Gerok. Karl - Vom christlichen Hausstande - 6. Predigt am 1. Sonntag nach dem Erscheinungsfest.
(1851.)
Matth. 18, 1-11.
Zu derselbigen Stunde traten die Jünger zu Jesu und sprachen: wer ist doch der Größte im Himmelreich? Jesus rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie und sprach: wahrlich ich sage euch: Es sei denn, dass ihr euch umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. Wer sich nun selbst erniedrigt, wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich. Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf. Wer aber ärgert dieser Geringsten einen, die an mich glauben, dem wäre besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, da es am tiefsten ist. Wehe der Welt der Ärgernis halben! Es muss ja Ärgernis kommen; doch wehe dem Menschen, durch welchen Ärgernis kommt! So aber deine Hand oder dein Fuß dich ärgert, so haue ihn ab und wirf ihn von dir; es ist dir besser, dass du zum Leben lahm oder ein Krüppel eingehst, denn dass du zwei Hände und zwei Füße hast, und werdest in das höllische Feuer geworfen. Und so dich dein Auge ärgert, reiß es aus und wirf es von dir; es ist dir besser, dass du einäugig zum Leben eingehst, denn dass du zwei Augen hast, und werdest in das höllische Feuer geworfen. Seht zu, dass ihr nicht Jemand von diesen Kleinen verachtet! Denn ich sage euch ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel. Denn des Menschen Sohn ist kommen, selig zu machen das verloren ist.
Ich habe neulich irgendwo von einem Heiligtum gelesen, das zu finden sei in Christenhäusern, von einem köstlichen Heiligtum. Es ist eng und klein, heißt's von diesem Heiligtum, hat nicht Säulen, Gold noch Purpur, sondern bloß vier einfache Wände, und das zwischen drei Bettlein oder vier und eine Wiege, aber darüber steht der Stern, der über Bethlehem gestanden hat; das Heiligtum ist die Kinderstube.
In dieses Heiligtum führt uns der Heiland heute Morgen ein in unserem Evangelium. Da stellt Er einen Prediger vor uns hin, einen gar sonderbaren und doch lieben Prediger. Die Kanzel, darauf er predigt, das ist des Heilands Arm, auf dem er sitzen darf; der Kirchenrock, den er anhat, das ist ein leichtes Kinderhemdchen; das Buch, das er vor uns aufschlägt, das ist ein offenes Kindergesicht; und die Predigt, die er uns hält, die besteht in nichts, als in einem Blick aus einem Paar großer, klarer, treuherziger Kinderaugen. Unser Prediger heut ist ein Kind. „Jesus rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie.“
Verachtet ihn nicht, liebe Freunde, diesen kleinen Prediger im Kinderhemdchen, der Heiland selbst hat ihn ordiniert und investiert; verachtet sie nicht, diese schlichte Predigt aus Kinderaugen, o es liegen tiefe, lange, rührende Predigten in so einem Paar Kinderaugen, süße Trostpredigten und erschütternde Bußpredigten. Verachtet's nicht das unscheinbare Heiligtum mit den drei Bettlein und der Wiege, wahrlich der Stern von Bethlehem steht darüber.
Nun, Geliebte, wie der Heiland dort ein Kind zu sich rief und stellte es mitten unter Seine Jünger, so wollen auch wir jetzt im Geist ein Kind in unsere Mitte stellen - nehme jedes in Gedanken das liebste und liebenswürdigste Kindlein, das ihm gerade einfällt, du dein jüngstes, du dein einziges, du dein verstorbenes Kindlein, denn auch die verstorbenen können uns noch predigen, ach, und die am allerrührendsten nehmt's und stellt's in unsere Mitte, und hört, was es uns predigt. Der Herr selber gebe Seinen Segen dazu und lasse uns zu rechter Erbauung vernehmen
Die Predigt aus der Kinderstube.
Wir vernehmen da
- eine Bußpredigt, die heißt: werdet wie die Kinder;
- eine Missionspredigt, die heißt: sorgt für die Kinder;
- eine Strafpredigt, die heißt: hütet eure Kinder;
- eine Trostpredigt, die heißt: betet für die Kinder!
Gott! sende Deinen Segensstrahl Eltern und Kindern allzumal;
Halt sie verbunden in der Zeit, Verbunden in der Ewigkeit! Amen.
Die Predigt aus der Kinderstube, die uns der Herr heute vernehmen lässt, ist
1) Eine Bußpredigt, die heißt: werdet wie die Kinder!
Als einen Bußprediger zunächst stellt der Herr jenes Kind auch in die Mitte Seiner Jünger. „Zu derselbigen Stunde traten die Jünger zu Jesu und sprachen: Wer ist doch der Größte im Himmelreich? Jesus rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie und sprach: Wahrlich ich sage euch, es sei denn, dass ihr euch umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. Wer sich nun selbst erniedrigt, wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich.“
Werdet wie die Kinder! so Geliebte, ruft der große Herzenskündiger auch uns zu, als Bußprediger stellt Er die Kleinen auch vor uns hin; Spiegel sollen sie uns sein, die hellen Augen unserer Kinder, dass wir uns selbst drin beschauen und unseres unkindlichen Wesens uns schämen. Nicht als wollte der Herr damit unsere Kinder für makellose Diamanten erklären, an denen es nichts mehr zu schleifen gebe, für kostbare Juwelen, die man in lauter Baumwolle zu wickeln hätte; nicht als wollte er jener törichten Anbetung, jener unchristlichen Vergötterung der Kinder das Wort reden, wo man den jungen Trotzkopf wie einen kleinen Erzengel behandelt und damit in Wahrheit oft nur einen kleinen Hausteufel draus zieht. Nein, es war gewiss kein ungezogener Gassenjunge und kein verzogenes Frätzchen, das der Herr in die Mitte Seiner Jünger stellte, sondern ein liebes, frommes Kind; und nicht die Unarten unserer Kinder, die ja, leider Gottes, ihr Teil Erbsünde allesamt mit zur Welt bringen, sondern das, was schön und gut ist an unsern Kindern, was noch vom Morgenduft des Paradieses auf ihren blühenden Wangen liegt, was noch vom Adel des göttlichen Ebenbilds aus ihren hellen Augen strahlt, das will uns der Herr zum Muster hinstellen, wenn Er uns zuruft: werdet wie die Kinder!
Das heißt vor Allem: werdet demütig wie ein Kind. Ein Rangstreit war unter den Jüngern ausgebrochen, die Hochmutsfrage war aufgetaucht: wer ist doch der Größte? Da stellte der Herr ein kleines in ihre Mitte, das ihnen kaum an die Knie reichte, und schüchtern aufblickte zu so einem bärtigen Petrus, zu so einem hohen Jakobus, und sprach: „wer sich selbst erniedrigt wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich.“ So sollen unsere Kinder uns eine Bußpredigt sein vor Allem für unsern törichten Hochmut. Ein Kind, dem man ihn nicht geflissentlich eingepfropft, weiß noch vom Hochmut nichts. Ein Königskind, das man spazieren trägt, streckt die Händlein aus nach einem Bauernkind, als wäre es sein Brüderlein; und ein Knabe, wenn er zum ersten Mal sein Kamerädlein mit heimbringt aus der Schule, fragt nicht vorher: wem gehörst du? ist dein Vater auch so viel wie der meine? Grafensohn oder Bürgerskind, das gilt ihm gleich. - Und wir, Geliebte, wir alte Toren, müssen wir uns nicht schämen vor diesen Kindern mit unserem steifen Hochmut, mit unserer eitlen Titelsucht, mit unserem vornehmen Aufeinander herabsehen? Wir, die wir allesamt nichts sind vor Gott als Bettelkinder, Würmer im Staub wir machen unsern Rücken so steif gegen einander, stellen uns auf so lächerliche Hochmutsstelzen, damit ja der Eine um ein Haar größer sei als der Andere. Schämet euch, tut Buße, werdet wie die Kinder, demütig und anspruchslos.
Wo aber Demut ist, da ist auch Liebe, denn der Hochmut ist die Wurzel alles Streits. Auch Liebe sollen wir lernen von den Kindern. In einem demütigen Kinderherzen, das nichts aus sich macht, da hat sich das Gift des Hasses, die Galle der Rachsucht, der Rost der Unversöhnlichkeit, der Schmutz des Eigennutzes noch nicht festgefressen; mit offenen Augen der Liebe schaut es in die Welt; wer ihm naht, den betrachtet es als seinen Freund; wer von ihm fordert, dem teilt es mit, was es hat; und wem es jetzt zürnt, dem lächelt es wieder in einer Viertelstunde. O wie müssen wir uns schämen vor einer so liebewarmen Kindesseele, wir mit unserem liebearmen, kalten, harten Herzen, so offen dem Misstrauen und so verschlossen der Liebe, so jäh zum Zorn und so zäh zum Vergeben; wir, die wir doch auch Brüder sein sollen und Schwestern, Eines Vaters Kinder, Eines Heilands Jünger, Eines Hauses Genossen! Kindlein, liebt einander! Auch ihr seid gemeint, ihr alten, grauen Kinder Gottes. Werdet wie die Kinder liebreich und freundlich.
Ein demütiges Kind ist aber auch weiter folgsam. Wie jenes Kind im Evangelium des Heilands Stimme gehorchte, als Er's herbeirief, und folgsam sich von ihm führen ließ in den Kreis der Jünger; wie ein gutes Kind folgsam ist der Stimme des Vaters und dem Winke der Mutter - so, Geliebte, wollt ihr Kinder Gottes sein, müsst ihr auch hören auf die Stimme eures Vaters im Himmel und euch führen lassen von eures Heilands Hand. Ach, wo ist er hingekommen unter uns, dieser kindliche Gehorsam! Sagt selbst: wie oft sind wir dem eigenen Kopf gefolgt statt dem heiligen Willen unseres Gottes; wie oft haben wir eigene Wege gewählt, statt zu bleiben in den Schranken der göttlichen Gebote; wie fernab vielleicht haben wir uns verloren vom Vaterhaus in die weite, wüste, wilde Welt! Seht, von euren Kindern verlangt ihr Gehorsam, ihr, die ihr doch arg seid, und straft sie, wenn sie nicht folgen, und ihr selber seid so ungehorsam dem großen Vater da droben und Seinen Heiligen Geboten? Kehrt um, werdet wie die Kinder - folgsam und gehorsam.
Und warum fehlt's am kindlichen Gehorsam? weil's am kindlichen Glauben fehlt. Ein demütiges Kind glaubt, was ihm der Vater sagt, und fasst lernbegierig auf, was es von den Alten hört. Aber unser unkindliches, selbstkluges Geschlecht - das hält's für Schande, noch zu glauben, zu hören, zu lernen. Was es mit seiner Hand nicht greifen und mit seinem Hirn nicht begreifen kann, das ist ihm ein Ärgernis und eine Torheit, und zu lernen aus Gottes Wort und in Jesu Schule gehen - das überlässt man den Kindern. Da hält sich Jeder für weise genug, da dünkt sich Jeder klüger als Paulus und Petrus, als Apostel und Propheten, da will Keiner mehr von Gott sich lehren lassen; die Einen meinen, sie brauchen's nicht, die Andern wähnen, sie haben's schon, und von Allen gilt's: ihr seid schon satt geworden, ihr seid schon reich geworden, ihr herrscht ohne uns. O du armes, glaubensarmes, bettelstolzes Geschlecht! O ihr hochweisen, überklugen Alleswisser! Seht, eure Weisheit ist doch nur Kindergeschwätz vor Gott; eure kunstreichsten Lehrgebäude sind doch nur Kartenhäuser vor Ihm. Werdet wie die Kinder, gläubige, lernbegierige Kinder; lernet wieder glauben an eine höhere Weisheit, als die in eurem Kopfe gewachsen; geht wieder in die Schule zum großen Meister Jesus, dann wird auch an euch wahr werden das Wort: den Unmündigen hat Er's geoffenbart, den Weisen und Klugen aber verborgen.
Wo noch solch kindlicher Glaube wäre, da wäre auch noch kindliches Glück und kindlicher Friede. Ein Kind ist ein glückliches Geschöpf, die Erde ist ihm noch ein Paradies, das Leben ist ihm noch ein Fest, mit einer Kleinigkeit kannst du's glücklich machen. Sag selbst: der glänzendste Orden, wenn du ihn gestern erhalten, hätte er dich noch so gefreut, wie einst eine Blume, die du als Kindlein gepflückt? ein Haufe Goldes, wenn du ihn morgen gewännest, könnte er dich noch so glücklich machen, wie einst die Rechenpfennige, mit denen du gespielt? Kinderherzen, frohe Herzen! Und warum? weil sie genügsam sind mit Wenigem! ihr unzufriedenen, ungenügsamen, undankbaren, unglückseligen Herzen, die ihr nie glücklich seid, weil ihr nie genug habet, die ihr euch selbst das Leben verbittert mit wilden Wünschen und törichten Sorgen und unersättlichen Begierden, werdet wie die Kinder, zufrieden und glücklich!
Und was ist denn eines Kindes süßestes Glück? Das ist seine kindliche Unschuld. Manches von uns hat vielleicht schon mit bitterer Wehmut herniedergeschaut auf eine heitere Kinderstirn und im Herzen geseufzt: ach du glückliches Kind, du hast gut fröhlich sein, hätt ich noch, was du hast, meine Unschuld! Könnt ich noch beten, wie du betest, wie ich auch einst gebetet habe, als mich meine gute Mutter die kleinen Händlein falten lehrte: „Ich bin klein, mein Herz ist rein!“ Ach, mein Herz ist nicht mehr rein, ach, mein Gewissen ist nicht mehr unbeschwert, ach, aus deinen Kinderaugen blickt ein verlorenes Paradies mich an, das verlorene Paradies meiner Unschuld! Meine Lieben, was ist da zu sagen? Kann man da auch sagen: werdet wie die Kinder? Werdet wieder schuldlos und rein? Kann ich denn wieder auswaschen die Brandmale des Gewissens? Gibt's denn einen Brunnen der Jugend und eine Quelle der Verjüngung für ein altes Sünderherz, für ein in Sünde verdorbenes und verkommenes Leben? Ja, meine Lieben, es sei noch einmal gesagt: werdet wie die Kinder. Ja, es gibt einen Brunnen, drin du die Sünden der vorigen Jahre kannst abwaschen und versenken auf ewig; es gibt einen Wunderquell, aus dem du, alter Sündenmensch, verjüngt und neugeboren hervorgehen kannst als ein Kind, als ein seliges Gotteskind; es gibt ein neues Leben, ein Paradies, ein Himmelreich für dich zu gewinnen noch auf Erden. Der Brunnen, der Wunderquell, das Himmelreich, das ist Gottes Gnade und Erbarmung, in Christo Jesu aufgeschlossen; da senke dein vergangenes Leben hinab in herzlicher Buße, da lass dich reinigen von Christi Blut im Glauben, heiligen von Christi Geist zu neuem Gehorsam, und du wirst ein neuer Mensch werden, wirst ein heiliges Gotteskind sein, wirst auffahren mit Flügeln wie ein Adler, dem sich sein Gefieder verjüngt hat. Geliebte, alt und jung, hört die Predigt, die dringende Bußpredigt, die aus eurer Kinder Mund an euer Herze dringt werdet wieder Kinder, selige Gotteskinder in Jesu Christo!
Ja, mach uns, Herr, den Kindern gleich,
Denn solcher ist das Himmelreich.
Aber aus der Kinderstube vernehmen wir auch
2) eine Missionspredigt, die heißt: sorgt für die Kinder!
Sorgt für die Kinder. Tut denn das erst not zu sagen? Ist nicht in jedem Vaterherzen und in jeder Mutterbrust von Natur schon eine heilige Stimme, die tief und gewaltig jeden Augenblick ruft: sorgt für eure Kinder? Ist das nicht eine Mission und ein Beruf, der uns mit feurigen Buchstaben ins Herz geschrieben ist: nehmet euch eurer Kleinen an? - Und doch, Geliebte, klingt's aus mancher Kinderstube recht flehentlich, recht kläglich heraus: sorgt für eure Kinder! Wo. der Vater am Tage seinem Geschäft und am Abend seiner Gesellschaft, am Werktag seiner Arbeit und am Sonntag seinem Vergnügen nachgeht, ohne um Weib und Kind sich herzlich anzunehmen mit Rat und Tat, mit Ernst und Liebe; wo die Mutter in Gesellschaften ihre Zeit vertändelt, während die Kinder Mietlingen überlassen bleiben, in eitlem Putz einherstolziert, während die Kinder im Schmutz verkommen; - wo eine herzlose Mutter oder ein jähzorniger Vater ihren armen Kindern durch tägliches Schelten und unchristliches Schlagen den kurzen Rosenmonat ihrer Jugend verregnen und verhageln - da, meine Lieben, o da klingt recht kläglich und herzzerbrechend aus der Kinderstube der Jammerruf: sorgt für eure Kinder! Da steht in so einem verweinten Kinderauge die flehende Bitte geschrieben: Vater, Mutter, sorge für dein Kind; sieh, an dich ist's gewiesen, auf dich ist's geworfen von Mutterleibe an. Wer soll's lieben, wenn du's nicht liebst? wer soll's versorgen, wenn du's nicht versorgst? Vater, Mutter, sorge für dein Kind, so lang du's hast; sich, wenn's der Herr von dir nähme, eh du denkst, und du sähest's in seinem Särglein liegen und sein blasses Angesicht würde dich noch anklagen: Vater, Vater, Mutter, Mutter, jetzt schmückst du meine Bahre mit Blumen, aber da ich lebte, hast du dich wenig um mich bekümmert, hast mir mein kurzes Leben verbittert; ich hab's hart gehabt auf Erden und ihr seid Schuld daran; Schuld daran; bin früh dahingewelkt - und ihr seid Schuld daran - sieh, das wäre ein Stachel der Hölle in dein Herz auf all deine Lebtage! Väter, Mütter, sorgt für eure Kinder!
Aber das ist erst nicht die Missionspredigt, von der ich diesmal reden wollte. Nein, die liegt in den Worten Jesu: „wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf.“ Darin, christliche Eltern, liegt erst recht eure heilige Mission, euer himmlischer Auftrag. In Jesu Namen sollt ihr eure Kinder aufnehmen, d. h. ihr sollt sie empfangen als von Ihm, lieben als in Ihm, erziehen als zu Ihm. Sieh, Vater, sieh, Mutter, nicht nur ein schwaches Erdenwürmlein ist's, das dir die Händlein entgegen streckt aus der Wiege und dich mit stummen Blicken anfleht: speise mich, tränke mich, wasche mich, kleide mich, trage mich! Nein, auch eine unsterbliche Seele blickt dich an und fleht dich an aus deines Kindes Augen und bittet: nimm dich meiner an; nähre mich mit gesunder Geistesspeise, wasche mich von Unart und Unwissenheit; führe mich auf den rechten Weg, trage mich zu meinem Heiland, zu meinem himmlischen Vater! Das ist die Missionspredigt, die aus unsern Kinderstuben an uns ergeht: sorgt wahrhaft für eure Kinder, nicht für ihren Leib bloß, sondern auch für ihre Seele! Das ist die Missionsaufgabe, zu der wir Alle berufen sind, wenn wir auch keine Geistlichen und keine Schullehrer und keine Kirchenältesten sind: zieht eure Kinder in der Zucht und Vermahnung zum Herrn; führt eure Kleinen zu Jesu durch Wort und durch Beispiel. Wie hast du diese Mission bisher erfüllt? hast du's auch schon einmal recht ernstlich bedacht: vom Herrn ist mir mein Kind geliehen; in Seinem Namen soll ich's erziehen; zu Ihm soll ich's führen? Oder hast du für seinen Leib zwar gesorgt, aber für seine Seele nicht? Und wenn du auch an seinen Geist gedacht, hast du auch den rechten Grund gelegt zu seiner Geistesbildung mit Gottesfurcht und Frömmigkeit? Oder hast du's vielleicht Hunderterlei bisher lernen lassen, nur das Eine nicht, was not tut, das Eine nicht, was besser ist als alles Wissen: Christum lieb haben? Sorgt, ihr Eltern, sorgt für eurer Kinder Seelenheil. Das ist eure christliche Elternpflicht; das ist eurer Kinder tiefinnerstes Bedürfnis; das ist des Heilands heilig Gebot. Denket, was bei eurer Kinder Taufe euch gesagt worden ist: was einem Kind an seinem Heil verloren geht durch die Schuld derer, denen der Herr seine Erziehung anvertraut hat, das wird Er von ihren Seelen fordern, was aber christliche Liebe und Treue an den Kindern tut, auf die Er segnend herniederblickt, das will er so ansehen, als wäre es Ihm selbst getan.
Noch Eins gehört zu dieser Missionspredigt aus der Kinderstube; noch Eins will dir der Heiland ans Herz legen mit dem Wort: „wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf.“ Sagt dein Herz dir's nicht? Sieh, er will damit einen Blick deiner Liebe lenken auch auf fremde Kinder, die nicht die deinen sind, und sollen dir doch nicht fremd sein in Jesu Namen. Als vorgestern Abend das Jahresfest gefeiert ward in unserer städtischen Kinderbewahranstalt, der Paulinenpflege, und so ein Hundert armer Kinder gespeist und getränkt wurden unter den grünen Bäumen, da sah ich eine wohlhabende Frau, eine glückliche Mutter drei lieblicher Kinder, die zuschaute und weinte. Sie weinte nicht über ihre Kinder, denn die waren daheim wohl und vergnügt, sie weinte über diese fremden Kinder. Sie weinte aus Wehmut über diese Kinder, weil sie von keinem Vater versorgt, von keiner Mutter gepflegt wurden. Sie weinte aber auch aus Freude über diese Kinder, weil christliche Liebe sich ihrer angenommen nach dem Wort: wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf. Vergiss auch du nicht dieses Wort des Herrn. Und wenn dir ein armes, verwaistes, verwahrlostes Kind begegnet, so sprich nicht: Gottlob, so hab ich keines, sondern denk: aus diesem bleichen Gesicht, aus diesen scheuen Augen blickt mich mein Heiland an und fragt: könntest du nicht etwas für mich tun? Und wenn du etwas tun kannst für deinen Heiland an solch einem Kind - durch Rat oder Tat, durch Geld oder gute Worte, selbst oder durch Andere - so tu's um Gottes willen, tu's um deiner selber willen. Es ist ein heiliges Missionswerk, es wird dir Segen bringen über dein eigenes Haus, es wird dir Zinsen tragen in Ewigkeit.
O Gott, wie muss das Glück erfreu'n,
Der Retter einer Seele sein!
Und, kann man hinzusehen, o Gott, wie wär es Höllenpein, der Mörder einer Seele sein! Drum hört aus eurer Kinderstube
3) eine Strafpredigt, die lautet: hütet eure Kinder!
Was heißt das: hütet eure Kinder? Heißt's: hütet sie, dass sie nicht aus dem Fenster fallen, dass sie unter kein Wagenrad kommen? Nein, es heißt mehr als das, und was es heißt, das sagt uns der Herr mit den Worten: „Wer aber ärgert dieser Geringsten einen, die an mich glauben, dem wäre besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, da es am tiefsten ist. Wehe der Welt der Ärgernis halber! Es muss ja Ärgernis kommen; doch wehe dem Menschen, durch welchen Ärgernis kommt!“ Da habt ihr die Predigt: hütet eure Kinder vor Ärgernis, vor Verführung. Wenn der Krampfhusten in der Stadt ist, oder das Scharlachfieber durch die Kinderstuben schleicht, da hütet ihr eure Lieblinge vor Ansteckung gar ängstlich, denn es gilt des Leibes Gesundheit, es gilt das zeitliche Leben. Und wenn's das ewige Leben gilt und die Gesundheit der Seele, wenn sich's drum handelt, das Herz eurer Kinder zu hüten vor der Ansteckung des Lasters und dem Gifte der Verführung - da wolltet ihr's leichter nehmen, da wolltet ihr nicht ängstlich sein? Ach, es muss ja Ärgernis kommen in dieser argen Welt voll bösen Beispiels und gottlosen Wesens. Aber schrecklich, schrecklich bleibt es doch, zu denken: eine junge, reine, schuldlose Kinderseele, in welcher der Keim liegt zu allem Schönen und Guten, soll angefressen werden wie ein Röslein vom Wurm, soll abgefressen werden wie ein blühendes Apfelbäumlein von den Raupen durch leichtfertige Verführung. Wehe dem Menschen, durch welchen Ärgernis kommt!
Darum, Geliebte, hütet eure Kinder, hütet sie vor Ärgernis; hütet sie daheim und hütet sie draußen; hütet sie, wenn sie allein sind und hütet sie, wenn sie unter Andern sind. Habt Acht auf ihre Reden und wie ihr neulich von dieser Stätte aus gemahnt worden seid, auf ihr Lesen; habt Acht auf ihre Kindsmägde und habt Acht auf ihre Spielgesellen! Ach, schon manches Kind, das am Abend vom Besuch oder vom Spaziergang fröhlich heimkam mit glänzenden Augen und glühenden Wangen, hat im Herzen mit heimgebracht einen Sündenkeim, ein Lastergift, an dem seine Seele von der Stund an langsam zu Tode siechte. Hütet eure Kinder, hütet sie vor jedem Seelenfeind, hütet sie, ihr Eltern, hütet sie vor euch selbst! Ja wahrlich, manchem Vater und mancher Mutter muss man strafend zurufen: hütet euer Kind vor allem Bösen, aber hütet's allermeist vor euch selbst. Denn der Mensch, durch den Ärgernis kommt für dein Kind, der bist du, Vater, mit deinen Lastern, der bist du, Mutter, mit deinem bösen Exempel. Nicht von denen red ich jetzt, die ausdrücklich unter der Jugend umhergehen als Seelenverderber und Teufelswerber, die's darauf anlegen, mit höllischer Schadenfreude eine unschuldige Seele einzuweihen in die Geheimnisse des Lasters und ihr Gewissen, ihren Glauben, ihren Seelenfrieden ihr wegzuspotten; die hören ihre Strafpredigt nicht hier im Gotteshaus, die werden sie einst dort vernehmen, wo Heulen und Zähnklappen das Lied zur Predigt ist. Nein, euch bitt ich, die ihr noch Ohren habt zu hören und ein Gewissen, das euch schlägt, hütet eure Kinder vor euch selbst, oder, wenn ihr lieber wollt, hütet euch vor euren Kindern, dass ihr kein Ärgernis gebt.
Was hilft alles Gute, das eure Kinder hören in Kirche und Schule, was helfen alle eure eigenen Lehren, Mahnungen und Strafen, wenn ihr selber den guten Samen wieder zertretet durch böses Exempel! Du, Vater, lass immerhin dein Kind seine zehn Gebote lernen und vor dir aufsagen, was hilft's, wenn du selber sie nicht hältst? „Du sollst den Namen des Herrn Deines Gottes nicht vergeblich führen,“ heißt das zweite Gebot. Gut, aber wenn Du selber es nicht hältst? „Wenn du fluchst,“ sagt ein Volksfreund, „vor deines Kindes Ohren, so ist's gerade so viel, wie wenn du vor das Kind hinständest und würdest sagen: Kind, fluch auch! Nein, noch ärger, denn sagtest du zum Kind: fluch auch, so müsste das unschuldige Kind erst noch fragen: Vater, wie macht man das? so aber machst du's dem Kind gleich vor und, wenn du tot bist, flucht das Kind fort und du fluchst auf die Art im Grab noch fort, wenn dein Totenkopf längst keine Zunge mehr hat, und jeder Fluch von deinen Kindern brennt auf deiner Zunge jenseits noch.“ Und wie mit dieser, so ist's mit jeder Sünde. Lasst eure Kinder immerhin lernen: was soll eines Menschen vornehmste Sorge sein in diesem Leben? dass er haben möge eine gewisse Hoffnung des ewigen Lebens! Wenn sie bei euch selber nichts sehen als irdischen Sinn und fleischliches Treiben und eitles Wesen, verlasst euch drauf, dann lassen sie den Himmel Himmel sein und arten euch nach. Predigt immer: Kindlein, liebt einander - so sie bei Vater und Mutter nichts sehen und hören als Zank und Streit, so zwitschern auch die Jungen gleich wie die Alten sungen. Da gilt es, sich selbst verleugnen: Hand abhauen und Aug ausreißen, wie der Heiland im Texte verlangt. Hütet euch vor euren Kindern, damit sie nicht vor euch sich hüten müssen; hütet euren Fuß, eure Hand, eure Zunge, ja selbst euer Auge. Wie man mit einer feinen silbernen Nadel ein Kind ins Herz treffen kann zum Tode, so kannst du mit einem frechen Blick, mit einem spöttischen Wort, mit einem leichtfertigen Witz; das Herz, das junge, warme, unschuldige, gläubige Herz deines Kindes zum Tode treffen, und wie Ein Nachtfrost einen ganzen Frühling von Blüten töten kann, so kann Ein ungläubiges Wort, eine kalte Miene, mit der du deinem Kind begegnest bei seinem Beten, bei seinen guten Vorsätzen, bei seinen frommen Gedanken seinen ganzen Herzensfrühling töten! Schrecklich eine Kindsmörderin, die auf ihres Kindes Leiche starrt und sich sagen muss: siehe, das ist dein Kind, das ist dein Werk! Aber dreimal schrecklich, wenn man dir in der Ewigkeit eine erstorbene Seele zeigte, ein verlorenes Kind der Verdammnis, und spräche: sieh, das ist dein Kind, sieh, das ist dein Werk! Herr, Du treuer Menschenhüter, behüt uns, behüt unsere Kinder in Gnaden,
Breit aus die Flügel beide,
O Jesu, meine Freude,
Und nimm dein Küchlein ein!
Will es der Feind verschlingen,
So lass die Engel singen:
„Dies Kind soll unverletzet sein!“
Ja, betet nur zum treuen Menschenhüter!
4) Eine Trostpredigt aus unserer Kinderstube, die heißt: betet für eure Kinder.
Zagst du, Seele: je wer kann denn selig werden von uns Alten bei solcher Verantwortung? wer kann denn selig werden von unsern Kindern bei solchen Gefahren? Hör zum Schluss ein tröstlich Wort: „Seht zu, dass ihr nicht Jemand von diesen Kleinen verachtet! Denn ich sage euch: ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel. Denn des Menschen Sohn ist kommen, selig zu machen, das verloren ist.“ Sieh, also deine Kinder sind nicht allein gelassen, die ewige Liebe hütet sie, die schaut auf sie hernieder mit treuen Vateraugen, die streckt nach ihnen aus liebende Heilandsarme, die schwebt um sie mit schützenden Engelsflügeln. Ja, wahrlich so ist's. Wer an keine Vorsehung glauben wollte, der könnte es in der Kinderstube lernen, auf diesem Schauplatz tausendfacher göttlicher Wunderhilfen und Gnadenerfahrungen. Wer an keinen Heiland glauben wollte, der könnte es bei seinen Kindern lernen, wenn er mit ihnen und für sie betet. Wer an keine Engel glauben wollte, der müsste über seinen Kindern oft unwillkürlich ausrufen bei so mancher Behütung und Bewahrung: das hat dein Schutzengel getan! Darum, Geliebte, sorgt für eure Kinder, hütet eure Kinder, aber wo eure Sorge nicht ausreicht, wo eure Hut aufhört, da betet für sie zur ewigen Liebe mit getrostem Vertrauen; der Vater der Liebe, der die Schutzgeister dieser Kleinen um Sein strahlendes Antlitz versammelt, der wird dein Gebet hören und Seine Engel senden. Der Heiland, der gekommen ist, selig zu machen das Verlorene, der wird auch diese Lämmer in Seinen Armen tragen. Betet für eure Kinder. Stehst du am Morgen auf, versammle deine Kinder und bete zum Herrn, dass Er Euer Tagewerk segne. Schlummern deine Kindlein um dich her am Abend, bete zum Herrn, dass Er seine Flügel über sie breite. Musst du sie aus den Augen lassen, bete zum Herrn, dass Er Seine Engel ihnen zum Geleite gebe, wie dort dem jungen Tobias. Musst du dein Kind verirren sehen auf dem Sündenpfad, bete zum Heiland, dass Er suche und selig mache, das verloren ist. Musst du dein Kind ins Grab legen, übergib's dem ewigen Vater mit Hiobs Gebet und bitt ihn, dass Er dir's aufhebe im himmlischen Vaterhaus, dass Er dir's wieder gebe als einen schönen Engel. Und musst du selbst dein Haupt im Tode neigen und deine Kindlein Waisen lassen auf Erden, leg sie betend dem ans Herz, der da spricht: ich will euch nicht Waisen lassen! Ja, wir beten zu Dir, o ewige Liebe:
Ach, sei mit deiner Gnade
Bei uns, Herr Jesu Christ,
Auf dass uns nimmer schade
Des bösen Feindes List!
Ach, sei mit Deiner Liebe,
Gott Vater, um uns her!
Wenn diese uns nicht bliebe,
Fiel' uns die Welt zu schwer.
Ach, heil'ger Geist, behalte Gemeinschaft allezeit
Mit unserm Geist und walte Du bis in Ewigkeit! Amen.