Calvin, Jean – Hiob 13, 15 – 22.

Calvin, Jean – Hiob 13, 15 – 22.

15) Ob er mich schon tötet, will ich doch auf ihn hoffen; jedoch will ich meine Wege vor ihm verantworten. 16) Er wird noch mein Heil sein; denn ein Heuchler kommt nicht vor sein Angesicht. 17) Höret meine Rede und nehmet auf, was ich euch verkünde! 18) Wenn ich mich zum Rechtsstreit gerüstet habe, so weiß ich, dass ich Recht behalte. 19) Wer will gegen mich streiten? Denn schweige ich, so ist es aus mit mir. 20) Zweierlei tue mir, dann will ich mich nicht vor deinem Angesicht verbergen: 21) Nimm deine Hand von mir weg, und dein Grimm erschrecke mich nicht! 22) Und wenn du redest, will ich antworten; oder ich will reden, und du sollst mir antworten.

Trotz aller Schläge und Anfechtungen hat Hiob doch nicht alle Hoffnung verloren. Er denkt nicht daran, mit Gott zu streiten oder sich ihm zu entfremden; er will nicht gegen ihn trotzen, als wollte er nichts mehr von ihm wissen. Nein, er will Hoffnung behalten, es komme, wie es will. Ob er mich schon tötet, will ich doch auf ihn hoffen, jedoch will ich meine Wege vor ihm verantworten. Hier haben wir einen schönen und vortrefflichen Spiegel, in dem wir Gottes Tun sehen können. Denn er lässt die Gläubigen fallen, um ihren Glauben desto besser zu bewähren. Sie erleben vieles, was sich scheinbar nicht miteinander verträgt, aber Gott selbst gleicht das alles aus. Auf den ersten Blick möchte man sagen: Das ist wie Feuer und Wasser. Aber zuletzt bringt Gott alles zu einem solchen Ende, dass es sich wohl ausgleicht. Es gibt Leute, die nach Art der Philosophen die Meinung vertreten, es sei alles in schönster Ordnung, es gebe keine Widersprüche, es passe immer eins zum andern. Ach, diese Leute haben keine Ahnung davon, was es heißt, von Gott angepackt zu sein und durch seine Gerichte hindurch müssen. Gott behandelt uns so grausam, dass alles in uns in Verwirrung kommt, und es entstehen in unserm Herzen Stimmungen, die einander widerstreiten. Bald wünschen wir zu leben, bald zu sterben. Das sind doch Gegensätze, aber es liegen ihnen ganz verschiedene Gedanken zugrunde: Unserer Natur nach wollen wir leben, und darum fliehen wir den Tod; er ist uns schrecklich, weil er unserer Natur zuwider ist. Auf der andern Seite aber sehen wir uns hier in ein Gefängnis eingeschlossen. Solange wir in diesem Leibe sind, leben wir in der Knechtschaft der Sünde; deshalb müssen wir seufzen und uns nach der Ewigkeit sehnen, die uns verheißen ist, wenn Gott uns aus dieser Welt genommen hat; und wir dürfen wissen: Weil Jesus Christus durch den Tod hindurch gegangen ist, brauchen wir nicht mehr zu fürchten, der Tod habe noch Gewalt über uns; er ist wie ein stumpfes Schwert mit abgebrochener Spitze, das uns nicht verwunden kann, und wenn es auch noch einen Aderlass gibt, so soll dieser uns nur von aller Schwachheit befreien. Diese widerstreitenden Stimmungen gleicht Gott miteinander aus: was aus dem natürlichen Empfinden kommt, bleibt drunten, und der Glaube ist Meister. So meint es auch Hiob: Die Gläubigen sind entschlossen, auf Gott zu hoffen und die Seligkeit unter allen Umständen bei ihm zu suchen.

Hiob behält allewege die Hoffnung auf Gott, und deshalb muss er sich zu ihm wenden. Wer auf Gott hofft, der weiß: er wendet sich nicht von mir ab, und ich bin nicht ferne von ihm. Die Hoffnung besteht darin, dass wir zu ihm kommen und, wenn er uns ferne scheint, uns ernstlich bemühen, ihm zu nahen. Vor allen Dingen sollen wir der Schrift darin folgen, dass wir uns bergen in den Schatten seiner Flügel und uns zu ihm wenden, dass er uns auf seinen Schoß nehmen, wie ein Vater sein Kind auf seinen Schoß nimmt. Hiob wünscht sich nichts Höheres, als seinem Gott nahe zu sein und seine Hand über sich zu haben. Darum trifft ihn die falsche Verleumdung seiner Freunde nicht. Jedoch will ich meine Wege vor ihm verantworten. Seine Hoffnung ist also nicht derart, dass sie frei von allen Klagen wäre und er nicht mehr gegen Gott murrte. Das kommt aus seiner sündlichen Schwachheit, und die ist verdammenswert. Aber dem sei, wie ihm wolle: Gott überlässt ihn deshalb doch nicht sich selbst; denn der Glaube bleibt Herr über die Stimmungen. Wenn wir auf Gott hoffen und ihn anrufen, so heißt das nicht, wir hätten keine Kämpfe mehr; aber den Sieg muss der Glaube behalten und „der Friede Gottes regieren in unsern Herzen“ (Kol 3, 15), er muss die Palme gewinnen. Wenn der Apostel vom Frieden Gottes redet und ihm den Sieg zuschreibt, so liegt darin der Hinweis, dass wir noch Stürme haben werden, die uns hin und her treiben. Aber was gibt´s dagegen für ein Mittel? Den Frieden Gottes: der muss so stark werden, dass er endlich die Herrschaft gewinnt und alle unsere Anfechtungen im Zaum gehalten werden. Hiobs Vollkommenheit ist also nicht derart, dass nichts daran auszusetzen wäre, aber gleichwohl nimmt er seine Zuflucht zu Gott.

Diesen Gedanken bestätigt wer nun aufs Neue: Er wird noch mein Heil sein; denn ein Heuchler kommt nicht vor sein Angesicht. Worauf gründet Hiob die Hoffnung seines Heils? Darauf, dass er zu Gott nahen darf. Gewiss, auch die Heuchler pflegen sich zu Gott zu nahen, wie es Jes 58, 2 heißt: „Sie suchen mich täglich und wollen meine Wege wissen.“ Diese bigotten Heuchler, die weder Andacht noch Eifer haben. laufen gleichwohl viel umher und quälen sich ab, als wären sie Feuer und Flamme, Gott zu suchen, aber sie gehen damit nur um den Brei herum; es soll aussehen, als ob sie geradeswegs zu ihm kommen wollten, und sie wollen auch wohl gern mit Gott im Reinen sein, aber wirklich zu ihm kommen wollen sie nicht. Wenn die Papisten täglich drei Messen hören, wenn sie Weihwasser nehmen und von einem Altar zum andern laufen, so wollen sie sicherlich damit den Schein erwecken, als wollten sie Gott dienen, aber Gott darf sie nicht zu nahe anschauen, und in Wirklichkeit sind sie weit von ihm entfernt. Und deshalb vergleicht Jeremia (7, 11) all dies Gepränge, alle die Lobgesänge, all die Zeremonien der Menschen mit einer Mördergrube. Wie sich ein Räuber in seine Höhle zurückzieht, weil er nicht bemerkt sein will und seine Sünde nicht bekannt werden soll, so nehmen die Heuchler viel falschen Schein an und suchen viel Ausflüchte mit ihrem so genannten Gottesdienst. Warum tun sie das? Nur damit Gott nichts von ihnen fordert und sie lässt, wie sie sind; sie wollen sich hinter ihrer Mummerei verstecken! Es soll aussehen, als nahten sie sich zu Gott, aber in Wirklichkeit ist es nicht der Fall. In ihrer eitlen Aufgeblasenheit geht es ihnen gar nicht darum, Gott zu nahen, so hoch sie auch den Kopf tragen und viel große Worte machen, als wollten sie es mit Gott aufnehmen; aber sie wollen gar nicht zu Gott, sondern sie sind verstockt und denken gar nicht an ihn. Dächten sie wirklich an ihn, so träten sie so frech nicht auf. Wenn die Heuchler ihr Narrenwerk treiben und mit Gott spielen wie mit einem kleinen Kinde, so kommen sie sich so gerecht vor wie die Engel, als wäre an ihnen nichts mehr auszusetzen, und sie meinen, wenn Gott noch mehr von ihnen fordere, so lege er ihnen zu schwere Lasten auf, als wären sie ihm nichts schuldig, nein, als wäre er ihnen noch verpflichtet. Kein Mensch mit aufrichtigem Herzen und reinem, freiem Trieb wird sich zu Gott nahen, ohne ihn zu ehren, zu fürchten und damit ihm zu vertrauen. Das alles muss in seinem Herzen beieinander sein; sonst kommt er nie zu Gott und kann keine Gemeinschaft mit ihm haben. Vor allem muss er Gott ehren, also seine Majestät erkennen und auf seine Huldigung bedacht sein; solange wir die erhabene Majestät Gottes nicht gespürt haben, wird keiner ihm wirklich nahen wollen. Damit aber muss sofort auch die Furcht verbunden sein; haben wir ihm alle Hoheit und Herrschaft zugestanden, dann erst können wir ihm auch dienen und nach seinen Geboten wandeln. Doch auch diese Furcht genügt noch nicht; wir müssen wissen, was es um seine Güte ist, um darauf vertrauen zu können: das ist auch das Mittel, um Gott zu nahen.

Die Heuchler fliehen vor Gott, soviel ihnen möglich ist. Zu ihnen will Hiob nicht gehören. Darum kommt er ja zu Gott; weil er bei den sterblichen Menschen sein Recht nicht bekommt, hält er sich nicht länger bei ihnen auf; er möchte, dass Gott ihn hört und dass er freiheraus reden könnte, als stände er vor seinem Angesicht; er setzt also voraus, Gott werde ihm ein Gott des Heils sein. Dabei spricht er freilich recht seltsame Gedanken aus, wie er schon manchmal getan.

Höret meine Rede und nehmet auf, was ich euch verkünde! Wenn ich mich zum Rechtsstreit gerüstet habe, so weiß ich, dass ich Recht behalte. Hiob setzt also voraus, dass er so gute Gründe hat, um sich zu verteidigen, dass Gott ihn lossprechen wird, wenn er nur seinen Rechtsstreit führen darf. Die, zu denen er redet, sollen stillschweigen und hören, was er vorbringt. sie sollen das Ende und das Endurteil Gottes abwarten. Wie ist das möglich? Da müssen wir wieder an Gottes zwiefache Gerechtigkeit denken. Bisweilen richtet Gott die Menschen nach seinem Gesetz. Darin hat er uns eine Gerechtigkeit vor Augen gestellt, die uns ganz bekannt und offenbar ist: Gott tritt gleichsam mit uns in einen Vertrag ein, indem er uns die Regel gibt: „Welcher Mensch meine Satzungen tut, der wird dadurch leben“ (Lev 18, 5), und: „Verflucht sei, wer nicht alle Worte dieses Gesetzes erfüllt, dass er darnach tue“ (Deut 27, 26). Aber es gibt auch eine höhere Gerechtigkeit in Gott, kraft deren er auch die Engel verdammen könnte. So sehr Gott auch das Leben des Menschen anerkennt, wenn es in allem seinem Gesetz entspricht, so ist er deshalb doch nicht daran gebunden, und es ist nicht so gemeint, als wären wir ihm nun nichts weiter schuldig und als müsse er uns nun freisprechen. Denn vergleichen wir die Gerechtigkeit Gottes mit derjenigen der Kreatur, was geschieht dann? Dann muss die Sonne sich verdunkeln, die doch die ganze Welt erhellt, dann findet sich nichts, was Gott genügen könnte. Wenn uns also Gott über sein Gesetz hinaus richtet, so sind wir nicht gerecht, ob wir gleich nichts Böses und Schlechtes an uns sehen. So meint es auch Hiob: Will Gott mich einfach nach seinem Gesetz richten, und darf ich ihm antworten und ihm mein Leben zeigen, wie es ist, dann behalte ich recht. Das aber ist unmöglich. Denn dass alle Menschen verflucht und verdammt sind, dafür bedarf es keines anderen Beweises, als des Wortes: Wer nicht alle diese Worte erfüllt, der ist verflucht. Auch Paulus beruft sich auf diesen Spruch, um zu beweisen, dass keiner gerecht werden kann durch die Werke des Gesetzes, sondern dass wir allesamt vor Gott schuldig sind und dass jeder Mund geschlossen sein muss (Gal 3, 10)!

Folgt daraus, dass wir alle verdammt sind? Man muss darauf achten, ob wir Gottes Gesetz halten oder nicht. Und Paulus setzt voraus, dass keiner seine Pflicht erfüllt und wir alle weit davon entfernt sind. Wie kann denn Hiob sagen, wenn Gott ihn zur Verteidigung zuließe, so würde er ihn rechtfertigen, als wenn Gott keinerlei Schuld mehr an ihm fände? Wir wissen doch, dass er als sterblicher Mensch viel Schwachheit und Gebrechen an sich hatte! Wie kann er denn meinen, er könne freigesprochen werden? Nun, Hiob denkt nicht einfach an das, was er verdient hat oder was an ihm ist, sondern er denkt an das, was Gott mit seiner Züchtigung vorhat. Wenn Gott Sünden an uns findet, die der Bestrafung wert sind, so kann es sein, dass er sie trägt und vergibt; dabei will er uns aber um einer andern Ursache willen strafen – wie es ja auch dem Hiob widerfahren ist. Nicht deshalb hat Gott Hiobs Sünden gestraft, weil er´s wert gewesen wäre, weil er übel gelebt hätte. Keineswegs; auf das alles hat Gott nicht gesehen. Hiob soll allen Menschen ein Spiegel sein, um sie unter seine gewaltige Hand zu demütigen, dass wir unsere große Schwachheit erkennen und wissen: nach seinen heimlichen und unbegreiflichen Gerichten könnte Gott hunderttausend Mal härter mit uns verfahren, als er es tut. Auch auf Hiobs Geduld sollen wir schauen. Aber es war nicht Gottes Absicht, Hiob zu strafen. Darum kann Hiob auch sagen: Im Blick auf meine gegenwärtige Plage findet sich an mir keinerlei Missetat. Im Gegenteil: Gott prüft ihn als einen seiner Knechte. Damit aber will Hiob nicht die Vergebung der Sünden verwerfen, auf die unsere ganze Gerechtigkeit doch begründet ist. Wir nennen die Menschen gerecht allein durch den Glauben, weil wir in unsern Werken alle verdammt sind und nichts als Fluch und Verdammnis vor Gott bringen, sondern alle vor ihm zu Schanden werden. Aus diesem Grunde müssen wir uns eine andere Gerechtigkeit borgen, die Gott angenehm und gefällig ist; und das geschieht, wenn unser Herr Jesus Christus uns mit seiner eigenen Gerechtigkeit bekleidet und diese uns vor Gott zugerechnet wird. So sind wir also gerecht durch den Glauben, weil wir von unsern Sünden rein und sauber sind in der Kraft des Todes und Leidens unseres Herrn Jesus Christus. Unterdes aber leitet uns Gott durch seinen Heiligen Geist, und indem er uns leitet, lässt er sich den Dienst gefallen, den wir ihm leisten, das heißt die Gaben, die er uns geschenkt hat. Er nimmt sie an; denn es ist nicht ein einziger Tropfen Gutes in uns, das uns nicht von oben herab gegeben wäre. Wie uns Gott von seinen Gaben mitteilt, so nimmt er sie auch an.

Wie können aber unsere Werke Gott gefallen? Das tun sie, weil er nicht auf die Unvollkommenheiten sieht, die ihnen anhaften. Denn Makelloses gibt es nicht an uns, aber auf das alles sieht er nicht, er trägt uns mit väterlicher Liebe. Gerecht also werden wir vor Gott, weil es ihm gefällt, Gefallen an uns zu haben, nicht als wäre er dazu verpflichtet oder als hätten wir´s verdient. In diesem Sinne meint auch Hiob, er werde recht behalten: er will damit Gottes Gnade und Barmherzigkeit nicht ausschließen, die er an den Seinen tut, indem er sie trägt und nicht nach seiner vollen Strenge mit ihnen handelt, ja, mit ihrem Leben keine peinlich genaue Abrechnung hält. Das geht noch deutlicher aus den folgenden Worten hervor.

Zweierlei tue mir, dann will ich mich nicht vor deinem Angesicht verbergen, dann will ich jede Strafe, die du mir auferlegst, willig tragen, will über deine harte Hand nicht mehr klagen, will nicht mit dir hadern, wenn du mich drückst – wenn ich nur diese beiden Dinge habe. Nimm deine Hand von mir weg, und dein Grimm erschrecke mich nicht! Das ist das eine: Vollstrecke dein Urteil nicht an mir, bevor du mir den Prozess gemacht hast! Es befremdet ihn, dass Gott ihn so hart behandelt, ohne dass er weiß, warum. Es geht ihm wie einem Gefangenen; wenn er merkt, dass man nichts von ihm wissen und ihm überhaupt kein Gehör schenken will, so verlangt er, dass man ihn wieder freilässt. Das zweite ist: Wenn du redest, will ich antworten. Wird nach rechtmäßigem Gerichtsverfahren gegen mich vorgegangen, so will ich mich nicht mehr vor dir verbergen, ich will mir alles, was dir gefällt, gefallen lassen, will dir geduldig in allem gehorchen. Hiob redet wie einer, der ganz aus dem Gleichgewicht gekommen ist; bei ehrlicher Selbstprüfung hätte er gewiss erkannt, dass er nichts hatte, weshalb er hätte vor Gottes Angesicht treten dürfen, sondern dass er nur mit gebeugtem Haupte kommen musste. Zweierlei tue mir! Aber es steht uns doch nicht zu, gleichsam von Rechts wegen von Gott zu verlangen, er solle uns nicht strafen, ehe er uns von unsern Sünden überführt hat! Das wäre ein zu starker Vorwurf gegen sein Gerichtsverfahren. Darf denn ein armer Missetäter seinem Richter das Verfahren vorschreiben? Es kann ja sein, dass ein irdischer Richter mit maßloser Grausamkeit verfährt, aber so handelt doch Gott nicht gegen uns. Auch wenn er uns straft, so trägt er uns noch, er geht niemals übers Maß hinaus. Wir merken freilich nicht immer, warum er so handelt, wir sehen weder die Waage noch das Gewicht, das er braucht; es dünkt uns vielmehr, er mache alles verkehrt. Gleichwohl aber müssen wir ihn in seinen verborgenen Gerichten anbeten. Was von ihm ausgeht, mag uns recht seltsam vorkommen, aber es ist alles recht und gut, und am letzten Ende wird´s uns klar werden. Wir möchten freilich lieber zuerst vor Gottes Gericht gefordert werden, ehe er uns straft, aber wir müssen unsere eigenen Richter sein. Denn was hilft es, wenn Gott uns die schwerste Strafe auferlegt und wir doch in unserer Bosheit beharren? Das würde uns nur schwerere Verdammnis eintragen. Gott schlägt uns, aber wir neigen den Rücken nicht, und das Herz bleibt ungebeugt; wie von einem Amboss prallen die Schläge von ihm ab. Gottes Züchtigungen nützen uns nichts zu unserm Heil, wenn wir nicht unsere eigenen Richter sind und uns zuerst selbst verdammen. Das geschieht aber erst dann, wenn wir unsere Sünden erkannt haben. Gewiss, wir müssen auch die unerkannten Sünden an uns verdammen, aber den Anfang müssen wir machen mit der Erforschung unseres Gewissens und das darin aufspüren, wovon wir deutlich überführt sind. Anders ist es unmöglich, sich jemals vor Gott zu demütigen und sich aufrichtig und ehrlich zu verdammen.

Es ist uns durchaus erlaubt und nützlich, Gott zu bitten, er wolle uns zur Verteidigung unserer Sache zulassen, aber unter keinen Umständen dürfen wir von ihm verlangen: Nimm deine Hand von mir weg! Denn Gott kann sehr wohl diese beiden Dinge miteinander vereinigen: er kann uns zeigen, dass er allen Grund hat, uns zu strafen, indem wir unsere Sünden erkennen lernen, und dabei uns doch die Schläge seiner Hand fühlen lassen. Das beides widerspricht sich nicht, und wir dürfen uns auch nicht beklagen, wenn wir beides miteinander empfangen. Wollen wir von Gott erhört werden, so dürfen wir auch keine Entschuldigung vorbringen wollen, als wären wir unschuldig und könnten unsere Sünden verkleinern oder gar auslöschen, sondern es muss unser Anliegen sein, uns selbst zu erkennen, und zwar so, dass wir ganz zu Boden geschlagen werden und uns nichts anderes übrig bleibt, als allein zu Gottes Güte unsere Zuflucht zu nehmen und auf seine Barmherzigkeit zu hoffen.

Darum mögen wir wohl Gott bitten, er wolle seine Hand von uns wegnehmen und sich das Gebet gefallen lassen: Ach Herr, du siehst, ich bin eine arme Kreatur, und die Züchtigungen, die mir auferlegt sind, sind viel zu schwer, an meiner Schwachheit gemessen; gewiss, verdient habe ich noch viel schwerere, aber meine Kraft ist so schwach und matt, dass ich mir schon jetzt vorkomme wie im tiefsten Höllenkerker. Ach mein Gott, lass es dir doch gefallen, deine Strenge ein wenig zu mildern, bis ich wieder zu Atem komme und noch besser über mich nachdenken kann, dann will ich zu mir kommen, und meine Wunden können heilen. Solch eine Bitte dürfen wir aber nicht ohne die Einschränkung vor ihn bringen: Herr, was ich bitte, bitte ich in äußerster Not; du siehst, ich kann nicht mehr, und wenn du meiner Not nicht begegnest, so versinke ich in einen Abgrund, aus dem es keinen Ausweg mehr gibt! Dennoch verlasse ich mich ganz und gar auf dich; du weißt, was mir gut und dienlich ist, du weißt auch in meiner äußersten Not noch Rat, du hast ja Mittel ohne Zahl, um die Deinen auch aus dem Rachen des Todes zu ziehen. Fügen wir diese Bedingung hinzu, so ist solche Bitte ihm sicherlich immer angenehm.

Hiob aber ist nicht so vermessen gewesen, dass er wirklich gemeint hätte, es sei nichts an ihm zu tadeln und er sei bereit, in den Rechtsstreit mit Gott einzutreten und als erster das Wort zu ergreifen in der Erwartung, dass er den Streit gewinnen werde. Nein, so töricht ist Hiob nicht. Er hat unbedacht geredet, wie wir es auch machen, wenn uns der Trübsalsdruck zu stark wird. Wir müssen uns daran gewöhnen, unsere Stimmungen derart zu beherrschen, dass wir nur den einen Wunsch haben, Gott möge uns in seiner Gnade so viel von seiner Güte und Barmherzigkeit kosten lassen, dass wir uns, ob wir gleich scheinbar aus unserer Fassungslosigkeit nicht mehr herauskommen, dennoch allewege freuen und uns auf seine Güte verlassen, ja in aller Trübsal ohne Aufhören uns rühmen.

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