Harms, Ludwig - Der Hebräerbrief - Das 2. Capitel.

Harms, Ludwig - Der Hebräerbrief - Das 2. Capitel.

Vers 1-3.

Darum sollen wir desto mehr wahrnehmen des Worts, das wir hören, daß wir nicht dahin fahren. Denn so das Wort fest geworden ist, das durch die Engel geredet ist, und eine jegliche Uebertretung und Ungehorsam hat empfangen ihren rechten Lohn, wie wollen wir entfliehen, so wir eine solche Seligkeit nicht achten? Welche, nachdem sie erstlich geprediget ist durch den HErrn, ist sie auf uns gekommen durch die, so es gehöret haben.

Der heilige Apostel Paulus hat in dem ersten Capitel dieses Briefes, das wir am letzten Sonnabend zu Ende gebracht haben, den großen Unterschied zwischen Christo und den Engeln gezeigt. Er hat uns da gelehrt: Christus sei wahrer Gott, die Engel dagegen Gottes Geschöpfe; Christus sei also so hoch erhaben über die Engel, als der Schöpfer erhaben ist über die Geschöpfe; Christus sei der HErr und König des Himmels, die Engel dagegen seien die Diener dieses HErrn. Daraus sehen wir, daß Jesus kein anderer sein kann als der wahre Gott selber, daß Seine große Liebe und Treue Ihn bewogen hat Mensch zu werden, um uns selig zu machen und daß das nicht anders möglich war, als wenn Gott zu uns kam, um für uns zu leiden und zu sterben. Nachdem er das gezeigt hat, so sagt er nun weiter: Darum sollen wir desto mehr wahrnehmen des Worts, das wir hören, daß wir nicht dahin fahren. Wir haben gesehen, daß das Wort, welches Jesus geredet hat, Gottes Wort ist. Ist Jesus der wahre Gott, so ist Sein Wort Gottes Wort; und ist Sein Wort Gottes Wort, hat denn der Apostel nicht Recht uns zu ermahnen: Darum sollen wir desto mehr wahrnehmen des Worts, das wir hören, auf daß wir nicht dahin fahren? Je höher die Person ist, von der das Wort kommt, desto wichtiger ist das Wort. Das Wort eines Königs ist wichtiger als das Wort eines gewöhnlichen Menschen, und das Wort Gottes ist tausend Mal wichtiger als das Wort eines Königs, Und da das Wort der Bibel nicht das Wort eines Menschen, nicht das Wort eines Königs, auch nicht einmal das Wort eines Engels, sondern Gottes Wort ist, so ist dies Wort das wichtigste und höchste was es giebt. Darum sollen wir desto mehr wahrnehmen des Worts, das wir hören, daß wir nicht dahin fahren. Wenn da z. B. Kinder miteinander spielen und das eine Kind sagt zum andern: Thue das oder laß das, und es hört nicht darauf, was kommt davon? Darauf kommt nichts an, denn das Kind hat kein Recht und keine Macht zum Befehlen oder Verbieten, die Sache bleibt wie sie ist. Wenn aber zu demselben Kinde der Vater etwas sagt und das Kind folgt nicht, kommt darnach auch nichts? Ja, darnach kommt eine tüchtige Tracht Schläge. Der Vater läßt mit seinem Worte nicht scherzen, wie jenes Spielkind; so lernt das Kind desto mehr wahrnehmen das Wort des Vaters. Oder wenn gar der König ein Wort gesprochen hat und du bist demselben nicht gehorsam, da kommst du nicht mit einer Tracht Schläge davon, sondern mußt wohl gar ins Zuchthaus. Wie aber, wenn du Gottes Wort unbeobachtet läßt, kann das ungestraft hingehen? Hält der Vater und der König darauf, daß ihr Wort nicht mit Füßen getreten wird, so wird Gott das noch viel weniger leiden. Darum hüte dich, daß du Gottes Wort nicht mit Füßen tretest; denn es kann dem nimmer gut gehen, der Gottes Wort verachtet. Der Apostel macht einen weiteren Vergleich, indem er sagt: Denn so das Wort fest geworden ist, das durch die Engel geredet ist, und eine jegliche Uebertretung und Ungehorsam hat ihren Lohn empfangen, wie wollen wir entfliehen, so wir eine solche Seligkeit nicht achten? Der Apostel vergleicht hier das Wort Gottes im alten und neuen Testamente miteinander. Er sagt: Das Wort Gottes im alten Testamente ist vielfach durch die Engel geredet, während das Wort Gottes im neuen Testamente durch Gott selber, durch Gott den Sohn geredet ist. Hat nun ein Jeder, der das Wort Gottes im alten Testament übertreten hat, seinen gerechten Lohn empfangen, wie wird es dem ergehen, der das Wort des Sohnes Gottes mit Füßen tritt? Daß das Wort Gottes im alten Testamente vielfach durch die Engel geredet ist, das wissen wir, wenn wir nicht lauter thörichte und unerfahrene Christen sind. Da heißt es bei der Reise der Kinder Israel durch die Wüste, daß der Engel des HErrn ihnen vorangezogen sei und daß er ihnen Bahn gemacht habe. Als sie am Sinai waren und Gott zu ihnen redete: Ich bin der HErr, dein Gott rc., da wird uns gesagt, daß die Engel ihre Geschäfte dabei hatten. In der Apostel Geschichte heißt es, daß Gesetz sei durch die Engel gegeben. Wie oft kommen die Engel im alten Testamente vor, sie erschienen Abraham, Isaak und Jakob. Wir finden sie da alle Augenblicke, so daß ein großer Theil der Befehle und Verheißungen Gottes durch die Engel gegeben ist. Hat nun dies Wort Gottes im alten Testamente, das doch vielfach durch die Engel geredet ist, Bestand und Wahrheit gehabt? Ja, solchen Bestand und solche Wahrheit, daß eine jegliche Uebertretung ihren gerechten Lohn empfangen hat. Ich will euch davon einige Beispiele anführen. Als Moses 40 Tage und 40 Nächte auf dem Berge Sinai war, da machte Aaron dem Volke ein gegossenes Kalb und die Israeliten dienten nun dem Teufel nach der beliebten Weise der Weltkinder, es wurde gegessen und getrunken und dann gespielt und getanzt. So feiert noch heute die Welt ihre Feste, z. B. die Schützenfeste, Turnfeste, Sängerfeste, Schillerfeste rc. Gott wollte aber solches Weltwesen bei Seinem Volke nicht; wie ging es nun den Israeliten? Als Moses wieder zurückkehrte vom Berge, da befahl er den Leviten, ihr Schwert an die Seite zu gürten und Jeden niederzustoßen, der noch auf der Straße bei der Sünde ertappt würde. Und siehe, 3000 Israeliten fanden an diesem Tage ihren Tod. Ein ander Mal gehen die Israeliten am Sabbath vor das Lager und finden einen Mann, der lieset Holz auf am Sabbath. Sie greifen ihn und bringen ihn zu Mose. Moses weiß nicht was er thun soll und fragt Gott, und welche Antwort erhielt er? Das ganze Volk Israel soll diesen Bösewicht, der den Sabbath geschändet hat, steinigen. Er hatte nichts gethan als ein bisschen Holz aufgelesen am Sabbath, dafür wurde er gesteinigt. Ein ander Mal fingen die Israeliten an zu huren mit der Moabiter Töchtern. Ein Mann Namens Simri hatte eine solche freche Stirn, daß er seine Hure Casbi mit sich durchs Lager der Israeliten in sein Zelt, - in seinen Hurenwinkel sagt die Bibel -, führte. Da ergriff des HErrn Eifer den Pinehas, er eilte mit seinem Spieß in ihr Zelt und da er sie gerade beim Huren fand, so stieß er seinen Spieß durch beider Bauch in die Erde. Da sehet ihr, wie jegliche Uebertretung ihren Lohn empfangen hat. Wenn das nun der Fall ist, wieviel mehr wird das Wort wahr werden, welches Jesus, der Sohn Gottes, zu uns geredet hat und welches Er durch die Apostel, Seine Boten uns gesandt hat. Doch man könnte antworten: Es giebt jetzt so viele Sabbathschänder, ich sehe aber nicht, daß sie gesteinigt werden. Nun das ist wahr, daß der Sonntag greulich geschändet wird mit Kegeln, Tanzen, Kartenspielen, Arbeiten, Reisen rc. Wer straft das? Der einzige ist der Pastor. Die Eltern erlauben das ihren Kindern, die Meister ihren Lehrburschen und Gesellen, die Herrschaften ihren Dienstboten; darnach kräht kein Hahn und bellt kein Hund, die Obrigkeit bekümmert sich auch nicht darum. Und doch sagt der Apostel, wir sollen desto mehr wahrnehmen das Wort das wir hören. Im alten Testamente wurden die Hurer und Ehebrecher mit dem Tode bestraft. Wird jetzt nicht mehr gehurt? wird jetzt nicht mehr die Ehe gebrochen? So scheußlich und allgemein ist diese Sünde im Schwange wie noch nie. Aber um die Hurer und Ehebrecher bekümmert sich Keiner. Und ob die Leute ihr Haus zum Hurenhause und zum Ehebrecherhause machen, kein Mensch fragt darnach. Und wenn ein Mann seine Magd nimmt und beschläft sie und schickt dann die Magd weg, daß sie ihr Kind anders wo ablegt, wer fragt darnach? Nun laß einmal den jüngsten Tag kommen, wo der Vater mit seinen Huren und Ehebrecherkindern, die er hier mit einem Stück Geld abgekauft hat, vor Gottes Richterstuhl steht und neben ihm steht seine Ehefrau mit ihren ehelichen Kindern; was wird denn der gerechte Gott sagen? Im alten Testamente wurden die Hurer und Ehebrecher gestraft, das geschieht jetzt kaum mehr. Der Einzige, der sie noch straft, das ist der Pastor, die Uebrigen bekümmern sich nicht darum. Sagt man den Alten: Erlaubt doch euren Kindern das Huren nicht, so kriegt man die freche Antwort: O unser eins ist auch jung gewesen, wir wissen wohl, wie das bei den jungen Leuten geht. Und doch sagt der Apostel, wir sollen desto mehr wahrnehmen das Wort, das wir hören. Man sollte denken, das wäre gar nicht nöthig; denn im alten Testamente wurde die Sünde noch bestraft, jetzt kann ein Jeder ungestraft thun, was er will. Nenne mir Menschen, die wegen Hurerei und Ehebruch oder wegen Sabbathschändung bestraft sind? Sollte man nicht denken, im neuen Testamente könnten wir desto weniger wahrnehmen das Wort, das wir hören? Aber ich möchte es euch doch nicht rathen; irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten. Sehet, es ist ein Unterschied zwischen dem alten und neuen Testament. Im alten Testament wird Alles hingedeutet auf das Sichtbare, auf das Zeitliche, auf das, was durch Menschen ausgeführt wird; im neuen Testament wird Alles hingedeutet auf das Unsichtbare, auf das Ewige, auf das, was durch Gott selbst ausgeführt wird. Ist es schon schrecklich zur Zeit des alten Testaments, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen, noch schrecklicher ist es zur Zeit des neuen Testaments, dem heiligen Gott ungehorsam zu sein. Im alten Testament ist Lohn und Strafe sichtbar und zeitlich, im neuen Testament unsichtbar und ewig. Wenn Jemand zur Zeit des alten Testaments das Wort Gottes hielt, welche Verheißung wurde dem gegeben? Du sollst lange leben im Lande Kanaan. Hielt Jemand das Gesetz nicht, so wurde er ausgestoßen aus dem irdischen Erbe. Nun sehet einmal in das neue Testament, wenn da Jemand das Gesetz hält, heißt es da auch: Du sollst lange leben im Hannoverlande? Nein, sondern: Du sollst die ewige Seligkeit im Himmel haben. Wenn du aber im neuen Testament das Wort Gottes gering achtest und übertrittst, so wird dir nicht etwa dein Erbe im Hannoverlande genommen, sondern du kommst in den Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel ewiglich brennt. Das ist Lohn und Strafe im neuen Testament: Nicht irdische Ausrottung, sondern ewige Ausrottung, nicht zeitliches Wohl, sondern die ewige Seligkeit. Hatte das Halten des alttestamentlichen Worts irdische Vortheile und das Uebertreten irdische Nachtheile, so hat das Halten des neutestamentlichen Worts ewige Vortheile und das Uebertreten ewige Nachtheile. Darum habt wohl Acht auf das Wort des neuen Testaments und denkt nicht: Ich sehe keine Strafe, ich sehe keinen Lohn, darum giebt es auch weder Strafe noch Lohn; denn die furchtbare ewige Strafe oder der herrliche ewige Lohn folgt. Darum nehmt auch ihr wahr des Worts, das ihr hört und schreibt es in euer Herz, denn ihr müßt vor Gottes Richterstuhl offenbar werden. Wir stehen nicht vor einem irdischen, sondern vor dem ewigen Richterstuhl Gottes; und da bekommen wir alle unsern Theil, entweder die ewige Seligkeit oder die ewige Verdammniß. Amen.

Vers 4-5.

Und Gott hat ihr Zeugniß gegeben mit Zeichen, Wundern und mancherlei Kräften, und mit Austheilung des heiligen Geistes, nach Seinem Willen. Denn Er hat nicht den Engeln untergethan die zukünftige Welt, davon wir reden.

Der heilige Apostel hat uns in den drei ersten Versen dieses Capitels ermahnt, wir sollten das Wort des neuen Testaments, das uns gepredigt wird, recht sorgfältig annehmen, weil es als Wort des neuen Testaments weit herrlicher sei, als das Wort des alten Testaments. Hat Niemand das Wort des alten Testaments ungestraft mit Füßen treten dürfen, wie viel weniger darf Jemand das Wort des neuen Testaments mit Füßen treten. Nachdem der heilige Apostel das gesagt hat, setzt er nun hinzu: Und Gott hat dieser Predigt von Christo Zeugniß gegeben, mit Zeichen, Wundern und mancherlei Kräften, und mit Austheilung des heiligen Geistes nach Seinem Willen. Ich habe schon manchen sogenannten Christen gehört, daß er sagt: Ich glaube nicht an das Wort der Verheißung Gottes, ich glaube nicht einmal, daß die Bibel Gottes Wort ist, sondern ich glaube nur, daß in der Bibel Gottes Wort enthalten ist. Fragt man dann: Warum glaubst du das nicht? so lautet die Antwort: Weil ich es mit meiner Vernunft nicht begreifen kann. Das soll also der Grund sein, womit der Unglaube entschuldigt wird, und eigentlich wird damit dem lieben Gott die Schuld zugeschrieben, denn der hat das Wort der Bibel gegeben. Darauf giebt der Apostel hier die Antwort: In der ganzen heiligen Schrift wird dir nie gesagt, daß du das Wort Gottes mit der Vernunft begreifen kannst oder sollst; sondern es wird geradezu gesagt, daß das Wort Gottes so viel höher ist als unsere Vernunft, als der Himmel höher ist denn die Erde. So wenig wie Gott begriffen werden kann von den Menschen, weil Er viel höher ist als die Menschen, so wenig kann Gottes Wort von der Vernunft begriffen werden, weil es höher ist als die Vernunft. Wenn nun das Wort Gottes nicht von unserer Vernunft begriffen werden kann und soll, so ist die Frage: Ist Gott denn Schuld an dem Unglauben der Menschen? Höre, Gott hat gesagt: Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geiste Gottes; es ist ihm eine Thorheit und kann es nicht erkennen, denn es muß geistlich gerichtet sein. Kommst du also mit deiner Vernunft, so sagt Gott: Davon will Ich nichts wissen. Womit sollen wir denn Gottes Wort begreifen, wenn nicht mit der Vernunft? Du sollst Gottes Wort gar nicht begreifen, sondern du sollst es im Glauben annehmen. Der Glaube ist etwas ganz anderes als die Vernunft. Die Vernunft ist eine Gabe, die wir von Natur besitzen, die dem Menschen mitgegeben ist als eine Eigenschaft seines Geistes, der Glaube ist eine Gabe, die uns Gott aus Gnaden schenken muß. Das ist Gottes Werk, daß ihr glaubt an Mich, sagt der HErr. Wenn der Glaube nun Gottes Werk ist, so darf mich Gott nicht darüber strafen, daß ich diesen Glauben nicht habe; warum hat Gott ihn nicht in mir gewirkt? So weit will der Apostel die Menschen erst haben, um zu zeigen, daß es ihre eigene Schuld ist, wenn sie nicht glauben. Ja, wenn bei der Predigt des Evangeliums nicht die Zeichen, Wunder, mancherlei Kräfte und die Ausgießung des heiligen Geistes wäre, dann könnten die Menschen sich entschuldigen und sagen: Ich kann nicht glauben. Da aber dies alles vorhanden ist, so darf Keiner sagen: Ich kann nicht glauben, sondern ein Jeder, der nicht glaubt, muß sagen: Ich will nicht glauben; denn er thut die Augen zu vor den Zeichen, Wundern, Kräften und vor der Ausgießung des heiligen Geistes, womit die Predigt von Christo begleitet ist. Wir wollen gleich ein Beispiel nehmen. Da stehen eine Menge Juden vor dem Hause in Jerusalem, worin die Apostel versammelt sind. Die Apostel haben seit Christi Himmelfahrt gebetet um den heiligen Geist und warten nun auf die Erhörung ihres Gebets. Auf einmal fängt es an zu sausen und zu brausen über dem Hause, darinnen sie sind und Keiner wußte, wo dies Sausen und Brausen herkam; es war wie ein Wind, und doch war kein Wind. Darauf setzte sich der heilige Geist in der Gestalt feuriger Zungen auf die Häupter der Apostel und doch verbrannte ihr Haupt nicht. Dann predigen die Apostel in nie gelernten Sprachen, und Alle, die dabei stehen, rufen aus: Wie kommt es, daß wir diese Männer in unserer Muttersprache predigen hören? Sagt mir einmal, als sie diese wunderbare Zeichen sahen, als ihnen darauf Jesus gepredigt wurde, der die Sünder selig macht, als Petrus sagte, dieser Jesus, von dem das Sausen und Brausen, von dem die Feuerflammen und diese Predigt kommt, der ausgegossen hat den heiligen Geist; das ist der Jesus, den ihr gekreuzigt und an ein Holz gehängt habt und den Gott auferweckt hat, - mußten diese Juden nicht zum Glauben kommen? Und wenn sie nicht zum Glauben kamen, war es denn nicht ein muthwilliges Widerstreben gegen die erkannte Wahrheit? Dreitausend Juden bekehrten sich, aber die andern hatten ihren Spott über die Predigt und sagten: Die Apostel sind voll süßen Weins.

Wenn der jüngste Tag kommt und diese dreitausend Bekehrten stehen unter den Seligen, so werden jene Spötter mit Recht verdammt, der HErr wird zu ihnen sagen: Ihr habt nicht gewollt; die dreitausend werden als Zeugen gegen sie auftreten. Und so, meine Lieben, geht es mit allem, was wir von der Predigt des Wortes Gottes hören, allenthalben ist sie bestätigt worden mit Zeichen, Wundern, Kräften und Austheilung des heiligen Geistes. Wer der Predigt nicht glaubt, der glaubt nicht den Zeichen, Wundern und Kräften Gottes. Ganz besonderes Gewicht legt der Apostel darauf, daß er sagt: Und mit Austheilung des heiligen Geistes nach Seinem Willen. Einem jeden Menschen, der die Predigt hört, wird der heilige Geist gegeben, der aus ihm eine neue Kreatur machen soll. Wenn man das nun sieht, muß man da nicht erkennen, daß es Gottes Kraft ist, die solche Wunder thut? Sehet noch heute z. B. einen aufrichtig bekehrten Menschen an, so werdet ihr finden, daß dieser Mensch nach seiner Bekehrung ein ganz anderer geworden ist, als er vor seiner Bekehrung war. Paulus war vor seiner Bekehrung ein Mörder der Christen, nach seiner Bekehrung ließ er sich für den HErrn tödten. Sehet einen Menschen an, der der ärgste Säufer, Spieler, Hurer, Lügner ist; nun bekehrt er sich, dann säuft, spielt, hurt und lügt er gewiß nicht wieder, sondern er lebt still, mäßig, keusch, denn er ist ein anderer Mensch geworden. Wer sich nicht bekehrt, der kann wohl das äußerliche Christenthum mitmachen, aber sein Herz bleibt das alte. Bekehrt sich Jemand, so wird er ein neuer Mensch, und wenn ich das sehe, sollte ich da nicht erkennen, daß Gottes Wort eine Kraft ist selig zu machen Alle, die daran glauben? So hat der Apostel Recht, die Zeichen, Wunder, Kräfte und die Austheilung des heiligen Geistes sind das klarste Zeugniß von der Wahrheit des göttlichen Worts. Am jüngsten Tage sollen es die Ungläubigen erfahren, daß nur sie Schuld sind an ihrer eigenen Verdammniß, Wer wird ihnen das am jüngsten Tage klar machen? Der Jesus, den sie hier verachtet haben. Denn, sagt der Apostel, Er hat nicht den Engeln untergethan die zukünftige Welt, davon wir reden. Die zukünftige Welt, das ist die ewige Verdammniß und die ewige Seligkeit, oder wenn ich den Ort nennen will, der Feuerpfuhl und die neue Erde. Diese zukünftige Welt hat Gott dem HErrn Jesu untergethan; nun merke dir: Bist du ein wahrer Christ, hast du dich aufrichtig bekehrt, so brauchst du nicht verdammt zu werden, denn der Jesus sitzt auf dem Richterstuhl, der dein Freund und Bruder ist, der dich mit Seinem Blute erkauft hat; du brauchst nicht bange zu sein. Hast du aber Jesum verachtet, hast du nicht an Ihn glauben wollen, so mußt du dich fürchten, denn der Jesus sitzt auf dem Richterstuhl, den du verschmähet, den du von dir gestoßen hast. Dann wirst du rufen: Ihr Berge fallet über mich und ihr Hügel, decket mich vor dem Zorn des Lammes. Merke es dir, dem HErrn Jesu ist untergethan die zukünftige Welt, der wird die Welt richten; Er bringt Seine Freunde in den Himmel und Seine Feinde wirft Er in den Feuerpfuhl. Der du Jesum lieb hast und Ihn deinen Jesum nennest, du kannst dich freuen auf den jüngsten Tag; der du Ihn verachtest, du darfst Ihn nicht deinen Jesum nennen, du mußt erschrecken vor dem jüngsten Tage. Amen.

Vers 6-8.

Es bezeuget aber Einer an einem Ort und spricht: Was ist der Mensch, daß Du Seiner gedenkest; und des Menschen Sohn, daß Du Ihn heimsuchest. Du hast Ihn eine kleine Zeit der Engel mangeln lassen; mit Preis und Ehre hast Du Ihn gekrönet, und hast Ihn gesetzt über die Werke Deiner Hände. Alles hast Du untergethan zu Seinen Füßen. In dem, daß Er Ihm Alles hat untergethan, hat Er nichts gelassen, daß Ihm nicht unterthan sei; jetzt aber sehen wir noch nicht, daß Ihm Alles unterthan sei.

Daß unser HErr Jesus der wahre Gott ist, der gekommen ist die Sünder selig zu machen, hat der Apostel im Vorigen klar ausgesprochen. Aber er will das nun noch aus dem alten Testamente beweisen, da er diesen Brief an die Hebräer schreibt, um dieselben zu überzeugen, daß die Lehre von der wahren Gottheit Jesu Christi bereits schon im alten Testamente klar verkündigt ist. Und das war um so nöthiger, da ihr aus dem neuen Testamente wißt, daß die Juden sich gegen nichts mehr empörten, als gegen die Lehre von Jesu wahrer Gottheit. Denkt an die Geschichte Joh. 8. Da wollten die Juden jedesmal aus der Haut fahren, wenn Jesus sagte, daß Er Gottes Sohn sei, sie schnaubten vor Wuth und sagten, Jesus habe den Teufel, daß Er sich Gottes Sohn nenne. Und doch ist es gerade ihr eigenes Buch, das alte Testament, das den Messias verkündigt, als den Sohn Gottes. Im alten Testamente ist es sehr klar geweissagt, daß Niemand anders der Messias sei, als der, der wahrer Gott und wahrer Mensch in einer Person ist. Heißt es nicht Jesaias 7: Eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie heißen Immanuel. Eine Jungfrau soll einen Sohn gebären, also ein wahres Menschenkind, und von diesem Menschenkinde heißt es: Gott mit uns. Micha 5 heißt es: Und du Bethlehem Ephrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll Mir kommen, der über Mein Volk Israel ein HErr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. Da sagt der Prophet, daß Jesus, der in Bethlehem geboren werden soll, wahrer Gott ist. Im 45. Psalm heißt es: Darum hat Dich Gott (Sohn) gesalbt Dein Gott, (Gott der Vater) mit Oel der Freuden d. h. mit dem heiligen Geist. Ebenso will Paulus in unserm Text aus dem alten Testamente den Beweis führen, daß Jesus wahrer Gott ist. Dazu gebraucht Er den 8. Psalm, der auch zu den messianischen Psalmen gehört und von Jesu dem Sohne Gottes weissagt. Da heißt es: Was ist der Mensch, daß Du Seiner gedenkst; und des Menschen Sohn, daß Du Ihn heimsuchest? In diesen Worten wird uns der Messias zuerst dargestellt als wahrer Mensch, denn es heißt: Was ist der Mensch, daß Du Sein gedenkest; und das ist auch eine äußerst wichtige Lehre, die wir eben so fest halten müssen als die Lehre von der wahren Gottheit Christi; beides können wir zur Seligkeit nicht entbehren. Ist Christus weiter nichts als wahrer Mensch, so kann Er uns nicht helfen zur Seligkeit, Er ist zu schwach dazu; ist Christus weiter nichts als wahrer Gott, so kann er ebenfalls unser Erlöser nicht sein, denn Gott kann nicht leiden und sterben. Ist Christus aber wahrer Gott und wahrer Mensch, so kann Er unser Erlöser sein, und beides bezeugt der 8. Psalm. Jesus ist ein wahrer Mensch, des Menschen Sohn, d. h. Er hat rechte menschliche Natur und ist auf menschliche Weise durch irdische Geburt in dieses Leben gekommen. Darum wird Er der Mensch genannt, auf daß wir sehen, daß Er wirklich Mensch geworden ist. Der Psalm nennt Ihn des Menschen Sohn, um zu zeigen, daß Er durch die Geburt in unsere Menschheit gekommen ist. Das finden wir in der Geschichte des neuen Testaments allenthalben bestätigt. Das eine Mal sitzt Er mit Menschen am Tische, isset und trinket mit ihnen; oder wir sehen Ihn, daß Er mit Kleidern bekleidet ist wie andere Menschen; oder wir sehen Ihn, wie Er im Schiffe liegt und schläft; oder wir sehen Ihn bluten am Kreuze; oder wir sehen Ihn weinen über das Elend, welches der Tod angerichtet hat auf Erden. Derjenige, von dem dies ausgesagt wird, muß so gewiß ein Mensch sein, wie dies der menschlichen Natur eigen ist. Christus ist ein Mensch geworden wie wir, doch ohne Sünde. Dabei ist Er nicht hinein geschneiet in den Orden der Menschen, als ob Ihn Gott als etwas ganz Neues geschaffen habe, daß Er nun als ein fremder Mensch zu uns kommt, sondern Er gehört unserm Geschlechte an, Er ist von Maria geboren. Nun können wir sagen: Er ist unsers Geschlechts geworden, von einer menschlichen Mutter aus unserm Geschlecht und Orden geboren, als unser Fleisch und Blut ist Er zu uns gekommen. Nun ist Sein Leiden unser Leiden, Seine Freude unsere Freude; denn wo ein Glied leidet, da leiden alle Glieder mit, und wo ein Glied herrlich gehalten wird, da freuen sich alle Glieder mit. Darum ist es nothwendig zu wissen, daß Er unserm Menschenorden angehört, daß wir zu Ihm stehen als Brüder und Schwestern. Er nennt uns Seine Brüder und Schwestern, weil Er unserer Natur theilhaftig geworden ist. Nun heißt es weiter: Du hast Ihn eine kleine Zeit der Engeln mangeln lassen.

Was heißt das? Damit wird angezeigt, daß Christus, dem von Ewigkeit her alle Engel gedient und angebetet haben, eine Zeit lang dieses Dienstes und dieser Anbetung entbehrt habe; oder mit andern Worten: Christus ist aus dem Zustande der höchsten Hoheit in den Zustand der tiefsten Niedrigkeit eingetreten. Im Stande der Hoheit ermangelte Er nicht der Engel, im Stande der Niedrigkeit trat dieser Mangel ein. Jesus ist, ehe Er Mensch wurde, im Zustande der Hoheit gewesen, und das ist die Hoheit, die Er von Ewigkeit her im Schooße des Vaters hatte, denn von Ewigkeit her heißt es: Du bist Mein Sohn, heute habe ich Dich gezeugt. In diesem Zustande der göttlichen Hoheit wurde Er von den Engeln angebetet, sie dienten Ihm; aber aus diesem Zustand der Hoheit ist Er in den Zustand der Niedrigkeit eingetreten und da ermangelte Er der Engel, da dienten sie Ihm nicht, ausgenommen wenn sie der Vater aus besonderen Gründen schickte; aber auch dann wird nirgends eine Anbetung erwähnt. Bei der Geburt Jesu sangen und predigten wohl die Engel, aber wir finden nirgends, daß sie Jesum anbeten. Ebenso als Jesus den Teufel überwunden hatte, heißt es wohl, daß die Engel Ihm dienten, aber nicht, daß sie Ihn anbeteten. Warum hat Jesus in dem Zustande der Erniedrigung der Engel Anbetung ermangelt? Das ist darum geschehen, weil Jesus sich entäußert hat der göttlichen Herrlichkeit. Wenn es heißt Phil. 2: Er entäußerte sich selbst, so ist das dasselbe, was hier der Apostel sagt: Du hast Ihn eine kleine Zeit der Engel mangeln lassen. Ihm fehlte da etwas, und das war Seine göttliche Herrlichkeit. Merket aber wohl, es war nicht Seine Gottheit, die Ihm fehlte, sondern Seine göttliche Herrlichkeit. Du darfst nicht sagen, Er habe sich Seiner Gottheit entäußert, denn dann hätte Er aufgehört Gott zu sein. So wahr Er der wahrhaftige Gott ist gelobt in Ewigkeit, so wahr kann Er nicht Seine Gottheit ablegen, so wahr kann Er nicht aufhören, Gott zu sein. So gewiß wie du ein Mensch bist, so gewiß kannst du deine Menschheit nicht ablegen; einen andern Rock kannst du anziehen, kannst Bauer oder Bürger, ein Reicher oder ein Armer werden, aber Mensch mußt du bleiben. So ists auch mit dem HErrn Jesu, die Gottheit kann Er nie ablegen; Er kann wohl über die Gottheit den Kittel der Menschheit ziehen, aber Er kann nie aufhören Gott zu sein. Nicht Seine Gottheit, sondern die Herrlichkeit Seiner Gottheit hat Er abgelegt. Wenn Er z. B. Wunder verrichtete, dann konnte man einige Strahlen Seiner göttlichen Herrlichkeit sehen. Es ist das ganz etwas Aehnliches, wie ich euch schon oft das Beispiel von dem russischen Kaiser Peter vorgestellt habe. Er wollte seinem Volke, das ganz roh war, eine höhere Stufe der Bildung verschaffen, darum zog er mit einigen seiner Leute in fremde Länder und erlernte dort verschiedene Handwerke. Wenn er z. B. in der Schmiede beim Amboß stand, dann hatte er die kaiserlichen Kleider abgelegt, und schmutzige Kleider und ein Schurzfell angethan. War er nun kein Kaiser mehr? Doch, er hatte nur die kaiserliche Herrlichkeit abgelegt. Und wenn er nun mit Schurzfell oder in der Zimmermannsjacke Befehle gab, galten die nicht? Ich wollte es Keinem gerathen haben sich diesen Befehlen zu widersetzen. So ist es auch mit dem HErrn Jesu. Er hat eine kleine Zeit der Engel entbehrt, aber auch nur eine kleine Zeit, denn es heißt weiter: Mit Preis und Ehre hast Du Ihn gekrönt, und hast Ihn gesetzt über die Werke Deiner Hände; Alles hast Du untergethan zu Seinen Füßen. Wann hat der Vater das gethan? Als Jesus gen Himmel fuhr. Als Jesus alles vollbracht hatte, als Er die Menschen durch Sein Blut mit Gott versöhnt hatte, da hat Ihn Gott mit Preis und Ehren gekrönt, hat Ihn hinauffahren lassen in den Himmel, hat Ihn gesetzt auf den Thron der Herrlichkeit und zu Ihm gesagt: Setze Dich zu Meiner Rechten, bis daß ich Deine Feinde zum Schemel Deiner Füße lege. Da regiert Er nun bis Alles Ihm unterthänig ist, Seine Freunde und Feinde, bis Keiner mehr übrig ist, der nicht die Kniee vor Ihm beugt. Die Einen thun es dann gezwungen, das sind Seine Feinde; die Andern thun es mit Freuden, das sind Seine Freunde. Aber beugen müssen sie alle ihre Kniee, denn Jesus ist der wahre Gott gelobt in Ewigkeit. So hat der Apostel es bewiesen, daß Jesus wahrer Gott und wahrer Mensch ist; beides ist nöthig zu glauben, wenn wir Vergebung der Sünden haben wollen. Unsere Schuld muß bezahlt, unsere Strafe muß gebüßt werden; sollen wir das selbst thun, so müssen wir zum Teufel in die Holle fahren und können nie wieder herauskommen. Darum müssen wir einen Bürgen und Stellvertreter haben, wenn wir selig werden wollen; dieser Stellvertreter muß wahrer Gott sein, sonst reicht Seine Kraft nicht aus, Er muh aber auch wahrer Mensch sein, sonst kann Er nicht für uns leiden und sterben und unser Stellvertreter muß für uns leiden und sterben. Darum muß Gott Mensch werden, und nur dieser Gottmensch kann unser Heiland sein. Luther sagt in den Fragestücken für die, so zum heiligen Abendmahl gehen wollen: Wer hat dich erlöset? Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch. Ist der Vater für dich gestorben? Nein, der ist nur Gott. Ist der heilige Geist für dich gestorben? Nein, der ist nur Gott. Aber der Sohn ist wahrer Gott und wahrer Mensch, der ist für mich gestorben und hat Sein Blut für mich vergossen. Jesus Christus hat mich erlöset. Er hat als Gott die Macht, meine Sünden zu tragen und als Mensch die Fähigkeit, Sein Blut zu vergießen, zu leiden und zu sterben. Darum heißt es: Es ist in keinem Andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen sie selig werden können. Wer an Jesum glaubt, der ist gerecht; wer nicht an Jesum glaubt, der geht ewig verloren. Amen.

Vers 9-10.

Den aber, der eine kleine Zeit der Engel gemangelt hat, sehen wir, daß es Jesus ist, durchs Leiden des Todes gekrönet mit Preis und Ehre, auf daß Er von Gottes Gnaden für Alle den Tod schmeckte. Denn es ziemte dem, um des willen alle Dinge sind, und durch den alle Dinge sind, der da viele Kinder hat zur Herrlichkeit geführet, daß Er den Herzog ihrer Seligkeit durch Leiden vollkommen machte.

In der letzten Vesperpredigt ist die Weissagung aus dem 8. Psalm angeführt worden. Nun heißt es weiter: Den aber, der eine kleine Zeit der Engel gemangelt hat, sehen wir, daß es Jesus ist, durchs Leiden des Todes gekrönt mit Preis und Ehre, auf daß Er von Gottes Gnaden für Alle den Tod schmeckte. Paulus bezeichnet also den 8. Psalm als eine Weissagung auf Christum. Im 8. Psalm heißt es zuerst, der Messias sollte eine kleine Zeit der Engel mangeln, dann sollte Er mit Preis und Ehre gekrönt werden. Das ist an Jesu erfüllt. Jesus hat in Seiner großen Noth in Gethsemane und auf Golgatha der Engel gemangelt. Wenn wir nach Gethsemane schauen, da sehen wir Jesum, wie Er im Staube als ein Wurm mit Gott ringt, wie Er Gebet und Flehen mit starkem Geschrei vor den bringt, der Ihn von dem Tode konnte erretten, wie Er von Gott und Menschen verlassen mit dem Tode ringt, wie Seine Seele betrübt ist bis in den Tod, wie Er anfängt zu zittern und zu zagen; da war Er von den Engeln verlassen. Und wenn es nachher heißt: Um die sechste Stunde ward eine Finsterniß über das ganze Land bis um die neunte Stunde, dann rief Jesus: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen! so ist da die Weissagung des 8. Psalm abermals erfüllt. So lag Er in Gethsemane und hing am Kreuz auf Golgatha von Gott, Menschen und Engeln verlassen. Jesus war Seinem himmlischen Vater in allen Dingen gehorsam gewesen, und nun mußte Er von Ihm verlassen sein. Der Vater hat doch den Sohn lieb von Ewigkeit her, und nun scheint es so, als ob Er Ihn gar nicht lieb hat, als ob Er Ihm zürnt. Ja, wenn Jesus sich krümmt wie ein Wurm, wenn Er Blut schwitzt und mit dem Tode ringt, wenn Er am Kreuze ruft: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du Mich verlassen! so ist das nichts anders als die ewige Verdammniß, die Er leidet. Warum mußte der leiden und dulden, der nicht bloß der Heilige, sondern auch der ewige Sohn Gottes ist? Das mußte Er deshalb, weil Er unser Bürge und Stellvertreter geworden ist, der unsere Sündenlast auf sich genommen hat und der darum bezahlen muß, was wir bezahlen sollten. Wir haben mit unsern Sünden Gottes Zorn verdient; weil Er nun unsere Sünden auf sich genommen hat, so wendet Gott Seinen Zorn gegen Ihn. Wir sollten sterben um unserer Sünden willen; weil nun Jesus unser Bürge geworden ist, so muß Er für uns sterben. Wir müßten verdammt werden, weil wir Sünder sind; nun ist Jesus unser Bürge geworden, darum muß Er verdammt werden; der Bürge muß bezahlen ohne Gnade und Barmherzigkeit. Bist du Bürge geworden für tausend Thaler, so mußt du diese Summe bezahlen, wenn der es nicht kann, für den du Bürge geworden bist. Der HErr Jesus hat für uns bezahlen müssen, weil wir nie unsere Schuld bezahlen können; deßhalb hat Er mit dem Tode gerungen und Blut geschwitzt, deßhalb hat Er verdammt werden und sterben müssen. Davon ist nun die selige Folge: Hat Jesus meine Sünden getragen, so sind sie verschwunden; hat Jesus meine Schuld bezahlt, so bin ich frei; hat Jesus meine Strafe gebüßt, so kann mich die Strafe nicht mehr treffen; ist Jesus für mich gestorben, so brauche ich nicht mehr zu sterben; hat Jesus meine Verdammniß auf sich genommen, so brauche ich nicht verdammt zu werden. Ich bin frei von Sünde, Schuld, Strafe, Tod und Verdammniß, weil Jesus Sünde, Schuld, Strafe, Tod und Verdammniß für mich getragen hat. Wer das glaubt, der muß selig werden. Darum glaube an den HErrn Jesum, so wirst du selig; das ist die einzige Antwort der Schrift auf die Frage; Was muß ich thun, daß ich selig werde? Da heißt es nicht: Du mußt dies und das thun, du mußt dies und das bezahlen, sondern glaube, daß Jesus dein Heiland, dein Bürge, dein Stellvertreter ist, daß Er um deiner Sünde willen dahin gegeben und um deiner Gerechtigkeit willen auferweckt ist, dann nimmt Gott alle deine Sünden und legt sie auf Jesum und schenkt dir Christi fleckenlose Gerechtigkeit. Aber ist Jesus in diesem schrecklichen Zustande geblieben? Das ist nicht möglich, sonst hätten Ihn ja Tod und Verdammniß überwunden. Darum heißt es weiter im 8. Psalm: Mit Preis und Ehre hast du Ihn gekrönt, und hast Ihn gesetzt über die Werke Deiner Hände. Wodurch hat Gott das gethan? Durch die glorreiche Auferstehung Jesu Christi. Das Grab hat den Leib und die Hölle hat die Seele wieder hergeben müssen, und so ist unser HErr Jesus lebendig aus dem Grabe hervorgegangen, nachdem Er Sünde, Tod, Grab, Hölle und Verdammniß überwunden hat; Er steht da als der Sieger über diese Feinde. Jetzt kannst du es glauben, daß Er dein Heiland ist, denn Er sagt: Sünde, Tod, Hölle, Grab und Verdammniß haben Mich nicht überwunden, sondern Ich habe sie überwunden und stehe nun lebendig vor dir. Nun jubiliren wir: Tod, Sünde, Teufel, Leben und Gnad, alles in Händen Er hat. Er kann erretten Alle, die zu Ihm treten. Halleluja. So hat sich Jesus durch Seinen Tod und Auferstehung erwiesen als den siegreichen Heiland. Aber Gott hat Ihn noch mehr erhöhet, denn Er ist nicht auf Erden geblieben; vom Himmel ist Er gekommen, gen Himmel ist Er gefahren, und hat sich gesetzt zur Rechten des Vaters, hat die Herrlichkeit wieder eingenommen, die Er von Ewigkeit her bei dem Vater gehabt hat. Da sitzt Er als König, Alles ist Ihm unterthänig, und was Ihm noch nicht unterthan ist, das will Er sich noch unterwerfen, denn alle Zungen sollen bekennen, entweder daß Er ihr Heiland ist, der sie selig macht, oder ihr Richter, der sie von Seinem Angesicht verworfen hat. Dann geben sowohl die Engel und die Gläubigen, als auch die Teufel und die Ungläubigen Ihm Seine Ehre. Während die Gläubigen dann mit Jesu auf die neue Erde gehen, werden die Ungläubigen in den Feuerpfuhl geworfen. Nun heißt es weiter: Auf daß Er von Gottes Gnaden für Alle den Tod schmeckte; und in einer andern Stelle heißt es: Auf daß Er für Viele den Tod schmeckte. Aber ist das nicht ein Widerspruch: Alle und Viele? Viele, das sind doch nicht Alle, und Alle, das sind doch nicht nur Viele. Beides stimmt genau überein, weil in der Bibel nun einmal kein Widerspruch stehen kann. Er hat für Alle den Tod geschmeckt, aber das kommt nur denen zu Gute, die an Ihn glauben. Sie können Alle selig werden, denn Er hat für Alle Sein Blut vergossen; aber sie werden leider nicht Alle selig, sondern nur die an Ihn glauben, und das sind die Vielen; denn der Glaube ist die Bedingung zur Seligkeit. So ist auch für euch Alle das Blut Christi vergossen, ein Jeder kann durch Jesu Blut selig werden; aber glaubt ihr nicht an Ihn, bekehrt ihr euch nicht, so hilft euch Sein Blut nichts, obgleich es für euch vergossen ist. Nun fährt der Apostel fort: Denn es ziemte dem, um deß willen alle Dinge sind, und durch den alle Dinge sind, der da viele Kinder hat zur Herrlichkeit geführet, daß Er den Herzog ihrer Seligkeit durch Leiden vollkommen machte. Der Herzog unserer Seligkeit ist Jesus. Der Herzog ist derjenige, der dem Zuge vorangeht. Jesus geht dem Zuge der Seligen voran, darnach folgen Alle, die an Ihn glauben. Dieser Heerführer mußte durch Leiden vollkommen gemacht werden, d. h. Er mußte leiden und sterben, nur dann war Er ein vollkommener Herzog, wenn Er für uns litt und starb. Jesus kann also nur durch Sein Leiden und Sterben die Menschen selig machen.

Dieser 10. Vers ist überhaupt ein merkwürdiger und schwer verständlicher Vers. Es geziemte dem lieben Gott, unsern Heiland durch Leiden vollkommen zu machen. Das ist nun der Gott, um deß willen alle Dinge sind und durch den alle Dinge sind; das ist der Gott, der viele Kinder zur Seligkeit führt. Es geziemte Gott so, weil 1. durch Ihn alle Dinge geschaffen sind; 2. weil um Seinetwillen alle Dinge geschaffen sind, und 3. weil Er viele Kinder zur Herrlichkeit führt. Wenn ich daran denke, welche That das ist, daß Gott Seinen Sohn vom Himmel sendet, daß Er sich von Ihm trennt, Ihn in Tod und Verdammniß giebt, daß Er Ihn vom Satan quälen läßt, daß Er Ihn gleichsam selbst verläßt und mit Füßen tritt, so muß ich verwundert fragen: Wie war das möglich? Gab es denn keinen andern Weg, die Sünder zu erlösen, als diesen äußersten? Mußte Gott so Sein eigen Herz von sich reißen? Mußte Er so gegen Sein eigen Fleisch und Blut wüthen? Gab es denn kein anderes Mittel? Nein, dies war das einzige. Warum? Weil es sich so ziemte, daß Gott durch keinen Andern versöhnt wurde, als durch Seinen lieben Sohn. Der Beleidigte war Gott, der Gott, der uns geschaffen und zur Seligkeit bestimmt hatte; darum mußte ein solches Opfer gebracht werden, das Gott angemessen war. War es nicht ein solches Opfer, so ziemte es nicht für Gott; darum konnte Gott keinen Andern nehmen, als den, der selbst Gott ist; und Keiner ist sonst Gott außer dem Vater und dem heiligen Geist, als der Sohn. Deßhalb mußte der Sohn Mensch werden; denn wäre Er nicht Mensch geworden, so hätte Er nicht leiden und sterben können. So ist es denn geschehen, daß Jesus für uns gestorben ist am Stamm des Kreuzes, daß Er unsere Verdammniß getragen und für uns die Hölle überwunden hat. Das ist das einzige geziemende Opfer für die Sünden der Welt; es gab kein anderes geziemendes Blut, das vergossen werden konnte, als das Blut des Sohnes Gottes. Sehet, so theuer sind wir erkauft. Darum sagt der Apostel Paulus: Wir sind theuer erkauft; darum preiset Gott an eurem Leibe und in eurem Geiste, welche sind Gottes; und der Apostel Petrus: Ihr sollt wissen, daß ihr nicht mit vergänglichem Gold oder Silber erlöset seid von eurem eitlen Wandel nach väterlicher Weise; sondern mit dem theuren Blute Christi, als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. Nun könnt ihr sehen, wie ein Jeder, der an Jesum glaubt, seiner Seligkeit gewiß sein kann; denn dies Lamm Gottes tilgt alle Sünden der Welt. Es heißt in einem Gesange unserer Kirche: O Wunder ohne Maßen, wenn man's betrachtet recht; es hat sich martern lassen der HErr für Seine Knechte; es hat sich selbst der wahre Gott für uns verlorne Sünder gegeben in den Tod. Darum wird auch mit Recht von dem Blute Christi gesagt: Dein Blut, der edle Saft, hat solche Stärke und Kraft, daß auch ein Tröpflein kleine die ganze Welt kann reine und aus des Teufels Rachen frei, los und ledig machen. Und der Apostel Johannes sagt: Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde. Amen.

Vers 11-13.

Sintemal sie Alle von Einem kommen; beide, der da heiliget, und die da geheiliget werden. Darum schämet Er sich auch nicht, sie Brüder zu heißen, und spricht: Ich will verkündigen Deinen Namen Meinen Brüdern, und mitten in der Gemeine Dir lobsingen. Und abermal: Ich will Mein Vertrauen auf Ihn setzen. Und abermal: Siehe da, Ich und die Kinder, welche Mir Gott gegeben hat.

In der letzten Vesperpredigt haben wir gesehen, daß das Blut unsers HErrn Jesu Christi das einzige Gott geziemende Lösegeld war, womit die Sünden der Menschen bezahlt werden konnten, daß Gott also auf keine andere Weise die Erlösung der Menschen bewerkstelligen konnte, als durch die Darbringung dieses großen Opfers. Ja, wahrlich, wir sind theuer erkauft, nicht mit vergänglichem Silber und Gold, sondern mit dem theuren Blute unsers HErrn Jesu. Fragen wir: Gab es denn kein anderes Mittel, die Menschen zu erlösen? War kein Mensch, kein Engel tüchtig, die Sünden der Welt zu tragen? so ist die Antwort: Nein, nur Gottes Sohn war tüchtig und fähig, unsere Sünden wegzunehmen. Warum? Den einen Grund haben wir schon gehabt: Jesus war Gottes Sohn, d. h. wahrer Gott gelobt in Ewigkeit, die zweite Person in der Gottheit. Der andere Grund wird uns nun in unserm Text gezeigt. Es heißt da: Sintemal sie Alle von Einem kommen, beide, der da heiliget und die da geheiligt werden. Darum schämet Er sich auch nicht, sie Brüder zu heißen. So gewiß nämlich, als unser Erlöser wahrer Gott sein muß, so gewiß muß Er auch wahrer Mensch sein. Er muß sowohl sagen können: Ich und die Menschen sind eins, als auch: Ich und der Vater sind eins. Er muß Gott und die Menschen seines Gleichen nennen können. Nur der, der Gott und Menschen Seines Gleichen nennen kann, kann unser Heiland sein. Hat Er göttliche und menschliche Natur, so steht Er in der Mitte und kann Gott und Menschen versöhnen. Daß Jesus wahrer Mensch ist, das zeigt der Apostel zuerst in unserm Text. Der da heiligt, das ist Jesus Christus; die da geheiligt werden, das sind die Menschen, die Sünder; und diese beiden, der Erlöser und die Erlöseten, kommen von Einem her, von Adam, sie haben beide das menschliche Wesen von Adam. Sollte der Erlöser wahrer Mensch sein, so mußte Er von einer Tochter Adams geboren werden, und die hieß Maria. Von ihr hat Er das menschliche Wesen Adams angenommen, wie wir; denn Maria war gerade so gut Adams Tochter, als es unsere Mütter sind. Gott hätte Ihn ja auch schaffen können, wie Er Adam aus einem. Erdenklos machte, so hätte Er auch den Erlöser aus einem Erdenklos machen können; die Macht dazu hatte Er. Aber dann stand der Erlöser neben den Menschen, dann hätte Er nicht zu ihnen gehört, sondern zu einem andern Menschenorden, dann hätte uns auch Sein Leiden nicht zu Gute kommen können. Aber nun stammt Er mit uns aus ein und demselben Geschlecht, Er kommt von Adam, ist ein Mensch wie wir, aber ohne Sünde, während wir Alle Sünder sind. Darum wurde Er auch nicht von einem menschlichen Vater gezeugt; denn wenn Er in Sünden empfangen und geboren wurde, so war Er ein Sünder wie wir. Gott der Vater zeugte Ihn ohne sündliche Lust durch die Kraft des heiligen Geistes in dem Leibe der Maria; nun konnte Er unser Heiland sein. So hat Jesus durch die Geburt von der Jungfrau Maria in der Kraft des heiligen Geistes die menschliche Natur vollkommen, aber ohne Sünde, angenommen, so daß Er eben so gut ein Kind Adams ist als wir. Da sehet ihr die Bestätigung der Lehre, daß die Sünde nicht zu der menschlichen Natur gehört; darum konnte Jesus diese Natur aus Maria ohne Sünde annehmen. Nachdem wir nun gesehen haben, daß Jesus wahrer Gott und wahrer Mensch ist, so wissen wir gewiß, daß Jesus der einzige Erlöser ist. Darum sagt Luther: Es ist unmöglich, daß ein Anderer unser Erlöser sein soll; denn Jesus, wahrer Gott und wahrer Mensch, ist allein vom Himmel gekommen auf die Erde. Willst du Jesum nicht als deinen Heiland, so wirst du in Ewigkeit keinen Heiland finden. O meine Lieben, die Lehre von der wahren Gottheit und Menschheit Jesu kann gar nicht genug betont und hervorgehoben werden; denn der Satan ist gar geschäftig, uns diesen Trost zu rauben. Weil Jesus Mensch ist, so versöhnt Er die Menschen mit Gott; weil Jesus Gott ist, so versöhnt Er Gott mit den Menschen; Er nimmt den Zorn Gottes weg und dadurch wird das feindschaftliche Verhältniß aufgehoben. Daß Jesus dies selbst bekennt, das sehen wir aus den Worten: Darum schämt Er sich auch nicht, die Menschen Seine Brüder zu beißen. Es ist doch wunderbar, daß Gott vom Himmel die Menschenkinder Seine Brüder nennt. Ihr wisset, daß Jesus nach Seiner Auferstehung zu den Weibern sagte: Gehet hin zu Meinen Brüdern und saget ihnen: Ich fahre auf zu Meinem Vater und zu eurem Vater, zu Meinem Gott und zu eurem Gott. Wenn ich mir das denke, Jesus, der Sohn Gottes, nennt die Menschen Seine Brüder, so ist das etwas so Wunderbares, daß ich es nicht glauben könnte, wenn Jesus es nicht selbst gesagt hätte. Wolltest du dich Jesu Bruder nennen, ohne daß es Jesus gesagt hätte, so würde ich dich für verrückt halten. Aber Jesus hat es selbst gesagt, darum können wir weiter nichts thun, als es glauben und dann niederfallen auf unsere Kniee und Ihn anbeten. Daß Er die Menschen Seine Brüder nennt, das wird dadurch noch wunderbarer, wenn wir bedenken, was das für Brüder sind, unflätig inwendig und auswendig, lauter Wunden, Striemen und Eiterbeulen. Was meint ihr, als Lazarus vor des Reichen Thür saß, hat da der Reiche wohl zu ihm gesagt: Lazarus, mein Bruder? Hat er ihm wohl ein Stück Kuchen und ein Glas Wein herausgebracht? Und wenn er es gethan hätte, alle Leute würden ihn für einen ausgezeichneten Menschen gehalten haben. Und Jesus, Gottes Sohn, nennt uns Menschen, diese Eiterbeulen, Seine Brüder! Hätte ich es nicht gehört aus Jesu Munde, und du wolltest mir das erzählen, ich würde sagend Du bist aus Hochmuth verrückt geworden. Und das ist schon sogar geweissagt im alten Testamente. Der Messias sagt im 22. Psalm zu Gott dem HErrn: Ich will verkündigen Deinen Namen Meinen Brüdern, und mitten in der Gemeine Dir lobsingen. In der Weissagung nennt Er Gott Seinen Vater gerade wie wir es thun. Wir sagen auch zu Gott: Vater unser. Vor Seiner Menschwerdung konnte Jesus nicht sagen: Mein Gott, denn Er ist von Ewigkeit her selbst Gott. Erst nach Seiner Menschwerdung kann Er sagen: Mein Gott, denn Gott hat Ihn der Menschheit nach geschaffen. Heißt es hier: Ich will verkündigen Deinen Namen Meinen Brüdern, so spricht sich da der Messias im Bewußtsein Seiner Menschheit aus, jetzt kann Er Gott Seinen Gott und die bekehrten Menschen Gottes Kinder nennen. So zeigen altes und neues Testament unwidersprechlich, daß Jesus wahrer Gott und wahrer Mensch ist; und das dürft ihr euch durch Niemand rauben lassen. Ist Jesus nur wahrer Gott, so kann Er unser Heiland nicht sein, so kann Er nicht für uns sterben. Ist Er nur wahrer Mensch, so kann Er mich nicht versöhnen, denn eines Menschen Blut ist zu schwach und zu gering dazu. Nur wenn Er wahrer Gott und wahrer Mensch ist, kann Er uns erlösen. An dieser Lehre müßt ihr festhalten bis aufs Blut. Es gab früher eine Secte, die Gnostiker genannt, die meinten Jesum zu ehren, wenn sie sagten: Jesus ist nur wahrer Gott; aber das erniedrige Ihn, wenn sie Ihn auch einen wahren Menschen nennten. Darum sagten sie, Er habe nur einen Scheinleib gehabt, der sterbende Leib am Kreuze wäre nur ein Scheinleib gewesen. Auf diese Weise wollten sie Jesum ehren, und die Folge davon war, daß sie den ganzen Heiland fahren ließen. Das rächt sich immer, wenn man etwas davon abthun will, von dem Worte des Lebens, von der Bibel. Darum haltet die Lehre fest: Jesus, wahrer Gott und wahrer Mensch. Jesus ist wahrer Mensch, denn Er stammt eben so gut von Adam ab wie ich; Jesus ist wahrer Gott, denn der Vater hat Ihn von Ewigkeit her gezeugt. Jesu Blut ist ein reines Blut, nicht bloß weil Er wahrer Gott ist, sondern auch weil Er ohne Sünde empfangen und geboren ist. Es ist aber auch ein theures Blut, denn Gott hat am Kreuze gehangen, der Gott, der von der Jungfrau Maria geboren ist, hat Sein Gottesblut vergossen. Gottes Blut ist das Theuerste und Köstlichste, was es geben kann. Darum wollen wir fleißig beten: Mein Heiland, wasche mich mit Deinem reinen Blut, das alle Flecken tilgt und lauter Wunder thut. Schließ die verirrte Seele in Deine Wundenhöhle, daß sie von Zorn und Sünde hier wahre Freiheit finde. Ich bin ein Scheusal ohne Dich; mein Heiland, wasche mich. Weil Jesu Blut Gottes Blut ist, darum kann es uns rein waschen, die wir ein Scheusal sind. Darum kann nur der selig werden, der an Jesum glaubt; denn es ist in keinem Andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden, als allein der hochgelobte Name Jesus Christus. Amen.

Vers 14-15.

Nachdem nun die Kinder Fleisch und Blut haben, ist Er es gleicher Maßen theilhaftig geworden, auf daß Er durch den Tod die Macht nähme dem, der des Todes Gewalt hatte, das ist, dem Teufel. Und erlösete die, so durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mußten.

Wir haben das letzte Mal gehört, wie unser HErr Jesus, wenn Er der wahre Heiland und Mittler sein sollte, wahrer Gott und wahrer Mensch sein mußte, so daß Er beider Naturen theilhaftig war. Unser Mittler mußte selbst Gott und Mensch sein, um die Menschen mit Gott versöhnen zu können. Darum muß die Lehre von der wahren Menschheit Christi mit eben solchem Nachdruck betont werden, als die Lehre von Seiner wahren Gottheit; wir dürfen uns nicht der Lehre der Gnostiker anschließen, die da sagen, Jesus habe nur einen Scheinleib gehabt. Nun fährt der Apostel fort: Nachdem nun die Kinder Fleisch und Blut haben, ist Er es gleicher Maßen theilhaftig geworden. Es ist in den vorhergehenden Versen die Rede gewesen von Christi Menschheit, denn Christus nennt die Menschen Seine Brüder. Die Menschen werden als Kinder geboren und haben Fleisch und Blut; ebenso ist Christus als ein Kind geboren und hat Fleisch

und Blut mit auf diese Welt gebracht. Der einzige Unterschied zwischen unsern Kindern und dem Jesuskinde ist der: Das Jesuskind ist ohne Sünde empfangen und geboren, während wir in Sünden empfangen und geboren sind. Daß Jesus ohne Sünde geboren ist, das hat Gott durch ein Wunder Seiner Allmacht ausgerichtet. Wenn Mann und Frau Kinder zeugen und empfangen, so geht das nie ohne sündliche Lust ab; sündliche Lust ist in dem Mann, der das Kind zeugt, sündliche Lust ist in der Mutter, die das Kind empfängt, und solche Leute können keine Kinder ohne Sünde zeugen und empfangen. So wahr Vater und Mutter Sünder sind, so wahr sind auch ihre Kinder Sünder. Unser Heiland aber mußte ohne Sünde sein, Er mußte Fleisch und Blut haben, aber das mußte sündloses Fleisch und Blut sein. Deßhalb durfte Ihn kein menschlicher Vater mit sündlicher Lust zeugen, und Seine Mutter durfte Ihn nicht in sündlicher Lust empfangen. Ohne alle sündliche Lust ist Er vom heiligen Geist empfangen, und Maria hat Ihn geboren, aber ohne Sünde. Wahrer Mensch ist Er, denn Er ist wirklich im Mutterleibe der Maria gezeugt und empfangen, aber nicht in sündlicher Lust und Zeugung, sondern lediglich durch die Kraft des heiligen Geistes. Nun weiß ich gewiß: Mein Heiland ist wahrer Mensch; Er hat dasselbe Fleisch, was ich habe, dasselbe Blut, was in meinen Adern fließt, fließt auch in Seinen Adern; aber der Unterschied ist der, während ich ein Sünder bin, ist Er ohne Sünde. Das spricht auch unser Glaubensbekenntniß aus in den Worten: Ich glaube an Jesum Christum, Gottes eingebornen Sohn, d. i. Seine wahre Gottheit; der empfangen ist von dem heiligen Geist, d. i. Seine Sündlosigkeit; geboren von der Jungfrau Maria, d. i. Seine wahre Menschheit. Nun dieser Jesus, was soll der? Es heißt weiter in unserm Text: Auf daß Er durch den Tod die Macht nähme dem, der des Todes Gewalt hat, das ist, dem Teufel. Das ist also die Absicht der Menschwerdung des Sohnes Gottes, Er will durch Seinen Tod die Macht nehmen dem, der des Todes Gewalt hat, das ist, dem Teufel. Da sehet ihr einen neuen Grund, warum Jesus Mensch werden mußte. Wäre Jesus nicht Mensch geworden, wäre Er nur Gott, so hätte Er nicht sterben können; denn Gott kann nicht sterben. Daß Er aber starb, das war nothwendig, denn sonst konnte Er dem Teufel des Todes Gewalt nicht nehmen. Und Er ist gekommen und gestorben, wir sehen Ihn am Kreuze verscheiden, wir sehen Ihn in's Grab legen. Der Jesus hat dem Teufel durch Seinen Tod des Todes Gewalt genommen. Der Teufel hat die Gewalt des Todes, was heißt das? Meine Lieben, der Tod ist ein Uebel, darum kommt er nicht von Gott, denn von Gott kommt nichts Böses, sondern nur Gutes; vom Teufel kommt der Tod, wie von ihm alles Uebel kommt. Hätten die ersten Menschen nicht gesündigt, so hätten sie nicht zu sterben brauchen. Von wem kommt die Sünde? Nicht von Gott, sondern vom Teufel, und der Tod ist der Sünden Sold. So hat der Teufel durch die Sünde den Tod in die Welt gebracht. Weil du ein Sünder bist, darum mußt du sterben, das kann selbst der allmächtige Gott nicht abwenden. Denn Er hat zu Adam gesagt: Desselbigen Tages, wenn du von dem Baum der Erkenntniß des Bösen und Guten issest, sollst du des Todes sterben; und dies Wort kann Gott nicht zurücknehmen. Wenn ein Sünder stirbt, und ich frage dich: Wer tödtet den? so mußt du antworten: Der Teufel. Gott wollte nicht, daß die Menschen sterben sollten; aber der Teufel hat die Sünde und durch die Sünde den Tod in die Welt gebracht, und hat also des Todes Gewalt. Ich will nehmen, da liegt ein Mensch auf dem Sterbebette, er krümmt sich in seinen Schmerzen wie ein Wurm und Gott wollte sagen: Ich will dir den Tod erlassen; da würde der Teufel zu Gott treten und sagen: Ich will es nicht haben, er ist ein Sünder und muß deßhalb sterben, Du darfst Dein Wort nicht brechen. So hat der Teufel des Todes Gewalt und selbst der allmächtige Gott kann den Menschen nicht retten. Ist das nun der Fall, sind wir dann nicht unglückliche Menschen? Da merket euch, meine Lieben, der Teufel würde Keinen verschonen, wenn die Sache nicht anders geworden wäre durch den, der dem Teufel die Macht genommen hat. Es ist wahr, der Teufel hat die Gewalt des Todes, er hat ein Recht, den Tod des Sünders zu fordern; aber da ist Einer gekommen, der hat dem Teufel die Macht genommen, das ist Jesus Christus, unser lieber Heiland. Und wie ist das geschehen? Durch Seinen Tod nämlich hat Er dem Teufel des Todes Gewalt genommen. Luther sagt: Der Teufel hat lange darnach getrachtet, Jesum an das Kreuz zu bringen, und als ihm das gelungen war, da hat er zu seinem Schrecken gesehen, daß er sich in Christo vergriffen hat, denn durch Christi Tod hat er des Todes Gewalt verloren. Indem er Jesum, den Unschuldigen, getödtet hat, hat er sich vergriffen, nun darf er uns, die wir ihm sonst gehörten, nicht mehr tödten. Liege ich auf meinem Sterbebette und der Satan kommt und sagt: Du mußt sterben, so antworte ich: Du könntest so sprechen, wenn ich keinen Jesum hätte; weißt du nicht, daß ich einen Heiland habe, an dem du dich vergriffen hast? Nun brauche ich nicht zu sterben, denn du hast Christum anstatt meiner getödtet, du hast dein Recht an mir verwirkt, weil du den unschuldigen Jesum getödtet hast. Alle seine Anklagen sind kraftlos, ich sage ihm das Wort in's Gesicht: Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg? Was bin ich nun geworden? Aus einem jämmerlichen, gebundenen Knecht des Satans ein fröhliches, seliges Kind Gottes. Darum heißt es weiter: Und erlösete die, so durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mußten. Ohne Vergebung der Sünden stehe ich unter dem Fluche des Gesetzes, ohne Vergebung der Sünden muß ich alle Tage zittern und zagen vor dem Tode und vor der Verdammniß. Denkt euch, ihr hättet keine Vergebung der Sünden, und das strenge Gesetz mit dem Worte: Verflucht ist Jedermann, der nicht hält alle Worte dieses Gesetzes, daß er sie thue, stände vor euch. Ich soll das Gesetz halten und kann es nicht, ich armer, elender Mensch will das Gesetz halten und kann es nicht; da muß ich wohl jeden Tag denken, wenn ich so sterbe, so fahre ich gleich in die ewige Verdammniß. Denn es ist den Menschen gesetzt einmal zu sterben und darnach das Gericht. So muß ich mein ganzes Leben in knechtischer Furcht hinbringen. Nun ist es auf einmal anders geworden, ich bin erlöset, ich bin ein Kind Gottes, das Gesetz verdammt mich nicht mehr, denn Jesus hat mich erlöset von dem Fluch des Gesetzes, da Er ward ein Fluch für mich, und Jesus hat das ganze Gesetz gehalten. Will mich das Gesetz noch verdammen, so weise ich es hin an das Kreuz auf Golgatha und sage: Da hängt Jesus, der für mich den Fluch des Gesetzes getragen hat, und das ist mein Jesus. Sagt das Gesetz: Du mußt mich erfüllen, so antworte ich: Ich strenge alle meine Kräfte an, das Gesetz zu erfüllen; zwar kann ich es nicht vollkommen erfüllen, aber da ist Jesus, der hat es für mich erfüllt, und das ist mein Jesus. So bin ich durch Jesu Tod ein Kind Gottes und kein Knecht des Satans mehr. Das ist die Seligkeit, die wir als Christen genießen und die wir Jesu zu verdanken haben. Darum können wir nicht genug beten: Jesus Christus gestern und heute, und derselbe in alle Ewigkeit; und: Alles und in Allem Christus. Amen.

Vers 16-18.

Denn Er nimmt nirgend die Engel an sich, sondern den Samen Abrahams nimmt Er an sich. Daher mußte Er allerdinge Seinen Brüdern gleich werden, auf daß Er barmherzig würde, und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu versöhnen die Sünde des Volkes. Denn darinnen Er gelitten hat und versucht ist, kann Er helfen denen, die versucht werden.

Dasjenige, was der heilige Apostel in diesen ersten beiden Capiteln so recht gründlich den Christen auseinandergesetzt hat, ist, daß unser HErr Jesus wahrer Gott und wahrer Mensch sei, und daß Er nur also im Stande gewesen, Gott und Menschen mit einander zu versöhnen. Denn Derjenige, der als Mittler zwischen Gott und Menschen treten und Gott und Menschen versöhnen wollte, mußte beider Naturen haben. Er mußte Gott sein, um Gott mit den Menschen versöhnen zu können, und Er mußte Mensch sein, um die Menschen mit Gott versöhnen zu können. Darum keins von beiden den Christen erlassen werden kann, weder die Lehre von der wahren Gottheit, noch die Lehre von der wahren Menschheit Christi. Glaubst du, daß Jesus nur wahrer Gott ist, so hast du keinen Versöhner, denn der kann Gott nicht versöhnen; glaubst du, daß Jesus bloß wahrer Mensch ist, so hast du ebenfalls keinen Heiland, denn ein Mensch kann die Menschen nicht erlösen. Die wahre Gottheit Christi hat der Apostel bewiesen aus den Weissagungen des alten Testaments, Seine wahre Menschheit mit den Wirten: Nachdem die Kinder Fleisch und Blut empfangen Haben, ist Er es gleicher Maßen theilhaftig geworden. Nun schließt er mit den drei Versen, die eben vorgelesen sind. Er sagt: Denn Er nimmt nirgend die Engel an sich, sondern den Samen Abrahams nimmt Er an sich. Es gab früher Leute, die nannte man Gnostiker; von denen sagten einige, Christus sei kein wahrer Mensch geworden, sondern habe nur einen Scheinleib gehabt; übrigens sei Er wahrer Gott gewesen. Ich habe euch schon gezeigt, wie das die Lehre von der Versöhnung zu nichte macht. Hat Jesus nur einen Scheinleib gehabt, so hat Er nicht für uns sterben können und dann sind wir nicht versöhnt. Andere sagen, Jesus habe wohl einen Leib gehabt, aber nicht einen menschlichen, sondern einen engelischen Leib, denn es zieme sich nicht für eine solch hohe Person, daß die einen menschlichen Leib annehme. Jesus habe also am Kreuze mit einem engelischen Leibe gehangen. Dem entgegen sagt der Apostel: Nein, Er nimmt nirgend die Engel an sich, sondern den Samen Abrahams nimmt Er an sich. Es ist nicht wahr, sagt der Apostel, daß Jesus einen menschlichen Leib verschmähet habe; es ist nicht wahr, daß Er einen engelischen Leib angenommen habe. Wenn Er mit dem Leibe eines Engels gestorben wäre, was nützte uns das? Das könnte den Engeln nur zu Gute kommen; uns kann es nur nützen, wenn Er mit einem menschlichen Leibe gestorben ist. Und so bleibt es dabei: Er nimmt den Samen Abrahams an sich. So wahr Jesus am Kreuze gehangen hat als wahrer Gott, so gewiß auch als wahrer Mensch, welche Menschheit Er angenommen hat von Maria. Wenn der Apostel sagt, daß Jesus den Samen Abrahams an sich genommen habe, so fragen wir: Ist Er denn bloß für die Juden gestorben? Ist Er nicht auch für die Heiden gestorben? Da merket euch, was in der Bibel der Ausdruck „Same Abrahams“ bedeutet, der Apostel Paulus sagt im Briefe an die Römer: Nur die sind Abrahams Kinder, die Abrahams Glauben haben. Das sind nicht die Juden, die nach dem Fleische von Abraham abstammen, sondern die mit ihm in einem Glauben stehen. Kurz, die Gläubigen sind Abrahams Kinder. Jesus ist gestorben mit einem menschlichen Leibe für alle Menschen; aber zu Gute kommt Sein Tod nur denen, die von ganzem Herzen an Ihn glauben und die sind Abrahams Kinder. Wohl ist Christus für Alle gestorben, aber die Ungläubigen treten Christi Verdienst, das Er durch Seinen Tod erworben, mit Füßen. Daß du ein Jude oder ein Heide bist, das schließt dich nicht vom Christenthum und von der Seligkeit aus, wenn du dich nur bekehrst; aber ob du gläubig oder ungläubig bist, darauf kommt alles an zur Seligkeit. Der Gläubige nimmt Theil an dem vom HErrn erworbenen Heil, weil es nur durch den Glauben ergriffen werden kann. Das ist das Wunderbare, wenn man sieht, was durch Jesu Menschwerdung geschehen ist, welch ein Heil daraus erwachsen ist. Als Gott die Menschen erschaffen hatte, da waren sie selig, denn sie waren ohne Sünde erschaffen und waren das Ebenbild Gottes. Das gönnte der Teufel den Menschen nicht, sie sollten nicht Gottes Bild sein, darum schlich er sich in das Paradies, brachte die Menschen zum Fall und sie ließen sich zum Fall bringen, und die Menschen, die Kinder Gottes waren, sind durch den Betrug des Teufels Kinder des Teufels geworden; die Menschen, die bestimmt waren, selig zu werden, sind durch den Sündenfall Kinder der Verdammniß geworden. Schrecklicher hätte es der Teufel nicht machen können; er hat sie aus dem Leben in den Tod, aus der Heiligkeit in die Sünde, aus dem Paradies in die Verdammniß gestürzt. Und das ist das Wunderbare, daß Gott sich nun in's Mittel legt und lenkt die Sache so, daß die Menschen versöhnt werden, und zwar in einer solchen Weise, daß ihnen mehr wieder gegeben wird als sie verloren haben; sie erlangen nicht bloß die gleiche Stufe wieder, die sie vor dem Sündenfall hatten, sondern sie erreichen noch eine höhere; sie werden seliger und glücklicher, als es Adam und Eva im Paradiese waren. Der Teufel hat, statt uns zu verderben, nur helfen müssen, daß unsere Seligkeit viel höher geworden ist. Vor dem Sündenfall konnten die Menschen mit Gott umgehen wie Kinder mit ihrem Vater, konnten die Hand ihres Vaters ergreifen; von Tod und Verdammniß war nicht die Rede; an Leib und Seele selig, wohnten sie im Paradiese, und da sollten sie immer mehr heranwachsen zu der ihnen von Gott bestimmten Seligkeit. Aber Eins konnten sie nicht in dieser Zeit, sie konnten nicht sagen: Wir sind theilhaftig geworden der göttlichen Natur. Das kann aber der wahre Christ sagen durch Jesum Christum, unsern HErrn. Denn da der wahre Gott mein Bruder geworden ist, da Er mein Fleisch angenommen hat, so ist mein Fleisch auf den Thron Gottes erhöhet und ich bin der göttlichen Natur theilhaftig geworden. Ja, noch mehr, ohne den Sündenfall wären die Menschen ohne zu sterben in den verklärten seligen Aufenthalt gekommen und dic Erde wäre mit ihnen verklärt worden; aber das hätten die Menschen nie erreichen können, würden es auch nie erreicht haben, daß sie mit auf Gottes Stuhl gekommen wären. Und das ist nun erreicht durch Christum. Wer sitzt auf dem Throne Gottes? Jesus. Wer ist Jesus? Wahrer Gott und wahrer Mensch. Ist Seine Menschheit nicht unsere Menschheit? So sitzt ja unsere Menschheit auf dem Throne Gottes. Darum ist die Menschheit nicht durch den Betrug des Teufels auf ewig verloren und von Gott verworfen worden, sondern im Gegentheil, sie ist nicht bloß von allen Sünden befreiet, sie ist auch viel höher und herrlicher geworden: Unser Fleisch sitzt auf Gottes Thron, wir sind der göttlichen Natur theilhaftig geworden, wir sollen nicht bloß Theil haben an der ewigen Seligkeit, sondern auch an der göttlichen Herrlichkeit. - Nun führt der Apostel noch eine andere Ursache an, warum Jesus, Gottes Sohn, Mensch werden mußte, er sagt: Daher mußte Er allerdinge Seinen Brüdern gleich werden, auf daß Er barmherzig würde, und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu versöhnen die Sünden des Volkes. Denn darinnen Er gelitten hat und versucht ist, kann Er helfen denen, die versucht werden. Sollte Er vor Gott ein treuer Hoher-Priester sein, sollte Er barmherzig sein mit uns, so mußte Er nothwendig die Erfahrung von unserm Elend gemacht haben; denn wer keine Erfahrung gemacht hat, der kann nicht die Leidenden trösten. Das ist es ja gerade, wie der Apostel Paulus sagt, warum Niemand ein Prediger werden soll, der noch ein Neuling ist; denn der hat noch nichts erfahren, der hat noch nichts durchgemacht und kann darum Andere weder recht trösten noch helfen. Ist das schon bei einem treuen Prediger nöthig, wie viel mehr bei dem Hohenpriester, der die Sünden der Welt versöhnen soll, der Mitleiden mit der Schwachheit der Sünder haben muß. In unserer Schwachheit und Angst sollen wir zu dem starken Jesus gehen, Er will uns stärken und trösten. Könntest du das, wenn du nicht zu Ihm das Vertrauen hättest, Er kennt meine Leiden, denn Er hat sie selbst erfahren und weiß darum in meiner Schwachheit mit mir umzugehen? Und das ist auch wirklich geschehen, denn nachdem unser HErr Jesus Mensch geworden ist, so hat Er erstlich die ganze menschliche Schwachheit auf sich genommen, z. B. Er weiß, wie dem Durstigen zu Muthe ist, hörst du Ihn nicht das Weib am Jakobsbrunnen um einen Trunk Wasser bitten? Er weiß, wie dem Hungrigen zu Sinne ist, siehst du Ihn nicht bei Levi am Tisch sitzen? Er weiß, wie den Todtmüden zu Sinne ist, denn Er ist selbst todtmüde gewesen, siehst du Ihn nicht, wie Er im Schifflein liegt und schläft? Oder siehst du Ihn nicht in der Wüste, wie Er vom Teufel versucht wird, wie Ihn, nachdem Er vierzig Tage gefastet hat, hungert? Hörst du Ihn nicht mit sehnsüchtiger Begier am Kreuze rufen: Mich dürstet! Ebenso hat Er alle Arten von Armuth erfahren, so daß es von Ihm heißt: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber des Menschen Sohn hat nicht, da Er Sein Haupt hinlege. Haben die Armen kein Brot, sie können getrost zu Jesu gehen, der hat auch die Armuth geschmeckt, und dazu ist Er der allmächtige Gott, der helfen kann. Und wie ist Er mit Schmerzen heimgesucht! Seine Hände und Füße sind durchbohrt, Sein Rücken ist zergeißelt, Sein Haupt ist von Dornen zerrissen, sie haben Ihn geschleppt von Gethsemane nach Jerusalem und von Jerusalem nach Golgatha. Hast du Kopfweh, gehe damit zu Jesu, der weiß, wie solchen Leuten zu Muthe ist, denn Sein Kopf war von Dornen zerrissen. Ist dein Leib so matt, als ob alle Knochen ab wären, gehe damit zu Jesu, der hat ein Gleiches erfahren. Ebenso ist es mit den geistlichen Leiden. Giebt es wohl eine Anfechtung, die Er nicht kennt? Drei Mal setzt der Satan an, um Ihn zu Fall zu bringen; er will Ihn in Augenlust, Fleischeslust und hoffärtiges Wesen stürzen. Versucht dich die Fleischeslust, denke an Jesum, wie den der Teufel angefochten hat; plagt dich die Augenlust, denke an Jesum, wie dem der Satan die Herrlichkeit der Welt gezeigt hat; plagt dich die Hoffart, denke an Jesum, den der Satan auf die Zinne des Tempels gestellt hat. Drückt dich Noth und Anfechtung, zu wem kannst du besser fliehen, als zu Jesu? Aber sagst du, ein Unterschied ist doch da, ich bin ein Sünder und Jesus ist frei von der Sünde. Du hast Recht. Vom Teufel ist Er versucht wie du, von der Welt ist Er versucht wie du, von der eigenen Sünde konnte Er nicht versucht werden, weil Er kein Sünder war; aber hast du es denn vergessen, daß Er der Welt Sünde trägt? Deßhalb ist Er von der Sünde mehr versucht worden als du. Darum kann Er auch Mitleid haben mit deiner Schwachheit, darum ist Er ein barmherziger Hoherpriester; Er nimmt dich mit dem herzlichsten Mitleiden an, Er kann dich trösten, wie Einen seine Mutter tröstet, Er kann dir helfen in aller Angst. Darum, darinnen Er gelitten hat und versucht ist, kann Er helfen denen, die zu Ihm schreien. Müßt ihr da nicht ausrufen: Gottlob, daß wir einen solchen Jesus haben! Der wahre Christ kann seinen Jesum nicht entbehren. Alles Andere kann ich entbehren, wenn die Entbehrung auch noch so lästig ist. Ich kann Jahr aus Jahr ein krank sein, das schadet nicht, die Gesundheit kann ich entbehren; ich kann Jahr und Tag mit Hunger und Kummer kämpfen, das schadet nicht; ich kann heute und morgen mit dem Tode ringen, das schadet meiner Seligkeit nicht; ich kann Unrecht und Beleidigungen ertragen, das schadet meiner Seligkeit nicht; aber Jesum kann ich nicht entbehren, den muß ich alle Tage und Stunden haben, mit Ihm muß ich aufstehen, mit Ihm zu Bette gehen, und auf meinen Verkehr mit Ihm gilt das Wort: Betet ohne Unterlaß. Habe ich Ihn nicht, so geht es mir wie dem Küchlein, das die Henne verloren hat. Hat man Ihn verloren, so entsteht eine Unruhe, die sich nicht eher legt, als bis man Ihn wieder gefunden hat. In aller Noth geht man zu Jesu, und die Noth, die man mit Jesu theilt, ist halbe Noth; in aller Freude geht man zu Jesu, und die Freude, die man mit Jesu theilt, ist doppelte Freude. Man macht es wie das Kind, das sich in den Finger geschnitten hat; sieht das Kind das Blut fließen, so läuft es zu der Mutter, und die Mutter muß einen Plünnen darum wickeln. So laufen wir mit unserer Noth zu Jesu, und das thun wir deßhalb, weil Jesus ein mitleidiger Hoherpriester ist. Wo ich dies innige Verhältniß eines Christen zu Christo finde, da kann ich sagen: Du bist ein wahrer Christ, mein lieber Bruder, meine liebe Schwester; wo ich aber dies innige Verhältniß nicht finde, da steht es nicht gut mit dem Christenthum. Darnach prüft euch, ob eine solche innige Gemeinschaft zwischen Christo und euch stattfindet. Lauft ihr zu Jesu, wie das Küchlein zu der Henne, wie das Kind zu der Mutter? Sucht ihr allen Trost, alle Kraft, alle Hülfe bei Jesu? Könnt ihr nicht leben ohne Jesum? Wie der Leib nicht leben kann ohne Luft, so kann der Christ nicht leben ohne Gebet. Das kommt daher, weil ich Jesum erkenne als den treuen Hohenpriester, als meinen Gott und Bruder, durch den ich theilhaftig geworden bin der göttlichen Natur. Amen.

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