Bender, Leopold - Der Geist der Wahrheit und Offenbarung
(Erläuterungen, gegeben auf der Bundeskonferenz in Witten anläßlich der mündlichen Besprechung von Eph. 1,17 von Leopold Bender)
Die Versiegelung (V. 13) schließt zwei Dinge in sich. Zunächst wirkt der Geist in dem Gläubigen durch den Glauben an Christum die Gewißheit des Heils. Da drückt Gott dem Menschen das Siegel auf. Dann schließt die Versiegelung die Bewahrung in sich - die Bewahrung der Gläubigen zur Seligkeit. Als ich zur Bekehrung kam, war das für mich die Frage: wirst du auch beharren? - In der Versiegelung ist die Antwort darauf gegeben. - Wir lesen in Eph. 4,30 „Betrübet nicht den Heiligen Geist, womit ihr versiegelt worden seid“, und Johannes sagt: „Ihr habt die Salbung von dem Heiligen“ usw.. (1. Joh. 2,20). -
Darauf wollte ich den Finger legen, daß der Apostel, nachdem er dafür gedankt hat, daß die Epheser an Christum gläubig geworden waren, und dafür, daß sie Liebe zu allen Heiligen hatten, fürbittend für sie fleht, daß Gott ihnen gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung zu seiner selbst Erkenntnis. Sie hatten also den heiligen Geist, sie waren versiegelt mit dem heiligen Geist. Nun bittet er für sie, daß sie empfangen sollten mehr und mehr den Geist der Weisheit und Offenbarung.
Was ist denn das - Geist der Weisheit und Offenbarung? Ist das auch der heilige Geist? Ja, das ist auch der heilige Geist; aber der heilige Geist hat verschiedene Eigenschaften. Wird er oft genannt der Geist der Liebe, oder der Geist der Wahrheit, so hier der Geist der „Weisheit und Offenbarung“.
Diese Stelle ist sehr wichtig in Bezug auf die Frage: „Können und dürfen wir um mehr heiligen Geist bitten?“ Es wird das ja von etlichen bestritten. Wenn wir gläubig geworden sind, so sind wir gewiß mit dem heiligen Geist versiegelt; aber das ist nicht so aufzufassen, als ob das Empfangen des heiligen Geistes eine vollendete und abgeschlossene Sache wäre. Wir müssen mehr und mehr, in zunehmendem Maße den Geist der Weisheit empfangen. Der Apostel hat im ersten Teil des Kapitels darauf hingewiesen, daß die Gläubigen mit dem Ratschluß Gottes bekannt werden sollen. Wir müssen wachsen in dem Geist der Wahrheit, um mit Gottes Rat und Wesen immer inniger bekannt zu werden. Deshalb müssen wir auch um den Geist der Weisheit bitten. - Es ist ein weites Gebiet - der Geist der Weisheit und Offenbarung. Laßt uns aber vor allem die Tatsache beachten, daß der Geist uns keine außerordentliche Offenbarung außer der Bibel gibt. Der Geist Gottes schließt uns das Wort auf. Wenn er in uns ist und wir unter seiner Leitung stehen und wir immer wieder neu getränkt werden von ihm, dann werden wir erfahren, daß der Geist Gottes der Geist der Offenbarung ist. Er öffnet uns die Augen, daß wir sehen die Wunder in seinem Gesetz. Der Geist Gottes schenkt uns neue Blicke in die Wahrheit, indem er uns die Wahrheit mehr und mehr aufschließt und indem er uns immer neue Blicke in den großen Ratschluß Gottes schenkt. - Das ist der Geist der Offenbarung, und da müssen wir ja darauf sehen, daß wir den Geist nicht betrüben. In der Schrift offenbart sich der Geist. Die Schrift ist durch den Geist geschrieben. Wenn ich die Schrift lese, dann merke ich, daß der Geist zu mir spricht… der alte Hebich sagte einmal vor Jahren: „Lies im alten Testament und lies im neuen Testament solange, bis dir Gott begegnet.“
Wir brauchen nicht lange Gottes Wort zu lesen, so begegnet uns Gottes Geist. Wie Gott einst unter den Bäumen im Paradies wandelte, so wandelt Gott hier durch sein Wort. Ich lese die Bibel nie, ohne zu beten: „Herr, öffne mir die Augen, daß ich sehe die Wunder in deinem Gesetz.“ Aber ich kann das hier bekennen vor Menschen und Gott, daß ich selten die Bibel lese, ohne daß ich neue Blicke und neue Eindrücke in alle Wahrheiten bekomme, die ich glaubte, längst verstanden zu haben. Und das ist der Segen, die tägliche Erfrischung, der tägliche Tau von oben, der das Herz füllt. Die Wahrheit wird uns immer neuer, immer größer, immer herrlicher. Das ist also der Geist der Weisheit und der Offenbarung zu seiner selbst Erkenntnis. O, das ist ein Thema! Mein erstes Gebet, das ich unter freiem Himmel im Jahre 1850 betete, hieß: „Wenn du, Gott, existierst, dann offenbare dich mir!“ Und es ist erhört worden. Aber es wurde erhört auf einem schweren Wege, durch schwere innere Führungen, wo ich zusammenbrach, bis ich Gott und mich kennen lernte. Aber ich habe ihn damals auch kennen gelernt, und auch heute noch ist es mein Gebet und mein Verlangen, Gott zu erkennen. Was das alles in sich schließt - Geist der Offenbarung - kann ich in Worten nicht ausdrücken. Das empfindet nur die Seele. Aber soviel wissen wir: Gott wird uns dadurch größer und herrlicher; wir kommen ihm näher, näher! „Näher, mein Gott, zu dir, näher zu dir!“ Das ist das rechte Wachstum, daß Gott größer wird. Und Gott wird in Christo größer und größer, und wir kleiner und kleiner. Also die mit dem Geist Versiegelten haben auch noch nötig, um den Geist der Weisheit und Offenbarung zu beten.
Quelle: Gärtner - Eine Wochenschrift für Gemeinde und Haus 1908