Spurgeon, Charles Haddon - Tröstet mein Volk - Eine Predigt für die unglücklichsten der Menschen.
(Gehalten am 31. Januar 1869.)
„Meine Seele will sich nicht trösten lassen.“ Ps. 77, 3.
In dieser Abweisung des Trostes ist David nicht nachahmungswürdig. Seine Gemütsstimmung bei dieser Gelegenheit soll uns eher zur Warnung als zum Beispiel dienen. Hier ist keine Rechtfertigung für diejenigen Christen, welche, wenn sie den Verlust ihrer Lieben oder ihrer zeitlichen Güter erleiden, sich bitterlich grämen und jeden tröstlichen Gedanken von sich weisen. Wir haben Leute gekannt, welche die Trauer um Abgeschiedene zum Hauptgeschäft ihres Lebens machten, Jahre lang noch, nachdem der teure Verwandte in die Ruhe eingegangen war. Gleich den Heiden verehren sie die Geister der Toten. Der Leidende hat ein Recht zu trauern, ein Recht, welches Jesus Christus besiegelt hat, denn „Jesu gingen die Augen über,“ aber dies Recht wird so missbraucht, dass es ein Unrecht wird, wenn der lang genährte Schmerz die Lebensquellen des Herzens vergiftet und den Weinenden für die Pflichten des täglichen Lebens untüchtig macht. Es gibt ein „Bis hierher,“ über das hinaus die Fluten des Kummers nicht gehen dürfen. „Was,“ sagte der Quäker zu einer Frau, welche die Trauerkleider viele Jahre nach dem Tode ihres Kindes trug und behauptete, dass sie einen Schlag erlitten, von dem sie sich nie wieder erholen würde, „was, Freundin, hast du Gott noch nicht vergeben?“ Viel unheilige Empörung gegen den Höchsten findet sich als Bodensatz in den meisten Tränenflaschen. Düsterer Gram und langes Klagen deuten auf Abgötterei im Herzen. Gewiss, der geliebte Gegenstand muss auf jenen Thron des Herzens, der allein dem Herrn gebührt, gesetzt worden sein, sonst würde seine Hinwegnahme, ob sie auch bitteren Schmerz verursachte, doch nicht einen solchen Mangel an Ergebung zu Tage treten lassen. Sollte es nicht das Bestreben der Kinder Gottes sein, übermäßigen und lang anhaltenden Gram zu meiden, weil er so nahe an die zwei tödlichen Sünden der Empörung und der Abgötterei grenzt? Der Schmerz verdient Teilnahme, aber, wenn er aus Mangel an Ergebung entspringt, verdient er Tadel und noch mehr. Wenn Gläubige sich nicht trösten lassen wollen, so handeln sie, wie Weltmenschen es mit einiger Entschuldigung könnten, denn wenn Ungläubige irdische Freuden verlieren, so verlieren sie ihr Alles; aber wenn der Christ sich grämt und seufzt in untröstlichem Schmerz über den Verlust irgend eines erschaffenen Gutes, so straft er sein Bekenntnis Lügen und entehrt seinen Namen. Er glaubt, dass der Herr sein Leiden gesandt hat, er nennt Gott seinen Vater, er weiß, dass alle Dinge zum Besten dienen, er ist überzeugt, dass eine ewige und über alle Maßen wichtige Herrlichkeit für ihn geschafft wird, wie kann er dann in düsterem Schweigen niedersitzen und sagen: „Ich will mich nicht trösten lassen!“ Gewiss, dann sind die Wahrheiten, welche er zu glauben behauptet, niemals in seine Seele eingedrungen; er wird bloß ein spekulativer Theoretiker sein und kein aufrichtiger Gläubiger. Geliebte, Schande über uns, wenn wir mit einem solchen Glauben, wie der unsrige es ist, uns nicht als Männer beweisen. Wenn der Schmelzofen heiß ist, so lasst unsern Glauben stark sein; wenn die Bürde schwer ist, so lasst unsre Geduld ausdauernd sein. Lasst uns zugestehen, dass er, der geliehen, ein Recht hat, das Seine wieder zu fordern; und wie wir die gebende Hand lobten, lasst uns auch die nehmende loben. Zu allen Zeiten lasst uns den Herrn, unsern Gott, preisen. „Ob er uns tötete, wollen wir ihm vertrauen.“ (Hiob 13, 15 n. d. engl. Üb.); wie viel mehr noch wollen wir ihn loben, wenn er nur die Rute gebraucht.
Unser Text kann indes sehr passend auf Menschen angewandt werden, die, obwohl frei von äußern Trübsalen, doch an tiefer Niedergeschlagenheit des Geistes leiden. Es gibt Zeiten für die fröhlichsten Christen, wo sie kaum die Tränen hinwegwischen können. Starker Glaube und freudige Hoffnung sinken zuweilen zu einer Furchtsamkeit herab, die kaum noch einen Funken von Hoffnung und Glauben in der Seele lebendig zu erhalten vermag; ja, ich denke, je freudiger ein Mensch zu einer Zeit ist, desto trauriger wird er zu einer andern sein. Die, welche am höchsten hinaufsteigen, sinken am tiefsten herab. Es gibt kaltblütige Individuen, welche sich weder freuen mit unaussprechlicher Freude, noch seufzen vor unsagbarem Schmerz; aber andere von erregbarerem Temperament, erhabener Freuden fähig, sind auch entsetzlicher Mutlosigkeit unterworfen, und gerade weil sie in Verzückung in die Perlentore hineingeschaut haben, gehen sie auch leicht hinab in das Land des Todesschattens und stehen zitternd am Rand der Hölle. Ich kenne dies, ach! nur zu gut. In dunklen Zeiten, wo die Seele ganz niedergedrückt ist, da ist es unsere Pflicht, die Verheißung zu ergreifen und uns in dem Herrn zu freuen; aber es ist nicht leicht, dies zu tun. Die Pflicht ist unbestreitbar, aber die Erfüllung derselben unmöglich. Vergeblich ist für uns in solchen Zeiten der Stern der Verheißung und die Kerze der Erfahrung; die Finsternis, die „man greifen mag,“ scheint alle freundlichen Lichter zu ersticken. Barnabas, der Sohn des Trostes, würde es schwer finden, die Opfer der Schwermut zu erheitern, wenn sie ihre Anfälle haben. Das Freudenöl wird vergeblich auf jene Häupter ausgegossen, auf denen der Staub und die Asche des Trübsinnes liegt. Brüder, zu solchen Zeiten sollten die Unglücklichen weislich erwägen, ob ihr zerrütteter Geist nicht Ruhe von der Arbeit haben müsse. In unsern Tagen, wo jeder mit dem Kurierzug reist und wie eine Dampfmaschine arbeitet, ist die geistige Aufreibung furchtbar, und der Rat des großen Meisters an die Jünger, in die Wüste zu gehen und ein wenig zu ruhen, ist voll Weisheit. Wohlan, ihr Söhne der Traurigkeit, geht eine Zeit lang von eurem gewöhnlichen Beruf weg, wenn ihr es könnt, und genießt etwas Ruhe und Stille; und vor allem, entflieht euren Sorgen, indem ihr sie auf Gott werft. Möge keiner von uns sich einer reizbaren, klagenden, traurigen Stimmung überlassen. Das Sich-Hingeben ist das Hauptunheil, denn nur, wenn wir dem Teufel widerstehen, flieht er von uns.
Meine Hauptabsicht ist heute Morgen, mit jenen Traurigen zu reden, welche Christum suchen, aber ihn bis jetzt vergeblich gesucht haben. Überführt von der Sünde, erweckt und erschreckt, weilen diese Unglücklichen lange draußen vor der Gnadenpforte, zittern in der Kälte, sehnen sich, hineinzugehen zu dem Feste, aber weigern sich dennoch, durch die weit offene Pforte einzutreten.
I. Über diesen beklagenswerten Herzenszustand, der sich leider noch so häufig findet, wollen wir zuerst bemerken, dass er sehr sonderbar ist.
Es ist etwas sehr Überraschendes, dass es Leute gibt, welche die reichste Tröstung nahe bei der Hand haben und sie dennoch nicht nehmen wollen. Es scheint so unnatürlich, dass wir es für unmöglich halten würden, wenn wir nicht durch reichliche Beobachtungen davon überzeugt wären. Das Abweisen des Trostes ist um so sonderbarer, weil der herrlichste Trost zu erreichen ist. Die Sünde kann vergeben werden; die Sünde ist vergeben worden; Christus hat eine Sühne für sie dargebracht. Gott ist willig, jeden Sünder anzunehmen, der zu ihm kommt, seine Übertretungen bekennt und auf das Blut Jesu vertraut. Er ist nicht hart, nicht rau, sondern voll Barmherzigkeit. Es ist so viel Trost in dem Worte Gottes, dass es ebenso leicht wäre, die Himmel droben zu messen oder die Grenzen des Raumes zu ziehen, als die Gnade zu messen, die in seinem Worte geoffenbart ist. Ihr mögt versuchen, alle Süßigkeit der göttlichen Liebe zu begreifen, aber ihr könnt es nicht, denn sie übertrifft alle Erkenntnis. Vor einigen Jahren segelte ein Schiff an der Nordküste Südamerikas und zog Notsignale auf, als ein anderes Schiff vorüberfuhr und die Leute riefen: „Wir sterben aus Mangel an Wasser.“ „Zieht es hinauf,“ war die Antwort, „ihr seid in der Mündung des Amazonenstroms.“ Es war Süßwasser rund um sie her, sie hatten nichts zu tun, als es hinaufzuziehen, und doch starben sie fast vor Durst, weil sie glaubten, von Salzwasser umgeben zu sein. Wie oft kennen die Menschen ihre Güter nicht! Wie traurig, dass sie aus Mangel an Kenntnis umkommen!
Aber gesetzt, jene Seeleute hätten sich, nachdem sie die frohe Nachricht empfangen, noch geweigert, das Wasser hinaufzuziehen, das in solcher Fülle um sie her war, wäre das nicht verwunderlich gewesen? Hättet ihr nicht sofort den Schluss gezogen, dass Wahnsinn den Kapitän und die Mannschaft ergriffen hätte? Aber so groß ist der Wahnsinn vieler, die das Evangelium hören und wissen, dass es Gnade für Sünder gibt, dass sie, wofern der heilige Geist nicht dazwischen tritt, ins Verderben gehen werden, nicht aus Unkenntnis, sondern weil sie, wie die Juden vorzeiten, sich des ewigen Lebens nicht wert achten. Dies ist um so merkwürdiger, weil der dargebotene Trost ein so sicherer ist. Wäre Verdacht da, dass die Tröstungen des Evangeliums sich als Täuschung erweisen würden, so wäre es vernünftig, davor zurückzuschrecken wie vor einem Giftbecher; aber viele haben von diesem Leben gebenden Strom getrunken und alle sind ewig gesegnet worden. Außerdem ist der Trost sehr passend, völlig angemessen für die Sündigen, Schwachen und für die, welche gebrochenen Herzens sind. Das Evangelium trägt einen Balsam in der Hand, welcher sich für den Sünder in seinem schlimmsten Zustande eignet, wenn nichts Gutes an ihm ist und nichts in ihm, was irgend einen Grund der Hoffnung abgeben könnte. Sind nicht die Einladungen des Evangeliums die freundlichsten, zärtlichsten, anziehendsten, die an die schlimmsten Sünder nur gerichtet werden können? „Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser; und die ihr nicht Geld habt, kommt her, kauft und esst; kommt her und kauft ohne Geld und umsonst, beides, Wein und Milch.“ „Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter seine Gedanken und bekehre sich zum Herrn, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung.“ Keine guten Eigenschaften werden von den Eingeladenen verlangt, sondern die Gottlosen werden geheißen zu kommen, und den Übeltätern wird befohlen, sich zum Herrn zu kehren. Nicht, weil wir gut sind, sondern weil der Herr gnädig ist, wird uns geboten, an die unendliche Gnade Gottes in Christo Jesu zu glauben und so Trost zu empfangen. Seltsam, dass wo der Trost so reichlich ist, so sicher, so angemessen, es doch Tausende von Seelen gibt, die sich nicht trösten lassen wollen.
Dies ist um so merkwürdiger, weil diese Menschen sehr des Trostes bedürfen, und nach dem, was sie sagen, und ich denke auch, nach dem, was sie fühlen, sollte man meinen, Trost wäre gerade das, wonach sie greifen würden, wie der Ertrinkende nach einem Tau. Sie schlafen kaum bei Nacht vor Furcht und Angst. Bei Tage verrät ihr Antlitz den Schmerz, welcher gleich einem stürmischen Meer in ihrem Innern tobt. Sie können kaum ein heiteres Wort sprechen. Sie machen ihre Hausgenossen elend und stecken andere mit ihrem Kummer an. Man sollte denken, dass sie in dem Augenblick, wo das Wort „Hoffnung“ ihnen ins Ohr geflüstert würde, sofort danach greifen würden; aber es ist nicht so. In welcher Form ihr das Evangelium auch bringt, diese armen Seelen, die eures Mitleids bedürfen, obwohl sie, wie ich glaube, auch euren Tadel haben müssen, wollen sich nicht trösten lassen. Obgleich die Speise ihnen vorgesetzt wird, so „ekelt ihnen vor aller Speise und sie werden todkrank,“ ja, ihr könnt die himmlische Stärkung ihnen sogar in den Mund geben, sie wollen doch die geistliche Nahrung nicht nehmen; sie verschmachten lieber vor Hunger, als dass sie von dem genießen, was die göttliche Liebe für sie bereitet.
Brauche ich weiter über diese seltsame Betörung zu reden? Es ist eine Ungeheuerlichkeit, die ihres Gleichen in der Natur nicht hat. Als die Taube müde war, gedachte sie an die Arche und flog sogleich in Noahs Hand; diese sind müde, und sie kennen die Arche, aber sie wollen nicht dahin fliegen. Wenn ein Israelite unversehens einen andern totgeschlagen, so kannte er die Freistadt und floh dahin; aber diese kennen die Freistadt und kommen nicht dahin, um Errettung zu finden. Die obdachlos umherirrenden Kinder Londons finden die Zufluchtsstätten und bitten um Schutz; sie sammeln sich um die Türen der Arbeitshäuser, wie Sperlinge unter den Dächern der Gebäude an einem Regentage; sie bitten kläglich um Obdach und um eine Brotrinde; aber viele umnachtete Seelen wollen nicht kommen, wenn das Haus der Barmherzigkeit hell strahlt und in großen Buchstaben darüber steht: „Wer da will, der komme.“ Es ist seltsam, sehr seltsam!
II. In diesem sonderbaren Wahn ist eine Methode, und er kann auf verschiedene Weise erklärt werden.
Bei vielen ist körperliche und geistige Krankheit die Ursache, weshalb sie sich nicht trösten lassen wollen. Es ist vergeblich, mit Schriftbeweisen denen zuzusetzen, die viel dringender einer heilenden Arznei oder kräftiger Diät oder einer Luftveränderung bedürfen. Es ist eine so enge Verbindung zwischen der Sphäre des Arztes und des Predigers, dass sie gut tun, zusammen auf die Jagd zu gehen, wenn sie die Wahngebilde Kranker verfolgen; und ich bin überzeugt, es gibt nicht wenige Fälle, wo des Predigers Gegenwart wenig nützt, wenn nicht der Arzt zuerst weislich das Seine getan hat. Ich werde indes heute Morgen nicht weiter von diesen reden, sondern von denen, bei welchen der Grund, weshalb sie sich nicht trösten lassen wollen, mehr in geistiger, als in leiblicher Krankheit liegt. Bei einigen rührt diese ungeheuerliche Zurückweisung des Trostes von einem stolzen Widerwillen gegen den Heilsplan her. Sie möchten getröstet werden, ja, das möchten sie, aber dürfen sie nicht etwas tun, um das ewige Leben zu verdienen? Dürfen sie nicht wenigstens ein Gefühl oder eine Gemütsbewegung dazu beitragen? Dürfen sie sich nicht vorbereiten für Christum? . Muss das Heil ganz gratis sein? Dürfen sie mit keinem andern Ruf nahen, als mit dem: „Gott sei mir Sünder gnädig?“ Muss es dahin kommen, dass jeder Lappen ihrer eigenen Gerechtigkeit, der des Gefühls sowohl wie der des Tuns hinweggerissen wird? Müssen sie bekennen, dass das ganze Haupt krank und das ganze Herz matt ist, und müssen sie ganz hilflos und vernichtet vor Jesu liegen und alles aus der Hand eines gekreuzigten Heilandes annehmen? Ah! dann, sagt Fleisch und Blut, will ich‘s nicht haben. Die Fahne des Ich wird von einem riesenhaften Bannerträger emporgehalten; sie flattert noch hoch, lange nachdem die Schlacht verloren ist. Aber was für eine Torheit! Fürwahr, um uns eine törichte Würde beizulegen, wollen wir uns nicht trösten lassen. O Mann, nieder mit dir und deiner Würde: ich bitte dich, beuge dich jetzt zu den Füßen Jesu und küsse die Füße, die für deine Sünden durchbohrt wurden. Wälze dich und deine Herrlichkeit im Staube. Nimm Christum als dein Alles in Allem, so wirst du noch heut Morgen Trost haben; lass deinen Stolz dich nicht zu einer neuen Zurückweisung verleiten, sondern unterwirf dich der unumschränkten Gnade.
Bei andern ist es nicht Stolz, sondern ein unheiliger Entschluss, eine Lieblingssünde zu behalten. In den meisten Fällen, wo der christliche Prediger eine Wunde zu heilen versucht, die lange geblutet hat, sondiert er mit seiner Lanzette und sondiert wieder und wundert sich, warum die Wunde nicht heilen will. Ihm scheint, dass alle Umstände für eine günstige Heilung sprechen und er begreift nicht, warum sie stets noch blutet, aber endlich findet er das Geheimnis heraus. „Ah, hier habe ich‘s: hier ist eine fremdartige Substanz, welche beständig die Wunde reibt und verschlimmert. Sie kann nicht heilen, so lange dieses Sündensteinchen noch darin ist.“ In einigen Fällen fanden wir, dass der Trauernde noch einem geheimen Laster frönte oder viel Umgang mit Gottlosen hatte, oder seine Pflicht gegen die Eltern nicht erfüllte oder nicht vergeben konnte oder träge war oder in jener hässlichen Sünde, dem heimlichen Trunke, lebte. Wenn ein Mensch in solchem Falle beschließt: Ich will diese Sünde nicht aufgeben, wundert ihr euch dann, dass er nicht getröstet wird? Wäre es nicht schrecklich, wenn er es würde? Wenn ein Mensch in seiner Seele eine ätzende Substanz hat und die Wunde nur oberflächlich mit einem Häutchen bedeckt wird, so wird eine tödliche Krankheit daraus entstehen: Töricht ist der in der Tat, der um einer erbärmlichen Sünde willen einer Sünde, die er selbst verachtet und die er nicht wagen würde, einem andern zu bekennen, fortfährt, Christum zu verwerfen. Darf ich solche bei der Hand nehmen und sagen: „Mein Bruder, meine Schwester, gib sie auf. O, um Gottes willen hasse das verfluchte Ding und komme jetzt mit mir! Bekenne sie Jesu, der alle deine Torheit vergeben und dich heut morgen annehmen will, so dass du nicht länger ungetröstet sein sollst.“
Einige wollen sich nicht trösten lassen, weil sie den hartnäckigen Vorsatz gefasst haben, sich nur auf die von ihnen selbst gewählte Art trösten zu lassen. Sie haben das Leben eines guten Mannes gelesen, der errettet ward und dabei eine ganz besondere Erfahrung hatte. „Nun,“ sagen sie, „wenn ich fühle wie dieser Mann, so will ich glauben, dass ich errettet bin.“ Viele haben sich Bunyans Erfahrung gewählt und sprechen: „Ich muss ebenso geführt werden wie John Bunyan, sonst will ich nicht glauben.“ Ein anderer sagt: „Ich muss den Pfad gehen, den John Newton ging - meine Füße müssen gerade in seine Fußstapfen treten, sonst kann ich nicht an Jesum Christum glauben.“ Aber, lieber Freund, was für einen Grund hast du, zu erwarten, dass Gott deinem Eigenwillen nachgeben wird, und was für ein Recht hast du, dem großen Arzt seine Heilmethode vorzuschreiben? O, wenn er mich nur zum Himmel bringt, will ich ihn preisen, ob er mich auch durch die Pforten der Hölle führte. Komm, lege dies törichte Wählen bei Seite und sprich: „Herr, habe nur Erbarmen mit mir, lasse mich nur auf deinen lieben Sohn vertrauen, so sollen meine Grillen und Einfälle aufgegeben werden.“
Ich fürchte, bei sehr vielen ist noch ein anderer Grund, weshalb sie sich nicht trösten lassen wollen, nämlich, Unglaube an die Liebe, Güte und Wahrhaftigkeit Gottes. Sie glauben nicht, dass Gott gnädig ist; sie halten ihn für einen Tyrannen oder wenigstens für so streng, dass ein Sünder manchen Tag bitten und flehen muss, ehe das strenge Herz Gottes gerührt wird. Aber ihr kennt nicht meinen Gott! Was ist er? Er ist Liebe. Ich sage, er braucht keine Überredung um Erbarmen zu haben, so wenig die Sonne Überredung braucht, um zu scheinen oder eine Quelle, um ihren Strom zu ergießen. Es ist Gottes Natur, gnädig zu sein. „So wahr, als ich lebe, spricht der Herr“ - hier schwört er einen Eid, und wollt ihr ihm nicht glauben? „So wahr als ich lebe, spricht der Herr Herr, ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern dass sich der Gottlose bekehre von seinem Wesen und lebe.“ Er scheint seine eignen Geschöpfe sogar zu bitten und zu flehen, dass sie zu ihm kommen. „Bekehrt euch, warum willst du also sterben, du Haus Israel?“ O, seid nicht länger ungläubig, sondern glaubt Gottes Wort und Eid und nehmt den Trost, den er euch anbietet.
Einige indes haben den Trost so lange abgewiesen, dass sie in die Gewohnheit des Verzweifelns hineingeraten sind. Ach, es ist eine gefährliche Gewohnheit, sie zittert am Rande der Hölle. Jeden Augenblick, in der ein Mensch sich ihr überlässt, wird er verhärteter darin. Sie ist wie die Kälte der Polarzone, die den Reisenden nach einer Weile betäubt, bis er nichts mehr fühlt, in Schlummer fällt und von da in den Tod. Einige haben verzweifelt und verzweifelt, bis sie Grund hatten zur Verzweiflung, und bis die Verzweiflung sie in die Hölle brachte. Die Verzweiflung hat einiger Menschen Herzen verhärtet, bis sie bereit waren, Sünden zu begehen, welche die Hoffnung unmöglich für sie gemacht hätten. Hütet euch davor, Verzagtheit zu nähren! Beschleicht sie euch heute durch den Unglauben? O, schüttelt sie ab, wenn möglich! Schreit zu dem heiligen Geist, dem Tröster, dass er euch von dieser Schlinge des Vogelstellers befreie; denn seid gewiss, Zweifel an Gott ist ein Nez des Satans und gesegnet ist der, welcher seinem Gewebe entgeht. Glauben an Gott stärkt die Seele und bringt uns beides, Heiligkeit und Glück, aber Misstrauen und Argwohn und Furcht verhärten das Herz und machen es immer weniger wahrscheinlich, dass wir zu Gott kommen werden. Hütet euch vor Verzweiflung, und mögt ihr, wenn ihr in diese böse Gewohnheit hineingeraten seid, herausgerissen werden wie ein Brand aus dem Feuer und von dem Herrn frei gemacht, der seinen Gefangenen löst.
III. Diese merkwürdige Torheit nimmt verschiedene Formen an.
Sollte ich ein Verzeichnis derjenigen Symptome dieser Krankheit geben, die ich gesehen habe, so würde ich nicht eine Stunde, sondern einen Monat brauchen, denn wie jeder Mensch etwas ihm Eigentümliches hat, so hat auch jede Form dieser Melancholie etwas Besonderes an sich. Man kann ebenso wohl den Sand am Meeresufer zählen, wie die Krankheiten der Seele. Aber gewisse Formen sind sehr gewöhnlich. Eine z. B. ist beharrliche, falsche Vorstellung vom Evangelium, als wenn es etwas Schweres von uns verlangte. Leute haben in diesen Stühlen jahrelang gesessen und haben uns sagen hören, und wissen aus dem Worte Gottes, dass es wahr ist, dass von dem Sünder nichts verlangt wird, als dass er dem von Christo vollbrachten Werke vertrauen soll, in der Tat, Christo vertrauen. Wir haben auf jede Weise, die uns nur möglich war, zu zeigen gesucht, dass der Sünder nichts zu tun und nichts zu sein braucht, sondern nur eben aus dem Wege zu gehen hat, und Christum und die Gnade Gottes alles sein zu lassen, wir haben versucht zu zeigen, was Christo vertrauen, auf ihn blicken, auf ihn uns verlassen, heißt und dass dies das Errettende ist; wir haben Bilder und Redefiguren in Menge gebraucht, um dies klar zu machen, und doch haben einige, sobald wir anfingen, mit ihnen zu sprechen, gesagt: „Aber mir ist bange, dass ich nie genügend das Übel der Sünde gefühlt habe.“ Sagten wir denn je, dass das Gefühl der Sünde das Errettende sei? Sagt nicht das Wort Gottes immer und immer wieder, dass Glauben die Seele errettet, und nicht Fühlen? Dennoch leugnen diese Menschen das Evangelium und richten ein andres auf, ein Evangelium des Fühlens statt des Vertrauens. „Ach,“ sagen sie dann, „ich habe so oft diese Wünsche gehabt und sie sind wieder vorübergegangen, und ich kann nicht erwarten, dass ich jetzt angenommen werde.“ Dies ist wieder eine andere Leugnung des Evangeliums. Sie verengen es, bis es lautet: „Ihr, die ihr niemals Wünsche vorher gehabt und sie unterdrückt habt, ihr mögt kommen,“ während das Evangelium sagt: „Wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ Ich kann euch nicht alle Wege angeben, auf denen sie dem Evangelio auszuweichen suchen, aber sicher wenden sie ebenso viel Scharfsinn auf, wie der feurigste Geist nur je gebraucht hat, um ein Land zu entdecken oder eine Krone zu gewinnen.
Eine andere Form dieser Krankheit ist die: Viele unterschätzen beständig die Kraft des teuren Blutes Christi. Allerdings würden sie nicht wagen, offen zu behaupten, dass Jesus nicht erretten oder sein Blut die Sünde nicht wegnehmen könne, aber in Wahrheit läuft es darauf hinaus. „O, ich bin ein solcher Sünder!“ Und was dann, wenn du es bist? Kam nicht Christus, um Sünder zu erretten? Was hat die Größe deiner Sünde damit zu tun? Du bist ein großer Sünder, aber ist nicht Christus ein noch größerer Heiland? Überragt nicht der Berg seiner Gnade weit die Hügel deiner Schuld? Ja, aber du meinst das nicht. Und darin beschränkst du die Kraft einer unendlichen Sühne und tust dem Blute Christi Unehre an. Einige sagen: „Aber ich habe die und die Sünde getan.“ Wie? Kann das Blut Jesu die nicht hinwegwaschen? „Alle Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben.“ Es gibt keine Sünde, die du begangen haben kannst, die Jesus nicht vergeben kann, wenn du kommen willst und ihm vertrauen, denn das Blut Jesu Christi macht uns rein von aller Sünde.“ Glaube mir, Sünder, obgleich deine Sünde an sich so ist, dass sie dich für alle Ewigkeit verdammen wird, ohne alle Hoffnung, obgleich sie so ist, dass deine Tränen, wenn sie auch für immer flössen, kein Teilchen davon hinwegwaschen könnten, so soll sie doch in einem Augenblick verschwinden, wenn du nur jetzt dem blutenden Heiland vertraust. Aber ich weiß, du wirst immer noch meinen Herrn verleumden und seinen Trost zurückweisen. Ich bitte ihn darum, dir dies Unrecht zu vergeben und dich durch seinen heiligen Geist dahin zu bringen, dass du glaubst und nicht mehr zweifelst.
Viele gießen ihre Zweifel in die Form törichter Schlüsse, die sie aus der Lehre von der Vorherbestimmung ziehen. Ich finde nicht, dass die Lehre von der Vorherbestimmung die Menschen traurig macht, ausgenommen in der Religion. Jedermann glaubt, dass es eine Vorherbestimmung gibt beim Werfen der Lose, und doch herrscht die Spiellust überall und die Leute beteiligen sich haufenweise an jenen öffentlichen Lotterien, die zu unserer Schmach noch immer in England geduldet werden. Sie wissen, dass nur zwei oder drei einen großen Preis gewinnen können, doch geht das Geld dahin, und niemand steht an der Tür des Büros und spricht: „Ich werde nicht mein Geld dafür ausgeben, denn, wenn ich eine Summe gewinnen soll, so werde ich sie gewinnen, und wenn ich sie nicht gewinnen soll, so werde ich sie nicht gewinnen.“ Die Menschen sind nicht solche Narren in Sachen des täglichen Lebens, wie sie es in der Religion sind. Diese Vorherbestimmung liegt vielen wie ein großer Stein des Anstoßes im Wege. In Wahrheit ist nichts in ihr, woran ein Mensch Anstoß nehmen kann; das Übel liegt in dem, was er daraus macht. Wenn ein Mann einen Hund schlagen will, sagt man, so kann er immer einen Stock finden; und wenn ein Mann Entschuldigungen finden will dafür, dass er nicht an Christum glaubt, so kann er stets die eine oder andere entdecken. So viele laufen zu dieser Vorherbestimmungslehre, weil es eine bequeme Zuflucht ist. Allerdings hat Gott ein Volk, das er erretten will, ein erwähltes und besonderes Volk, erlöst durch das Blut Christi; aber in dieser Lehre ist nichts, was der andern großen Wahrheit entgegensteht, dass, wer an Jesum glaubt, nicht gerichtet wird, ebenso wenig wie in der Tatsache, dass Abessinien in Afrika liegt, etwas ist, was der Lehre widerspricht, dass Hindostan in Asien liegt. Es sind zwei Wahrheiten, die zusammen stehen, und obgleich es nicht immer leicht für uns sein mag, sie zu vereinen, würde es doch noch schwieriger sein, sie in Widerspruch zu bringen. Mir scheint niemals eine praktische Schwierigkeit bei der Sache; die Schwierigkeit ist metaphysisch, und was haben verlorene Sünder mit der Metaphysik zu tun? Bestimmt ist jedes Ding, von der Bewegung eines Staubkorns im Sommerwind bis zum Drehen eines Planeten in seiner Bahn, und doch ist der Mensch so frei, als wenn es keinen Gott gäbe, und handelt so unabhängig, als wenn alles dem Zufall überlassen wäre. Ich sehe überall in Gottes Weltall unauslöschliche Merkzeichen der Vorherbestimmung sowohl wie des freien Willens. Warum tust du Fragen über deine Erwählung, wenn Gott sagt: „Wer da will.“ Es ist närrisch dazustehen und zu fragen, ob du verordnet bist, zu kommen, wenn die Einladung dich kommen heißt. Dort ist die Pforte des Hospitals für kranke Seelen, und darüber steht: „Wer da will, der komme,“ und du stehst davor und sagst: „Ich weiß nicht, ob ich verordnet bin, einzutreten.“ Da ist die Einladung, Mann! Warum bist du so wahnwitzig? Würdest du so reden, wenn freundliche Leute dich auf der Straße aufhöben und ins Hospital bringen wollten? Du weißt, es ist für Kranke und Verwundete gebaut, und wenn du hinein gebracht wirst, so siehst du, dass es für dich gebaut ist. Ich weiß nicht, wie du herausfinden kannst, ob du für das Hospital verordnet bist oder nicht, anders als dadurch, dass du hineingehst; und ich weiß nicht, wie du finden willst, dass du zur Seligkeit erwählt bist, anders als dadurch, dass du Christo vertraust, der dir verheißt, dass du alsdann errettet werden sollst. Ihr mögt lächeln, aber diese Dinge, die für einige für uns wie Spinngewebe sind, sind wie eiserne Netz für jene Verzagten, deren Seele sich nicht trösten lassen will.
Ich habe andere gekannt, und hiermit will ich die Liste schließen, die versucht haben, in dem Gedanken an die unvergebliche Sünde ein Loch zu finden, in dem sie ihre Augen vor dem tröstlichen Lichte verbergen können. Die größten Theologen, die über diese Sünde geschrieben, haben niemals etwas anderes von ihr beweisen können, als dass alle andern Theologen unrecht gehabt. Was immer die unvergebliche Sünde sein mag, und vielleicht ist sie bei jedem verschieden vielleicht ist sie bei jedem ein Punkt der Sünde, ein Vollmachen seines Maßes, über das hinaus keine Hoffnung der Gnade mehr ist - was immer sie ist, eins ist gewiss, dass kein Mensch, der fühlt, dass er Christum nötig hat und aufrichtig wünscht, errettet zu werden, diese Sünde begangen haben kann. Wenn du diese Sünde begangen hättest, so würde sie dein Tod sein. Es ist eine Sünde zum Tode. Nun; der Tod macht dem Fühlen ein Ende. Du würdest in Herzenshärtigkeit und Unbußfertigkeit dahin gegeben sein. Der Grund, warum du nicht errettet werden könntest, würde der sein, dass dein Wille wider alles Gute gerichtet wäre und du niemals errettet werden wolltest. Denn es ist keine Schwierigkeit bei der Errettung, wenn der Wille recht ist; und wenn du einen Willen hast, und Gott dich willig gemacht hat, zu Christo zu kommen, um errettet zu werden, so hast du die unvergebliche Sünde ebenso wenig begangen, wie der Engel Gabriel, der vor Gott steht. Wenn dein Herz noch vor Furcht schlägt, wenn deine Seele noch vor dem Gesetz Gottes zittert und seinen Zorn fürchtet, dann bist du noch innerhalb der Grenzen der Barmherzigkeit, und die silberne Posaune erschallt heute Morgen lieblich und laut: Wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ Glaube an den Herrn Jesum Christum, so wirst du selig.“
IV. Wir wollen den traurigen Katalog nicht fortsetzen, sondern uns zu einer vierten Betrachtung wenden, nämlich, dass diese Weigerung, sich trösten zu lassen, viel Unrecht enthält.
Vieles davon können wir leicht vergeben; doch müssen wir es erwähnen. Wenn du das Evangelium hörst und dich nicht trösten lassen willst, so wird dem Prediger Gottes ein Unrecht getan. Er fühlt mit dir, er wünscht dich zu trösten und es betrübt ihn, wenn er dir den Kelch des Heils vorhält und du ihn nicht nehmen willst. Ich sage freilich nicht, dass wir als Privatpersonen irgend welch großen Respekt von euch beanspruchen, aber ich sage, dass die Zurückweisung des Botschafters Gottes keine leichte Sünde sein mag; und wenn du daran schuld bist, dass der Mann, den Gott sendet, dir Worte der Barmherzigkeit zu verkünden, wieder und immer wieder schweren Herzens heimgeht und auf die Knie fällt, mag das eine Sünde sein, die dich noch in künftigen Jahren quälen kann, falls sie nicht bereut wird.
Aber noch schlimmer, du tust dem Evangelium Gottes ein Unrecht an. Jedes Mal, wenn du den Trost zurückweist, ist es, als wenn du sprächest: „Das Evangelium ist mir nichts nütze; ich achte es nicht; ich will es nicht haben.“ Du tust dieser teuren Bibel ein Unrecht. Sie ist voll tröstlicher Verheißungen, aber du liest sie und scheinst zu sagen: „Es ist alles Spreu.“ Du handelst, als wenn du sie gesichtet hättest und keine Nahrung darin gefunden. Sie ist eine unfruchtbare Wüste für dich. O, aber die Bibel verdient nicht, dass ein solcher Flecken auf sie geworfen wird.
Du tust den Freunden ein Unrecht, welche dich zu trösten versuchen. Warum willst du sie hinwegstoßen, wenn sie mit liebevoller Hand dir Trostesworte bringen?
Vor allem, du tust deinem Gott, Jesu und dem heiligen Geist ein Unrecht an. Die Kreuzigung Christi wird wiederholt durch deine Verwerfung Christi. Dieser unfreundliche, unedle Gedanke, dass er nicht willig sei, zu vergeben, kreuzigt ihn von neuem. Betrübe nicht den heiligen Geist; er ist der Geist des Trostes, und wenn du den Trost abweisest, so verwirfst du ihn, verwirfst ihn zu deiner Schande.
Denkt auch daran, liebe Freunde, dass es sehr Unrecht ist, wenn ihr euch nicht trösten lassen wollt, weil es der Kirche das entzieht, was ihr für sie tun könntet. O, wenn du eine freudige Christin würdest, was für eine Mutter in Israel könntest du sein. Ich meine, ich höre dich singen, wie die Jungfrau vor Alters: „Er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen!“ „Wie würdest du mit Hanna dich freuen:“ Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staube und erhöht den Armen aus dem Kot, dass er ihn setze unter die Fürsten.“
Die Welt welch' ein Unrecht tut ihr der! Der Teil der Welt, welcher unter euren Einfluss kommt, wird sagen: „Die Religion macht jene Frau elend: es ist die Religion, welche diesen Mann so traurig macht.“ Ihr wisst, es ist nicht so. Aber sie werden die Schuld darauf schieben und sprechen: „Die Religion macht die Leute wahnwitzig.“ Ich wollte lieber diese rechte Hand verlieren und dieses rechte Auge dazu, als dergleichen von meiner Religion sagen lassen. Ich kann nicht ertragen, wenn ich irgend etwas Unrechtes tue, dass die Leute sagen: „Das ist dein Christentum.“ Wenn sie mich tadeln, der es so reichlich verdient, dann lasst mich es tragen; aber dass sie das Kreuz Christi tadeln - davor sollte uns schaudern.
V. Ich will mit der Bemerkung schließen, dass ihr auf solcher Weigerung nicht beharren solltet.
Es ist unvernünftig, traurig zu sein, wenn ihr euch freuen könntet; es ist unvernünftig, elend zu sein, wenn die Barmherzigkeit alles bereitet hat, um euch glücklich zu machen. Warum bist du so traurig und warum ist dein Antlitz so niedergeschlagen? Wenn es keinen Heiland gäbe, keinen heiligen Geist, keinen Vater, der willig zum Vergeben ist, so möchtest du hingehen und deinem Dasein in Verzweiflung ein Ende machen; aber da alle diese Gnade für dich bereit ist, warum sie nicht nehmen? Man sollte denken, du wärst wie Tantalus, der bis an den Hals im Wasser stand, das, wenn er trinken wollte, von seinen Lippen zurückwich; aber du bist nicht in solcher Lage. Das Wasser, statt von dir wegzufließen, kommt hinauf an deine Lippen gerieselt und ladet dich ein, nur deinen Mund zu öffnen und es aufzunehmen.
Es ist nicht nur unvernünftig, in solcher Weigerung zu beharren, sondern auch sehr schwächend für dich. Jede Stunde, in der du in deiner Traurigkeit bleibst, macht es schwerer für dich, herauszukommen. Du schwächst sogar die Kraft deines Körpers; und was deine Seele anlangt, so werden ihre Pfeiler erschüttert.
Und merkt euch, es ist auch sehr gefährlich; denn es mag sein - o, ich bitte Gott, es möge nicht sein! - es mag sein, dass Gott, der dir Licht gibt, wenn er sieht, dass du deine Augen wieder verschließt, sprechen wird: „Lass seine Sonne in Finsternis verkehrt werden und seinen Mond in Blut. Das Geschöpf, welches ich für das Licht machte, verwirft es, und kein Licht soll je wieder zu ihm kommen, in alle Ewigkeit.“ Der König, welcher die Ochsen schlachtet und das Fest bereitet und dich an den Tisch bringt, mag, wenn du dich weigerst zu essen, in seinem Zorne schwören, dass du nicht sein Abendmahl schmecken sollst. O, bei dem Blute und den Wunden Jesu, bei dem überfließenden Herzen Gottes, bei den ewigen Verheißungen der Gnade, bei dem Bunde, den Gott mit den Sündern in seinem Sohne gemacht hat, bei dem heiligen Geist, dem Tröster, weiset den Trost nicht ab, den Gott bereitet; sagt nicht länger: „Meine Seele will sich nicht trösten lassen,“ sondern werft euch zu Jesu Füßen und vertrauet ihm, so seid ihr errettet. Gott segne euch und erhöre dieses Gebet um Jesu willen.
Amen.