Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 18. Psalm.

Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 18. Psalm.

Vers 1-20.

Die Ueberschrift dieses Psalms sagt uns, daß David ihn gesungen habe als einen Lob- und Dankpsalm, da der HErr ihn erlöset hatte von der Hand aller seiner Feinde und von der Hand Sauls. Es soll also dieser Psalm ein Lob- und Danklied sein, welches David aus vollem Herzen seinem Gott anstimmt für alle seine Treue und wunderbare Hülfe, die er tausendfältig erfahren hat. Denn ist das Leben irgend eines Menschen ein fortwährendes Kampfesleben gewesen, so war es das des Königs David. Sofort als er aus der stillen Einsamkeit von der Schafheerde weggenommen wurde, begann auch sein Leidens- und Kampfesleben. Welche Kämpfe hat er nicht mit König Saul zu bestehn gehabt! Und das waren Kämpfe, die immer auf Leben und Tod gingen. Zehn lange Jahre mußte er vor Saul fliehen und sich verbergen in der Wüste, zehn lange Jahre war er wie ein gejagtes Reh, und konnte nur mit genauer Mühe sein armes Leben fristen. Als Saul weggenommen und David auf den Thron Israels erhöht war, da fing der Kampf mit den auswärtigen Feinden an, es waren die Edomiter, Moabiter, Philister, Syrer, mit denen er zu kämpfen hatte; und wie ihm Gott allezeit den Sieg über Saul gab, so hat Er ihm nicht minder den Sieg über die andern Feinde gegeben. Dieses Kämpfen und Siegen hat gedauert bis zum Ende seines Lebens; da aber wollten es seine Unterthanen nicht mehr haben, daß David mit in den Krieg zöge, darum sagten sie: Du sollst nicht mit hinaus ziehen in den Kampf, denn du bist alt und schwach geworden, auf daß nicht unsere Leuchte verlösche. - Nun am Ende seines Lebens, geht der Mann Gottes und schüttet sein dankbares Herz aus vor dem HErrn, seinem Gott, über Alles was der HErr an ihm gethan, und zeigt sich dabei so recht als ein Knecht Gottes und als ein Kind Gottes. Durch den ganzen Psalm zieht sich der Eine Ton hindurch: Nicht mir, nicht mir, sondern Deinem Namen gieb Ehre! Ps. 115, 1. Von sich weiß er nichts zu rühmen, aber von Gott so viel mehr; von seinen Thaten weiß er nichts zu sagen, aber desto mehr weiß er zu reden von Gottes Thaten. Dem HErrn allein giebt er die Ehre, weil sie Ihm gebührt. Er sagt deshalb: Herzlich lieb habe ich Dich, HErr, meine Stärke; HErr, mein Fels, mein Erretter, mein Gott, mein Hort, auf den ich traue, mein Schild und Horn meines Heils, und mein Schutz. Seht, meine Lieben, er weiß nichts anders zu rühmen, als den HErrn. Herzlich lieb habe ich Dich, so hebt er an zu beten; und das ist immer die Folge davon, wenn man Gott erfahren hat als den lebendigen Gott und Helfer, der alles Gebet erhört, der auf unser Flehen merkt und uns nie ohne Antwort läßt, der unser Elend sieht und uns hilft. Glaubt es nur, meine Lieben, daß die wenigsten Menschen in Wahrheit sagen können: Herzlich lieb habe ich Dich; bei den meisten, wenn sie aufrichtig sein wollen, bleibt es dabei: Ich möchte Dich gern herzlich lieb haben. Herzlich lieb habe ich Dich, dies Wort können nur wenige in Wahrheit sagen, denn die wenigsten erfahren Ihn als den lebendigen Gott, und das aus dem Grunde: Es ist in ihnen und bleibt in ihnen zu viel Eigenes. Herzlich lieb habe ich Dich, das kann nur der wirklich sagen, der in sich selbst gar nichts geworden ist und dem sein Gott alles geworden ist. Dazu gehört aber ein gänzliches Aufgeben des eigenen Wesens und eine gänzliche Hingabe an den HErrn, seinen Gott. Von dem Aufgeben des eigenen Wesens wird viel gesprochen, aber es ist meist nur Gerede und Schwatzen. Kommt es dahin, daß es heißt: Alle deine Güter gieb den Armen, schlachte deinen Isaak, dann sind die Leute nicht zu Hause und das Eigenwesen des lieben Ich zeigt seine ungebrochene Herrschaft. Bei wem es dahin noch nicht gekommen ist. daß er das eigene Wesen aufgiebt, was ja allerdings nicht ohne die bittersten Kämpfe abgeht, der kann auch nicht sagen: Der HErr ist mein Ein und mein Alles, herzlich lieb habe ich Dich, o HErr! David kann gar nicht aufhören seinen Gott, den er herzlich lieb hat, zu loben und zu preisen, darum sagt er weiter: Meine stärke. Ich bin schwach, will er sagen, Du bist starke aber das ist noch nicht genug, meine Stärke, setzt er hinzu. Nun kann man sich nicht wundern, daß David Alles überwunden und besiegt hat, denn Gottes Stärke war seine Stärke, und damit mußte er wohl seine Feinde besiegen. Meine Burg, heißt es weiter. In welcher Gefahr er auch war, - wie ein Mensch sich flüchtet in seine feste Burg, so flüchtet er zu seinem Gott. Und wenn er ruhete an seines Gottes Brust, dann konnte er sagen: Trotz, wer will und mag mir schaden! Und kamen die Sturmwinde der Verfolgung, er schlägt seinen Arm um Gottes Hals und kann sagen: HErr. mein Fels! Und wenn die Feinde ihn beim Kopf haben, dann schreit er: HErr, mein Erretter! Und wenn er nicht weiß, von welcher Seite die Feinde kommen, so sagt er: HErr, mein Schild! - und vorn und hinten, rechts und links ist er gedeckt, denn gegen diesen allmächtigen Schild kann keiner etwas ausrichten. Aber nicht allein, daß Gott sein Schild und Schutz ist, David greift auch seine Feinde an; und ob er allein ist beim Riesen Goliath, oder ob ihn ein Haufen Feinde umgiebt, er spricht: Du, HErr, meines Heils und mein Hort, dann stürzt er sich wie ein Stier auf seine Feinde, und vor dem HErrn, der sein Horn ist, müssen alle Feinde weichen. So lobt und preiset er Gott, es ist, als ob er der ganzen Welt sagen will: Solch einen lebendigen Gott habe ich! es ist, als ob er der ganzen Welt zuruft: Mit wem sollte ich wohl tauschen? Und wodurch ist Gott also Davids Gott? wodurch ist Er seine Stärke, sein Fels, seine Burg, sein Erretter, sein Hort und Horn, sein Schild und Schutz? Bloß dadurch, weil David ein Meister ist in der größesten aller Künste, ein Meister im Beten. Darum fährt er fort: Ich will den HErrn loben und anrufen, so werde ich von meinen Feinden erlöset. Siehe er wendet sich zu seinem Gott, er betet, er wendet sich so gewaltig zu Ihm, daß die Bitte gleich mit dem Dank für die Erhörung verbunden ist. David muß aus dem Grunde von allen seinen Feinden erlöset werden, weil er sagen kann: Ich bete zu meinem Gott. Da sehet ihr, wodurch der ohnmächtige Mensch allmächtig wird, wodurch der schwache Mensch stark wird, wodurch der Erdenwurm zu einem HErrn Himmels und der Erden gemacht wird; es geschieht das, indem ich bete zu dem lebendigen Gott! Und das ist es, was wir zu erfahren haben, nicht allein in Bezug auf die irdischen Feinde, sondern auch in Bezug auf die noch viel schlimmeren geistlichen Feinde. David sagt davon: Denn es umfingen mich des Todes Bande, und die Bäche Belials erschreckten mich, der Hölle Bande umfingen mich, und des Todes Stricke überwältigten mich. Da sind die geistlichen Feinde geschildert, größere Feinde haben wir nicht, als Tod und Teufel; denn sterben wir in unsern Sünden, so holt uns der Teufel in seine Hölle hinein, und darum trachtet der Teufel darnach, daß er uns in unsern Sünden sterben läßt, damit er uns in die Hölle reißen könne. Seht das ist die verschiedene Arbeit Gottes und des Teufels an den Menschen. Gott will die Menschen von der Sünde los machen, und der Teufel will die Menschen in der Sünde sterben lassen. Darum eilt Gott, die Menschen zu bekehren, und der Teufel sucht diese Bekehrung zu verhindern. Alles was Gott an einer Seele thut, geht dahin, sie von der Sünde zu befreien, alles was der Teufel thut, hat den Endzweck, die Menschen in ihren Sünden zu tödten. Und dieses Treiben des Teufels wird bezeichnet durch die Bäche Belials, durch die Stricke des Todes und die Banden der Hölle; denn wer in seinen Sünden stirbt, muß verloren gehn und zum Teufel fahren. Warum habt ihr euch nicht Alle schon bekehrt? hat Gott nicht gearbeitet an eurer Bekehrung und arbeitet Er nicht noch beständig daran? Der Teufel hat's verhindert und ihr habt euch daran verhindern lassen. Das ist gerade das Schreckliche: Gott will euch von der Sünde frei machen und ihr laßt euch vom Teufel darin festhalten. Gott läßt euch Sein Wort predigen und Seine Sakramente darreichen zu eurer Bekehrung; bekehrt ihr euch nicht, geht ihr verloren, so ist das eure Schuld, und am jüngsten Tage müßt ihr euch selbst anklagen und niemand anders. Ihr habt euch von dem Teufel verführen lassen, denn als Gott euch erlösen wollte von den Bächen Belials und von den Banden der Hölle, da habt ihr euch dem Teufel immer mehr hingegeben. Die Stimme Gottes habt ihr verworfen und der Stimme des Teufels seid ihr gefolgt. Und ihr, die ihr euch bekehrt habt, ihr müßt dem HErrn Lob, Preis und Dank sagen, denn ihr habt euch nicht bekehrt, Gott hat es gethan, ihr seid nicht aus euch zu Christo gekommen, Gott hat euch zu Ihm gezogen. Darum sprechet aus ganzem Herzen mit David: Herzlich lieb habe ich Dich, o HErr! Nachdem David die Feinde geschildert hat, so erzählt er nun, wie er zum Siege kommt: Wenn mir angst ist, so rufe ich den HErrn an, und schreie zu meinem Gott, so erhört Er meine Stimme von Seinem Tempel, und mein Geschrei kommt vor Ihn zu Seinen Ohren. Wie er es macht im Kampfe gegen seine leiblichen Feinde, ebenso macht er es im Kampfe gegen die geistlichen Feinde, er betet zu Gott, und Gott erhört ihn aus Zion und vergiebt ihm seine Sünden. Nun ist David ein begnadigter Sünder, der Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit hat, was können ihm da seine Feinde schaden? - Darnach preiset David in einer überaus trefflichen Schilderung die Allmacht und wunderbare Hülfe Gottes, wodurch Er auch ihm geholfen hat, und zeigt damit an, daß Gott bei den Seinen alle Mittel der Allmacht gebraucht, um sie zu erretten (V. 8 - 19). Auch dem David zu Hülfe neigte Gott den Himmel und fuhr herab, und Dunkel war unter Seinen Füßen; auch dem David zu Ehren fuhr Er auf dem Cherub und flog daher, und schwebte auf den Fittigen des Windes; auch dem David zu Hülfe donnerte der HErr im Himmel, Er schickte Donner, Hagel und Blitze; auch dem David zu Hülfe schoß Er Seine Strahlen, und zerstreute seine Feinde und schreckte sie. Da sahe man Wassergüsse, und des Erdbodens Grund war aufgedeckt, HErr, von Deinem Schelten, von dem Odem und Schnauben Deiner Nase. Er schickte aus von der Höhe und zog David aus großen Wassern. Er errettete ihn von seinen starken Feinden, von seinen Hassern, die ihm zu mächtig waren, die ihn überwältigten zur Zeit seines Unfalls; der HErr war Seine Zuversicht. Er führte David aus in den Raum, Er riß ihn heraus aus seiner Roth. Mit dem allen will er sagen: Nicht meine Spieße sind es gewesen, Gottes Spieße waren es, die mich retteten, nicht meine Schwerter schützten mich, nein, Gottes Schwerter haben es gethan. Alle Mittel Seiner Allmacht hat der HErr gebraucht, um mir zu helfen und meine Feinde zu überwältigen. Und das hat Er lediglich aus dem Grunde gethan, weil Er Lust zu mir hatte, weil Er mich liebte (V. 20.) Amen.

Vers 21-51.

David hat uns am Schlusse der letzten Vorlesung angezeigt, warum ihn Gott so wunderbar errettet habe von seinen Feinden, nämlich weil Er Lust zu ihm hatte. Nun zeigt er weiter, woher das komme, daß Gott Lust zu ihm habe. Er sagt: Der HErr thut wohl an mir, nach meiner Gerechtigkeit, er vergilt mir nach der Reinigkeit meiner Hände. Denn ich halte die Wege des HErrn, und bin nicht gottlos wider meinen Gott. Denn alle Seine Rechte habe ich vor Augen, und Seine Gebote werfe ich nicht von mir; sondern ich bin ohne Wandel vor Ihm, und hüte mich vor Sünden. Darum vergilt mir der HErr nach meiner Gerechtigkeit, nach der Reinigkeit meiner Hände vor Seinen Augen. In diesen Worten scheint, wenn man sie auf den ersten Anblick betrachtet, eine ganz außerordentliche Selbstgerechtigkeit und eine tadelnswerthe Werkgerechtigkeit zu liegen. Sagt David doch geradezu: HErr, thue wohl an mir nach meiner Gerechtigkeit u. s. w. Scheinen das nicht lauter Worte der stolzesten Selbstgerechtigkeit zu sein? Ja es scheint so, aber es ist nicht so. Denn derselbe David, der diesen 18. Psalm betet, betet in andern Psalmen: Meine Sünde ist immer vor mir; den ganzen Tag gehe ich traurig, krumm und gebückt; ich netze mit meinen Thränen mein Lager, meine Sünden gehen über mein Haupt, wie eine schwere Last sind sie mir zu schwer geworden. Der Mann, der so seine Sünden bekennt, kann unmöglich seine eigene Gerechtigkeit vor Gott geltend machen. Darum sehet, nicht Selbstgerechtigkeit, sondern Glaubensgerechtigkeit ist es, die er hier ausspricht. Ja er ist gerecht, er ist rein, aber durch nichts anders, als weil er bekleidet ist mit der Gerechtigkeit Christi, weil er rein gewaschen ist mit dem Blute des Lammes Gottes. Christi Gerechtigkeit ist seine Gerechtigkeit, seine Reinheit ist Vergebung der Sünden, davon geschrieben steht: Und ob eure Sünden blutroth wären, so sollen sie schneeweiß werden; und ob sie wären wie Rosinfarbe, so sollen sie weiß wie Wolle werden. Es ist also hier weiter nichts ausgesprochen, als die Gerechtigkeit des Glaubens, die nicht etwa spricht: Ich hoffe noch einmal gerecht und rein zu werden, sondern die sagt: Ich bin gerecht, ich bin rein. Und warum bin ich gerecht und rein? Nicht weil mir Gott die Sünden vergeben will, sondern weil Er sie mir vergeben hat. Und derjenige, der gerecht und rein geworden ist, weil er die Gerechtigkeit Christi ergriffen und Vergebung der Sünden erlangt hat, der thut nun Folgendes: Er hält die Wege des HErrn und ist nicht gottlos wider seinen Gott; er hat die Rechte des HErrn vor Augen und wirft Seine Gebote nicht hinter sich; er ist ohne Wandel und hütet sich vor Sünden. Denn gerade die Leute, die gerecht worden sind durch den Glauben an Christum, die bemühen sich einen heiligen Wandel zu führen und allen Sünden und Ungerechtigkeiten den Abschied zu geben, die thun, was Gott gebietet und lassen, was Gott verbietet; und das thun sie aus dankbarer Liebe gegen Gott, der ihnen ihre blutrothen Sünden vergeben hat. Diese beiden Stücke stehen immer in der engsten Verbindung mit einander: Ich habe Vergebung der Sünden durch Christi Blut, und ich führe einen strengen Wandel in der Heiligung. Eine Gerechtigkeit, aus der nicht die Heiligung folgt, ist eine falsche, lügenhafte Gerechtigkeit; und wiederum eine Heiligung, die nicht aus der Gerechtigkeit Christi hervor geht, ist eine falsche, lügenhafte Heiligung. Durch den Glauben an den HErrn Jesum, durch Christi Blut wird man gerecht; und ein solcher Mensch, der das an seinem Herzen erfahren hat, der möchte lieber sterben als sündigen, der jagt der wahren Heiligung nach, ohne welche niemand Gott schauen kann, und das thut er aus herzlicher Dankbarkeit. O merkt es euch, meine Lieben, diese Heiligung darf bei dem wahren Christen nicht fehlen; aber sie ist keine Gesetzestreiberei und kein Gesetzeszwang, sondern die innige, herzliche Liebe und Dankbarkeit treibt dazu. Darauf fährt er fort: Bei den Heiligen bist Du heilig, und bei den Frommen bist Du fromm, und bei den Reinen bist Du rein, und bei den Verkehrten bist Du verkehrt. Was will David mit diesen Worten sagen? Er will damit sagen, daß Gott sich allezeit so gegen die Menschen hält, wie die Menschen sich gegen Ihn halten, daß Gott gerade jederzeit so die Menschen ansieht, wie die Menschen Ihn ansehen. Wenn ich z. B. will, daß Gott mich als Sein Kind ansehen soll, so muß ich Ihn als meinen Vater ansehn. Wenn ich Gott als meinen Vater ansehe, dann sieht Er mich als sein Kind an; sehe ich Ihn aber als meinen Richter an, so sieht Er mich an mit Augen des Zorns und Grimms. Darum ist Gott fromm bei den Frommen, heilig bei den Heiligen, rein bei den Reinen, aber verkehrt bei den Verkehrten. Willst du z. B. Vergebung der Sünden haben, siehe Gott nur an als den, der die Sünden vergiebt, und alsobald sollst du erfahren, daß Er auch dir die Sünden vergiebt. Willst du haben, daß Gott dir Kraft geben soll im Kampf mit Satan, Welt und Sünde, siehe Gott nur an als den der allmächtig ist, und alsobald wirst du Seine Kraft erfahren. Willst du Weisheit haben, siehe Gott nur an als den der sie giebt, und alsobald wird Er sie dir schenken. Aber kommt das denn auf Dich an, wie du Ihn ansehen willst? ist das z. B. möglich, daß ein Sünder Gott als Seinen Vater ansehen kann? muß er Ihn nicht als seinen Richter ansehen? Da merke dir: Wenn wir Gottes Wort nicht hätten, dann könnten wir Gott nicht ansehen als wir wollten; da wir aber Gottes Wort haben, so kommt es lediglich auf uns an, daß wir Ihn ansehen wie wir wollen. Wüßte ich nicht aus Gottes Wort, daß der HErr barmherzig und gnädig ist, geduldig und von großer Güte, dann könnte ich Ihn nicht als solchen ansehen. Da ich das aber weiß aus Gottes Wort, so kann ich Ihn ansehen als den gnädigen und barmherzigen Gott, Er hat es selbst gesagt, darum zweifle ich nicht daran. Kann ich Sünder, der Tod und Verdammniß verdient hat, Gott als einen solchen ansehen, der mich davon befreit hat? Ohne Gottes Wort geht das nicht.

Aber wenn Gott sagt, daß Er nicht mit uns handeln will nach unsern Sünden und uns nicht vergelten nach unserer Missethat, so kann ichs glauben. Ich kann es glauben, daß Er mein Vater ist, denn Er spricht: Vater heiße Ich, von Alters her ist das Mein Name. Fasse ich Gott bei Seinem Worte, dann kann ich Ihn erfahren als meinen Vater und brauche Ihn nicht als Richter zu scheuen. Das sind die Frommen, Heiligen und Reinen, die da glauben was Gottes Wort sagt, das sind die Verkehrten und Gottlosen, die nicht glauben was Gottes Wort sagt. Darum ist Gott bei den Frommen fromm, bei den Heiligen heilig, bei den Reinen rein und bei den Verkehrten verkehrt. O merke es dir, wie du Gott ansiehst, so sieht Er dich wieder an, und wie du Ihn ansehen sollst, das weißt du aus der Bibel. Glaubst du was die Bibel sagt, dann gehörst du zu den Heiligen, Frommen und Reinen, glaubst du nicht was die Bibel sagt, dann gehörst du zu den Verkehrten. Gehörst du zu den Ersteren, so ist Gott mit dir, gehörst du aber zu den Verkehrten, so ist Gott auch verkehrt gegen dich. Will nun jemand in solchem Glauben zu Gott dem HErrn kommen und Ihn mit Glaubensaugen ansehen, wie Er sich selbst zeigt in Seinem Worte, so gehört dazu eine Eigenschaft von Seiten der Menschen, die ist unerläßlich und das ist die Eigenschaft der Demuth. Darum sagt David: Denn Du hilfst dem elenden Volk, und die hohen Augen niedrigst Du. Das ist das Hinderniß alles Glaubens: Die hohen Augen, d. h. der Hochmuth. Der Hochmüthige kann es nie über sich gewinnen, zu glauben was Gott sagt. Will ich glauben was Gott sagt, so muß ich zu den niedrigen Leuten gehören, d. h. in den eigenen Augen muß ich ein verlorner und verdammter Sünder sein. Anders geht es nicht, wenn ich zum Volke Gottes gehören will. Der Hochmüthige kann nicht glauben, der Glaube ist gegen seine Natur; nur ein Kind kann glauben, der Glaube ist Kinder Art. Eben deshalb heißt es von diesen Demüthigen: Denn Du erleuchtest meine Leuchte; der HErr, mein Gott, macht meine Finsterniß Licht. Solch ein demüthiger Mensch hat nichts und darum nimmt er Alles von seinem Gott, und zwar aus dem Worte Seines Mundes. Als ein armer Mensch gehe ich zu meinem Gott und werde reich durch Sein Wort. Ich gehe zu Ihm als einer der nichts hat, und nehme aus Seiner Fülle Gnade um Gnade, Segen um Segen. Ich weiß nichts und lerne Alles aus Gottes Wort, ich bin finster und werde erleuchtet durch Gottes Wort. Dann aber ist meine Weisheit und Klugheit göttliche Weisheit und Klugheit, denn sie ist aus Gottes Wort genommen. Wie nun David geistlich gesegnet ist von dem HErrn, so ist Er auch leiblich von Ihm gesegnet, darum setzt er hinzu: Denn mit Dir kann ich Kriegsvolk zerschmeißen, und mit meinem Gott über die Mauern springen. Seht mit Gott kann er selig werden, und mit Gott kann er seine Feinde bezwingen. Weil er das nun Alles aus den unerschöpflichen Schätzen des Wortes Gottes hat, darum preist er abermals dieses herrliche Wort des HErrn: Gottes Wege sind ohne Wandel, die Reden des HErrn sind durchläutert. Er ist ein Schild Aller, die Ihm vertrauen. Ein ander Mal sagt er: Die Rede des HErrn ist lauter, wie durchläutert Silber im irdenen Tigel, bewährt siebenmal Ps. 12,7. Dieses Wort Gottes ist sein Schild, damit kämpft er geistlich und leiblich und gewinnt den Sieg. Wahrlich, ruft er aus, wo ist ein solcher Gott, ohne der HErr? Oder ein Hort, ohne unser Gott? Wie gnädig nun dieser Gott ist, dem er alles geistliche und leibliche Heil verdankt, das zeigt der Jubelgesang, in welchen David ausbricht. Gott ist es, der ihn auf seine Höhe stellt; Gott ist es, der seine Füße leichter macht als die Füße eines Hirsches; Gott ist es, der seinen Arm streiten lehrt und seinen Arm den Bogen spannen; Gott ist es, der ihn mit Kraft rüstet; Gott ist es, der ihm seinen Feind überwinden hilft; Gott ist es, der so gern an ihm das Wort erfüllt: Wenn Du mich demüthigst, so machst Du mich groß. Es ist doch in der That ein Großes, wie Gottes Kraft in allen Stücken, wenn sie recht von uns gebraucht wird, das aus uns macht, was wir sein sollen. Betrachtest du David im Geistlichen, so ist er der treueste Mensch von der Welt, betrachtest du ihn im Irdischen, so ist er der tapferste und siegreichste König. Wodurch ist er das geworden? Allein durch Gottes Wort. Ihr meint wohl, ich dürfe ihn nicht als einen solch' treuen Menschen hinstellen, da er doch ein Mörder und Ehebrecher gewesen sei? Das ist wahr, er ist ein Ehebrecher gewesen, denn er hat mit der Batseba Ehebruch getrieben; das ist wahr, er ist ein Mörder gewesen, denn er war es, der den Uria dahin stellen ließ, wo ihn die Feinde am sichersten tödten mußten. Das ist wahr. Aber wer ist unter uns Allen, der, obgleich er kein Weib berührt und keinen Tropfen Blut vergossen hat, doch sagen kann: Ich bin kein Ehebrecher, ich bin kein Mörder? Habe ich auch in meinem Leben kein Weib berührt und kein Blut vergossen, bin ich nicht doch ein scheußlicher Ehebrecher, weil ich ehebrecherische Gedanken und Lüste gehabt habe? bin ich nicht doch ein greulicher Mörder, weil ich Zorn, Haß und Bitterkeit in meinem Herzen gehabt habe? Ueberhebe sich keiner über David, nur wer ohne Sünde ist, werft den ersten Stein auf ihn. Und merket euch, David ist ein Ehebrecher und Mörder gewesen, und wie hat er Buße gethan im Sack und in der Asche, wie hat er gekrochen vor seinem Gott auf den Knieen, wie hat er geweint! Wer macht ihm das nach? Da ist er der Mann geworden, der das Wort erfahren hat: Wenn Du mich demüthigst, so machst Du mich groß. David war sicher geworden, er hatte gemeint, so etwas könne ihm nicht mehr passiren, und auf einmal liegt er im Dreck. Aber liegt er auch im Dreck, - wie hat er sich wieder aufgerafft. Er hat das Wort des Propheten Nathan: Du bist der Mann! demüthig aufgenommen, und Gott hat ihm sagen lassen: Dir sind deine Sünden vergeben, 2. Sam. 12. Wohl dem Menschen, der nicht in grobe Sünden gefallen ist, der seinen Leib rein und unbefleckt erhalten hat! Derer sind nicht viele, die ihn rein und unbefleckt erhalten haben; diese Wenigen sollen Gott dafür danken, aber erheben sollen sie sich nicht über David. Von ehebrecherischen Gedanken und Lüsten ist keiner frei, und darum ist jeder, der sich nicht bekehrt hat, eben ein solcher Greuel vor Gottes Augen, wie der gemeinste Ehebrecher. Wer nicht Buße thut über seine ehebrecherischen Lüste und Begierden, der wird eben so gewiß verdammt werden, wie der tatsächliche Ehebrecher; denn der HErr hat gesagt: Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon die Ehe mit ihr gebrochen in seinem Herzen, Matth. 5, 28; und: Draußen sind die Hurer und Ehebrecher, Offenb. Joh. 22, 15. - Im Folgenden, V. 37-49, welches keiner weiteren Erklärung bedarf, zeigt David, wie Gott ihm solchen Sieg giebt über seine Feinde, und wie Niemand vor Ihm bestehen kann, der Ihn nicht fürchtet. Für Alles dankt und preist er den HErrn zum Schluß, für solchen Sieg über alle seine Feinde mit den Worten: Darum will ich Dir danken, HErr, unter den Heiden, und Deinem Namen lobsingen, der Seinem Könige großes Heil beweiset, und wohlthut Seinem Gesalbten David, und seinem Samen ewiglich. Amen.

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