Taube, Emil Heinrich - Psalm 7.
Dieser Psalm lehrt uns, wie köstlich für einen gläubigen Christen das Zeugnis und der Segen eines guten Gewissens in bestimmten Kalamitäten ist: 1.) Er kann ruhig vor seinen Gott treten und um Hilfe bitten. V. 2 u. 3. 2.) Er kann ganz freudig seine gute Sache beweisen und Gott zum Richter auffordern. V. 4-10. 3.) Er kennt und preist Gottes Gerechtigkeit für Seine Frommen und gegen Seine Feinde. V. 11-18. Sicherlich ist dieser Psalm unter den Verfolgungen Sauls verfasst, da V. 5 auf eine bestimmte Tatsache (1. Sam. 24 die Verschonung Sauls in der Wüste Engeddi) in jener Verfolgungszeit hinweist; und obwohl es zweifelhaft erscheint, ob Saul selbst, als ein Sohn des Kisch, in Weise der Anspielung schon in der Überschrift mit dem Namen Kusch gemeint sei, so zeigt der Psalm doch deutlich auf die Verfolgungswut Sauls hin, die er gerade nach jener großmütigen Verschonung gegen David ausließ. Daher auch die Überschrift „Schiggagon“ am besten für „Klagelied“ genommen wird. Der Mannesname Kusch kommt sonst in Davids Geschichte nicht vor, weshalb man es symbolisch nahm, (Luther: Mohr) und als eine Hindeutung auf den schwarzen Undank Sauls auffasste, wie Israel öfter in seiner Unbußfertigkeit und Hartnäckigkeit damit verglichen wird.
V. 1. Klagelied Davids, welches er sang dem Herrn über die Worte des Kusch, des Benjaminiten. V. 2. Herr, mein Gott, auf Dich traue ich; hilf mir von all meinen Verfolgern und errette mich. V. 3. Dass er nicht zerreiße wie ein Löwe meine Seele, zermalmend, ohne dass ein Retter vorhanden. Wenn uns das, was uns zuvor geschrieben ist, zur Lehre geschrieben ist, dass wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung hätten, so geht uns hier an dem Glauben Davids in der dringendsten Lebensgefahr die schöne Hoffnung auf, dass es wirklich einem Menschen im höchsten Unglück durch die Kraft Gottes möglich ist, den Glauben zu haben und zu bewahren, und dass dann gerade, wenn alle andern Stützen gebrochen sind, der Herr sich als die allein feste Burg bewährt. Eben die Notzeiten aber liefern den sichersten Beweis, dass am allerersten vom Glauben gilt, was der Herr sagt: „Wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe“. Wär's auch nicht ein Glaubenspfund, sondern nur ein Glaubensfünklein, aber ein Etwas muss da sein, was die Not vorfindet; denn die Not ist vielmehr ein Examen, als eine Lektion. David hat und zwar das Größte, nämlich Gott, den er als seinen Gott anreden kann. Und woher darf er auf diesen seinen Gott trotz alles Unglücks trauen? Das sagt er uns schon in der Überschrift. Er singt dieses Lied dem Gott Jehovah zum Preise, d. i. dem Bundesgott, dem Gott der Gnade. Als der in Seinen Verheißungen so treue und wahrhaftige Gott ist Er Davids festeste und einzige Zuflucht. Nur mit dem Gott lässt sich über die Mauern springen. Dass aber seine Lage äußerst schwer und gefahrdrohend war, das deuten die Worte: Von all meinen Verfolgern“, und das nachfolgende Gleichnis bezeichnet nicht nur Davids Lebensgefahr, sondern auch die furchtbare Wut der Feinde; er ist wie ein einsamer Wüstenwanderer von lauter wilden Tieren umgeben, ohne alle und jede Hilfe ringsum. Zählen wir zu den äußeren namentlich auch die inneren Feinde, zu den sichtbaren die unsichtbaren, so tritt die Situation Davids unserm Herzen bedeutend näher. Die heilige Ruhe jedoch, die aus Davids Seele mitten in der Unruhe spricht, beweist sonnenklar seinen Stand in der Erlösungsgnade; denn nur dieser feste Grund Gottes besteht“ und wanket nicht. Das ist auch der hauptsächlichste Magnet, gegen dessen Kraft der Herr sich selbst nicht leugnen kann, wie der Glaube auf Grund des Wortes weiß.
V. 4. Herr mein Gott, wenn ich solches getan, wenn Unrecht ist an meinen Händen, V. 5. wenn ich Böses zugefügt meinem Freunde, und ausgeplündert meinen Dränger ohne Ursach: V. 6. so verfolge der Feind meine Seele und fange und trete zu Boden mein Leben, und meine Ehre in den Staub lege er. Sela. V. 7. Steh' auf, Herr, in Deinem Zorn, erheb' Dich wider das Wüten meiner Dränger; und wach auf zu Hilfe mir, der Du Recht verordnet hast, V. 8. und der Nationen Versammlung umgebe Dich rings, und über ihr kehre zur Höhe zurück. V. 9. Der Herr wird Urteil sprechen Völkern; richte mich, Herr, nach meiner Gerechtigkeit und meiner Unschuld in mir. V. 10. Schwinden möge doch das Böse der Gottlosen, und aufrichten wollest Du den Gerechten; bist ja Prüfer der Herzen und Nieren. Offenbar bezieht sich die Unschuldsbeteuerung Davids auf schwere Anklagen, die gegen ihn erhoben waren. Hochverräterische Anschläge gegen Sauls Krone und Leben wurden ihm Schuld gegeben. Er kann jedoch nicht nur getrost seine völlige Unschuld beweisen, sondern sogar das Gegenteil, damit, dass er zweimal, als Saul ganz in seinen Händen war, das Leben des Königs nicht antastete, sondern nur einen Zipfel von seinem Kleide und das andere Mal seinen Spieß zum Zeugnis mitnahm (1. Sam. 24,5; 26,12). Dies Unschuldszeugnis Davids ist um so beschämender für uns, als es ihm offenbar als ein schweres Verbrechen erscheint, Böses mit Bösem zu vergelten, und als er hiermit schon im Alten Testament einen hohen evangelischen Grad der Gerechtigkeit aus seinem Herzen bezeugt. Wie hat er so gar keine Rachgier im Herzen! Bei uns entbrennt sie gerade dann um so heftiger, wenn wir das Zeugnis der Unschuld für uns haben. Sich selbst aber ein Zeugnis der Unschuld ausstellen, das erfordert zarte Vorsicht. Es gehört die allerernsteste und schärfste Selbstprüfung dazu, ob solche Beteuerungen um des Rechts und der Ehre Gottes willen not sind, und ob nicht Ehrliebe und Eitelkeit den Feinden damit am Ende Imponieren wollen. Die Welt setzt sehr bald das Leben ein! Um wie David seine Unschuld bezeugen zu dürfen, muss man wie David vor allem durchdrungen sein von der richterlichen Größe und Herrlichkeit Gottes. Während uns bei den zahllosen Übertretungen des Rechts, die tagtäglich vor unseren Augen vor sich gehen, der Gedanke fast entschwindet, dass sie alle im Gedächtnis eines gerechten Weltrichters aufbewahrt werden, schaut David diesen Richter in seiner ganzen richterlichen Herrlichkeit, er kennt ihn als einen Gott, der keine einzige Sünde vergisst, es sei denn, dass sie im bußfertigen Glauben vergeben sei. Und diesen Richter, den er von der Versammlung der Nationen umgeben sieht, diesen Weltrichter kann er anrufen, Er solle ihn richten nach seiner Gerechtigkeit und Unschuld! Da ist nicht bloß Unschuldsbeteuerung, da ist Unschuldsstand eines Kindes Gottes durch den Glauben, und das Verlangen Davids: „Herr, richte mich nach meiner Gerechtigkeit und Unschuld“ widerspricht auch so wenig jenem: „Herr, gehe nicht ins Gericht mit Deinem Knecht, denn vor Dir ist kein Lebendiger gerecht“ (Ps. 143,2), dass vielmehr beides im Christenstande sich beisammen finden muss. Je demütiger und fleißiger ein Christ die Gerechtigkeit allein durch den Glauben zu seinem Heilsgrunde erwählt, je fester er sich darin gründet, desto klarer und sicherer muss und wird sich in bestimmten Verhältnissen die Lebensgerechtigkeit der Frommen ans Licht stellen. Die Welt freilich verdammt sie so wie so, sie wittert im demütigen Zöllnersinn die ärgsten Sünder in den Frommen und will Engel in ihnen sehen, und im freien Unschuldsbekenntnis stolze Heilige, Heuchler und Pharisäer. Da kann sich ein Kind Gottes nur auf den berufen, der Herzen und Nieren prüft. Wie kann aber ein Mensch solch gutes Gewissen haben, dass er wie David nicht nur seine Unschuld beteuern, sondern kühnlich zum Gegenbeweis mit allem seinen folgenschweren Jammer auffordern, ja endlich das Allerschwerste, das Richteramt des allwissenden Gottes mit Seelenruhe darüber anrufen kann?
Darüber uns klar zu werden, gibt eben dieser Abschnitt einen reichen und schönen Anlass. Ein natürlicher Mensch wird überhaupt nur sehr schwer und selten ein gutes Gewissen haben können; denn in allen natürlichen Menschen ist das Gewissen ein Glöcklein voller Sprünge mit sehr verwirrtem Tone, wie Röm. 2,15 es in den sich bald verklagenden, bald entschuldigenden Gedanken deutlich beschreibt; es fehlen da völlig die geübten Sinne der Unterscheidung des Guten und Bösen. Das zarte klare Gewissen ist eine wirkliche Gnade Gottes und ein Gefährte der Bekehrung, eine Frucht des Geistes, der ein Geist klarer und durchdringender Zucht ist. Aber selbst der Gläubige hat, sintemal noch immer vielfältig Sünde an ihm haftet, gar nicht etwa durchweg ein gutes Gewissen; selbst der heilige Paulus übt sich, „zu haben ein unverletztes Gewissen gegen Gott und Menschen“ (Apostelg. 24,16). Die Wahrheit der Tatsachen oder das richtige Urteil darüber steht ihnen im Gewirre des Lebens gar nicht immer fest, wie gewissenhaft sie auch sein mögen. Aber sie haben einen zweifachen herrlichen Vorsprung: erstens, sie können sich durch das Blut Christi im Glauben immer wieder reinigen lassen das Gewissen und loskommen vom bösen Gewissen; zweitens: dieser wiederholte Reinigungsprozess und der dadurch bewirkte Wandel vor dem Angesichte Gottes gibt ihnen in bestimmten einzelnen Fällen, wo es darauf ankommt, das köstliche Zeugnis eines guten Gewissens, dass sie, wie hier David, auftreten, oder wie dort Paulus sagen können: „Mein Gewissen gibt mir des Zeugnis im heiligen Geist!“ (Röm. 9,1.) Dem Inneren Gerichtshof im Gewissen jedes Menschen entspricht nun aber der andere, der Gerichtshof vor dem allwissenden Auge Gottes, vor dem allerhöchsten Richter, der Herzen und Nieren prüft. Wiewohl beide wesentlich nach Maßstab und Urteil zusammenstimmen, da das Gewissen von Gott stammt und nach seinem Begriffe ein Mitwissen Gottes, d. i. ein Wissen Seines Wesens und damit ein richterliches Urteil über Gutes und Böses ist, wie groß ist doch bei uns die Gefahr eines irrenden Gewissens und welch ein durch die Macht der Gnade gereinigtes Gewissen gehört doch dazu, wenn es sich mit dem Urteil des göttlichen Gerichtshofes ganz getrost eins wissen soll!
V. 11. Mein Schild ist bei Gott, dem Heiland derer, die geraden Herzens sind. V. 12. Gott ist ein gerechter Gott, und ein Gott, der täglich droht. V. 13. Wenn einer sich nicht bekehrt, so wetzt Er Sein Schwert, hat Seinen Bogen gespannt und ihn hergerichtet, V. 14. und auf den richtet Er Todesgeschosse; Seine Pfeile zu brennenden macht Er. V. 15. Siehe, er kreiset Unheil, und empfängt Mühsal und gebiert Lüge. V. 16. Eine Grube hat er gegraben und höhlet sie; aber er fällt in die Grube, die er macht. V. 17. Zurück kommt seine Mühsal auf sein Haupt und auf seinen Schädel fährt seine Unbill nieder. V. 18. Danken will ich dem Herrn nach Seiner Gerechtigkeit, und preisen den Namen des Herrn, des Höchsten. Welch' eine Herrlichkeit entfaltet doch in Kalamitäten gerade der Glaube, dem sich der Herr schon hier, schon vor dem Austrag einer Sache in Seiner segnenden und strafenden Gerechtigkeit legitimiert! Für diesen Trost hat der ewig treue Gott ein für allemal gesorgt, und der ist auch den Seinen not; denn öfters muss mancher Fromme zeitlebens bei seiner gerechten Sache unterliegen, weil es die ewige Weisheit also für gut findet. Und welches ist der erste Spruch in Davids Trostbüchlein? Der ist's, dass Gott ein Heiland derer ist, die geraden, aufrichtigen Herzens sind. Ja, wie lässt Er's denen gelingen, und wie gibt Er ihnen davon schon das inwendige Zeugnis Seines Geistes voraus! Damit hebt der Segen des guten Gewissens an.
Schlägt man nun aber das Blatt um, so steht auf der andern Seite derselbe gerechte Gott, aber in Seiner strafenden Gerechtigkeit gegen die Sünder. Es ist eine furchtbare, aber in der Schrift öfters bezeugte Wahrheit, dass alle beharrlich Ungläubigen, dass die Welt, die Welt bleiben will (Joh. 3,36), den Zorn Gottes nicht bloß in sich hat, sondern über sich von Tag zu Tage häuft; denn der Zorn Gottes ist nichts Müßiges und Kraftloses (Röm. 2,5). „Ein Gott, der täglich droht!“ Und doch auch ein Gott, der Seine Hände alle Tage ausreckt nach dem ungehorsamen Volk!“ (Jes. 65,2). Mitten im schweren Zorne sucht Seine Liebe! Diese unergründliche Treue und Barmherzigkeit Gottes geht nicht nur aus dem hier offenbarten Gnadenwillen Gottes zur Bekehrung der Menschen, sondern namentlich aus der Art und Weise hervor, wie, wenn selbst Sein Gericht ausbrechen muss, doch die Barmherzigkeit sich so lange als möglich stemmt und damit rühmt wider das Gericht. Das Schwert ist gewetzt, aber doch nur gewetzt; der Bogen ist gespannt, aber doch eben nur gespannt, noch nicht abgeschossen! Er wartet zu, Er wartet auf die Bekehrung, die Alles abwenden kann, auch bei einem blutgierigen Saul! Tritt diese indes trotz aller schonenden Langmut nicht ein, dann freilich lässt Er Seiner strafenden Gerechtigkeit freien Lauf, und da liegt nun ein sehr nachdrücklicher Gerechtigkeits- und Weisheitsakt in der Art der Vollstreckung Seiner Gerichte, indem sie eben so sehr mittelbar als unmittelbar sich vollziehen, ordentlicher oder natürlicher wie außer ordentlicher Art sind. Unter die ersteren gehört die Art und Weise, die im Psalm hier genannt ist; es ist die, wo Er den Sünder in seiner eigenen Ausgeburt, in seiner eigenen Grube das Gericht finden lässt. Die oft so klug und tief angelegten Anschläge der Gottlosen gehen fehl, wie die Geburt eines Weibes, der es unrichtig geht, und die darüber das Leben verliert; sie graben die Grube und führen es Alles mit Fleiß und Bedacht aus, sie haben aber ihr eigenes Grab gegraben! Gott straft eben damit, womit man gesündigt hat. Von diesen der Freveltat selbst immanenten Strafgerichten sagt Luther in heiliger Ironie: „Wo wollte auch Gott so viele Stricke hernehmen, um alle Diebe zu henken, wenn sie es nicht an sich selbst täten!“ Bei alledem hat Er jedoch einen unzähligen Vorrat von außerordentlichen Zuchtruten, und Er bindet beides meist in einander. Man lernt aber aus diesem selbstbereiteten Verderben des Sünders und aus der vielen Mühe seiner doch vergeblichen Wege, wie so gar sauer sich's der Sünder werden lässt, um zu bleiben, der er ist. Wahrlich, er wendet mehr Mühe an die Verdammung seiner Seele, als es ihn kosten würde, sie zu retten. Und was tut ein Kind Gottes, wie David, nun über solchen gerechten Gerichten des Herrn? Er sieht mit Anbetung darein, er erhebt die Gerechtigkeit Gottes und lobsingt dem darin erglänzenden Namen des Allerhöchsten, der Ehre einlegt, wenn Menschen wider Ihn wüten, und wen sie noch mehr wüten, auch noch gerüstet bleibt. Welche Aufforderung zugleich für uns! Wir bleiben den Dank schuldig unzählige Mal, nachdem wir empfangen haben; ein David dankt aber, noch ehe er empfangen hat.