Stiller, Erich - Psalm 5.
In diesem Psalme schickt David ein inbrünstiges Gebet zu Gott empor, er betet aber nicht bloß für sich, sondern hauptsächlich für die Ehre Gottes und schließt mit der festen Zuversicht, Gott segne die Gerechten und kröne sie mit Gnade, wie mit einem Schilde. Dieser Psalm gibt uns eine schöne Anweisung zu einem rechten Gebete; er spricht zuerst von der Beschaffenheit und der Zeit und dem Orte des Gebets, dann von der Personen, deren wir im Gebete gedenken sollen, erinnert endlich an den Nutzen des Gebets.
Herr, höre meine Worte, merk auf meine Rede, vernimm mein Schreien, mein König und mein Gott, denn ich will vor dir beten. So beginnt David; er bewirbt sich bei dem Allmächtigen mit vielen sehr beweglichen Worten um gnädige Erhörung; ja er begehrt gleichsam mit Ungestüm Gehör von seinem Gott, er klopft mit den gehäuften Worten: höre, merke auf, vernimm - an die Himmelstüre hart und geschwind an, wie das von denen zu geschehen pflegt, die gerne möchten bald eingelassen sein. Siehe, das tut der Glaube, sagt ein alter Kirchenlehrer, die kindliche Zuversicht und Liebe umfängt Gott also, und fällt ihm um den Hals und spricht: Ach lieber Gott, du weißt und kennst allein meine Not, dir will ich's allein klagen, du wirst, du musst mich erhören! Es ist uns wohl erlaubt, so zudringlich mit unserm Gebete zu sein; sagt ja Christus selbst: bittet, so wird euch gegeben; sucht, so werdet ihr finden; klopft an, so wird euch aufgetan! In diesen Worten nennt Christus den Seinen das Gebet als den Schlüssel zur Himmelstüre und zu allen Schätzen Gottes, verheißt ihnen einen freien Zutritt, so oft es ihnen gefällt, und versichert sie, dass sie mit großer Liebe sollen aufgenommen werden. O herrliches Wort! Ich darf also nicht denken, dass ich meinen Gott nicht finde, wenn ich in mein Kämmerlein gehe, um zu beten; ich darf nicht fürchten, dass ich ungelegen komme und auf andere Zeit beschieden werde. Nein! ich komme, wann ich will, so hört mich Gott, und wenn ich gleich wieder anklopfe, so tut er auch gleich wieder seine Himmelstüre auf, und freut sich, dass ich mich schon wieder betend nahe.
Wann aber, fragen wir, soll der Christ besonders beten? Herr, frühe wollest du meine Stimme hören, frühe will ich mich zu dir schicken, sagt David. Es lässt sich zwar hierin nichts Gewisses bestimmen, weil für alle Menschen bei den verschiedenen Geschäften und Berufsarten keine durchgehende Regel zu machen ist; doch sollte man vorzüglich die goldene Morgenstunde wohl wahrnehmen, und zu Gott beten, wenn das Gemüt noch munter, der Leib durch den Schlaf erquickt und das Herz mit den Geschäften des Tages noch nicht belastet ist. Das Buch der Weisheit hat die schöne Bemerkung, dass das Manna, mit welchem das Volk Israel in der Wüste gespeist wurde, von einem geringen Glanze der Sonne zerschmelzte, auf dass kund werde, sagt der Meister desselbigen Buches, dass man ehe die Sonne aufgeht, dir, o Gott, danken und vor dich treten soll, wenn das Licht aufgeht.
Doch, geliebte Christen, wenn Manche, wie Paulus und Silas schon um Mitternacht zu beten beginnen würden, so würde sie Gott doch nicht erhören. David nennt uns diejenigen, welche vergebens sich im Gebete zu Gott nahen; er sagt: Du bist nicht ein Gott, dem gottlos Wesen gefällt, wer böse ist, bleibt nicht vor dir; die Ruhmredigen bestehen nicht vor deinen Augen; du bist ein Feind aller Übeltäter; du bringst die Lügner um; der Herr hat ein Gräuel an den Blutgierigen und Falschen. Die heilige Schrift nennt alle Sünder ein Gräuel vor Gott; ein Gräuel aber nennt man alles, was dem Menschen widerlich ist, von dem er sein Angesicht abwendet; und somit ist in obigen Worten Davids nichts anders gesagt, als der Herr wendet sein Antlitz weg von den Sündern! Es macht aber die Sünde nicht nur den Menschen selbst, sondern all sein Tun, auch seinen Gottesdienst, sein Gebet, sein Almosen, seine Beichte und sein Abendmahl zu lauter Gräuel vor Gottes heiligen Augen; - denn wenn die Quelle unrein und giftig ist, wie kann das Wasser rein und gesund sein? Wer unreine Hände zu Gott aufhebt und mit gottlosem Wesen, mit boshaftem Herzen, mit falschen Lippen zu ihm zu reden sich erkühnt, der ist gleich einem Menschen, welcher einem Könige einen Trunk in einem unreinen Geschirre darreicht.
Paulus sagt: den Reinen ist Alles rein, den Unreinen aber und Gottlosen ist nichts rein, sondern unrein ist beides, ihr Sinn und Gewissen; sie sagen, sie erkennen Gott, aber mit ihren Werken verleugnen sie es, sintemal sie sind, an welchen Gott ein Gräuel hat, und gehorchen nicht und sind zu allen guten Werken untüchtig! Der Herr selbst spricht durch den Mund des Propheten zu den Gottlosen: Wenn ihr schon eure Hände ausbreitet, verberge ich doch meine Augen von euch, und ob ihr schon viel betet, so höre ich euch doch nicht, denn eure Hände sind voll Bluts! Welch' eine schreckliche Sache ist es doch um einen unwiedergebornen und in seinen Sünden dahinlebenden Menschen! Er ist jenen Tieren gleich, welche das edle Morgentau und den schönsten Blumensaft in Gift verwandeln! O darum lasst uns stets vor Gott im Gebete erscheinen, wie David, der da spricht: Ich aber will in dein Haus gehen auf deine große Güte und anbeten gegen deinen heiligen Tempel in deiner Furcht. Die Kinder Gottes denken an die große Güte Gottes, erinnern sich, was sie ihm alles schuldig sind und darum sprechen sie mit David: ich will in dein Haus gehen; sie kommen mit willigem Herzen und in der Furcht des Herrn, mit Abscheu gegen die Sünde und mit heiliger Scheu vor Gott. Gott ist ein Geist und die ihn anbeten, müssen ihn im Geiste und in der Wahrheit anbeten. Der Geist Gottes verlangt nichts so oft von den Menschen, als dass das, was sie mit Gott zu verhandeln haben, von ganzem Herzen und von ganzer Seele geschehe. Von ganzem Herzen muss man sich zu dem Herrn bekehren. Von ganzem Herzen muss man glauben. Von ganzem Herzen muss man Gott lieben und ihm dienen, und so muss man auch von ganzem Herzen beten; darum spricht auch der Herr: so ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen!
Um was sollen wir aber bitten, geliebte Christen! David bat um Hilfe wider seine Feinde. Herr hüte mich in deiner Gerechtigkeit, sagt er, um meiner Feinde willen; richte deinen Weg vor mir her; denn in ihrem Munde ist nichts Gewisses, ihr Inwendiges ist Herzeleid, ihr Rachen ist ein offenes Grab, mit ihren Zungen heucheln sie. Schuldige sie Gott, dass sie fallen von ihrem Vornehmen, stoße sie aus um ihrer großen Übertretungen willen, denn sie sind dir widerspenstig. Dieses Gebet scheint ein Christ sich nicht zum Vorbilde nehmen zu dürfen, denn wir haben das Gebet: Liebt eure Feinde, segnet die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen; und doch, liebe Freunde! ist obiges ein Mustergebet! David betete nicht gegen seine persönlichen Feinde, - seine Feinde waren auch zugleich Gottes Feinde, - er eifert somit in seinem Gebete gegen die Feinde des Herrn. Ein solches Gebet ist nicht mit Hass und Bosheit verbunden, sondern es kommt aus einem erzürnten liebevollen Herzen, es entsteht aus einer heiligen und heftigen Begierde Gott zu gefallen, seine Ehre und des Nächsten Bestes zu befördern. Wie kann auch eine gottliebende Seele anders, als gegen alles gottlose Wesen eisern, beten, weinen und flehen? Der rechte Christ weiß, was wir Gott zu danken haben; er weiß, was das Christentum erfordert, und was der Taufbund mit sich bringt; er weiß, dass der Weg schmal, und die Pforte eng ist, die zum Leben führt; er weiß, dass Gott über die Sünde eifert und allem gottlosen Wesen von Herzen feind ist und es hart straft; er weiß, was eine unsterbliche Seele für ein herrliches Kleinod, und wie schrecklich es ist, wenn dieselbe soll ewig verloren gehen; - darum heißt es bei ihm: der Eifer um dein Haus, um deine Ehre, um deine Kirche mein Gott hat mich verzehrt!
Wie ein Christ nun gegen die Feinde Gottes betet, so lässt er aber auch seine Fürbitte kund werden für die Freunde Gottes und spricht mit David: Lass sich freuen alle, die auf dich trauen. Ewiglich lass sie rühmen, denn du beschirmst mich! Fröhlich lass sein in dir, die deinen Namen lieben!
Heil Allen, die gern und fleißig vor Gott treten, und im Geiste und in der Wahrheit zu ihm beten! Gott erhört sie von seinem heiligen Tempel. Kaum hatte David gebetet, so war schon des Gebets Erhörung da; sein Glaube war so kräftig geworden, dass er ausrief: Du, Herr, segnest die Gerechten, du krönst sie mit Gnade, wie mit einem Schilde. Das Gebet überwindet die Welt! Die Weltkinder waffnen sich mit Helm und Schild und Schwert, die Kinder Gottes aber mit Tränen, Seufzen und Beten! Durch das Gebet hat David einen Saul und andere Feinde überwunden, durch Gebet und Seufzen hat Moses einen Pharao mit aller seiner Macht in das Meer gestürzt; durch das Gebet hat Hiskias einen Sanherib mit seinem Kriegsheere geschlagen; durch das Gebet haben Ester und Mordochai einen Hamman überwältigt; durch das Gebet wurde Paulus sicher in allen Fährlichkeiten, stark in aller Schwachheit und freudig in aller Trübsal. Das Gebet ist der Schlüssel zum Himmel; es ist die Münze, die im Himmel gilt, und mit der man alles erlangen kann, was man mit allen Schätzen der Erde nicht zu erwerben im Stande ist! Der ist nicht arm, der beten kann! O seht zu, dass ihr rechte Beter werdet, dann wird Gott aus seinem Vaterherzen euch darreichen Gnade um Gnade, und Segen um Segen, und ihr werdet mit David freudig sprechen: Du, Herr, segnest die Gerechten, du krönst sie mit Gnade, wie mit einem Schilde!
Amen.
Wo soll ich hin? Wer hilfet mir?
Wer führet mich zum Leben?
Zu Keinem, Herr, als nur zu dir,
Will ich mich hinbegeben!
Du Bist, der das Verlorne sucht!
Du segnest das, so war verflucht!
Hilf, Jesu! dem Elenden!
Amen.