Tauler, Johannes - Ich bin eine Stimme des Rufenden in der Wüste

Tauler, Johannes - Ich bin eine Stimme des Rufenden in der Wüste

Predigt am 4. Sonntag im Advent, Joh. 1, 23.

Ich bin eine Stimme des Rufenden in der Wüste, bereitet den Weg des Herrn und machet recht seinen Fußpfad. Wir haben nun vor uns ein zumal wonnigliches Fest und Hochzeit, da das ewige Wort geboren wird in menschlicher Natur, und da dasselbige ewige Wort sonder Unterlaß in einer jeglichen heiligen Seele soll geboren werden. Das Wort ist der Stimme sehr nahe. Nun sprachen wir gestern, wie der Mensch zu wahrer Gelassenheit sollte kommen, daß er sich in der Wahrheit in seinem Grund vernichtige. Der nun eine Weise und Weg könnte finden, welcher der allerkürzeste und nächste Weg dazu wäre, darin er nicht irren möchte, das wäre sehr gut. Das ist wahre Einfalt, die kommt in der Wahrheit in diese Gelassenheit. Zu wahrer Einfalt kommt man mit beschlossenen Sinnen, mit Ledigkeit der Bilde, und Verachtung seiner selbst. Der Mensch muß in aller Mannigfaltigkeit und Wirkung nach außen werden ein Herr seiner Sinne, denn die Sinne tragen einen Menschen recht aus ihm selbst, und tragen fremde Bilde in ihn. Man liest, daß ein heiliger Vater sollte aus seiner Zelle gehen in dem Mai, da zog er seine Kappe ganz über seine Augen. Er ward gefragt, was er damit meinte? Da sprach er: Ich hüte meine Augen vor dem Schauen der Bäume, daß ich nicht werde gehindert an dem Schauen meines Geistes. Ach, lieben Kinder, wenn ihn schon das Schauen des wüsten Waldes sollte hindern, wie schädlich sind uns dann oftmals die Mannigfaltigkeiten weltlicher, leichtfertiger Dinge. Das andere, was zu dieser Einfalt hilft, das ist, daß man liebe Gott vor allen Dingen.

Nun sind dreierlei Dinge; zum ersten sind schädliche Dinge, zum andern sind eitle, zufällige Dinge, zum dritten sind gute Dinge, die doch irren und hindern. Die schädlichen Dinge sind, wenn der Mensch die Creaturen mit Lust und Behaglichkeit in sich zieht oder damit spielt, oder ein Wohlgefallen darinnen unordentlich, oder sündlich hat und sucht. Ach, Kinder, welcher Schade davon kommt, den kann Niemand mit Worten aussprechen, denn sonder allen Zweifel, Gott muß da räumen und sich hinweg machen (wiewohl du nicht gern mit den Werken wolltest übel thun); denn es benimmt dem lieblichen Liebhaber seine genügliche Lust in seinem eignen Pallast und befleckt den edlen Weingarten mit faulem, stinkendem Mist, und er kann nicht sprechen mit der Braut in dem Buch der Liebe: Unser Bette ist bestreuet und besprengt mit Blumen.

Hier sollet ihr einen Unterschied wissen. Ein Mensch, der Gott lieb hat und gern wollte mehr lieb haben, dem kommen oft Creaturen vor, wider all sein Herz, Seele und Gemüth, und es ist ihm ein Tod und Marter. Darin muß er sich leiden mit Geduld in rechter Gelassenheit, so er desselbigen keine Ursache ist, mit Liebe der Creaturen. Ach, Kinder, wie selig wäre der Mensch und wie überselig, der von seiner Jugend auf wäre geblieben in unverbildeter Lauterkeit, das wäre ein überköstlicher Schatz.

Das andere sind eitel einfallende Dinge, davon der Mensch nicht mehr wird bekümmert in seinem Herzen, als daß die Vögel fliegen oder daß der Rhein fließt und desgleichen, hieran liegt nicht so großes, und hindert auch nicht. Dieser Einfälle mag Niemand ganz zumal ledig sein in dieser Zeit, nur der eine tausendmal besser, denn der andere. Sct. Bernhard spricht: Wenn das Herz erfüllet ist mit der Liebe Gottes, da mag die Eitelkeit keine Stätte finden. Schlage den einen Nagel mit dem andern aus, nimm etwas von hohen, göttlichen Dingen also tief in dein Herz, daß es die niedersten Dinge allzumal ausjage und vertreibe.

Die dritten sind nützliche Dinge, die irren oder hindern dennoch. Man findet Leute, die haben also viele wunderliche Anfechtungen und Bekümmernisse, gleich als ob der Rhein durch sie flösse, derohalben sie nimmermehr Stille oder Ruhe in ihrem Herzen haben können; denn geben sie sich zu Zeiten auswendig zur Ruhe, und wollten gern stille sein, so haben sie doch inwendig so viele Gedanken und Bekümmernisse, wie ein Baum, der voller Blätter in dem Winde steht, und nicht still sein kann. So können sie sich nicht entschlagen aller der Werke, die sie vorgenommen haben in ihrem Herzen, und sind so fleißig zu vollbringen, was sie vorgenommen haben, daß sie nimmer können zufrieden werden, noch Ruhe haben in ihrem Herzen.

Lieben Kinder, viele Meinung verstört wahre Einung. Nun sind auch andere Leute, die sind also still, als ein Mäuslein, und dieselben kommen viel eher dadurch, denn die andern; aber beständen diese unruhigen Leute, und brächen die ungestüme Natur und thäten sich selbst Gewalt, und fingen und bänden sich, und stilleten sich, die würden viel edlere Leute, denn die andern.

Diese bekümmerten Leute müssen ihrer selbst sehr wahrnehmen, ohne Unterlaß und wo sie sich finden, daß sie sich zu Grund lassen und geben sich nicht in Leichtfertigkeit. Diesen Leuten gehört kein Spielen zu, oder andere Leichtfertigkeit, wenn sie gedenken zu kommen zu einem vollkommenen Leben nach dem Willen Gottes. Sie müssen thun, wie fromme Ritter, und kommen mit Ehren zu Felde männlich in den Streit. Man muß die Natur zähmen und brechen, und die Bilde überwinden, recht als hätte ein Mensch eine Klette in seine Haare verwirrt, und müßte sich selbst wehe thun, sollte er sie heraus bringen.

Literar-historisches Lesebuch Dr. Georg Weber Zweiter Theil Die Literatur des Mittelalters Leipzig Verlag von Wilhelm Engelmann 1851

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