Zuletzt angesehen: Harms, Claus - Zweyte Rede -

Harms, Claus - Zweyte Rede -

Harms, Claus - Zweyte Rede -

Der Prediger soll ein gläubiger Christ seyn, vorläufige Regel. Ueber den Begriff der Pastoraltheologie, was wir so nennen wollen

Es werde auch durch Sie das Amt noch mehr ein andres Ding! Hätten Sie das in der vorigen Stunde Gesagte damals allein von mir gehört? oder hätten Sie es zugleich von draußen herein, aus dem Lande her gehört und noch anders woher zugleich, auch in Sich Selber, eine Stimme in Sich: Ja, so muß es seyn!? Lassen Sie mich dieses von Ihnen denken! Ich rede dann auch mit größerer Freude zu Ihnen. Und keinen Raum geben Sie dem Gedanken, die meisten Gemeinden und die Meisten in den Gemeinden wüßten von diesen erhöheten Anforderungen nichts! Diese wissen davon, versichre ich, und ob auch keine einzige Gemeinde davon wüßte, so sollen Sie, das ist Ihr Beruf, diese höhern Forderungen wecken. Wie durch Prediger die Sache schlecht gemacht ist, muß sie durch Prediger auch wieder gut gemacht werden. Was Schiller in der Vorrede zur Braut von Messina in Betreff der Kunst sagt: „Zu allen Zeiten, wo die Kunst verfiel, ist sie durch die Künstler gefallen , - wenn das Publicum auch damit angefangen hat, sich mit dem Schlechten zu begnügen, so wird es zuverlässig damit aufhören, das Vortreffliche zu fordern, wenn man es ihm erst gegeben hat“ - das leidet, - nein, das leidet nicht, sondern das verlangt angewendet zu werden auf unser Amt und auf die Art, wie wir uns im Amt zeigen. Indem sich die Geistlichen so wenig geistlich den Gemeinden gezeigt haben, sind die an das Ungeistliche gewöhnt worden und haben es zuletzt nicht mehr anders begehrt; führt sich aber ein Geistlicher nur wiederum geistlich ein, sogleich ist der Anspruch auch vorhanden. Da in N. und da in N. und an andern Orten habe ich es so gesehen, wenn man es auch nicht a priori wissen könnte. Ich setze hinzu: Und da seit einigen Jahren das Bessere mehrern Gemeinden geboten wird, so sind auch andern Gemeinden, benachbarten, die Augen aufgegangen. Sie haben wol davon gehört, wie eine Gemeinde in der Propstey N., oder richtiger, ein ansehnlicher Theil dieser Gemeinde bey der präsentirenden Behörde bittlich eingekommen ist, daß ihr möchten von namhaft gemachten zwölf Predigern, (lauter Supernaturalisten und ausgezeichnet geistliche Geistliche) drey zur Wahl präsentirt werden. Man hatte es vornämlich auf Einen benachbarten Prediger abgesehn, der auch mit zweyen andern präsentirt und der gewählt wurde. Ja, so steht es. Man unterscheidet. Man weiß, daß Valentin Andreä richtig gesprochen hat: Was schwarz sich trägt und geistlich heißt, das hat nicht immer Christi Geist. Das weiß man, hütet sich und sucht einen wahren Geistlichen zu bekommen.

Auf das mit Keinem von Ihnen - wie nahe vor ist es, daß Sie einer Gemeinde zur Wahl vorgestellt werden! - eine Gemeinde getäuscht, ich spreche, betrogen werden, erwägen Sie es bey Sich, und sagen Sie es Sich in diesem Augenblick, was des Endes noch von Ihnen zu thun sey. Bey wem von Ihnen es noch an der Hauptsache fehlete, ich meine, an dem lebendigen, evangelischen Glauben, wer von Ihnen von nicht ergriffen wäre, wer noch erst ein andrer Mensch werden muß, eh' er mit gutem Gewissen ein Prediger werden darf, und auf daß ihn der Eid, den er zu schwören hat, nicht brenne, Freunde, – doch wir haben keinen Conventikel hier, keine ascetische Zusammenkunft, sondern Sie haben mich ersucht, pastoraltheologische Unterredungen mit Ihnen zu führen, halt' ich denn auf diesem Gebiete mich, und werfe nur noch zwey Dicta aus, möchten sie Netze seyn! Das eine von einem Philippus Neri: Zehnfreuye, von allen Absichten der Welt ledige Menschen würden die ganze Welt bekehren; das andre steht in einem Büchlein: Brosamen, es wird von Zinzendorf seyn: Wenn des Heilandes Leute sich wohin begeben, so ist das ein Gnadenbogen, daß Gott derselbigen Gegend gnädig sey. Es stehe mit einem Jeden von Ihnen ein solcher Bogen über dem Kirchorte, da er einst einzeucht!

Pastoraltheologisch. So ist es begehrt. Aber, Freunde, so habe ich doch auch wirklich bereits angefangen, möchte sagen, die erste Regel, die Hauptregel der Pastoraltheologie, wenn nicht mehr, ist gegeben worden in dem eben Gesagten. Sey der Prediger ein Christ, ein Christ innerlich, so wird er es schon in seinem amtlichen Thun und Lassen zu treffen wissen, und umgekehrt, wenn es ihm in diesem Puncte fehlt, so wird er bey allen Pastoralregeln das Rechte doch nicht treffen, oder, trifft er es, die Zwecke des Amts gleichwohl nicht fördern sonderlich, wird vielleicht um so heilloser sein Amt bekleiden, als er Klugheitsregeln gelernet hat, als er seine Defecte und noch Schlimmeres durch ein äußerlich regelrechtes Verhalten zu verdecken gelernet hat. Da mag z.B. sich mancher Prediger des Sonnabends zu Hause halten, wie wenn er studirte, der doch nicht studirt. Ueberhaupt will es oft scheinen, als wenn auch hier der Spruch gelte: Die Kinder dieser Welt sind klüger als die Kinder des Lichts. Indessen, so nur uns hineinbegeben, hineinspringen in die See von Pastoralregeln, das will sich doch nicht ziemen. Ich gedenke Ihres Standes, dessen Sie sind, und wie Sie es in andern Stunden gewohnt sind, wie es in der That auch besser ist, wenn es so gemacht wird. Lassen Sie mich denn gewissermaßen es wie Ihre Lehrer machen, wann die Ihnen eine Wissenschaft vortragen. Gewissermaßen, denn, wie ich es Mehrern von Ihnen einzeln gesagt habe, so erkläre ich es hier vor allen: Ich will nicht, daß wegen unsrer Unterredungen Einer ein Collegium weniger höre. Ich gedenke nämlich über Manches leicht hinwegzugehen und Anderes gänzlich zu übergehen, was in academischen Vorlesungen über Pastoraltheologie seine Stelle hat, da Sie es gefunden haben oder noch finden werden. Mein Absehen geht nicht einmal dahin, daß ich Ihnen ein vollständiges System von Pastoralregeln vortrage, sondern eigentlich ist das mein Ziel, daß ich den Regeln, welche ich vortrage, eine solche Gestalt und Begleitung gebe, kraft welcher Sie darnach thun, darnach thun.

Um Ihnen sogleich etwas zu nennen, worauf ich mich so gut wie gar nicht einlassen will, das ist der Name, das sind die verschiedenen Namen der - Pastoraltheologie. Dieser Name, Pastoralwissenschaft, Pastoralklugheit, Anweisung etc., das evangelische Pfarramt, der Religionslehrer in seinem moralischen Daseyn und Wirken, christliche Halieutik - eine Würdigung dieser und andrer Namen und eine Feststellung des treffendsten lassen wir hier nicht unsere Sache seyn. Desgleichen auch nicht eine wissenschaftliche Nachweisung, an welcher Stelle des Baumes Theologie der Zweig Pastoraltheologie naturgemäß heraustrete, und ebenfalls nicht, wie dieser Zweig sich zu andern verhalte. Ich weiß, wo Solches hingehört, und will es lassen daselbst, nebst der pastoral-theologischen Literatur, lasse für mich es genug seyn an der Mittheilung eines Begriffs, wie ich ihn mir gebildet habe, vorbehältlich, daß Sie einen richtigern gefunden haben oder finden werden: Pastoraltheologie ist eine geordnete, Licht und Luft gebende Lehre, wie die Zwecke des Predigtamtes erreicht werden unter bewandten Umständen. Eine kleine Stütze möchte ich dieser Definition untersetzen mit einer gleichartigen von der Politik, die mir vor Augen gekommen ist. Professor Weber in Tübingen definirt so die Politik: Sie ist die aus Vernunft und Erfahrung geschöpfte Lehre von den Mitteln und der Art, wodurch und wie das Ideal des Staates so vollkommen, als es unter gegebenen Verhältnissen möglich ist, zur Ausführung zu bringen sey.

Was aber mehr Unseres seyn dürfte und eine Thür, durch welche wir den weitern Eingang zu nehmen hätten in die Pastoraltheologie, das möchte die Darstellung des innerlichen Aufkommens dieser Wissenschaft seyn. Vor welcher Wissenschaft einer steht, ginge bey dem es immer so zu, wie wer vor der Pastoraltheologie stehet und also spricht:

Meine academische Zeit beginnet abzulaufen. Ich habe gehört und studirt, was die Universität zu hören und zu studiren giebt, um mittelst dessen ihre Zöglinge fähig zu machen für das Predigtamt. Bin ich denn nun in der That fähig, ein Predigtamt zu verwalten? kann ich ausreichen mit dem, was ich in meinen Heften und in meinem Gedächtniß habe? Dogmatik, Moral, Exegese, Kirchengeschichte, werden diese vier meinen Wagen ziehen? habe ich genug an ihnen? werden sie mich nach allen den Stätten bringen, da ich zu thun habe, auf der Canzel, am Altar, Taufstein, im Beichtstuhl, an Krankenbetten, Gräbern u.s.w.? Zwar ich habe auch Homiletik, Katechetik, Liturgik, Kirchenrecht gehört, diese sogenannten praktischen Wissenschaften, aber von Männern, die auf den Kathedern stehn, vorgetragen, die mir gehen nach der Theorie, welche nicht die Praxis ist, und nach dem Maaß ihrer Praxis, werde ich ausreichen mit deren Gaben? Ich habe doch die göttliche Vocation ins Predigtamt erhalten, in und mit derselben ist mir ein Licht aufgegangen, was Predigtamt sey, was ich zu bauen habe, was ich brechen soll, was ich schonen darf in Geduld, wohin ich, die mir anvertraut worden, zu führen habe, was ich aus ihnen zu machen habe, eben was deine Gnade, o Gott, gemacht hat aus mir - du willst mich bey Andern brauchen, daß aus ihnen dasselbige werde - wie greif' ich dieses Werk an? In ganz andre Verhältnisse werd' ich treten, mit Obern und mit Untergebenen werd' ich zu thun haben, mit Menschen, die so verschieden sind nach Stand, Bildung, Vermögen, Lebensalter, Bedürfniß, unter denen, an denen soll ich arbeiten nach bestimmten Vorschriften, die ich lange nicht alle kenne, und nach Vorschriften, die ich mir wol erst selber werde zu machen haben; wie gewinne ich die Widerstrebenden? wie bewahre ich die Gewonnenen und die sich vertrauensvoll mir hingeben? Klein war meine bisherige Welt, bald wird eine große Welt auf mich einstürmen und einströmen; wie benutze ich, was in derselben meine Absichten fördern kann? wie überwinde ich das Hindernde? wie verhalte, wie halte ich selber mich, mich, an den wieder sich Andre, weiß nicht, wie viele, sich halten sollen? - Wornach mit solchen Fragen gefragt wird, was von dem begehrt wird, der so fragt, das ist - was wir so nennen - die Pastoraltheologie.

Und er sagte ihnen ein Gleichniß. Wie wer auf offener See fährt, wo Compaß und Charte vor ihm, nebst den Sternen über ihm den Weg zeigen, den er sicher fährt, einen Tag wie den andern, so einförmig, daß ein entferntes Segel eine große Merkwürdigkeit ist und ein fliegender Fisch viel zu sprechen giebt - aber die See ist sein Weg nur und ist sein Ziel nicht, er soll, was er mit sich führet, ans Land bringen, den Menschen, die da leben, zum Nutzen ; - indessen, wie er sich dem Lande naht, nahet des Landes Gefahr sich ihm. Der Strom begegnet ihm, den er hinauf fahren soll; da sind Untiefen, vielleicht erst seit einem Jahr entstanden, die er nicht kennt; Orlogschiffe, denen er Ehrerbietung zu bezeigen, Zollstätten, da er Abgaben zu entrichten hat, - er soll in den Hafen hinein, wo kann er, wo darf er seinen Anker werfen, sein Schiff anbinden? Darum nimmt er, wenn er aus der See in den Strom gehet, Jemanden an Bord, der über alle solche Dinge ihm Auskunft geben kann, der die See auch befahren hat früher, nun aber auf dem Lande lebt und Land und Leute kennet, demselbigen vertrauet er Schiff und Gut und sich selber an und lässet von ihm, dem kundigen Lootsen, sich an das Ziel bringen. -

Obgleich auch nicht sehr edel dieß Gleichniß erscheint, so ist es doch kein untreffendes zu nennen, und Sie unter gleichen Umständen wollen zu gleichem Dienst annehmen, was ich Ihnen in diesen Stunden biete. Nennen wir es so oder anders, über die Sache verstehen wir uns, und zugleich, wie ich meine, bin ich hiemit einer weitern Darstellung, wie nützlich ein solcher Dienst sey, überhoben.

Quelle: Harms, Claus - Der Prediger, wie ihn die Pastoraltheologie thun lehret

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/h/harms_c/harms-zweite_rede.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain