Calvin, Jean - An Viret in Lausanne (203).

Nr. 203 (C. R. – 921)

Calvin, Jean - An Viret in Lausanne (203).

Der Brief ist allein an Viret gerichtet, die Nachschrift aber an Farel, dem also offenbar Viret den Brief auch zusenden sollte. Die politischen Nachrichten aus Deutschland ließ Calvin, um sich doppeltes Schreiben zu sparen, aus einem nicht mehr erhaltenen Brief an Zurkinden (vgl. 178) kopieren. Den in Klammern stehenden Abschnitt über ein Bündnis Berns mit dem „Pharao“ von Frankreich setzte der Kopist fälschlicher Weise auch in den Brief an Viret; weshalb Calvin ihn durchstrich und eine Bemerkung für Viret an den Rand schrieb; ebenso setzte er für Viret den Namen des Straßburger Arztes und Diplomaten Dr. Geiger ein und schrieb den Brief eigenhändig fertig. Frau Francoise Perrin-Favre entwich nach dem Urteil des Rats auf ihr Landgut Pregny, das auf Berner Boden lag, und wo ihr Vater bereits weilte. Jacques Gruet, Sohn eines Notars, war auch der gewesen, der zuerst geschlitzte Hosen getragen hatte. Jacqueline Maronne hatte ihn denunziert; nach Genfer Brauch konnte der Denunziant gefangen gesetzt werden bis zum Schulderweis des Denunzierten. Über Saunier vgl. Brief 197. Die zwei oder drei Siege in Deutschland in Calvins Bericht gehen in Wirklichkeit zurück auf einen Sieg Christophs von Oldenburg und Alberts von Mansfeld über Erich von Braunschweig am 23. Mai. Dass Philipp von Hessen den seit 1545 gefangenen Heinz von Wolfenbüttel im Mai losgelassen und sich selbst dem Kaiser am 19. Juni zu Halle a. S. ergeben hatte, war noch nicht nach Genf gedrungen.

Von den Genfer Kämpfen und der Weltlage.

Jetzt gilts ernstlich kämpfen! Die Frau unseres Komödien-Cäsars ist wegen ihrer Frechheit wieder vor das Konsistorium geladen worden. Da hat sie nun, ohne durch irgendein schärferes Wort gereizt zu sein, mehr Gift gespien als je zuvor. Zuerst behauptete sie, selbst wenn sie etwas begangen hätte, so stehe es uns nicht zu, sie zur Verantwortung zu ziehen. Dann beklagte sie sich über den schweren Schimpf, der ihr angetan werde dadurch, dass sie hier erscheinen müsse, wohin man nur Frevler und Verbrecher vorladen dürfe. Als einer von den Beisitzern ihrem maßlosen Schimpfen Einhalt tun wollte, wendete sie sich wütend gegen ihn. Nun legte sich Abel [Poupin] ins Mittel mit den Worten, er müsse sich über ihre anfängliche Behauptung wundern, sie sei zur Verteidigung vor mehr Leuten zu verlegen und zu unberedt, da sie nun doch besser schimpfen könne als die meisten andern. Da brach erst ihre ganze Wut los. „Ja du“, rief sie, „du Lästerer, der du meinen Vater schmählich verlästert hast. Schweig, du dicker Schweinekerl! du lügst ja unverschämt!“ Hätte man sie nicht gewaltsam hinausgebracht, sie hätte uns alle mit solchem Donnerwetter überschüttet. Der Rat hat sie zur Haft in engem Gewahrsam verurteilt. Mit Hilfe der alten Frau, die alle bösen Sachen in ihren Schutz nimmt, ist sie entwischt; einer ihrer Söhne hat sich ihrer Flucht angeschlossen. Nicht weit vom Stadttor traf sie mit Abel zusammen und warf ihm von neuem ein paar noch frechere Schimpfworte zu. Abel schwieg; wie er sich auch im Konsistorium sehr ruhig verhalten hatte. Am folgenden Tag fand man auf der Kanzel einen Zettel, auf dem uns mit Tod gedroht war, wenn wir nicht schwiegen. Ich schicke dir eine Abschrift. Der Rat, erschrocken über solche Frechheit, hat eine strenge Untersuchung nach dieser Verschwörung angeordnet und die Aufgabe einer kleinen Kommission anvertraut. Weil vieler Leute Verdacht auf Gruet fiel, wurde er sofort verhaftet; doch war es nicht seine Handschrift. Als aber seine Papiere durchsucht wurden, fand man vieles, was nicht weniger schwer wiegt, z. B. eine Bittschrift, die er bei den Wahlen dem Volk vorlegen wollte, des Inhalts, es sei nichts gesetzlich zu strafen, als was das Staatswesen gefährde. So hielten es auch die Venetianer, die der Regierungskunst am allerkundigsten seien. Denn es bestehe Gefahr, dass Genf, wenn es den Hirngespinsten eines einzigen Melancholikers sich untertan mache, in einer Empörung einmal tausende von Bürgern verlöre. Auch Briefe wurden gefunden, z. T. an Andre Philippe, z. T. an andere gerichtete. In einigen nannte er mich mit Namen; in andern drückt er sich in Bildern aus, die aber eine so plumpe Verstellung verraten, dass man mit Händen greifen kann, was er damit verstecken wollte. Auch ein Aufsatz in lateinischer Sprache von zwei Seiten, in dem die ganze Schrift verspottet, Christus heruntergerissen, die Unsterblichkeit der Seele Traum und Fabel genannt, kurz die ganze Religion zerstört wird. Ich glaube nicht, dass er der Verfasser ist, aber weil es seine Handschrift ist, muss er sich dafür verantworten. Es ist freilich auch möglich, dass er von andern Gehörtes für sein Tagebuch nach seinem Verständnis zusammenstellte. Denn es sind abgerissene Sätze voll unlateinischer Ausdrücke und Stilfehler.

Ob Jacqueline, deren Schwester des Gallars zur Frau hat, verhaftet ist, weiß ich nicht. Beschlossen hat es der Rat. Über Vandel ist der Spruch noch nicht gefällt; doch ist er in großer Gefahr. So steht es, während ich schreibe. Du weißt, die Syndics sind uns nicht mutig genug; sonst ist aber der Rat ausgezeichnet gestimmt für diese Sache.

Sauniers wegen antworten mir die Brüder, sie änderten nichts an ihrem früheren Beschluss; ich erhielt nämlich einen Verweis, weil ich, um ihn zu schonen, das Schreiben unterlassen hatte. Da erwähnte jemand, der Pfarrer von Coppet möchte auch an eine andere Stelle. Ist etwas dran, so rate ich [Saunier], es da zu versuchen.

Was Butzers Brief über die beiden Siege enthält, ist ganz sicher. Es reiste hier ein Freund von mir [Dr. Geiger] durch, der die Lage genau kennt. Er erzählte auch, vor seiner Abreise von Straßburg sei die Nachricht von einem dritten Sieg gekommen, die er aber nicht für ganz sicher zu halten wage. Außerdem berichtet er noch, der Landgraf sei auf ein Versprechen des Kaisers hin nach Leipzig gekommen, aber unverrichteter Sache und ohne Hoffnung heimgekehrt und sammle ein neues Heer. In Butzers Brief stand fälschlich Heinrich. Denn den hält der Landgraf in Fesseln und wohlverwahrt. Butzer meinte aber Erich [von Braunschweig], der unsern Glauben bekennt, aber sich dem Tyrannen zur Zerstörung der Kirche zur Verfügung stellt.

(Könnte doch Euer Rat dazu gebracht werden, zuerst um ein Bündnis zu bitten. Denn der Pharao will gebeten sein und meint, es tue seiner Majestät Abbruch, wenn er sich um ein Bündnis mit dem Geringeren bemühe. Aber darin und in anderm mögen die zusehen, die es angeht. Ich wünsche nichts, als was ich für gut und nützlich halte in Eurem Interesse.) Der diese Nachrichten aus einem Brief an Zurkinden abschreiben sollte, hat diesen Abschnitt zu viel kopiert.

Lebwohl, bester Bruder und Freund, samt deiner Frau und deinem ganzen Haus. Der Herr leite dich stets und sei mit dir. Grüße die Brüder angelegentlich von mir. Ich und meine Frau grüßen dich und deine Frau im Herrn.

2. Juli 1547.
Dein
Johannes Calvin.

Deinen Neffen habe ich länger hier behalten, als er selbst wollte; denn er ist gar schüchtern und ängstlich. Gleich als er sah, dass er hier keine Stellung finde, wollte er mir nicht mehr zur Last fallen. Ich wollte aber, obgleich nur wenig Aussicht auf Erfolg war, doch erst alles versuchen, ehe ich ihn zurücksendete. An ihm liegt sicher die Schuld des Misserfolgs nicht. Unsere Kaufleute besorgen nämlich meistens den Laden selbst, Angestellte und Reisende brauchen sie nur zur Eintreibung der Schulden. Daher kommts, dass niemand mit seinem Geschäftsfleiß eine Probe wagen wollte. Ihn darfst du also deswegen nicht beschuldigen. Denn ich hätte ihm über bescheidenes, einfaches Wesen und Fleiß ein gutes Zeugnis ausstellen können, wenn ein Prinzipal zu finden gewesen wäre. Aber es ist eben heutzutage die Art unserer Stadt so, dass sich die Guten kümmerlich zu Hause halten, die Bösen aber uns und unsre Obrigkeit meiden. Wolltest du deinen Neffen nach Lyon schicken, so wäre dort wohl schon eine Stelle zu finden. Aber ich rate nicht dazu; ich zöge vor, um der bösen Verhältnisse willen mehr Geld zu brauchen. Lebwohl, bester Bruder und Freund samt deinen Angehörigen, die wir, ich und meine Frau, vielmals grüßen lassen. Auch unsern Gevatter Christophe und die Kollegen grüße herzlich von uns beiden. Der Herr Jesus behüte Euch; er sei mit Euch, leite Euch und segne Euer frommes Wirken.

Genf, 2. Juli 1547.
Dein
Johannes Calvin.

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