Spurgeon, Charles Haddon - Worte der Weisheit für das tägliche Leben - Der Mann mit dem geteilten Herzen
oder: Lord Byrons Statue
„Ich habe gesündigt,“ sprach Bileam und fuhr hierbei in seiner Sünde fort, so dass er dadurch zu einem der seltsamsten Charaktere ward, und ich oft mit Verwunderung über ihn nachgedacht habe. Auf ihn scheint das Verschen von R. Erskine zu passen:
„Zum Guten und Bösen in einem vereinigt,
Scheint er ein Teufel, und dann doch geheiligt.“
Bileam redet das eine Mal so mächtig und so wahr, wie es kräftiger wohl nicht geschehen kann, und nachher sehen wir ihn bei all diesen Reden so gemein, so verführerisch für das Böse auftreten, dass nichts Niedrigeres zu denken ist. Stellt euch einmal vor, ihr sähet den Bileam vor euren Augen, wie er oben auf der Spitze eines Berges steht, an dessen Fuß Israel in Heereshaufen gelagert ist. Man hat ihn gebeten, diese Heereshaufen mit dem Fluche zu belegen, und so ruft er wie aus zerrissenem Herzen heraus: „Wie soll ich fluchen, dem der Herr nicht flucht?“ worauf ihm Gott die Augen so weit öffnet, dass er sogar das Kommen Christi im voraus erschaut und dass er nun ausruft: „Ich werde Ihn sehen, aber jetzt nicht; ich werde Ihn schauen, aber nicht von nahe!“ und dann brechen die Worte der Weissagung hervor, welche mit dem Satz schließen: „Meine Seele müsse sterben des Todes der Gerechten, und mein Ende werde, wie dieser Ende!“ Wenn wir dieses vernehmen, dann müssen wir doch denken, wir hätten einen Menschen vor uns, dessen Charakter zu den besten Hoffnungen berechtigte, aber wartet nur, bis er von dem Hügel herab gestiegen sein wird, und ihr werdet sehen, wie er dem moabitischen König einen Rat erteilt, der so teuflisch ist, wie ihn Satan selber nur zu geben vermag: „Du kannst dies Volk in der Schlacht nicht überwinden,“ spricht er zu dem moabitischen König, „denn Gott ist mit ihm, und so suche es von seinem Gott abzuwenden.“ Wer die Bibel kennt, der wird wissen, wie die Moabiter es nun versuchten, die Kinder Israel durch fleischliche Lüste aus der Verbindung mit Jehovah zu reißen, so dass uns dieser Ratgeber, nachdem er uns vorher als ein Engel des Lichts erschien, jetzt durch seine Handlungsweise seine teuflische Seele offenbart. Das ist ein gräulicher Charakter, der mit zwei Sachen zugleich halten will, der zwei Wege einschlägt, deren Ziele doch himmelweit voneinander entfernt sind. Die Schrift sagt, dass niemand zwei Herren dienen kann, und das ist wahr, wiewohl das Wort von manchen ganz missverstanden wird, und sie es so lesen, als ob es unmöglich wäre, zwei oder drei Herren dienstbar zu werden. Dem ist aber nicht so! Wir können sehr wohl zwei Herren dienen, aber Sie können nicht alle beide unsre Herren sein. Ein Mensch kann seine Dienste zwei andren zur Verfügung stellen, oder ebenso gut auch zwanzig andren; ja, er kann sein Leben für zwanzig verschiedene Sachen verwenden, und doch kann in seinem Herzen und in seiner Seele nur ein einziger sein Herr sein. Bileam bemühte sich jedoch, zwei Herren zu haben, und so glich er dem Volke, von dem es heißt: „Sie fürchten den Herrn und dienen andren Göttern.“ Dieser Bileam ist auch unsrem. alten König Rufus ähnlich, welcher auf die eine Seite seines Schildes Gott den Herrn schrieb, und auf die andre Seite den Teufel malte, und dann das elende Motto darunter setzte:
„Geschickt für beide,
Gewinne, was du kannst!“
Ja, es gibt viele solche, welche fertig für beide sind! O, wie sie so fromm und heilig aussehen, wenn sie dem Herrn begegnen! Wie sie so respektabel und christlich am Sonntag einhergehen, als gäbe es keine gläubigeren Leute wie sie! Und es ist sogar möglich, dass sie es in ihrer Wohnung zu einem religiösen Gespräche bringen; allein nach alledem kommt der Wochentag, und in diesen heiligen Leuten entdeckt ihr nun die listigsten Betrüger. Darum versichere ich euch, dass kein Sündenbekenntnis und keine Heiligkeit irgend etwas zu bedeuten hat, wenn beides nicht aus einem ungeteilten, aufrichtigen Herzen entspringt. Es nützt dir nichts, wenn du sprichst: „Ich habe gesündigt,“ sofern du dabei fortfährst zu sündigen! Da sprichst du: „Ich bin ein Sünder,“ und schaust dabei so rein, so demütig wie die Buße selbst, aber du gehst hinweg, um in den alten Wegen der Sünde zu beharren, und so wird ein doppeltes „Wehe“ dich treffen. Einige Leute scheinen mit zwei Charakteren geboren zu sein, und hierbei fällt mir eine Statue unsres berühmten Byron ein, die ich einmal in Cambridge sah. Es ist ein schönes Kunstwerk, und als ich sie bewundernd betrachtete, forderte mich der Kastellan auf, an eine besondere Stelle neben ihn zu treten und die feingemeißelten Züge von hier aus anzublicken. Ich tat es und musste verwundert rufen: „O, welch feine, intelligente Züge, welch großer Genius war er doch!“ Der Kastellan schwieg hierauf, führte mich aber zur andren Stelle und sprach dann kurz: „Blicken Sie nun von dieser Seite noch einmal hin,“ und entsetzt rief ich nun: „O, welch ein schrecklicher Dämon! Das ist der Mann der die Gottheit herausfordern konnte!“ Solch finsterer, lauernder Seitenblick - so etwas Abstoßendes in diesem Gesichte, dass Miltons Beschreibung darauf passt, mit der er den Satan malt: „Lieber in der Hölle herrschen, als in dem Himmel dienen!“ Ich wandte mich ab und fragte den Kastellan: „Glauben Sie, dass der Künstler dies mit Absicht so darstellte?“ worauf er entgegnete: „Das ist ganz gewiss, denn er wollte die beiden Charaktere vor Augen stellen; den großen, erhabenen Genius, der ihn beseelte, und dann die ganze Sündenmasse, die er in seiner Seele barg.“ O ja, es gibt solche Menschen! Wie Bileam überwältigen sie durch ihre süßen Worte, durch die Gewalt ihrer herrlichen Reden, und dabei sind sie so begabt, dass sie wohl Wunder verrichten können; und dennoch verspürt man im nahen Verkehr eine Macht der Sünde in ihrem Wesen, die nicht minder groß ist, als diejenige, die uns als Lichtseite an ihnen erscheint. Bileam opferte, wie ihr wisst, seine Opfer auf Baals Altar, so dass diese Handlungsweise sein ganzes Wesen so recht offenbarte, und ich sage es nochmals: „Es gibt viele, die es ebenso machen.“ Auf dem Altare Mammons legen sie ihre Opfer nieder. Sie spenden ihre Gabe für Kirchenbauten und geben den Armen mit einer Hand, während sie dieselben mit der andern bedrücken, den Witwen das Blut aussaugen und den Lohn der Arbeiter verkürzen, um sich Schätze zu sammeln. Ach, es ist umsonst, dass ihr sprecht: „Ich habe gesündigt!“ wenn die Worte nicht aus aufrichtigem Herzen kommen. Das Bekenntnis des doppelherzigen Menschen hat gar keinen Wert!