unbekannt - Was ist die Heiligung nach der Schrift?

unbekannt - Was ist die Heiligung nach der Schrift?

Es gibt in unsern Tagen viele wahre Gläubige, deren Herzen nicht wirklich glücklich, nicht wahrhaft befriedigt sind. Sie fühlen in ihrem Innern eine Leere, einen Mangel, welche durch nichts ausgefüllt werden können. Das Wort Gottes spricht von einem Frieden, der allen Verstand übersteigt, und von einer völligen Freude für den Gläubigen; aber jene genießen beides nur in geringem Maß. Ist eine Seele nun aufrichtig, so wird sie mit Ernst und tiefer Betrübnis die Ursache davon zu erforschen suchen; leider aber ist zu bedauern, dass viele sich dabei nicht einfach zu der wahren Quelle aller Weisheit, zum Worte Gottes, wenden, sondern entweder den eigenen Gedanken folgen, die so oft irreführen, oder auch wohl solchen Lehrern das Ohr leihen, deren Lehren selbst nicht völlig aus jener untrüglichen Quelle geschöpft sind und, als ein Gemisch von göttlichen und menschlichen Gedanken, eine um so willigere Aufnahme finden, je mehr sie der menschlichen Natur schmeicheln und dieselbe erheben.

Es wird den meisten Lesern dieser Zeilen nicht unbekannt sein, dass in unsern Tagen vornehmlich die Frage der Heiligung viele Herzen beschäftigt und nicht wenige beunruhigt. Obwohl es nun sicherlich dem Herrn wohlgefällig, ja, eine unsrer ernstesten Pflichten ist, jede Wahrheit der Schrift möglichst zu erforschen, so haben wir doch sorgfältig darüber zu wachen, dass unsere Auffassungen allezeit in Übereinstimmung sind mit den Gedanken Gottes. Nur aus einem geistlichen Verständnis der Wahrheit entspringt ein wirklicher Segen; wenn wir dagegen diese göttliche Wahrheit nach unsern eigenen Gedanken messen oder sie mit denselben vermengen, so können nur Unsegen und selbst traurige Verirrungen die Folge sein. Lasst uns daher, indem wir die wichtige Frage der Heiligung etwas näher betrachten, allein zu dem Worte Gottes, als der allein lauteren und untrüglichen Quelle, unsere Zuflucht nehmen; und der Herr, reich an Gnade, möge durch Seinen Geist uns leiten!

1.

Es gibt in der Tat in der Heiligen Schrift kaum eine Wahrheit, welche von den Gläubigen im allgemeinen so mangelhaft ergriffen wird und zu so vielen falschen Auffassungen Anlass gegeben hat, als die Lehre von der Heiligung. Während die einen dabei nur an das fortschreitende Werk des Heiligen Geistes in der Seele denken und mithin, wie wir später zeigen werden, nur eine Seite derselben ins Auge fassen, gibt es andere, welche in der Heiligung eine Veredlung oder Verbesserung der alten Natur oder des alten Menschen erblicken und die frommen Gefühle und andächtigen Regungen in ihrem Innern als einen Fortschritt in derselben betrachten. Noch andere stellen die Behauptung auf, dass die Heiligung bei dem Christen durch eine rückhaltlose Übergabe an den Herrn wie sie es auszudrücken pflegen zur wirklichen Tatsache werde, und zwar in der Weise, dass man in einem Nu aus einem unreinen und darum unseligen Zustand in einen neuen, bessern hinüberspringe und durch allerlei geistliche Übungen sich darin zu erhalten vermöge - eine Behauptung, die in der jüngsten Zeit viele Anhänger gefunden hat. Beim Erforschen der Schrift, bezüglich dieses Gegenstandes werden wir indes sehen, wie haltlos und irrig diese Auffassungen sind, und wie wenig sie ihre Quelle und ihre Grundlage in den Gedanken Gottes haben.

Es muss dem aufrichtigen Leser des Wortes Gottes einleuchtend sein, dass jede Bemühung, unsre Natur zu veredeln oder zu verbessern, eine Verneinung der gänzlichen Verderbtheit des natürlichen Menschen in sich schließt und deshalb mit der Lehre der Schrift in unmittelbarem Widerspruch steht. Das Wort Gottes lehrt weder, dass eine allmähliche, noch dass eine plötzliche Umwandlung unsrer alten Natur möglich sei, sondern erklärt vielmehr mit allem Nachdruck: „Die Gesinnung des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott; denn sie ist dem Gesetz Gottes nicht untertan, denn sie vermag es auch nicht.“ (Röm. 8,7.) Das ist deutlich genug. Das Fleisch unterwirft sich dem Gesetz Gottes nicht, ja, es kann sich demselben nicht unterwerfen. Die alte Natur ist nichts anderes als Feindschaft, Hass, Finsternis rc. Wer sie kennt, hält ihre Verbesserung für unmöglich; und wer Versuche dieser Art anstellt, wird finden, wie fruchtlos seine Anstrengungen, wie eitel seine Bemühungen sind. Er mag das Fleisch bekämpfen, peinigen, kasteien; aber es wird stets Fleisch, Feindschaft wider Gott, sein und bleiben. „Was vom Fleische geboren ist, ist Fleisch;“ und weder durch eine anhaltende Beschäftigung mit himmlischen Dingen, noch durch die eifrigsten, andächtigsten Übungen, um eine ununterbrochene Gemeinschaft mit Gott zu unterhalten, vermag man eine Umwandlung seines Wesens zu bewirken. Paulus war bis in den dritten Himmel, bis in das Paradies entrückt worden und hatte dort unaussprechliche Worte gehört; aber sein Fleisch, seine alte Natur, war unverändert geblieben, so dass er sogar, um sich der hohen Offenbarungen wegen nicht zu überheben, eines Dornes für das Fleisch bedurfte und von sich stets sagen musste: „In mir, das ist in meinem Fleische, wohnt nichts Gutes.“ (Röm. 7,18.) Auch belehrt er die Galater, dass zwischen dem Fleische und dem Geiste ein fortwährender Kampf bestehe: „Denn das Fleisch gelüstet wider den Geist, der Geist aber wider das Fleisch: diese aber sind einander entgegengesetzt, auf dass ihr nicht das tut, was ihr wollt.“ Das Fleisch kann wohl durch die Kraft des Geistes niedergehalten und unterjocht, nie aber verbessert oder verändert werden.

Die Lehre der Heiligen Schrift bezüglich der Unverbesserlichkeit des Fleisches oder der alten Natur ist also klar und unbestreitbar. Gott hat die Verderbtheit desselben nach unzähligen Proben als eine traurige, aber unumstößliche Tatsache ans Licht gestellt und dasselbe schließlich in Christo Jesu auf dem Kreuze gerichtet und hinweggetan. Der bußfertige Sünder denkt nun freilich zu Anfang weniger an seinen natürlichen Zustand als vielmehr an seine Sünden, deren er sich in Gedanken, Worten und Werken schuldig gemacht hat; und nach dieser Richtung hin sucht sein Gewissen Ruhe und Frieden gegenüber einem gerechten und heiligen Gott. Welch eine Freude erfüllt sein Herz, wenn er, durch die Gnade geleitet, im Glauben seinen Blick zum Kreuze erheben und dort den Herrn als den Sündenträger erblicken darf! Er schaut das kostbare Blut Jesu, welches ihm zum Eintritt in das Heiligtum Freimütigkeit gibt; und mit glücklichem Herzen lauscht er auf die Worte: „Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, reinigt von aller Sünde.“ (1. Joh. 1,7.) Er kann in gläubigem Vertrauen ausrufen: „Christus hat alle meine Sünden getragen und mich durch Sein Blut so rein gewaschen, dass das alles durchdringende Auge eines heiligen und gerechten Gottes keinen Flecken mehr sieht.“

Wunderbare Gnade! Was die vielen Opfer des alten Bundes nicht vermochten und wozu sie auch nicht gegeben waren, hat das ein- für allemal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi vollbracht. Dieses Opfer hat uns für immer von unsern Sünden gereinigt; denn sie sind alle ins Gericht vor Gott gekommen, sind getragen, gesühnt, und zwar durch Den, „der unsrer Sünden wegen dahingegeben und unsrer Rechtfertigung wegen auferweckt worden ist“. Wir haben jetzt ein vollkommenes, das ist ein gutes Gewissen vor Gott; nie mehr bedarf es einer nochmaligen Reinigung durch Blut, „denn durch ein Opfer hat Er auf immerdar vollkommen gemacht, die geheiligt werden“. (Hebr. 10,14.) Der Heilige Geist selbst bezeugt uns, dass unsre Sünden nie mehr in das Gedächtnis vor Gott kommen werden. (Hebr. 10,15-17.) „Christus ist mit Seinem eigenen Blute ein für allemal in das Heiligtum eingegangen, als Er eine ewige Erlösung erfunden hatte.“ (Hebr. 9,12.) Nicht mehr die Menge unsrer Sünden, sondern das Blut Jesu, das sie für immer gesühnt und getilgt hat, ist vor dem Angesicht Gottes. Der Vorhang, der den heiligen und gerechten Gott von dem schuldigen und fluchwürdigen Sünder trennte, ist zerrissen, der Weg ins Heiligtum geöffnet: denn dasselbe Opfer, welches allen Bedürfnissen eines armen, verlornen Sünders entsprach, hat zugleich Gott so vollkommen verherrlicht, dass wir jetzt als gereinigte Anbeter einem verherrlichten Gott nahen können. Es bedarf keines Vorhanges mehr. Das Blut Christi gibt uns völlige Freimütigkeit zum Eintritt ins Heiligtum. Denn der große Hohepriester, der dort eingegangen ist, hält unsre Beziehungen zu Gott auf Grund Seines kostbaren Blutes aufrecht.

Jedoch handelt es sich nicht nur um die Wegnahme unsrer Sünden, sondern auch um die Beseitigung unsers ganzen Zustandes von Natur. Es ist wahr, unsre Sünden sind getragen und hinweggetan; aber das ist nur der eine Teil des Werkes Christi. Dieses Werk hatte es nicht bloß mit unsern Sünden, als den schlechten Früchten, sondern auch mit uns selbst, als dem schlechten Baume, zu tun. Und welch eine Gnade, im Blick auf das Kreuz sagen zu dürfen, dass nicht nur unsre Sünden vergeben sind, sondern dass auch die Sünde im Fleische gerichtet, der alte Mensch mitgekreuzigt und hinweggetan ist. Nicht nur lagen unsre Sünden auf Christo, sondern Er wurde auch für uns zur Sünde, d. h. zu dem gemacht, was wir von Natur sind. (Vergl. Röm. 4,25 mit 2. Kor. 5,21.) Er, der Sünde nicht kannte, nahm auf dem Kreuze unsern Platz, beladen mit unsern Sünden und für uns zur Sünde gemacht, im Gericht vor Gott ein. Dort war Er an unsrer Statt von Gott verlassen, an unsrer Statt unter dem Zorne Gottes. Dort wurden an Ihm unsre Sünden und unser sündiger und verderbter Zustand gerichtet. Ich kann meinen Blick im Glauben zum Kreuze erheben und sehe dort meine Schuld bezahlt und alles Böse in mir, meinen ganzen Zustand von Natur, verurteilt und gerichtet. Denn das dem Gesetz Unmögliche, weil es durch das Fleisch kraftlos war, tat Gott, „indem Er, Seinen eigenen Sohn in Gleichheit des Fleisches der Sünde und für die Sünde sendend, die Sünde im Fleische verurteilte.“ (Röm. 8,3.) Der Kreuzestod Christi hat meinem alten Zustande, als demjenigen eines Nachkommen des ersten Adam, für immer ein Ende gemacht. „Indem wir dieses wissen, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt ist, auf dass der Leib der Sünde abgetan sei, dass wir der Sünde nicht mehr dienen.“ (Röm. 6,6.) Wir haben „den alten Menschen mit seinen Handlungen ausgezogen und den neuen angezogen“. (Kol. 3,9.10.) „Die Wahrheit in dem Jesus ist: dass ihr, was den früheren Lebenswandel betrifft, abgelegt habt den alten Menschen. … und angezogen habt den neuen Menschen, der nach Gott geschaffen ist in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit.“ (Eph. 4, 21-24.) „Die aber des Christus sind, haben das Fleisch gekreuzigt samt den Leidenschaften und Lüsten.“ (Gal. 5,24.) „Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott.“ (Kol. 3,3.)

Diese Stellen werden hinreichen, uns ich rede natürlich nur von Gläubigen zu überzeugen, dass unser Zustand von Natur, das Fleisch, unser alter Mensch, der erste Adam, nicht einer Verbesserung fähig ist, sondern als gänzlich verwerflich in dem Tode Christi ein Ende gefunden hat. Bezüglich dieses Zustandes sind wir gerichtet, gekreuzigt, gestorben und begraben. Der alte Mensch ist ausgezogen und vor Gott hinweggetan. So lehrt uns das Wort Gottes, und so urteilt unser Glaube, der allein aus diesem Worte schöpft und auf diesem Worte ruht. Ein Christ kann der Wahrheit gemäß nur sagen, dass sein alter Mensch mit Christo gestorben und begraben, dass der Leib der Sünde hinweggetan ist. Jede Behauptung, die dieses leugnet, steht im Widerspruch mit dem Worte Gottes und ist darum falsch und verwerflich.

Nun ist aber Christus nicht nur, als für uns zur Sünde gemacht, auf dem Kreuze gestorben, sondern Er ist auch wieder auferweckt und ohne Sünde, als das Haupt einer neuen Schöpfung, zur Rechten Gottes im Himmel erhöht worden. Durch Seine Auferweckung aus den Toten, sowie durch Seine Erhöhung zur Rechten Gottes hat Gott auf das für uns vollbrachte Opfer Christi das Siegel Seiner Anerkennung gedrückt und in feierlichster Weise erklärt, dass Er vollkommen verherrlicht, und dass Seine Gerechtigkeit in Bezug auf uns völlig befriedigt worden ist. Durch die Auferweckung Christi und durch Sein Sitzen zur Rechten Gottes ist uns der Beweis gegeben, dass das auf Golgatha für uns vollbrachte Werk bei Gott völlige Annahme gefunden hat. Da Er aber um unsertwillen, an unsrer Statt, im Gericht war, so ist Seine Annahme vor Gott die unsrige, und Seine vollkommene Rechtfertigung vor Gott die unsrige. Wir sind nicht nur mit Ihm gestorben und begraben, sondern auch mit Ihm lebendig gemacht und auferweckt, und mithin in Ihm von Gott angenommen und gerechtfertigt; wir haben nicht nur den alten Menschen ausgezogen, sondern auch den neuen angezogen, wie uns die oben angeführten Stellen in klarster Weise belehren. Dieser neue Mensch aber ist Christus. Wir sind des Lebens des auferstandenen Christus teilhaftig geworden; Er selbst ist unser Leben (Kol. 3,4); und in Ihm sind wir schon in die himmlischen Örter versetzt. (Eph. 2,6.) Wir sind, bezüglich der Verantwortlichkeit des alten Menschen, dem Gericht über die Sünde so völlig entronnen wie Christus selbst. „Also ist jetzt keine Verdammnis für die, welche in Christo Jesu sind.“ (Röm. 8,1.) Und noch mehr; nicht nur ist Christus selbst unsre Gerechtigkeit, sondern auch wir sind Gottes Gerechtigkeit geworden in Ihm. (Vergl. 1. Kor. 1,30 mit 2. Kor. 5,21.) Wir gehören jetzt dem zweiten Adam an, stehen mit dem Haupte der neuen Schöpfung in Verbindung, wie wir früher dem ersten Adam und der alten Schöpfung angehörten. Der für uns geschehene Kreuzestod Christi hat dieses alte Verhältnis völlig abgebrochen und aufgelöst, während das Leben des auferstandenen und zur Rechten Gottes erhöhten Christus jene neue Verbindung für immer angeknüpft und versiegelt hat. „So denn, wenn jemand in Christo ist eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, alles ist neu geworden.“ (2. Kor. 5,17.) Das ist unser Zustand und unsre Stellung in Christo vor Gott, obwohl unser Leben mit dem Christus noch in Gott verborgen ist. Wenn aber der Herr kommen und den Leib unsrer Niedrigkeit Seinem verherrlichten Leibe gleichförmig machen wird, dann werden dieser Zustand und diese Stellung offenbar werden in Herrlichkeit. Wir werden dann schauen, was wir jetzt nur durch den Glauben genießen können. Der Glaube richtet seinen Blick auf den gekreuzigten und gestorbenen Christus und sieht in Ihm das Ende des alten Menschen mit seiner ganzen Verantwortlichkeit; er erhebt das Auge auf den auferstandenen und verherrlichten Christus und erblickt in Ihm das Leben und die Herrlichkeit des neuen Menschen. „Wie Er ist, so sind auch wir in dieser Welt.“ (1. Joh. 4,17.) „Christus alles und in allen.“ (Kol. 3,11.)

Es ist demnach eine ganz falsche und schriftwidrige Behauptung, dass der Gläubige aus zwei Menschen, aus dem alten und dem neuen Menschen, bestehe. Wenn, wie die Schrift uns lehrt, der alte Mensch gestorben und begraben ist, so kann von seinem Dasein nicht mehr die Rede sein. Vielmehr ermahnt uns das Wort: „Haltet euch der Sünde für tot.“ (Röm. 6,11.) Der alte Mensch ist der Sünde unterworfen, ist ein Sklave derselben; aber der Gläubige kann im Blick auf diesen Zustand bekennen: „Ich bin mit Christo der Sünde gestorben.“ - Der alte Mensch stand entweder buchstäblich oder grundsätzlich unter der Verantwortlichkeit des Gesetzes; aber der Tod hat den Gläubigen völlig davon befreit; „denn“, sagt Paulus, „ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, auf dass ich Gott lebe; ich bin mit Christo gekreuzigt; und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir.“ (Gal. 2,19.20.) Auch ruft er den Kolossern zu: „Wenn ihr mit Christo den Elementen der Welt (dem Gesetz) gestorben seid, was unterwerft ihr euch Satzungen, als lebtet ihr noch in der Welt?“ (Kol. 2,20.) Der alte Mensch steht mit dieser Welt in Verbindung; aber der Tod auf dem Kreuze hat jedes Band mit der Welt durchschnitten. „Von mir aber“, sagt Paulus, „sei es ferne, mich zu rühmen, als nur des Kreuzes unsers Herrn Jesu Christi, durch welchen mir die Welt gekreuzigt ist, und ich der Welt.“ (Gal. 6,14.) Die Sünde, das Gesetz und die Welt sind immer noch vorhanden; aber der in seinem alten Zustande ihnen unterworfene Mensch ist. mit Christo gestorben und begraben. Der Gläubige ist ein neuer Mensch, lebendig gemacht und auferweckt mit Christo; er ist nicht mehr im Fleische, sondern im Geiste (Röm. 8,9); er steht nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade (Röm. 6,14); er ist nicht von dieser Welt, sondern von Oben; er ist aus Gott geboren.

Nichtsdestoweniger aber dürfen wir nie aus dem Auge verlieren, dass, ungeachtet unsrer neuen Stellung, die Sünde in unserm sterblichen Leibe vorhanden ist. „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.“ (1. Joh. 1,8.) Und Paulus sagt: „Ich weiß, dass in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes wohnt.“ (Röm. 7,18.) „Denn das Fleisch gelüstet wider den Geist, der Geist aber wider das Fleisch.“ (Gal. 5,17.) „So herrsche denn nicht die Sünde in eurem sterblichen Leibe, um seinen Lüsten zu gehorchen.“ (Röm. 6,12.) Die Sünde und das Fleisch sind in mir; aber seitdem ich mit Christo gestorben und auferstanden, seitdem ich durch den Geist mit Ihm vereinigt bin, habe ich aufgehört, ein Sklave der Sünde zu sein; ich bin ein Sklave Gottes geworden. (Röm. 6,22.) Das Vorhandensein der Sünde in meinem Fleische verunreinigt mich nicht; dies wird nur dann der Fall sein, wenn ich ihr zu wirken erlaube. Zudem wohnt der dem Fleische entgegenstehende Geist in mir; und wenn ich im Geiste wandle, werde ich die Lust des Fleisches nicht vollbringen. (Gal. 5,16.) Das Vorhandensein der Sünde im Fleische wird jedoch eine beständige Quelle von Unruhe und Zweifel für uns bilden, wenn wir unsre neue und wahre Stellung in Christo nicht durch den Glauben einnehmen, oder wenn wir in unserm Wandel gleichgültig und nachlässig sind. Haben wir hingegen unsre Stellung wirklich erkannt, so wissen wir, dass die in uns wohnende Sünde gerichtet ist, und dass wir in Christo und im Geiste vor Gott sind; und wir werden stets mit Freimütigkeit nahen und in Seiner Gegenwart glücklich sein.

Das Blut Christi sichert uns also unsern Platz im Heiligtum und hat uns fähig gemacht, in der Gegenwart Gottes zu weilen, um Ihm die Opfer des Lobes darzubringen. (Hebr. 13,15.) Das ist ohne Ausnahme das Vorrecht aller derer, welche von Herzen an Christum glauben. Ihr gesegneter Platz ist das Heiligtum droben, wo Christus selbst eingegangen ist, um für sie vor dem Angesicht Gottes zu erscheinen. (Hebr. 9,24.) Nur Unkenntnis über das vollendete Werk Christi kann in einem gläubigen Herzen Unruhe und Furcht hervorrufen, wenn es an die Gegenwart Gottes denkt. Freilich erleidet, wenn wir in unserm Wandel fehlen oder sündigen, unsre praktische Gemeinschaft eine Unterbrechung; und zur Wiederherstellung derselben bedarf es des Bekenntnisses unsrer Sünden und des Selbstgerichts, um Vergebung und Reinigung zu erlangen. (1. Joh. 1,9.) Und welch eine gnadenreiche Vorsorge, dass wir, wenn jemand gesündigt hat, einen Sachwalter haben bei dem Vater, Jesum Christum, den Gerechten. Wir dürfen also allezeit nahen, sind immer willkommen und annehmlich nach dem Werte und der Kostbarkeit des Blutes Christi und nach dem Werte und der Annehmlichkeit der Person Christi selbst, der Gott vollkommen verherrlicht hat.

2.

Selbstredend kann erst dann, wenn die Seele ihre wahre Stellung in Christo und vor Gott erkannt hat, die Frage der Heiligung, wie die Schrift sie darstellt, in nähere Erwägung gezogen werden. Bevor wir jedoch zu diesem Abschnitt unsrer Betrachtung übergehen, wird es nützlich sein, die Ausdrücke „geheiligt“ und „heilig“ einer kurzen Prüfung zu unterziehen. In dem ganzen Wort Gottes, sowohl Alten als Neuen Testaments, bezeichnen dieselben die Absonderung oder Trennung von einer Person oder Sache eine Absonderung von etwas und für etwas, mag sie sich nun äußerlich oder innerlich, dem Fleische oder dem Geiste nach vollziehen. Es ist das Ausgehen aus einer bisher bestandenen, und das Eingehen in eine neue Verbindung. Gott heiligte den siebenten Tag, d. h. Er sonderte ihn von den übrigen Tagen ab, damit derselbe nicht gleich diesen der Arbeit, sondern der Ruhe gewidmet sei. Ebenso wurde alles Erstgeborne in Israel, unter Menschen und Vieh, dem Herrn geheiligt; es gehörte Ihm an und wurde für Ihn abgesondert. Israel, als Volk, war geheiligt; es war eine heilige Nation, abgesondert von allen andern Völkern; es war ein Eigentum des Herrn. Im Neuen Testament lesen wir: „Der ungläubige Mann ist geheiligt durch das Weib, und das ungläubige Weib ist geheiligt durch den Bruder.“ (1. Kor. 7,14.) Der ungläubige Teil in der Ehe war durch und für den Gläubigen von der Welt abgesondert, so dass der letztere sich durch das Fortbestehen der Verbindung nicht verunreinigte. Auch werden die Gläubigen in der Schrift „Geheiligte in Christo Jesu“ genannt; sie sind von der Welt abgesondert und Kinder Gottes geworden.

Gerade so hat das Wörtchen „heilig „die Bedeutung der Absonderung und wird sowohl auf Personen als auf Dinge angewandt: heilige Brüder, heilige Apostel, heilige Geräte, heiliger Berg, heilige Stadt. Die letztere Bezeichnung fand selbst dann noch auf Jerusalem Anwendung, als diese Stadt bereits den Messias verworfen und gekreuzigt hatte (Matth. 27,53); denn der Herr hatte sie aus allen Stämmen Israels auserwählt. (2. Chron. 12,13.)

Das Vorstehende wird genügen, um den allgemeinen Sinn der Ausdrücke „geheiligt“ und „heilig“ verstehen zu lassen; die Anwendung derselben ist jedoch von unterschiedlicher Tragweite, indem sie, wie gesagt, bald eine äußerliche, bald eine innerliche Absonderung, bald eine Absonderung nach dem Fleische, bald eine solche nach dem Geiste bezeichnen. Bei Israel unter dem Gesetz war die Heiligung eine äußerliche, zeremonielle Absonderung von Personen oder Dingen, während sie bei uns, die wir unter der Gnade stehen, mehr eine innere, moralische Absonderung bezeichnet, bewirkt durch das Opfer Christi und durch den Heiligen Geist. Wir lesen in Hebr. 10,10: „Durch welchen Willen (den Willen Gottes) wir geheiligt sind durch das ein- für allemal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi.“ Der Wille Gottes ist die Quelle, die Ursache, und das ein für allemal geschehene Opfer Christi das Mittel unsrer Heiligung. Durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes werden wir derselben teilhaftig gemacht. Unsre Absonderung von der Sünde hat also den Willen Gottes und das Werk Christi zur Grundlage. „Das Werk habe ich vollbracht, welches Du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte.“ (Joh. 17,4.) Unsre Heiligung ist mithin eine innere und gänzliche Absonderung von der Sünde, mit der wir verbunden waren.

Richten wir jetzt unsre Aufmerksamkeit auf einige Stellen des Neuen Testaments, die auf unsern Gegenstand Bezug haben. Wir werden in denselben die Belehrung finden, dass einerseits alle Gläubigen in Christo geheiligt sind, und dass sie andrerseits geheiligt werden müssen oder der Heiligung nachzujagen haben; oder mit andern Worten, dass die Heiligung hinsichtlich der Stellung des Gläubigen eine abgeschlossene, vollendete, hinsichtlich ihres Wandels aber eine fortschreitende Sache ist. Beschäftigen wir uns zunächst mit dem ersten Falle.

Wir lesen in 1. Kor. 6,11: „Aber ihr seid abgewaschen, aber ihr seid geheiligt, aber ihr seid gerechtfertigt worden in dem Namen des Herrn Jesu und durch den Geist unsers Gottes.“ Es wird auch dem einfachsten Leser einleuchtend sein, dass dieser Vers den Zustand oder die Stellung kennzeichnet, in welcher jeder Gläubige in Christo vor Gott steht. Das Geheiligtsein oder die Heiligung ist eine vollzogene Tatsache, ebenso sehr wie die Rechtfertigung; denn nirgendwo finden wir eine Ermahnung an den Gläubigen, abgewaschen, geheiligt und gerechtfertigt zu werden. Wir sind, sobald wir an Jesum glauben, sowohl geheiligt, als auch abgewaschen und gerechtfertigt. Alle Gläubigen - ob jung oder alt, schwach oder stark, ob Kinder oder Väter an Erfahrung und Erkenntnis - sind abgewaschen, geheiligt und gerechtfertigt. Sie sind es in gleich hohem Grade, in gleich vollkommenem Maß, weil Christus selbst das Maß ihres Geheiligtseins ist. Hier ist kein Wachstum möglich. Sie sind alle in Christo und darum für immer und vollkommen von der Welt, von der Sünde und von allem, was damit in Verbindung steht, abgesondert. Sie werden alle ohne Unterschied in der Schrift „Heilige“ oder „Geheiligte in Christo Jesu“ genannt. (Vergl. Kol. 3,12; 1. Kor. 6,1.2; Eph. 4,12; Röm. 12,13; Apstgsch. 9,13 u. a. St.) Paulus schreibt an „die Geliebten Gottes, die berufenen Heiligen, die zu Rom sind“; an „die Geheiligten in Christo Jesu zu Korinth“; an „alle Heiligen, die in ganz Achaja“, an „die Heiligen, die zu Ephesus“, an „alle Heiligen in Christo Jesu, die zu Philippi sind“. Hier handelt es sich keineswegs um den praktischen Zustand der Seele, um den Grad der Erkenntnis und der Erfahrung, oder um den Fortschritt im Wandel; nein, in diesen Stellen werden alle Gläubigen „Heilige und Geliebte“ genannt, weil sie an Christum glauben und in Ihm sind.

Es ist daher von der höchsten Wichtigkeit, unsre Stellung in Christo, die allein in Seinem vollbrachten Werke ihre Grundlage hat, klar zu erkennen und vor allem zu verstehen, dass wir in Ihm geheiligt, dass wir von der Sünde und von allem, womit wir nach unserm verderbten Zustande von Natur verbunden waren, völlig abgesondert sind. Unser Friede, unsre Ruhe, unsre Freimütigkeit und unser Genuss sind ganz und gar von dieser Erkenntnis abhängig; denn wenn diese Erkenntnis mangelt, so werden wir nicht in das Licht der Gegenwart Gottes, „dessen Augen zu rein sind, um Böses zu sehen“, (Hab. 1,13) zu treten wagen, noch imstande sein, einen heiligen, Gott wohlgefälligen Wandel zu führen. Wir werden uns dann, bewusst oder unbewusst, immer unter dem Gesetz befinden und um so unglücklicher sein, je ernster wir uns bemühen, Gott wohlzugefallen; denn die Sünde, von der wir unserm Bewusstsein nach noch nicht abgesondert sind, scheidet uns von Ihm und macht all unser Tun verwerflich. Die letzte Hälfte von Röm. 7 stellt den Zustand einer solchen Seele klar vor Augen.

Wäre die Heiligung, wie vielfach angenommen wird, nur eine auf den Wandel des Gläubigen bezügliche Frage, so würde der Apostel in der oben angeführten Stelle sicher eine andere Ordnung gewählt und der Rechtfertigung nicht den letzten Platz angewiesen haben. Denn wie könnte von einem heiligen Wandel die Rede sein, so lange jemand nicht gerechtfertigt ist? Aber der Heilige Geist sagt: „Ihr seid abgewaschen, ihr seid geheiligt,“ und dann erst folgt: „ihr seid gerechtfertigt“. Unmöglich kann es sich daher hier um die praktische Heiligkeit im Wandel handeln, sondern vielmehr nur um das, was als die gesegnete Frucht des Werkes Christi und durch den Heiligen Geist das Teil aller Christen ist. „Ihr seid abgewaschen.“ Wir begegnen ähnlichen Ausdrücken zum Öftern in der Schrift. Wir lesen: „Dem, der uns liebt und uns von unsern Sünden gewaschen hat in Seinem Blute.“ „Sie haben ihre Kleider gewaschen. und haben sie weiß gemacht in dem Blute des Lammes.“ „Wieviel mehr wird das Blut des Christus euer Gewissen reinigen von toten Werken rc.“ (Offb. 1,5; 7,14; Hebr. 9,14.) Indes spricht der Apostel in der aus 1. Kor. 6 angeführten Stelle nicht von der Reinigung durch das Blut, sondern vielmehr von der „Waschung der Wiedergeburt“, (Tit. 3,5) oder der „Waschung mit Wasser durch das Wort“ (Eph. 5,26), d. h. von einer göttlichen Wirkung, von welcher selbstverständlich das Blut Christi die Grundlage bildet. Es ist die Anwendung des Wortes Gottes auf die Seele in der Kraft des Heiligen Geistes, um dieselbe von ihrem gottlosen und verderbten Zustande zu reinigen und für Gott passend zu machen. „Ihr seid abgewaschen … in dem Namen unsers Herrn Jesu und durch den Geist unsers Gottes.“ Das Wort Gottes übt seine lebendig machende Kraft auf die Seele aus. „Ihr seid wiedergeboren durch das lebendige und bleibende Wort Gottes,“ sagt Petrus. Dieses Wort ist das Wasser, welches reinigt, indem es auf das Gewissen und das Herz, auf die inneren Gefühle, Gedanken und Neigungen, sowie auch auf die äußeren Handlungen seine Wirkung geltend macht, und neue Gedanken, Beweggründe und Neigungen hervorruft. Der Herr sagt zu Nikodemus: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: es sei denn dass jemand aus Wasser und Geist geboren worden sei, so kann er nicht in das Reich Gottes eingehen.“ (Joh. 3,5.) Der Mensch von Natur ist tot in Sünden und Vergehungen; das Wort macht ihn lebendig; es reinigt ihn in moralischer Hinsicht durch die Kraft des Heiligen Geistes.

Wir dürfen aber nie aus dem Auge verlieren, dass die Reinigung durch Wasser, ebenso wie diejenige durch Blut, mit dem Tode Christi in unzertrennlicher Verbindung steht. „Dieser ist es, der gekommen ist durch Wasser und Blut, Jesus, der Christus, nicht durch das Wasser allein, sondern durch das Wasser und das Blut.“ (1. Joh. 5,6.) Das wahre Wasser, welches in geistlichem Sinne reinigt, ergoss sich aus der Seite eines gestorbenen Christus. Er kam durch Wasser und Blut und bewirkte in Wahrheit die Reinigung und die Versöhnung. Er konnte zu Seinen Jüngern sagen: „Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe.“ (Joh. 15,3.) Sie waren durch das lebendig machende Wort Seines Mundes gereinigt, sie waren wiedergeboren. Diese Reinigung oder Waschung ist eine einmalige und bedarf keiner Wiederholung. „Wer gebadet ist“, sagt der Herr, „hat nicht nötig sich zu waschen, ausgenommen die Füße, sondern ist ganz rein.“ (Joh. 13,10.) Die Priester, welche Gott im Zelte der Zusammenkunft dienten, wurden bei ihrer Einweihung ganz gewaschen. Diese Handlung wiederholte sich niemals; allein so oft sie zur Verrichtung ihres Dienstes Gott nahten, mussten sie ihre Hände und Füße waschen. Welch ein treffendes Vorbild! Auch wir sind ein- für allemal gewaschen, ein für allemal wiedergeboren, und keine Wiederholung findet statt. Allein in unserm tagtäglichen Wandel kommen wir mit der Sünde und der Welt in Berührung, und deshalb bedürfen wir fortdauernd des Waschens unsrer Füße, der Anwendung des Wortes in der Kraft des Heiligen Geistes auf das Gewissen, damit jede Verunreinigung beseitigt, die unterbrochene Gemeinschaft mit Gott wiederhergestellt und die Kraft zum Dienst aufs neue dargereicht werde.

Die Abwaschung steht nun zwar in enger Verbindung mit der Heiligung, und in einer Seele, welche unter die lebendig machende Kraft des Wortes Gottes gebracht ist, kann die eine nicht von der andern getrennt werden; dennoch aber sind Abwaschung und Heiligung zwei verschiedene Dinge. Dies wird uns deutlich in den Worten gezeigt: „Gleichwie auch der Christus die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, auf dass Er sie heiligte, sie reinigend durch die Waschung mit Wasser durch das Wort.“ (Eph. 5,25.26.) Wir sehen hier, dass die „Waschung“ und die „Heiligung“ trotz ihrer Zusammengehörigkeit zwei für sich bestehende Begriffe sind. Die eine Tätigkeit geht der andern voraus; die Waschung ist das Mittel, die Heiligung der Zweck. Das Wort Gottes wirkt auf das Gewissen des Sünders; dieser erkennt seine Sünden, verabscheut und verurteilt sie vor Gott, und es findet eine Umkehr oder eine Bekehrung bei ihm statt. Das ist die Abwaschung. Zu gleicher Zeit aber wird ein anderer Gegenstand vor seine Seele gestellt, der seine Anziehungskraft auf ihn ausübt; und er wendet sich von allem ab, worin er bisher sein Leben hatte, und tritt auf die Seite Gottes. Das ist die Heiligung. Dann folgt seine Rechtfertigung, so dass er mit Paulus sagen kann: „Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum.“ (Röm. 5,1.) Kraft des Wortes Christi, kraft Seines Todes und Seiner Auferstehung ist nun die Rechtfertigung sein wirklicher Zustand vor Gott. Durch den Glauben hat er teil an dem vollbrachten Werke der Versöhnung nach dem ganzen Werte und der unendlichen Tragweite desselben, und steht vor Gott als „gewaschen, geheiligt und gerechtfertigt in Christo Jesu“.

Eine ähnliche Belehrung gibt uns der Apostel Petrus in seinem ersten Briefe, (Kap. 1,2) in welchem er den in Kleinasien zerstreuten Christen aus dem Judentum schreibt als „den auserwählten Fremdlingen. … nach Vorkenntnis Gottes, des Vaters, durch Heiligung des Geistes, zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi“. Auch hier geht die Heiligung der Blutbesprengung voraus, welch letztere mit der Rechtfertigung in 1. Kor. 6,11 gleichbedeutend ist. Diese Reihenfolge widerspricht der einseitigen Auffassung vieler Christen, welche die Heiligung nur in ihrem praktischen Charakter kennen und darum notwendig die Rechtfertigung voransetzen müssen.

Allein hier lesen wir von den Auserwählten, dass sie 1) von Gott, dem Vater, zuvor erkannt, 2) durch den Heiligen Geist geheiligt oder abgesondert, und 3) zum Gehorsam1) und zur Blutbesprengung Jesu Christi gelangt sind. Das ist die göttliche Ordnung. Der Heilige Geist sonderte sie zu dem Zwecke ab, um sie unter die Blutbesprengung zu bringen. Er ist es, der die ersten Regungen in der Seele hervorbringt. Er weckt das Gewissen auf, macht das Bewusstsein der durch ein Leben voller Sünden und Vergehungen aufgehäuften Schuld vor einem heiligen und gerechten Gott fühlbar und zeigt das kommende Gericht, wo alles in dem Licht der Wahrheit offenbart und gerichtet werden wird. Infolge dessen erwacht in der Seele eine immer mehr sich steigernde Unruhe, Furcht und Angst, ein stets wachsender Abscheu wider die Sünde und ein lebhaftes Verlangen nach Errettung; zugleich mit diesen ersten Früchten Seiner Wirksamkeit lenkt der Heilige Geist den Blick des bußfertigen Sünders auf die erbarmende Liebe Gottes in Christo Jesu, auf die Notwendigkeit und Kostbarkeit des Kreuzes und endlich auf die Vollgültigkeit des Opfers Christi. Dank dieser fortlaufenden Tätigkeit des Heiligen Geistes erwacht in dem bekümmerten Herzen Vertrauen zu jener Liebe, sowie eine immer klarere Erkenntnis des Versöhnungswerkes, bis schließlich die Seele mit Dank und Anbetung alles in lebendigem Glauben ergreift, was Gott in Christo Jesu aus Gnaden gegeben hat. War vorher die Seele durch die Heiligung des Geistes erweckt oder bekehrt, so ist sie jetzt unter die Besprengung des Blutes Christi gekommen; sie ist gerechtfertigt und hat Frieden mit Gott.

Werfen wir einen Blick auf das Gleichnis vom verlorenen Sohne! Ohne die Wirkung des Geistes in der Seele eines Sünders wird nimmer eine solche Umwandlung in der Gesinnung des Herzens, wie sie uns in diesem Gleichnis vorgestellt wird, stattfinden können. Ohne diese Wirkung wird kein wahres Gefühl, keine wirkliche Traurigkeit über die Sünde erwachen; ohne dieselbe würde der verlorene Sohn sich nicht mit dem Bekenntnis genaht haben: „Ich habe gesündigt…. ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen.“ (Luk. 15,21.) Nur der Heilige Geist vermag in dem Herzen eines Sünders ein solches Urteil über sich selbst, einen solchen Zug zum Vater und eine solche Sehnsucht zum Hause des Vaters wachzurufen. Nur der Geist Gottes vermag eine solch gänzliche Veränderung in den Gefühlen, eine solch entschiedene Absonderung von allem, worin der Sünder bisher sein Leben hatte, in der Seele hervorzubringen und Gefühle für Den zu wecken, von welchem er sich bisher am weitesten entfernt hielt. Und dies ist, ich wiederhole es, die Heiligung des Geistes. Ein Mensch, der sich in diesem Zustande befindet, ist erweckt oder bekehrt; er verurteilt sein bisheriges Leben, er wendet sich davon ab und befindet sich auf dem, Wege zum Vater. Aber erst nachher, wenn der Verlorene in den Armen des Vaters liegt, wenn er den Ring an seinem Finger, die Schuhe an seinen Füßen trägt, wenn das beste Kleid angezogen, das gemästete Kalb geschlachtet ist und das Fest der Freude im Hause des Vaters gefeiert wird, erst dann ist er gerechtfertigt; und der Sünder ist sich dessen dann völlig bewusst. Freilich hat er nie vorher die Sünde in solcher Hässlichkeit und Verwerflichkeit gesehen, wie in dem Augenblick, da er gereinigt und bekleidet seinen Platz im Hause des Vaters einnimmt. Aber dennoch sind Unruhe, Furcht und Angst völlig verschwunden, und sein Herz ist mit Friede, Freude, Dank und Anbetung erfüllt; denn nimmer hat er die erbarmende Liebe des Vaters in solch einer Schönheit und Herrlichkeit erblickt, wie in diesem Augenblick, da ihr unumwölkter Glanz ihn umstrahlt.

Aus den bisherigen Anführungen, deren Zahl wir mit leichter Mühe vermehren könnten, wird es dem Leser klar geworden sein, dass die Heilige Schrift alle Gläubigen, wie verschieden ihr praktischer Zustand auch sein mag, als Geheiligte betrachtet. Es ist völlig wahr, dass sie als Heilige wandeln sollten; allein bevor von einem heiligen Wandel die Rede sein kann, müssen sie „abgewaschen, geheiligt und gerechtfertigt“ sein; und dieses geschieht, wie wir gesehen haben, durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes und ist gegründet auf das ein- für allemal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi. Wenn wir daher in diesem Sinne von der Heiligung reden, so ist jeder Gedanke an ein Wachsen in der Heiligung ausgeschlossen. Alle Gläubigen ohne Unterschied sind in gleicher und vollkommener Weise geheiligt, ja, alle, die von Herzen an Jesum glauben, sind ganz und für immer abgewaschen, „geheiligt und gerechtfertigt“. Ihre Stellung ist in Christo vor Gott; und diese Stellung ist göttlich vollkommen, unveränderlich, ewig. Der Apostel hatte in Bezug auf den Wandel der Korinther vieles zu tadeln. Allerlei traurige Dinge waren in ihrer Mitte offenbar geworden; aber dennoch nennt er sie „Geheiligte in Christo Jesu“ und ruft ihnen zu: „Ihr seid abgewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerechtfertigt“. Ohne die Erkenntnis dieser unsrer vollkommenen und unantastbaren Stellung in Christo kann das Herz keinen wahren Frieden haben und nimmer mit völliger Freimütigkeit in Seiner heiligen Gegenwart erscheinen. Welch ein Trost für uns, dass das Wort Gottes selbst mit der völligsten Klarheit und Bestimmtheit unsre Stellung in Christo als vollkommen, unwandelbar und ewig bezeichnet, so dass uns, wenn wir sie in Wahrheit erkannt und eingenommen haben, nichts im Wege steht, um als Gereinigte, Geheiligte und Gerechtfertigte, als Kinder Gottes in dieser Welt zu wandeln und mithin der Heiligung nachzujagen.

Bevor wir jedoch auf diesen praktischen Teil unsers Gegenstandes unsre Aufmerksamkeit richten, möchte ich noch zwei Schriftstellen hervorheben, die, weil sie die beiden Seiten der Heiligung in sich vereinigen, geeignet zu sein scheinen, eine Brücke zwischen Stellung und Wandel des Gläubigen zu bilden. Zunächst erinnere ich an die bereits angeführte Stelle: „Gleichwie auch der Christus die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, auf dass Er sie heiligte, sie reinigend durch die Waschung mit Wasser durch das Wort, auf dass Er die Versammlung sich selbst verherrlicht darstellte, die nicht Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen habe, sondern dass sie heilig und tadellos sei.“ (Eph. 5,25-27.) Hier spricht der Apostel sowohl über das Ganze des Werkes Christi und über das endliche Resultat desselben in der Herrlichkeit, als auch über die andauernde Tätigkeit des Herrn, indem er uns zeigt, dass im Anfang wie beim weiteren Verlauf der Geschichte einer erretteten Seele die „Waschung mit Wasser durch das Wort“ stets der Weg ist, auf welchem Christus die Versammlung heiligt. Er hat sich für sie hingegeben, um sie zu heiligen. Sie ist für die Himmlischen Dinge, für die himmlische Herrlichkeit gebildet worden; aber da sie hienieden noch von Dingen umgeben ist, die jener Herrlichkeit entgegen sind, so ist Er, der sich, um sie zu heiligen, in Liebe für sie hingegeben hat, auch in Liebe bemüht, sie während ihres Wandels durch diese Welt von allem Bösen abzusondern und sie für die himmlische Herrlichkeit, ja, für sich selbst passend zu machen. Er vollbringt diese Heiligung, indem Er die Versammlung durch das Wort reinigt. Wir finden hier also sowohl das volle Resultat, den Zweck der Hingebung Christi für die Versammlung, als auch das Mittel, um diesen Zweck zu erreichen.

Die zweite Schriftstelle, auf welche ich noch den Blick des Lesers richten möchte, lautet: „Aus Ihm aber seid ihr in Christo Jesu, der uns geworden ist Weisheit von Gott und Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung.“ (1. Kor. 1, 30.) Hier umfasst das Wort „Heiligkeit“ sowohl die bei der Bekehrung stattfindende Absonderung von der Sünde, als auch die fortdauernde Absonderung des Gläubigen in Gesinnung und Wandel, nachdem er gerechtfertigt ist. Dies geht deutlich aus der Ordnung hervor, in welcher hier die Worte: „Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligkeit und Erlösung“ aufeinander folgen. Gegenüber der heidnischen Philosophie haben wir Weisheit von Gott; gegenüber der falschen Gerechtigkeit der Juden unter dem Gesetz - Gerechtigkeit; gegenüber dem Mittel, dem Charakter und dem Maß der Heiligkeit, die nach dem Gesetz ist - Heiligkeit; und endlich gegenüber den Leiden und Versuchungen - Erlösung, indem Gott die letzte Spur menschlicher Schwachheit dadurch hinwegnehmen wird, dass Er uns einen Leib gibt, der dem verherrlichten Leibe Jesu gleichförmig ist. Wie also hier durch „Erlösung“ nicht nur die Vergebung der Sünden, sondern die Vollendung des Werkes der Gnade bezeichnet wird, so haben wir unter „Heiligkeit“ das ganze Werk unsrer Absonderung für Gott von seinem Anfang bis zu seinem Ende zu verstehen.

3.

Wenn wir jetzt unsre Blicke auf die Frage der Heiligung bezüglich unsers Wandels richten, so werden wir finden, dass die Lichtstrahlen des göttlichen Wortes ebenso hell und klar auf diese Seite unsers Gegenstandes fallen, wie auf jene unsrer Heiligung in Christo. Haben wir in Wahrheit verstanden, dass wir „abgewaschen, geheiligt und gerechtfertigt“ sind, dann erst sind wir fähig, mit Erfolg an die praktische Heiligung zu denken, d. h. unsre Stellung und unsern Zustand, den wir in Christo und durch den Geist haben, im Wandel zu offenbaren; ja, dann erst sind wir fähig, mit geistlichem Verständnis die Ermahnungen zu einem heiligen Wandel aufzunehmen und durch die Kraft des Heiligen Geistes zu verwirklichen. Ein lässiger Wandel gereicht nicht minder zur Unehre Gottes und zum Schaden unsrer Seelen, als die Unkenntnis unsrer Stellung in Christo. In beiden Fällen werden unsre Herzen unglücklich und mit Unruhe und Furcht erfüllt sein. Der Wandel soll mit unsrer Stellung im Einklang sein; und zu diesem Zweck ist auch die züchtigende Hand des Vaters mit uns beschäftigt. Er züchtigt uns, auf dass wir Seiner Heiligkeit teilhaftig werden. Hier ist die Heiligung also eine fortschreitende Sache. Es wird ein Wachsen darin vorausgesetzt, und die Gläubigen werden zu diesem Wachstum ermahnt. Welch große Verschiedenheiten zeigen sich in dieser Beziehung unter ihnen! Der eine ist dem andern voraus. Gläubige, die mit Wachsamkeit und Nüchternheit im Gebet verharren, werden schnellere Fortschritte machen als andere, welche mehr nachlässig und gleichgültig dahinleben. Ältere Christen werden, wenn sie anders treu wandeln, in der Heiligung weiter gefördert sein als jüngere, wiewohl diese ebenso treu sein mögen; denn jene haben bereits Erfahrungen auf ihrem Lebenswege gemacht, die diesen noch unbekannt sind, und sind darum mehr geübt, in der Heiligung fortzuschreiten.

Aber mit welchem Ernst ermahnt das Wort Gottes die Gläubigen zu einem heiligen Wandel! Es ist unsre Pflicht, unser Beruf, ja, unser köstlichstes Vorrecht, als „Geheiligte in Christo Jesu“, als Kinder Gottes, getrennt und abgesondert von der Sünde und der Welt, hienieden zu leben. Der Apostel sagt: „Jagt dem Frieden nach mit allen und der Heiligung, ohne welche niemand den Herrn schauen wird.“ (Hebr. 12,14.) In den vorhergehenden Kapiteln hat er die gläubigen Hebräer belehrt, dass sie geheiligt seien durch den Willen Gottes, „durch das ein für allemal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi“; und nun ermahnt er sie, der Heiligung nachzujagen. Die hinzugefügten Worte: „ohne welche niemand den Herrn schauen wird“, zeigen uns den ganzen Ernst und die ganze Wichtigkeit dieser Sache. Die Sünde findet keinen Raum in der Gegenwart Dessen, der gesagt hat: „Seid heilig, denn ich bin heilig!“ Dieses Bewusstsein muss auf unserm ganzen Wege mit uns gehen und uns in all unserm Tun und Lassen leiten. Wir haben uns in Gesinnung und Wandel von allem abzuwenden, was wir in Seinem Lichte als verwerflich erkennen. Je wachsamer und nüchterner wir sind, je treuer wir durch Gebet und Flehen in Seiner Gegenwart verharren, desto größere Fortschritte werden wir in der Erkenntnis dessen machen, was nicht in Seine Gegenwart passt, und desto bereitwilliger werden wir sein, in der Kraft des Heiligen Geistes uns von diesem allen abzusondern.

Auch im ersten Briefe an die Thessalonicher ermahnt der Apostel mit großem Ernst zur praktischen Heiligkeit, indem er sagt: „Dies ist der Wille Gottes, eure Heiligkeit;“ „Gott hat uns nicht berufen zur Unreinigkeit, sondern zur Heiligkeit.“ „Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige euch völlig, und euer ganzer Geist und Seele und Leib werde untadelig bewahrt bei der Ankunft unsers Herrn Jesu Christi.“ (1. Thess. 4,3.7; 5,23.) Ferner lesen wir in 2. Kor. 7,1: „Da wir nun diese Verheißungen haben, Geliebte, so lasst uns uns selbst reinigen von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes und die Heiligkeit vollenden in der Furcht Gottes.“ - Es ist klar, dass es sich in diesen und andern Stellen nur um die Heiligung im Blick auf unsern Wandel hienieden handelt, und dass in diesem Falle natürlich von einem Wachsen und Zunehmen die Rede sein muss. Sie ist eine fortdauernde Sache, so lange wir in dieser Hütte sind, und steht durchaus in Beziehung und im Verhältnis zu unsrer Treue vor Gott. Wir haben uns, so lange es in und um uns Sünde gibt, d. H. so lange wir uns in dieser Welt befinden, der Heiligung zu befleißigen in Gedanken, Worten und Werken, in Gesinnung und Wandel. Da gibt es kein Stillstehen, kein Aufhören bis zur Ankunft unsers Herrn Jesu Christi. Je aufrichtiger und treuer ein Christ ist, mit desto größerem Fleiße wird er durch die Kraft des Geistes der Heiligung nachjagen, und desto größere Fortschritte wird er darin machen. Die Erkenntnis seiner gesegneten, unwandelbaren Stellung in Christo hat jede Unruhe und Furcht beseitigt; er erfreut sich der Gunst Gottes und wandelt mit glücklichem Herzen in Seiner Gegenwart. Es ist jetzt das Verlangen und die Freude seines Herzens, sich von allem abzusondern, wodurch diese gesegnete Gemeinschaft mit Gott auf seinem Wege hienieden gestört und unterbrochen werden könnte. Sein Wandel ist mit Gott, vor Gott und für Gott.

„Sollten wir in der Sünde leben, der wir gestorben sind?“ fragt der Apostel; und der treue Gläubige antwortet: „Nein, das sei ferne!“ Wir werden ernstlich ermahnt, als solche, die mit Christo gestorben und auferstanden sind, unsre Glieder, die auf der Erde sind: Hurerei, Unreinigkeit- rc. zu töten, (Kol. 3, 5) und alles, was wider die Seele streitet, abzulegen. Wir haben nicht nur gegen das in uns wohnende, sondern auch gegen das uns umringende Böse wachsam zu sein. Wir befinden uns in einer Welt, deren Grundsätze schnurstracks Gott und Seinem Worte zuwiderlaufen, während wir berufen sind, nach himmlischen Grundsätzen zu handeln. Wie viele Gelegenheiten werden wir, wenn wir anders vor Gott treu sind, an jedem Tage finden, uns abzusondern, und zwar nicht nur von dem, was sittlich böse ist und was selbst jeder ehrbare Mensch als solches verurteilen würde, sondern auch von allem, wobei die Ehre Gottes in Frage kommt und es sich um einen willigen Gehorsam gegen Ihn und Sein Wort handelt. Das ist ein wahres Jagen nach der Heiligung.

Dennoch aber berührt dieses nur die Hälfte unsrer Frage. Wir sind in Christo nicht nur der Sünde und der Welt gestorben, sondern wir sind auch zu Gott gebracht, sind Seines Geistes, Seines Lebens und Seiner Natur teilhaftig geworden; und Seine Liebe ist ausgegossen in unsre Herzen. Wir haben daher nicht nur abzulegen, sondern auch anzuziehen, nicht nur das Böse zu meiden, sondern auch das Gute zu tun. Wir sind in Christo zu guten Werken geschaffen (Eph. 2,10), und der in uns wohnende Geist ist nicht nur die Quelle unsers Lebens, sondern auch die Kraft unsers Wandels, dessen vollkommenes Muster Gott selbst ist. Deshalb ermahnt der Apostel: „Seid Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder, und wandelt in Liebe“ (Eph. 5,1); und er ruft den Philippern zu: „Denn diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christo Jesu war“ (Phil. 2,5); und Johannes schreibt: „Wer da sagt, dass er in Ihm bleibe, ist schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie Er gewandelt hat.“ (1. Joh. 2,6.) Solche und ähnliche Ermahnungen werden natürlich jeden treuen Christen, der seine wahre Stellung in Christo nicht recht erkannt hat, mit Unruhe und Furcht erfüllen und ihn ganz und gar mutlos machen; aber in Wahrheit sind sie gerade ein klarer Beweis von unsrer gesegneten und herrlichen Stellung in Christo. Denn würde Gott uns solche Ermahnungen geben, wenn Er uns nicht zuvor zu ihrer Verwirklichung befähigt hätte? Wir besitzen den Geist Gottes, durch welchen die Liebe Gottes in unsre Herzen ausgegossen ist; Christus selbst ist unser Leben. „Wir haben den neuen Menschen angezogen, der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Bilde Dessen, der ihn geschaffen hat.“ (Kol. 3,10.) Statt der Erneuerung des alten Menschen, von welcher die Schrift an keiner Stelle spricht, ist hier von der Erneuerung des neuen Menschen die Rede. Er wird erneuert zur Erkenntnis nach dem Bilde Dessen, der sein Schöpfer ist. Christus ist das vollkommene Muster dieses Bildes, nach welchem der neue Mensch gebildet wird. Bei Ihm finden wir einen vollkommenen Gehorsam und eine vollkommene Abhängigkeit von Gott zwei Dinge, durch welche sich das christliche Leben immer kennzeichnet. Christus suchte stets die Verherrlichung des Vaters; und das ist es auch, was sich für uns, Seine Jünger, geziemt. Er war völlig von allem abgesondert: Er war „sanftmütig und von Herzen demütig“. Sein Joch war der wohlgefällige Wille Seines Vaters; und für Ihn war dieses Joch sanft und Seine Last leicht. Er ermahnt uns, Sein Joch auf uns zu nehmen und von Ihm zu lernen; und auf diese Weise werden wir unsre praktische Heiligung vollenden. Der Gott des Friedens wird mit uns sein; Er wird uns vollkommen heiligen und unsern „Geist und Seele und Leib untadelig bewahren bei der Ankunft unsers Herrn Jesu Christi“. In diesem Zustande werden wir sicher das Jagen nach der Heiligung als ein köstliches Vorrecht betrachten. Je mehr wir von der unaussprechlichen Liebe und Gnade, die uns zu teil geworden ist, durchdrungen sind, je mehr wir durch den Glauben unsre gesegnete Stellung in Christo vor Gott einnehmen und unsre himmlische Berufung erkennen, desto mehr wird es unsre Freude und das Bedürfnis unsrer Seele sein, die Heiligung in der Furcht Gottes zu vollenden.

Es bedarf wohl kaum nochmals der Erwähnung, dass die Heiligung, wenn sie sich auf unsern Wandel bezieht, ein fortdauerndes Werk ist, welches erst dann sein Ziel erreicht, wenn wir diese irdische Hütte ablegen. Es ist eine ganz irrige Meinung, dass, wenn wir uns einmal von irgend etwas getrennt oder abgesondert haben, wir deshalb für immer davon abgesondert bleiben. Wir haben vielmehr stets zu wachen, stets im Verkehr mit dem zu sein, was droben ist, wo der Christus ist, und allezeit im Gebet und Flehen zu verharren. Die Sünde in uns wird ihre Natur nimmer verleugnen und ihr Wesen nimmer verändern; und die Welt und ihre Grundsäge werden ungeschwächt fortbestehen. Sind wir daher lässig in der Wachsamkeit und im Gebet sowie im Erforschen und Benutzen des teuren Wortes Gottes, dann wird die in uns wohnende Sünde uns bald wieder beherrschen, und die Welt und ihre Lust uns bald wieder umstricken. Gehen wir hingegen treu und mit Ausharren voran, so wird es uns in der Kraft des Geistes Gottes immer leichter werden, das Fleisch niederzuhalten, sowie die Welt und alles, was in ihr ist, zu verleugnen. Gott, der das Wollen und das Wirken nach Seinem Wohlgefallen in uns vollbringt, wird mit und bei uns sein. Auf Ihn können wir in allen Umständen rechnen, während das Selbstvertrauen uns stets zu Schanden werden lässt. Durch Selbstvertrauen verblendet, verleugnete Petrus seinen Herrn. Doch wie gesegnet, dass die Gnade Gottes in allem für uns gesorgt hat! „Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre,“ sagt der treue Herr; und ein einziger Blick von Seiner Seite genügte, um den Augen des gefallenen Jüngers bittere Tränen der Reue zu entlocken. „Er ging hinaus und weinte bitterlich.“ Wenn jemand gesündigt hat, haben einen Sachwalter bei dem Vater, Jesum Christum, den Gerechten; und Er ist die Sühnung für unsre Sünden.“

Wir sehen also, dass der Herr fortwährend beschäftigt ist, für die Seinigen zu beten und ihnen die Füße zu waschen, um sie von allen Befleckungen der Sünde, womit sie sich beim Wandel durch diese Welt beschmutzen, zu reinigen. Er fährt fort, (in dem Bilde der Reinigung mit Wasser) das Wort Gottes durch den Heiligen Geist auf unsre Gewissen wirken zu lassen. Möchten wir uns nur stets willig die Füße waschen lassen und unser Auge nie vor unsern Fehlern und Verunreinigungen verschließen! Nicht der Rausch andächtiger Gefühle, oder die aus eigener Kraft bewirkte, sogenannte rückhaltlose Übergabe an den Herrn, wobei das Ich stets seine Nahrung findet, sondern ein ernstes Selbstgericht und ein aufrichtiges Bekenntnis sind die Forderungen des Wortes Gottes, um eine gestörte Gemeinschaft mit dem Herrn wiederherzustellen. Denn wenn wir unsre Sünden bekennen, so ist Er treu und gerecht, dass Er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit.“ (1. Joh. 1,9.)

O möchte unser Wandel doch stets der Gegenwart Gottes, in welche wir gebracht sind, entsprechend sein! Die Sünde, unsre Sünde, hat Christum an das Kreuz gebracht und Ihn dort mit namenlosen Leiden überschüttet. Nur Sein Tod konnte die Grundlage und das Mittel sein, um uns „abzuwaschen, zu heiligen und zu rechtfertigen“, und uns des ewigen Lebens und der ewigen Herrlichkeit teilhaftig zu machen. Er hat uns in die Gegenwart Gottes geführt als geliebte Kinder; und Er will uns teilnehmen lassen an allen Segnungen, die Ihm durch Seine vollkommene Verherrlichung Gottes und durch Seinen vollkommenen Gehorsam bis zum Tode am Kreuze zu teil geworden sind. Welch eine unaussprechliche Gnade! welch eine unvergleichliche Liebe! Möchten wir doch alle stets Ihn preisen und den Namen Seines und unsers Vaters durch einen würdigen und heiligen Wandel verherrlichen! Der Herr selbst aber wolle durch Seinen Geist in uns wirken, auf dass wir mit allem Eifer der Heiligung nachjagen, uns von allem, was Er nicht gutheißt, absondern, und alles, was vor Ihm wohlgefällig ist, mit Gebet und Ausharren vollbringen!

Was ist die Heiligung nach der Schrift?
Unknown
Dritte Auflage
Elberfeld.
C. Brockhaus, Baustraße 52.
1891

1)
Der Gehorsam Jesu Christi steht hier im Gegensatz zu dem Gesetzes-Gehorsam. Wir sind berufen, zu gehorchen, wie Jesus Christus selbst gehorcht hat. Sobald die Seele durch den Heiligen Geist abgesondert ist, um auf Seiten Gottes zu stehen, entsteht in ihr das Verlangen, den Willen Gottes zu tun. Der auf dem Wege nach Damaskus durch die Erscheinung des Herrn zu Böden geworfene Saulus fragt: „Was soll ich tun, Herr?“ Der Gehorsam unter dem Gesetz wurde ausgeübt, um gewisser Segnungen teilhaftig zu werden; der Gehorsam des Christen hat, wie der Gehorsam Christi selbst, nur die Liebe zu Gott und das Wohlgefallen an Seinen Geboten zum Beweggrunde.
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