matt;
Es muß der Engel einer kommen,
Der g’nug an Ihm zu trösten hat;
Ich hör’ Ihn Seinen Vater bitten:
„Ist’s möglich, nimm den Kelch von mir!“
Wie kläglich klingt das Herzausschütten!
Die Sinne, die vergehen hier.

O wie lieb muß uns JEsus haben, daß Er aus Liebe zu uns diesen bangen Todesweg williglich wandeln konnte! Wie lieb muß der Hirte Seine Schafe haben, daß Er diesen harten Todeskampf williglich für sie kämpfen konnte!

Und wie sehr muß der Vater die Menschen lieben! Der Vater sah das Elend Seines Sohnes, Seines Ebenbildes, Seines Eingebornen, den Er mit ewiger, mit unendlicher, mit einer alles menschliche Denken weit übersteigenden Gottesliebe liebte. Er sah, wie es Seinem Eingebornen so bange um das Herz war. Er sah, wie Sein Kind zitterte und zagte; Er sah, wie JEsus auf Seine Kniee und Sein Angesicht niedersank; Er hörte die aus der tiefsten Seelennoth hervordringenden Bitten des Sohnes: „Ist’s möglich, so gehe dieser Kelch vorüber!“ Das sah und hörte der Vater. Was mag Er dabey empfunden haben? Kein Mensch, kein Engel, kein Seraph kann es denken, was der Vater empfand. Und doch nahm Er den Kelch nicht von dem Sohne, sondern der Sohn mußte den schrecklichen Kelch an den Mund nehmen und austrinken bis auf den letzten Tropfen. „Ist’ s möglich“, flehte der Sohn, „so nimm den Kelch von mir.“ Aber es muß nicht möglich gewesen seyn, denn der Sohn wurde des Kelches nicht überhoben; wenn es möglich gewesen wäre, so hätte es der Vater gewiß gethan. Weil dieß der einzige Weg war, auf welchem die verlorne Menschheit konnte aus der Gewalt der Sünde, des Teufels, des Todes und der Hölle herausgekauft werden; weil Gott die Menschheit, weil Er uns, weil Er mich und euch errettet und selig haben wollte, darum konnte Er Seinen geliebten Sohn dieses schrecklichen Kelches nicht überheben, ob Er gleich auf Seinem Angesichte und in der höchsten Seelenangst um Abwendung desselben bat. Also hat Gott die Welt geliebet, also hat Er mich Armen geliebt, also, daß Er Seinen eingebornen Sohn in die entsetzlichste Höllenangst, in den Todesstaub hineingeworfen sehen konnte, und Ihm nicht half, darum, damit uns, damit mir auf ewig geholfen würde.

O wie hat uns Gott so lieb! O mein armes Herz, sinke in den Staub und bete an! Hat dich denn Gott also geliebet? Kannst du es denn auch glauben? Kannst du es denn auch fassen, daß du, schnödes Herz, sollst ein Gegenstand solcher Liebe Gottes seyn, daß Er Seines Eingebornen nicht verschonete um deinetwillen, daß der Eingeborne um deinetwillen soll in solche Noth und Tod gegangen seyn? um deinetwillen? um meinetwillen? Nein, das kann ich nicht fassen, das muß mir die Ewigkeit deutlicher machen; hienieden kann ich es nicht verstehen, sondern nur schwach glauben. Ja, das wird der Inhalt des Liedes der Harfenspieler seyn, die vor Seinem Throne stehen; das wird in ewigem Hallelujah besungen werden.

O liebe Zuhörer! Wie haben wir uns bis jetzt gegen diese Liebe betragen? Ihr bis jetzt unbußfertigen Sünder! wie habt ihr euch gegen diese Liebe betragen? Siehe, das Alles habt ihr für nichts geachtet: siehe! an diesem treuen Heilande, dessen Seele für euch gearbeitet und Mühe gehabt hat, seyd ihr bis jetzt vorübergegangen, und habt gelebt, wie wenn ihr Ihn nicht kennetet. Werden wir das auch vor uns selbst und vor Gott verantworten können, daß wir das Irdische, daß wir Aecker und Wiesen und Weinberge, daß wir Uebertretungen und Sünden bis jetzt mehr geliebt haben als den Freund, der für uns bis an den Tod betrübt gewesen ist? Ach, daß wir einmal in uns schlügen! Ach, daß uns diese große Liebe des Heilandes keine Ruhe mehr ließe, bis wir zu Seinen Füßen lägen als Sein ganzes, als Sein williges Eigenthum! Ist es nicht unverantwortlich, in den Lüsten des Fleisches zu leben, in der Finsterniß zu wandeln, in unbußfertigem Sinne zu beharren, da der Heiland für uns leiden, und zwar so unaussprechlich leiden und dulden mußte? Ist es zu verantworten, wenn wir in unseren Herzen so fremd und kalt gegen den Heiland sind, wie wenn Er gar nichts für uns gethan hätte, das unseres Dankes, unserer Liebe, unserer Anbetung würdig wäre? Wird nicht ein unbarmherziges Gericht über uns ergehen, so wir den Sohn Gottes also verachten und mit Füßen treten? Ja, dem Freunde, der uns so hoch geliebet hat, gehört ja von Rechtswegen jeder Pulsschlag, jeder Athemzug, der unser armes Leben fristet.

Ja, Lamm Gottes, Du bist’s werth, für Deine Todesmühe, für Dein Zittern und Zagen, für Deine Angst und blutigen Schweiß, dafür bist Du’s werth:

Daß Dich jeder Blutstopf’ ehre,
Daß das Herz stets nach Dir glüh’,
Jeder Pulsschlag Dein begehre,
Und das Herz stets für und für
Hange ganz allein an Dir.

Heute treten wir die heilige, die stille Woche an. Ach, daß doch die Liebe Christi, die sich in Seinem Leiden geoffenbart hat, uns Allen recht groß würde! Wollen wir nicht auch ein wenig nachdenken? Wollen wir nicht auch ein wenig in die Stille gehen? Wollen wir dem Heilande nicht wenigstens das zu Gefallen thun, daß wir auch nur in dieser Woche an Ihn denken? Ihr wisset, was für schändliche Gewohnheiten in vielen Orten unseres Vaterlandes und auch hier in der Leidensnacht des Heilandes im Schwange gehen. Ach, ich bitte Junge und Alte um JEsu willen, besinne sich doch, wer sich besinnen kann! Freilich ist’s mit dem nicht ausgerichtet, wenn man die Bubenstücke und die liederlichen Streiche fahren läßt; aber ihr habt doch dem gemarterten Heiland ein Mal weniger in’s Angesicht gespieen und geschlagen, Ihn ein Mal weniger betrübt; das wäre freilich noch größer, wenn ihr wolltet Ihn ganz kennen lernen, wenn ihr wolltet in herzlicher Buße eure Sünden beweinen, die so unaussprechlich schwer auf Ihm lasteten, die Ihn bis in den Staub darniederdrückten, wenn ihr euch entschließen wolltet, eine selige Beute Seiner Schmerzen, Seiner Qualen, Seiner blutigen Todesmühe zu werden.

O ewige Liebe, zeuch’ uns in Dein Sterben,
Laß mit Dir gekreuzigt seyn,
Was Dein Reich nicht kann ererben;
Führ’ in’s Paradies uns ein!
Doch wohlan, Du wirst nicht säumen;
Möchten wir nicht läßig seyn!
werden wir doch als wie träumen,
Wenn die Freiheit bricht herein!

Amen!

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