Taube, Emil Heinrich - Psalm 1.

Taube, Emil Heinrich - Psalm 1.

Nicht allein, wie insgemein angenommen wird, die Glückseligkeit der Frommen, sondern das Wohl der Gerechten (V. 1-3) und das Wehe der Gottlosen (V. 4-6), beides nach Leben und Ausgang, ist der Kern dieses Psalms. Sehr bedeutsam ist es, dass die zweierlei Leute, die die Schrift überhaupt nur kennt, und die im Psalmbuch durchweg unter der Bezeichnung der „Gerechten und Gottlosen“ figurieren, hier im 1. Psalm voraufgestellt sind, und zwar in ihrer durchgreifenden Verschiedenheit, nicht nur dem Grade, sondern dem Wesen nach. Wir lernen dabei zugleich, worin der durch die ganze Schrift so hochwichtige Begriff der Gerechtigkeit und Gottlosigkeit eigentlich wurzelt, nämlich im Anhangen oder Verachten des Herrn und seines Wortes, und dass diese Bezeichnung ebenso innig mit der ältesten: „Weibessame und Schlangensame“ als mit der jüngsten, neutestamentlichen: „Kinder Gottes und Kinder der Welt, Heilige und Sünder“ verwandt ist. Dieser Unterschied wird so lange bestehen, wie Himmel und Hölle.

V. 1. Wohl dem Mann, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen, noch auf den Weg der Sünder tritt, noch in der Gesellschaft der Spötter sitzt; V. 2. Sondern am Gesetz des Herrn hat er seine Lust, und über Seinem Gesetz sinnt er Tag und Nacht; V. 3. Der ist wie ein Baum gepflanzt an Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und sein Laub welkt nicht, und alles, was er macht, gerät wohl.

Es ist hochtröstlich und sehr lockend, dass der ganze Psalter anhebt mit einem heilvollen Zeugnis über die Seligkeit der Gerechten, ebenso wie der Herr des neuen Testaments den Mund zuerst öffnet zu den sieben Seligpreisungen. Da sage doch keiner, das Alte Testament kenne nur den gesetzlich eifernden Gott! Ist ein Unterschied zwischen den Glückseligkeiten des alten Testaments (denn das bedeutet eigentlich „aschre“) und den Seligpreisungen des neuen, so ist es nur der, dass im Alten Testament der Überschwang und Akzent auf zeitlich Glück und irdischen Wohlstand, im Neuen Testament auf die innere Seligkeit gelegt wird, gleichwie das Alte Testament vorwiegend das Wort „Segen“, das Neue Testament das Wort „Heil“ hat. Wenn nun das heilvolle Zeugnis über den Gerechten zuerst negativ, d. h. mit der Schilderung dessen, was der Gerechte nicht ist, beginnt, so weist das darauf, dass in dieser allgemeinen und grundverderbten Welt Niemand ein Gerechter ist, sondern es durch die unwandelbare Gnade erst wird; der Heilige Geist erklärt damit den Gesamtzustand der Welt, die herrschende Gesinnung der Menschen als vor Gottes Augen verdorben und die Gerechten als selige Ausnahmen. Zu suchen und zu sehen aber ist der Ausweis der Gerechtigkeit im Wandel und Umgang, in der Sphäre des Lebens und es ist in der dreifachen Ausführung „der nicht wandelt“ noch eine schöne Stufenfolge wahrzunehmen. Der „Rat“ kann sich noch ganz heimlich halten, in der mit den Gottlosen geteilten Gesinnung verharren, bedeutet also die Pläne und Ansichten, Anschläge und Bestrebungen der Gottlosen; der „Weg“ ist die gemeine Landstraße, der breite Weg, auf dem die Vielen nach ihrer sündlichen Lebensgewohnheit laufen; das „Zusammensitzen“ ist die Vereinigung der Gottlosen zur Verspottung des Heiligen und gegenseitiger Verführung (Röm. 1,32: „Die nicht allein Böses tun, sondern haben auch Gefallen an denen, die es tun“). Dieselbe Steigerung ist in den Ausdrücken: Gottlose, Sünder, Spötter. Wie deutlich ist der Fortgang der Sünde da gezeichnet: erst hat man nur vorübergehende Gedanken mit den Gottlosen, dann lenkt man auf den Weg der Sünder ein, zuletzt setzt man sich gar bei den Spöttern nieder! -

Vers 2 deckt nun positiv die Wurzel der Gerechtigkeit auf. Diese ist die Lust am Gesetz des Herrn. Der Ausdruck „Gesetz“ in den Psalmen ist auch neutestamentlich, denn man irrt, wenn man es nur auf das Gesetz Mosis bezieht; schon das Gesetz in den 2 Tafeln enthüllt Strahlen der Offenbarung des barmherzigen Gottes: „Ich bin der Herr dein Gott,“ geschweige die übrigen Bücher des Alten Testament, besonders die verheißungsvollen Propheten. Uns ist auch das mosaische Gesetz nicht nur als ein gerechtes, heiliges und gutes Gesetz (Röm. 7,16-22), sondern vor allem deshalb lieb, weil wir in Christo von seinem Fluch befreit sind und durch Christum danach wandeln können; es ist also dem Christen das Wort von der Glaubens- und Lebensgerechtigkeit. Hier ist nun unter „Gesetz“ die Unterweisung Gottes in Seinem Wort überhaupt zu verstehen, und da lernen wir die wichtige Wahrheit, dass die Stellung zum Wort, und nicht etwa dieses, ob man Sünde habe oder nicht, das unterscheidende Kennzeichen zwischen Frommen und Gottlosen ist. Wie sieht man doch im Alten Testament schon, hier durch den Gegensatz von Abkehr von der Welt und Sünde (V. 1) und Zukehr zu Gott und seinem Wort (V. 2), in das wahre Wesen der Bekehrung hinein! Siehe aber, wie nun wiederum in dem letzteren das Gewicht gelegt ist auf die innige Lust und Freude am Wort. Wer keine Herzenslust unter allen Umständen am Worte hat, dem ist's noch nicht, was es sein soll, auch noch nicht Ernst um seine Seligkeit. „Ich freue mich über deinem Wort, wie Einer, der große Beute kriegt“ (Ps. 119,162). Da höre, was Lust am Worte ist! Hat man Lust am Worte, so übt man sich auch darin ohne Unterlass. Man trägt es, wie Alles, was man liebt, immer in seinen Gedanken; von der Schönheit und Kraft des Wortes überwältigt, ist es das Seligste, das gütige Wort Gottes zu schmecken. Man sinnt darüber Tag und Nacht, es ist keine Zeit dafür unbequem; auch den Schlaf damit heiligend, sagt man mit David: „Wenn ich aufwache, bin ich noch bei Dir!“ Besonders aber auch bezeugt sich die Lust am Wort als Quelle des Trostes und Richtschnur der Handlungen. -

Indes wer sähe auch bei der Lust am Gesetz nach dem inwendigen Menschen nicht doch ein anderes Gesetz, der Sünde Gesetz in den Gliedern, das da widerstreitet! Da ist nun die Festigkeit zum Widerstande und zum Bleiben an dem Herrn die Hauptfrucht des Wortes, das im Herzen zu einem unvergänglichen Samen wird. Wie sehr die allmächtige Kraft des Wortes Alles und in Allen durch und durch bestreitet und auswirkt, das siehe an dem V. 3 aufgezeigten Stamm, den Blättern, Früchten! „Der ist wie ein Baum, gepflanzt!“ Zwar muss der Gerechte gepflanzt werden; denn er gehört von Natur unter die wilden Obstbäume. Aber dies sind die Pflanzen, die der Vater gepflanzt und die nicht ausgerottet werden. Und was für fruchtbare Umgebung! „Gepflanzt an den Wasserbächen“, nämlich an den Strömen des Geistes und der Gnade, die aus dem Wort des Lebens fließen. Das sind die Brunnen, welche die Stadt Gottes fröhlich machen (Ps. 46,5); es ist der inwendig angelegte Brunnen, der ins ewige Leben quillt. (Joh. 4,14). Bei solchem Zufluss aus dem Worte Gottes gibt es dann auch Fruchtbarkeit, und zwar die rechte, keine frühreifen Treibhauspflanzen, sondern zeitige Früchte, ein gemäßes Zunehmen und deshalb brauchbar zu allem guten Werke. Denn auch im Reich der Gnade hat alles seine Zeit und Stunde; das Werk der Seelenerweckung will Eile und Weile haben. Weil es aber im Reich der Gnade stetig und allmählig zugeht, darum gibt's endlich auch keine welken Blätter an den Bäumen. In dem stetigen und allmähligen Wachstum liegt die Bewahrung vor Missgriffen und Missgeburten in Wort und Werk, Herzen und Leben. Alles was aus der Natur kommt, drinnen und draußen, trägt den Keim des Vergehens in sich; unter der Gnade ist kein Verfall, keine Abnahme, und haben wir über viel welke Blätter an unserm Lebensbaum zu klagen, so haben wir auch immer nur aus der Natur, nicht aus der Kraft und Gnade Gottes und Seines Geistes und Wortes gehandelt. Ach, welch ein Segensbild - diese letzten Worte: „Was er macht, das gerät wohl“! Ja, der Herr steht immerdar segnend bei und zu Seinem Worte, darum gerät allezeit wohl das Werk des Gerechten.

V. 4. Nicht so die Gottlosen, sondern wie Spreu sind sie, welche der Wind verweht. V. 5. Darum bestehen Gottlose nicht im Gericht, und Sünder in der Gemeinde der Gerechten. V. 6. Denn es kennt der Herr den Weg der Gerechten, aber der Gottlosen Weg vergeht.

Das sind Worte, welche Herzen und Nieren züchtigen. „Denn sintemal die anklebende Sünde auch in dem Gerechten noch ist, fürchtet sich und zittert ein gottseliger Mann vor einem jeglichen Worte Gottes“, wie Luther sagt. Dennoch tröstet andrerseits, was der Heilige Geist uns vom Unterschiede zwischen dem, der Ihm dient und der Ihm nicht dient, hierdurch aufweist, in hohem Grade. Dieser Unterschied ist gar schneidig bezeichnet mit den Worten: Aber so sind die Gottlosen nicht.“ Damit wird das Tischtuch zwischen Frommen und Gottlosen zerschnitten, diese werden fortgewiesen als solche, die nichts, gar nichts mit der blühenden, gedeihlichen Herrlichkeit jener gemein, noch zu teilen haben. Wenn sie aber so nicht sind, wie sind sie denn? Wie Spreu sind sie“. Das ist ein durchdringendes Wort von ihrer Nichtigkeit. Die Gottlosen haben gar kein Gewicht der Wahrheit in sich, weil sie das Wort verachten, die Spreu ist leicht; die Gottlosen trotzen auf den Weg der Sünder, den breitgetretenen, der Spreu ist eine große Menge; die Gottlosen brüsten sich und machen sich groß und breit, so lange ihre äußere Lage günstig ist, die Spreu liegt auf großen Haufen, so lange es windstill ist; die Gottlosen sind ohne Wurzel und Halt, ohne inwendige Lebenskraft und Wachstum, sie sind ganz wertlos deshalb vor Gottes Angesicht, und der Heilige Geist macht gar nichts aus ihnen, die Spreu ist loses, dürres, abgeschnittenes Caph; darum, sobald der Zugwind der göttlichen Gerichte kommt, wenn die Tenne gefegt wird, zerstiebt die Spreunatur der Gottlosen. Wie ganz anders sieht sich danach der Gottlose an, der vor unsern Augen oft wie ein grünender Lorbeerbaum ist (Ps. 37)! Da lernt man recht für die Gnade des Wortes danken, das uns die Dinge nicht nach dem Augenschein, sondern nach der Wahrheit vor Gottes Augen, auch nicht bloß nach dem zeitweiligen Bestande, sondern nach dem endlichen Ausgang, im Ewigkeitslichte, sehen lehrt. Denn das ist nun die Achillesferse der Gottlosen, dass sie, ob sie wohl jetzt noch sich halten mögen, im Endgericht nicht bestehen. „Darum bestehen Gottlose nicht im Gericht, und Sünder in der Gemeinde der Gerechten“. O, ein wichtiges Darum! Weil sie also in der Wage des Heiligtums als Spreu, als zu leicht erfunden worden sind, darum bestehen sie nicht. Man muss mithin ein Gewicht haben und in die göttliche Waagschale legen können, nämlich in sich selbst haben; der ganze innere Mensch wird nach seinen Werken gewogen, man muss geworden sein, was die göttliche Gnade aus uns machen will, sonst sind wir nur Spreu. Auch der Heiland redet von solchem Bestehen. Er nennt es zu stehen. vor des Menschen Sohn“ (Luc. 21, 36). Da siehst Du das Gewicht, das im Gericht allein durchhält: „Wer an Ihn glaubt, der wird nicht gerichtet, wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes“ (Joh. 3,18). Der Glaube macht würdig; sonst können alle nicht bestehen. Mit der Entscheidung aber bringt das Ende zugleich die Scheidung. Hier drunten liegt noch die Spreu unter dem Weizen, die Gottlosen müssen Gottes anderweitigen Zwecken noch dienen; darum lässt Er sie auf der Tenne liegen, und darf sich mancher Scheinchrist unter die Gemeinde der Gerechten stehlen. Aber bleiben dürfen Sünder nicht in der Gemeinde der Gerechten, denn die Gemeinde der Gerechten ist die obere Gemeinde, die Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel ist, das neue Jerusalem. Da darf kein Unreines eingehen, mithin auch kein Sünder, der durch und durch unrein ist. Darum wird dort die schärfste Kirchenzucht geübt werden, da wird Er die Wurfschaufel nehmen und seine Tenne fegen, und die Kluft befestigen, welche die Gemeinschaften auf immer absperrt. Die Möglichkeit aber, wie die Schärfe der Scheidung beruht darauf, dass der Herr Seine Leute kennt. Schon hier drunten liegt Alles unter den heiligen Augen Gottes, und vom Sohne Gottes bezeugt die Schrift, dass Er Flammenaugen habe, vor denen Alles bloß und entdeckt daliege. So kennt er auch die Gottlosen recht wohl. Er verstehet ihre Gedanken von ferne, daher es große Torheit ist, wenn sie sprechen: „Der Herr sieht es nicht, der Gott Jacobs achtet es nicht.“ (Ps. 94,7.) Doch gibt es zweierlei Kennen, gleichwie zweierlei Angesicht Gottes in der Schrift, weil zweierlei Leute, die Sein Auge schaut. Wie das Antlitz Gottes, das ja kein müßiges, ohnmächtiges, sondern göttlich kräftiges immerdar ist, wider die steht, die Böses tun, und Er die Frommen mit den Freuden seines Antlitzes erquickt, so ist das Kennen der Gerechten ein wohlgefälliges Erkennen und Anschauen Gottes, das den ganzen, vollen, ewigen Segen über sie in sich schließt: „Geht ein, ihr Frommen und Getreuen, zu eures Herrn Freude“! Bei den Gottlosen dagegen fehlt sogar im Text dies kennen. Es soll damit angezeigt werden, wie sie mit ihrem ganzen Treiben und Leben aufs Schlüpfrige und Vergängliche gesetzt sind und in dem Anfang ihres eitlen gottlosen Weges schon das Ende seiner Natur nach liegt. Ihnen wird das Wort des Herrn: Weicht von mir, ihr Übeltäter, denn ich habe euch noch nie erkannt!“ den Abgrund öffnen, in welchem ihr Weg vollends vergeht. Für die Gerechten aber, welch ein seliger Gottestrost: Der Herr neigt sich in Gnaden zu ihnen, zählt ihre Schritte und ihre Tränen, weiß das verborgene Verlangen ihrer Seele, erkennt sie unbetrüglich, wenn sie auch die Welt noch so sehr angeschwärzt hat! „Ich erkenne die Meinen und bin bekannt den Meinen.“ (Joh. 10,14.)

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autoren/t/taube/psalter/taube-psalmen-psalm_1.txt · Zuletzt geändert: von aj
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