Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 63. Psalm.

Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 63. Psalm.

1)

Dieser 63. Psalm, von David während seines zehnjährigen Aufenthalts in der Wüste so oft gebetet und gesungen, ist einer von den Psalmen, welcher ebenfalls zu denjenigen gehört, die ein jeder Christ auswendig wissen muß; und ich habe noch keinen Christen gesehen, der nicht diesen 63. Psalm unter seine Lieblingspsalme gerechnet hat. Ich weiß wenigstens von mir selbst, daß, wenn ich in früheren Jahren, wo das Wort Gottes noch allenthalben sehr rar war, oft des Sonntags Morgens 3, 4, 5 Stunden wanderte, um eine gläubige Predigt zu hören, daß ich diesen Psalm wohl hundert Mal gebetet habe, und daß mir diese 4, 5 Stunden ganz leicht wurden in der Freude, nun eine gläubige Predigt zu hören, die ich wenigstens ein viertel Jahr entbehrt hatte. Es liegt in diesem Psalm ein solcher Glaube, ein solch' ländliches Herz, eine solche Innigkeit, die nur ein Kind Gottes haben kann, das gewohnt ist mit Gott zu reden, als ein Kind mit seinem Vater. Und wäre wirklich einer unter euch, der diesen Psalm nicht auswendig wüßte, den Menschen würde ich schon deßhalb bedauern, weil er so wenig christlichen Sinn hat, diesen Psalm heraus zu finden. Da muß keine Schule sein, in welcher dieser Psalm nicht immer wieder aufgegeben wird, da muß kein Haus sein, wo die Eltern nicht immer wieder diesen Psalm ihren Kindern und Dienstboten aufgeben. Sollte der 63. Psalm nicht doch einigen, vielleicht auch vielen von euch unbekannt sein? sollten sich nicht doch solche unter euch finden, die ihn nicht auswendig wüßten? - Wir wollen nun den Psalm in der Kürze durchgehen. Schon in dem ersten Verse liegt ein ganzes Meer von Gnade, denn da heißt es: Gott, Du bist mein Gott. Das Wort schon läßt sich gar nicht ausdenken, daß ich zu Gott sagen kann: Du bist mein Gott, Du gehörst mir. Das ist Glaube, denn der Glaube eignet sich alles zu, was Gott ist und gibt. Darum ist das eigenthümliche Wort des Glaubens „mein“. So sagt Luther z.B. beim 2. Artikel: Willst du den 2. Artikel recht beten, willst du ihn im Glauben beten, so mußt du bei jedem Wort das Wort mein hinzufügen, damit du zeigst, daß du dir das Alles zueignest, als dein unverlierbares Eigenthum. Du mußt eigentlich so beten: Ich glaube an meinen Jesum Christum, der für mich empfangen ist von dem heiligen Geist, der für mich geboren ist von der Jungfrau Maria; und nun muß es immer wieder heißen: Mein gelittener, mein gekreuzigter, mein gestorbener, mein auferstandener Jesus, der ganze Christus muß dein sein; und also ist das Wort mein das rechte Wort des Glaubens. So heißt es denn auch hier: Gott, Du bist mein Gott. Was bin ich aber für ein unaussprechlich reicher Mensch, wenn ich sagen kann: Gott ist mein Gott; denn ist Gott mein Gott, so ist alles mein, was Gott gehört; der ganze Himmel, die ganze Seligkeit, die ganze Reinheit und Heiligkeit Gottes, die ganze Allmacht Gottes, das alles ist mein. Und das ist so traurig, über solch ein Wort hüpfen die Menschen beim Bibellesen weg, und bedenken nicht, was sie daran haben. Darum sind die meisten Menschen auch keine Beter und Leser, sondern Durchballerer; sie ballern die Bibel durch, aber beten und lesen thun sie dieselbe nicht. Wer das sagen kann: Gott, Du bist mein Gott, da folgt alles andere im ersten Verse von selbst: Frühe wache ich zu Dir, meine Seele dürstet nach Dir, mein Fleisch verlangt nach Dir in einem trocknen und dürren Lande, da kein Wasser ist. Ja, trocken und dürre ist die Wüste, da ist kein Wasser, irdische Quellen fließen da nicht, lauter Sand, nichts als Sand findet man. Aber die Dürre meint David nicht. Er nennt die Wüste ein dürres Land, weil da kein Wort Gottes, kein Tempel, kein Gottesdienst ist. Es ist bei ihm nicht die Sehnsucht nach irdischen Quellen, es ist vielmehr die Sehnsucht nach der geistlichen Quelle, nach dem Worte Gottes, nach den Gottesdiensten des HErrn. Wenn er frühe des Morgens aufwacht, da heißt es: Ach, wäre ich doch in Jerusalem, d. h. könnte ich doch in den Tempel gehen; wenn das Frühopfer kommt: O, wie verlangt mein Herz in den Tempel zu gehn; wenn das Abendopfer kommt: O, wie sehne ich mich, mit dem priesterlichen Segen gesegnet zu werden. Alles andere kann er entbehren, aber darnach sehnt er sich, denn er sagt: Daselbst sehe ich nach Dir in Deinem Heiligthum, wollte gern schauen Deine Macht und Ehre. Denn Deine Güte ist besser, denn Leben. Meine Lippen preisen Dich. Warum also sehnt er sich so nach den Gottesdiensten des HErrn? Hört es doch: Daselbst sehe ich nach Dir in Deinem Heiligthum, wollte gerne schauen Deine Macht und Ehre. Wenn man zu den Gottesdiensten des HErrn kommt, da sieht man die Ehre Gottes in Seinem Heiligthum, da schaut man die Herrlichkeit des HErrn. Das ist der unbeschreibliche Segen, der nicht auszusprechen ist, den man aus der Kirche holt und den man nirgend anders herholen kann, als aus der Kirche, daß man flehet und schauet die Ehre des HErrn. Es gehet in der Kirche ein Wehen und Walten des Allmächtigen durch Herz und Sinn, man schmeckt und fühlt, hier ist es ganz anders als draußen, es herrscht in der Kirche ein ganz anderer Odemzug, als anders wo in der Welt, es ist der heilige Geist, der wirkt an den Herzen, der wohnt in den Seelen, der thut die Herzen auf, wie einst der Lydia Ap. Gesch. 16, 14; und wenn ich die Predigt höre, so höre ich Gottes Stimme, wenn ich die Sakramente schaue, dann schaue ich Gottes Angesicht. Denn in Wort und Sakrament offenbart sich Gott, in Wort und Sakrament schaue ich Gottes Angesicht; und diese Gnadenmittel verwaltet die Kirche. Darum kann die Kirche mir durch nichts in der Welt ersetzt werden, nicht durch Lesen in der Bibel oder in einem Predigtbuch, nicht durch Versammlungen oder Hausandachten. Das ist alles recht gut und schön, aber die Hauptsache ist der Gottesdienst in der Kirche. Und wo findet man sonst dieses selige Loben, Preisen und Danken Gottes, als in der Kirche? Ja, schön klingt der geistliche Gesang im Walde und schön klingt er im Felde, wahrlich, wenn da ein Haufen Kirchleute geht, ich kann es ihnen nicht verdenken, wenn sie einen geistlichen Gesang nach dem andern anstimmen. Schön klingt der geistliche Gesang in den Hausandachten und Versammlungen, aber der Gesang der ganzen Gemeinde in der Kirche von Männern und Weibern, von Reichen und Armen, von Alten und Jungen, das ist doch von allem Loben und Preisen das Erhabenste und Herrlichste. Darum hat David Recht, wenn er sagt: Daselbst wollte ich Dich gerne loben mein Leben lang, und meine Hände in Deinem Namen aufheben. Das wäre meines Herzens Freude und Wonne, wenn ich Dich mit fröhlichem Munde loben sollte. Ja, allenthalben, aber daselbst meine Hände vorzüglich aufheben, da selbst vorzüglich meinen Gott loben, daselbst vorzüglich meine Kniee beugen. Und nun erst, nachdem also der Kirche erstes Recht gegeben ist, wird dem Hausgottesdienst zweites Recht gegeben, denn nun heißt es: Wenn ich mich zu Bette lege, so denke ich an Dich; wenn ich erwache, so rede ich von Dir. Denn Du bist mein Helfer, und unter dem Schatten Deiner Flügel rühme ich. Meine Seele hanget Dir an; Deine rechte Hand erhält Mich. Nun hat das Haus auch sein Recht, denn habe ich meinen Gott in der Kirche empfangen, so nehme ich Ihn natürlich mit zu Hause, und der Gott, den ich mir aus der Kirche geholt habe, der geht mit nach meinem Hause, und da wird Er meines Hauses Gott. Mit Ihm gehe ich zu Bette, mit Ihm stehe ich auf, Ihm heilige ich den Tag mit Morgengebet, Ihm heilige ich die Nacht mit Abendgebet. Und wenn ich des Nachts erwache, so brauche ich mich nicht unruhig im Bette umher zu wälzen, brauche nicht zu jammern und zu klagen: Wann werde ich wieder einschlafen; sondern ich rede mit meinem Gott, denn ich habe Ihn bei mir, ich schütte vor Ihm mein Herz aus auf meinem Lager. Bist du nicht ein seliger Mensch, wenn du ruhest unter dem Schatten Seiner Flügel, wenn der allmächtige Gott Seine Flügel über dich ausbreitet? Kannst du sagen: Der allmächtige Gott ist mein Helfer, gibt es denn eine Noth, aus der Er nicht erretten kann? Siehe, so bist du allezeit getrost, kannst nie verzagen, eben darum, weil du sagen kannst: Deine rechte Hand erhält mich. Und wenn du an deine Feinde denkst, deren meinetwegen noch so viele und die noch so mächtig sein mögen, - wie David Könige und Fürsten zu Feinden hatte -, so fürchtest du dich nicht, fragst nicht das allergeringste darnach, die stehen ja gegen Gott und Gott steht gegen sie. Ob sie sich auch alle zusammen rotten, sie müssen unterliegen und den Füchsen zu Theil werden, denn der HErr wird sie tödten. So fürchtet sich David vor seinen Feinden nicht im geringsten, sie müssen unterliegen, obgleich sie jetzt siegen und David muß siegen, obgleich er jetzt unterdrückt wird. Wenn er den König Saul mit sich vergleicht, so nennt er ihn nicht mehr König, sondern sich nennt er den König: Aber der König freut sich in Gott. Wer bei ihm schwört, wird gerühmt werden; denn die Lügenmäuler sollen verstopft werden. David hält es mit der Wahrheit, sein Wort ist so wahr, als ob er es bei Gott beschworen hätte; und die das thun, sind Gottes Kinder. Die Andern sind Lügenmäuler und darum Satans Kinder, und die wird Gottes Rache und Strafe treffen. Amen.

1)
Dies ist der letzte Psalm, den der Selige auf Erden in der Reihe ausgelegt hat.
Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/h/harms_l/harms-der_psalter/harms_l_psalm063.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain