Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Von den Geheimnissen der Menschwerdung.

Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Von den Geheimnissen der Menschwerdung.

Die Wiege Christi leuchtet.

Wenden wir unsere Sinne ein wenig ab von den zeitlichen Dingen, und betrachten wir die Geheimnisse der Menschwerdung des Herrn. Der Sohn Gottes kommt vom Himmel zu uns, auf dass wir die Kindschaft empfingen Gal. 4,4.5. Gott wird Mensch, auf dass der Mensch der göttlichen Gnade und Natur teilhaftig wird 2 Petr. 1,4. Um die Zeit des Abends der Welt wollte Christus geboren werden, um anzuzeigen, dass die Segnungen seiner Menschwerdung nicht das gegenwärtige, sondern das zukünftige Leben angehen. Zur Zeit des friedfertigen Augustus wollte er, der dem menschlichen Geschlecht Frieden mit Gott verschafft hat, geboren werden. Zur Zeit, da Israel ein Knecht war, wollte er, der der wahre Befreier und Erretter seines Volkes ist, geboren werden. Unter der Oberherrlichkeit eines fremden Herrn wollte er, dessen Reich nicht von dieser Welt ist Joh. 18,36, geboren werden. Von einer Jungfrau wird er geboren, um anzuzeigen, dass er nur in den Herzen derer empfangen und geboren wird, welche geistliche Jungfrauen sind 2 Kor. 11,2, das ist, deren Herzen weder der Welt, noch dem Teufel, sondern Gott in einem Geist anhangen. Rein und heilig wird er geboren, um unsere unreine und unheilige Geburt zu heiligen. Von einer Jungfrau, die einem Mann vertrauet ist, wird er geboren: zur Ehre des von Gott geordneten Ehestandes. In der Finsternis der Nacht wird er geboren, der das wahre Licht war, das die Finsternis der Welt erleuchtet. In eine Krippe wird er gelegt, der die wahre Speise unserer Seele ist. Inmitten des Ochsen und Esels wird er geboren, um die Menschen, welche durch die Sünde den Zugtieren ähnlich geworden sind, zur ehemaligen Würde zurückzuführen. In Bethlehem, das ist, in dem Hause des Brotes, wird er geboren, der zur Sättigung der Seelen die reichste Fülle der göttlichen Wohltaten mit sich führte. Der Erstgeborene und Eingeborene seiner Mutter auf Erden ist er, welcher der Erstgeborene und Eingeborene des Vaters im Himmel ist. Arm und unbemittelt wird er geboren 2 Kor. 8,9, um uns den himmlischen Reichtum zu erwerben. In einem verächtlichen Viehstall wird er geboren, um uns zu den Prachtgemächern der himmlischen Königsburg zu leiten. Vom Himmel wird er gesandt als Herold so großer Segnung, weil Niemand auf Erden die Größe derselben fasste. Der Herold himmlischer Gaben muss selbst vom Himmel sein. Es freuen sich die Heerscharen der Engel, welche uns um der Menschwerdung des Sohnes Gottes willen zu Genossen ihrer Seligkeit haben können. Den Hirten wird solches Wunder zuerst verkündigt, weil der wahre Hirt der Seelen gekommen war, die verlorenen Schafe auf den Weg zurückführen. Den Verachteten und Ruhmlosen wird der Grund so großer Freude verkündiget, weil Niemand derselben teilhaftig werden kann, der nicht in seinen Augen sich missfällt. Denen, die da wachen bei der Herde, wird diese Geburt verkündigt, weil nicht die, welche in Sünden schlafen, sondern die, deren Herz zu Gott wacht, so großer Gabe teilhaftig werden. Es frohlockt die Menge der himmlischen Heerscharen, die ob der Schuld des ersten Menschen in tiefe Trauer versetzt worden war. Die Klarheit des Herrn und Königs, dessen Armut die Menschen auf Erden verachteten, wird offenbar im Himmel. Der Engel gebietet der Furcht sich zu entschlagen, weil der geboren war, der allen Grund der Furcht hinweg zu nehmen kann. Freude wird vom Himmel verkündigt, weil der Schöpfer und Geber aller Freude geboren war. Freude wird geboten, weil die Feindschaft zwischen Gott und den Menschen, der Grund aller Traurigkeit, entfernt war. Die Ehre wird Gott in der Höhe gegeben, die der erste Mensch durch die untersagte Übertretung des Gebotes hatte an sich reißen wollen. Der wahre Friede ist durch diese Geburt erworben, weil vorher die Menschen Gottes Feinde waren, weil vorher wider sie ihr eigenes Gewissen war, weil sie vorher unter einander feindlich gestimmt waren. Der wahre Friede ist der Erde wiedergegeben, weil der überwunden ist, welcher uns gefangen hielt.

Lasst auch uns mit den Hirten zur Krippe Christi, das ist, zur Kirche gehen, und in Windeln, das ist, in die heilige Schrift, gewickelt werden wir dieses Kindlein finden. Lasst auch uns mit der Maria, der heiligen Mutter des Herrn, die Worte des so großen Geheimnisses behalten und in täglicher Erinnerung sie ernstlich bewegen. Lasst uns mit unserer Stimme den Engeln folgen, die uns vorsingen, und den schuldigen Dank für so große Wohltat sagen. Lasst uns frohlocken und freuen mit dem ganzen himmlischen Heer. Denn wenn die Engel um unsertwillen sich in so hohem Grad freuen, um wie viel mehr werden wir uns freuen müssen, dass uns dieses Kind geboren und gegeben ist? Jes. 9,6. Wenn die Kinder Israel Lobgetöne erhoben, da die Bundeslade zu ihnen gebracht ward, die das Abbild und der Schatten der Menschwerdung des Herrn war: wie viel mehr müssen wir uns freuen, zu denen der Herr, nachdem er ihr Fleisch angenommen hat, selbst herabsteigt. Wenn Abraham froh ward, dass er den Tag des Herrn sehen Joh. 8,56, und der Herr ihm, nachdem er die menschliche Gestalt auf Zeit angenommen hatte, erscheinen sollte: was werden wir tun müssen, da er unsere Natur für immer und unabänderlich angenommen hat? Lasst uns hier bewundern die unermessliche Güte Gottes, welcher, da wir zu ihm uns nicht zu erheben vermochten, zu uns herabkommen wollte. Lasst uns bewundern die unendliche Macht Gottes, welcher aus zwei einander ganz verschiedenen Naturen, nämlich der göttlichen und menschlichen, Einen darzustellen vermochte, der in der innigsten Vereinigung Gott und Mensch zugleich ist. Lasst uns bewundern die unendliche Weisheit Gottes, welcher eine Weise uns zu erlösen zu erfinden vermochte, da weder Engel noch Menschen eine Weise wussten. Das unendliche Gut war beleidigt, eine unendliche Genugtuung ward erfordert. Der Mensch hatte Gott beleidigt, von dem Menschen ward die Genugtuung gefordert. Aber von dem Menschen konnte weder eine unendliche Genugtuung geleistet, noch der göttlichen Gerechtigkeit genug getan werden ohne einen unendlichen Preis. Darum ward Gott Mensch, damit der, welcher gesündigt hatte, genug täte, und der, welcher unendlich war, einen unendlichen Preis bezahlte.

Lasst uns bewundern dieses staunenswerte Mittel der Ausgleichung der göttlichen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, welches kein Geschöpf, bevor es Gott offenbarte, erfinden konnte, und, nachdem es offenbart ist, nicht vollkommen fassen kann. Lasst dies uns bewundern, nicht ängstlich darüber grübeln; lasst uns nach Erkenntnis des verlangen, wenn wir es auch nicht vollständig fassen; lasst uns viel mehr unsere Unwissenheit bekennen, als Gottes Macht leugnen wollen.

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