Spurgeon, Charles Haddon - Bochim oder: die Weinenden.
“Und da der Engel des Herrn solche Worte geredet hatte zu allen Kindern Israels, hob das Volk seine Stimme auf und weinte. Und hießen die Stätte Bochim, und opferten daselbst dem Herrn.“
Richt. 2, 4. 5.
Lasst mich euch einen Umriss des Kapitels geben, damit wir den Text in seine richtige Einfassung bringen. Gott hatte sein Volk aus Ägypten gebracht und den Jordan geteilt, damit sie trocknen Fußes in das Land ziehen könnten, das Er ihren Vätern verheißen hatte. Er gebot ihnen, die Kanaaniter auszutreiben, eine Rasse, die so ekelhaft in Gottes Augen geworden war, dass Er ihre Vernichtung beschloss und die Stämme Israels zu Vollstreckern seines Urteils bestimmte. Es war zum Besten der ganzen Welt, dass dieses Pesthaus abgebrochen und die verderbten Rassen vernichtet wurden; und Gott gab seinem Volk den Auftrag, dies auszuführen. Diejenigen, welche diese Anordnung tadeln, sollten sich daran erinnern, dass dies nicht das einzige Beispiel ist, wo die Ureinwohner durch eine höhere Rasse ausgetrieben worden sind. Unsere angelsächsische Nation trieb die ursprünglichen Bewohner dieser Insel aus, die nur in den Gebirgen von Wales und Cornwall und in den Hochländern Schottlands übrigblieben. Es wird sicherlich nicht weise von uns als Angelsachsen sein, Israel zu verurteilen, weil es auf göttlichen Befehl das tat, was unsere Vorfahren zu ihrer eigenen Vergrößerung taten. Ach, in neueren Zeiten hat der weiße Mann Länder in Besitz genommen und Völker vertilgt ohne göttliche Vollmacht und ohne vernünftige Entschuldigung. Wir rechtfertigen dies alles nicht; aber wenn man über Israel klagt, weil es der göttlichen Stimme gehorchte, so möge man erst seine Stimme gegen das Austreiben der alten Rassen durch Kolonisten unserer eigenen Rasse erheben.
Der Befehl, die Kanaaniter zu erschlagen, hatte einen zweiten Endzweck, nämlich, dass die Israeliten allein in dem Lande wohnen und für sich allein bleiben sollten — die großen Nonkonformisten der Welt — abgesondert von der übrigen Menschheit durch Wohnung sowohl als durch Sitten, nicht den Gewohnheiten der Völker umher folgend oder in ihre Sünde geratend. Damit sie geheiligt würden, sollten sie abgesondert sein. „Das Volk wird besonders wohnen und nicht unter die Heiden gerechnet werden.“ Nun, beachtet und bemerkt wohl, dass es ein böses Ding ist, unter irgend einem Vorwand, welcher es auch sei, in irgend einem Maße von dem Gebot Gottes abzuweichen. Was immer auch das Gesetz sei, das Gott gibt, dem ganzen Menschengeschlecht oder seinen Erwählten, sie werden ihre Sicherheit darin finden, sich genau daran zu halten. Aber Israel vergaß dies. Kriegführen war schwere Arbeit — Städte stürmen und mit Männern kämpfen, die mit eisernen Wagen angriffen, war heldenmütiger Dienst. All dieses erforderte starken Glauben und unermüdliche Ausdauer, und an diesen Tugenden mangelte es den Israeliten sehr; deshalb sprachen sie an einigen Stellen zu den Kanaanitern: „Lasst uns Nachbarn sein; lasst uns zusammen wohnen.“ Sie meinten vielleicht reichliche Ursache zu haben, den Streit auf so leichte Weise zu enden; denn die, welche die unfehlbare Weisheit verbessern wollen, haben gewöhnlich sehr viel für sich zu sagen. Gewisse Leute dachten in jenen Tagen, dass die Vorstellung von Gottes Forderungen zu strenge sei, dass Er im Grunde doch eine Masse von Barmherzigkeit wäre, und dass das Beste, was sie tun könnten, sei, freundlich, tolerant gegen diese Kanaaniter zu sein und so gute Bedingungen wie möglich mit ihnen zu machen. Sie sagten, es sei eigentlich doch schade, so altmodisch und so strenge beim Vollziehen des göttlichen Befehles zu sein, es wäre besser, etwas von der Bildung der Kanaaniter zu lernen, etwas von ihren Künsten und Wissenschaften, etwas von ihren Religionstheorien; denn man müsste liberalen Ansichten huldigen und glauben, dass latente Wahrheit in allen Formen der Gottesverehrung sei. Jedenfalls könnte es keinen Schaden tun, ihre Archäologie zu studieren, in ihre Tempel zu gehen, die Götter zu sehen, die sie verehrten und eine allgemeine Kenntnis des Fortschritts jener Periode zu gewinnen; denn die Kanaaniter waren ein sehr fortgeschrittenes Volk, sie waren die fortgeschrittenen Denker ihrer Zeit. Sie hatten sich Götter und Göttinnen erdacht, Baal und Astharot, und ihrer untergeordneten Gottheiten waren viel: sie waren in der Tat ein hochgebildetes Volk, das stets etwas Neues erdachte. Deshalb sagte Israel: „Es wäre schade, die göttliche Androhung bis auf den Buchstaben auszuführen. Wir wollen sie ein wenig mildern. Es ist vieles von diesen Leuten zu lernen. Ohne Zweifel haben sie ihre guten Seiten, und wir müssen ihre Unvollkommenheiten nicht zu hart beurteilen. Deshalb wollen wir Verträge mit ihnen schließen und mit ihnen leben.“ Und sie lebten mit ihnen und gerieten auf ihre Wege. Toleranz führte zur Nachahmung. Israel ward so lasterhaft wie die Heiden, welche Gott verurteilt hatte, und die zwölf Stämme wurden eine gemischte Rasse, in deren Adern ein Maß kananitischen Blutes floss. Ja, wenn ihr um eines Haares Breite von Gottes Wort abweicht, so wisst ihr nicht, wo es enden wird. Es bedarf nur wenig, um einen Christen zu einem Ritualisten herabzuwürdigen, und noch weniger, um einen Ritualisten in einen Romanisten zu wandeln. Wir werden weit gehen, wenn wir uns einmal auf die abschüssige Bahn begeben. Ich wollte zu Gott, dass wir in diesen entarteten Zeiten etwas von dem strengen Geist der Kameronianer und der Covenanter zurück hätten; denn die Menschen spielen jetzt mit Gott und denken, dass alles, was ihnen gefällt zu tun, den Höchsten zufriedenstellen wird. Der Abfall und Ausschuss ist gut genug zum Opfer für Ihn; aber strengen Gehorsam gegen sein Wort, den können sie nicht aushalten. Unheil wird sicher aus diesem laxen Stand der Dinge für die Gemeinde unserer Tage erwachsen, so gewiss, wie reichliche Trübsal über Israel kam.
Beachtet ferner, dass wir jedesmal, wenn eine Sünde zugelassen wird, sagen können: „Gad, eine Schar kommt.“ (1 Mose 49, 19.) Es schien eine verzeihliche Sünde, milde gegen diese Leute zu sein und nicht Gottes strengerem Wort zu gehorchen; aber, was folgte darauf? Nun, bald fand man sie, die Kinder Jehovahs, den schrecklichen Baal verehren. Bald waren sie weiter gegangen und die unreine Göttin Astharot wurde ihre Freude; und darauf vergaßen sie Jehova ganz unter ihren Gottheiten und Dämonen. Mit diesen Irrtümern in der Religion waren alle Arten Irrtümer in der Sittlichkeit eingedrungen, denn jede Art Unsittlichkeit und Ausschweifung verunreinigte die Anbeter des Baal-Peor, Baal-Berith und Baal-Zebub; und das auserwählte Volk Gottes konnte kaum von den Heiden, unter denen es wohnte, unterschieden werden, oder wenn es unterschieden ward, so war es durch seine größere Sünde, da es wider höheres Licht übertrat und seines Gewissens Stimme erstickte, das Gott durch seine Lehre weit zarter gemacht hatte, als das Gewissen der umwohnenden Völker. Ich sagte vorhin, wenn ihr euch von Gottes Worten um eines Haares Breite abwendet, so wisst ihr nicht, wo es enden wird. Die Schienen laufen nur ein wenig auseinander, wo die Wagen zuerst gedreht werden, aber nicht lange, so ist die Zweigbahn meilenweit von der Hauptlinie entfernt. Gehe nur ein wenig zurück, und du bist auf dem Wege zu gänzlichem Abfall. Die Mutter des Unheils ist so klein wie das Ei einer Mücke: Hecke es aus, und du wirst einen bösen Vogel sehen, größer als ein Strauß. Das geringste Unrecht hat fast eine Unendlichkeit von Bösem in sich. Du kannst nicht zu der Sünde sprechen: „Bis hierher sollst du kommen, und nicht weiter; hier sollen sich legen deine stolzen Wellen.“ Wie das Meer, wenn der Deich gebrochen, streckt sie ihre Hand aus, das ganze umliegende Land zu ergreifen. Der Anfang der Sünde ist wie der Anfang eines Streites, und von diesem sagt man, dass er dem Einbrechen des Wassers gleicht: Niemand weiß, was für eine Flut kommen mag, wenn einmal die Dämme geborsten sind. So ging Israel weiter und weiter von Gott weg, weil es nicht acht hatte auf seinen Weg und nicht in allen Dingen dem Herrn gehorchte.
Aber nun tritt eine Wahrheit dazwischen, die, ob sie gleich schwarz beim Erzählen scheinen mag, doch ihrem Wesen nach hell ist. Gott ließ sein Volk nicht ohne Züchtigung. Hätte Er sie sich selbst überlassen und sie ihren Götzen dahingegeben, so würde ihr Fall ein hoffnungsloser gewesen sein. Aus Erbarmen mussten sie für ihre Übertretungen gestraft werden: aber dies war eine gnädige Strafe, damit sie nicht liegen bleiben und sich in ihren Übertretungen wälzen möchten und ganz den schweinischen Völkern gleich werden, die sie umgaben. Gott begann sie durch ihre eigenen Sünden zu strafen. Er ließ die kananitischen Völker stark werden, so dass sie Israel schwer bedrückten. Er gab die Israeliten unter das Joch dieser Völker, die sie gänzlich hätten ausrotten sollen. Wenn sie nicht Sieger sein wollten, so sollten sie besiegt werden. Wenn sie nicht „das Gefängnis gefangen führen“ wollten, so sollten sie selbst als Gefangene geführt werden. Der Herr ließ seine Schläge dicht und schwer auf sie fallen. Aber, ehe Er dieses tat, sandte Er einen Boten, ihnen ihre Sünde vorzuhalten. Es ist stets des Herrn Weise, Raum zur Buße zu geben, ehe Er die Strafe vollzieht. Die Äxte, welche die Liktoren den römischen Richtern vorantrugen, waren in Bündel von Ruten eingebunden. Wenn ein Gefangener vor dem Gericht stand, so begann der Liktor, die Ruten loszumachen, und mit diesen ward der Schuldige geschlagen: währenddessen schaute der Richter in das Gesicht des Gefangenen und hörte seine Verteidigung, und wenn er Grund sah, das Todesurteil abzuwenden um der Reue willen, die der Missetäter zeigte, dann schlug er ihn nur mit der Rute, aber die Axt blieb ungebraucht. Aber wenn, nachdem jede Rute abgenommen war, der Schuldige noch verhärtet blieb, und das Verbrechen ein todeswürdiges und klar bewiesenes war, dann wurde die Axt gebraucht; und um so strenger gebraucht, weil Raum zur Buße gegeben und die Ruten vergeblich gebraucht worden waren. Wenn die Rute verachtet wird, so ist die Axt bereit. Es ist sicher so mit Gott: Er harrt darauf, gnädig zu sein, aber wenn seine Geduld nicht auf Buße hoffen kann, dann kommt die Reihe an die Gerechtigkeit, und ihr Streich ist furchtbar.
Der Herr beauftragte bei dieser Gelegenheit einen speziellen Boten damit, dem Volk die Sünde vorzuhalten, denn Er sandte einen Engel. Ich überlasse es eurem eigenen Urteil, herauszufinden, wer dieser Engel war, wenn es auffindbar ist. Es mag ein gewöhnlicher Engel gewesen sein, aber ich denke, es muss der Engel des Herrn gewesen sein. Er wird im vierten Verse so genannt und außerdem gebraucht er eine Sprache, die ein gewöhnlicher Engel nicht hätte brauchen können. Er beginnt: „Ich habe euch aus Ägypten heraufgeführt.“ Beachtet, er sagt nicht, dass der Herr dies oder das gesprochen, sondern der Engel selbst sagt es: „Ich habe euch aus Ägypten heraufgeführt und in das Land gebracht, das ich euren Vätern geschworen habe.“ Wer könnte dies also gewesen sein, als jener Bundesengel, der bei anderen Gelegenheiten heiligen Männern erschien und der bei dieser Gelegenheit der versammelten Menge zu Silo eine Predigt hielt? Meine Brüder, ihr wisst, dass unser Herr manches Mal hier unter den Menschen war, ehe Er im sterblichen Fleisch kam, zu leiden und zu sterben; Er war hier und „spielte auf dem Erdboden und seine Lust war bei den Menschenkindern.“ (Spr. Sal. 8, 31.) Er war bei Abraham unter dem Baum, bei Jakob am Jabbok, bei Josua vor den Mauern Jerichos, bei Gideon auf der Dreschtenne und mit den drei Männern im Feuerofen Nebukadnezars. Nicht in einem solchen Leib, wie Gott Ihm bereitet hatte, als Er die Knechtsgestalt an sich nahm, sondern in einer Form und Gestalt, wie sie seiner göttlichen Majestät und den Umständen derer, die Er besuchte, am angemessensten schien, kam dieser Engel des göttlichen Bundes, und sprach zu diesem Volk. So ist das Urteil vieler, die am meisten darüber nachgedacht haben; aber ich überlasse euch die Entscheidung. Jedenfalls muss es großartig gewesen sein, einen Engel predigen zu hören, und noch großartiger, den Engel des Bundes mit dem Volk des Bundes reden zu hören. O, was für eine Predigt! Was für eine Predigt muss es gewesen sein! Kaum war je ein solcher Prediger auf der Erde gesehen. Und dennoch bewirkte diese Predigt nicht so viel Gutes, als da der Seefahrer Petrus am Pfingsttage predigte. Die Predigt zu Bochim, wenn ich ihre Resultate zusammenfasse, endete mit einem Fehlschlagen. Als unser Herr Christus selbst zu den Männern von Nazareth predigte, wollten sie Ihn von dem Gipfel des Berges hinabstürzen, so dass alle seine beredten Worte tauben Ohren gepredigt waren, und nicht einmal aus seiner Belehrung ein gutes Resultat sich ergab. Sei nicht mutlos, Knecht Gottes, wenn es dir manchmal zu misslingen scheint. Sprich nicht: „Ich will es aufgeben.“ Dein Brot ist nicht aufs Wasser geworfen worden. Warte eine Weile, denn nach vielen Tagen magst du es finden. Wenn Israel nicht gesammelt wird, so wird Gott dich doch für deine Arbeit belohnen. Deine Sache ist's, zu arbeiten; Gottes Sache ist es, die Resultate zu geben; und Er gewährt uns nicht immer sogleich angenehme Resultate. Er verlieh diesem Engel des Herrn keine großen Triumphe, wie wir euch zu zeigen haben werden. Es war eine große Gemeinde; es war ein großer Prediger; es war eine große Predigt, und doch war keine große Ernte von Seelen. Lest die Predigt durch; und bemerkt, dass, obgleich kurz, sie doch um dieser Kürze willen um so größer ist. Predigten mögen klein werden dadurch, dass sie lang sind, und eine Predigt mag groß sein, weil kurz, wenn sie voll Gedanken ist, wie diese Engelpredigt es war.
Er begann damit, ihnen zu sagen, was für Gnadengaben sie erhalten hätten. Lest das Kapitel. „Ich habe euch aus Ägypten herausgeführt, und in das Land gebracht, das ich euren Vätern geschworen habe.“ Brüder, dieses sollte uns sehr schnell zur Buße führen — dass Gott so gut gegen uns gehandelt hat, sollte uns traurig machen, wenn wir uns so schlecht gegen Ihn benommen haben. Spreche ich zu einem rückfälligen Kinde Gottes? Ich denke nicht, dass irgend eine Übung eurem Herzen wohltätiger sein wird, als die Erinnerung an das, was Gott in vergangenen Jahren getan hat. Er zog euch aus der grausamen Grube und aus dem Schlamm und stellte eure Füße auf einen Felsen. (Ps. 41, 3.) Er hat euch aus der eisernen Knechtschaft eurer Verzweiflung herausgebracht und euch Freiheit gegeben. Er zerbrach das Joch sündiger Gewohnheiten und die Ketten wütender Leidenschaften; und nun habt ihr euch von Ihm verirrt? Macht ihr etwas anderes zum Gott eures Geistes? Wenn das, so schämt euch eurer Undankbarkeit und lasst diesen ersten Teil der Rede des Engels Macht über eure Seelen haben. „Ihr behandelt keinen anderen Freund so schlecht;“ und doch habt ihr keinen Freund, der mit eurem Gott verglichen werden kann. „Ich ermahne euch, lieben Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber begebet zum Opfer, das da lebendig sei,“ und nicht länger gegen Gott sündigt.
Dann ging der Engel weiter und nannte die Gaben, die ihnen verheißen waren: „Ich sprach, ich wollte meinen Bund mit euch nicht nachlassen ewiglich.“ O, das ist ein gesegnetes Thema. Wenn du in der Tat an Jesum Christum glaubst, so hat sich der Herr verbürgt, dich vollkommen zu machen und dich mit großer Freude heim zu sich selber zu bringen. Du sollst nicht umkommen. Christus hat gesagt: „Ich gebe meinen Schafen das ewige Leben; und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen. Der Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer, denn alles; und niemand kann sie aus meines Vaters Hand reißen.“ Du siehst die zwei Hände — eine innerhalb der anderen, und du in der mittelsten, eingeschlossen innerhalb der Hand allmächtiger Treue. Jehova spricht: „Ich habe dich je und je geliebt.“ Er wird nie seinen Bund mit dir brechen. Willst du von Ihm hinweggehen, der deine Missetat, Übertretung und Sünde vergibt und seinen Zorn nicht ewig währen lässt über dich — Er, mit dem du durch eine ewige Vermählung verbunden bist, die nie eine Scheidung kennen wird? O, grausames Herz! grausames Herz! Kannst du gegen solche Liebe, wie diese, sündigen? Kannst du mit Gott brechen, wenn Er erklärt, dass Er nie mit dir brechen will? Der Engel macht diese Langmut, diese ewig dauernde Liebe geltend, und tut es mit Recht. Ich kenne keine stärkere Argumente, als empfangene Barmherzigkeit und verheißene Barmherzigkeit. Lasst uns nicht gegen diese sündigen. Möge der Heilige Geist uns mit diesen Seilen der Liebe festhalten.
Und dann fasste der Engel sie hart an und sprach: „Ihr solltet nicht einen Bund machen mit den Einwohnern dieses Landes, und ihre Altäre zerbrechen. Aber ihr habt meiner Stimme nicht gehorcht. Warum habt ihr das getan?“ Er kam zu ihrer Sünde, er legte den Finger auf ihre Fehler, ihr Unterlassen und ihr Begehren. Er versäumte nicht, ihnen genau zu sagen, was ihre Übertretung war und sie zu fragen: „Warum habt ihr das getan?“ Und, o gewiss, dies wird helfen, uns zur Buße zu führen, wenn „Gott unsere Missetat vor sich stellet, unsere unerkannte Sünde in das Licht vor seinem Angesicht.“ Wenn wir unsere Sünde sehen, sollten wir erschrecken und davor fliehen, als wenn der Boden unter unsren Füßen brennte, wie man sagt, um sie ein für allemal los zu werden. O, möge der Geist Gottes jeden Verirrten hier von seiner Sünde überführen, und möge er dann mit bußfertigem Herzen zu Gott sich kehren. Der Engel verhandelt mit ihnen in sehr sorgfältiger Art, indem er sprach: „Warum habt ihr das getan?“ Warum habt ihr euch von Gott abgekehrt? Warum seid ihr dem Befehl, der euch so bestimmt gegeben ward, ungehorsam gewesen? Wisst ihr nicht, dass der verflucht ist, der des Herrn Werk lässig tut? Ihr habt ungehorsam gehandelt und habt eine schreckliche Vergeltung auf euch gebracht; aber warum habt ihr dies getan? Rückfälliger, bist du heute abend hier? Bist du von der christlichen Gemeinschaft weggegangen und hast das Bekenntnis der Religion verlassen? Warum hast du das getan? Kannst du einen Grund nennen, der das Licht vertragen kann? Wir wissen, dass du es nicht kannst. Es ist keine Vernunft in der Sünde, keine Rechtfertigung für Missetat. Gottlosigkeit ist Wahnsinn. Irreligion ist unvernünftig. Ungehorsam gegen Gott ist ein Bruch jedes Gesetzes gesunder Vernunft und Logik. In Gottes Schöpfung ist es unvernünftig, unnatürlich, ungeheuerlich, wenn das Geschöpf sich gegen den Schöpfer empört. Warum habt ihr das getan? „Kehrt um, kehret um; warum wollt ihr sterben, o Haus Israel?“
Dann vollendete der Engel seine Rede, indem er ihnen erklärte, dass weitere Züchtigungen sicher folgen würden. Er war nicht gesandt, das Evangelium zu predigen, und deshalb ist sein Thema nicht die Gnade. Er war gesandt, das Gesetz zu predigen, und er predigte es. Hört das Gericht, das er verkündet: „Da sprach ich auch, ich will sie nicht vertreiben vor euch, sondern sie sollen wie Dornen in eurer Seite sein, und ihre Götter sollen euer Verderben sein,“ — so wird die Stelle von einigen übersetzt. Es war eine gerechte, aber schreckliche Drohung, die er so in ihre Ohren donnerte.
Beachtet es. Sie sollten durch ihre eigene Sünde bestraft werden. Es war so gut, als wenn der Herr gesprochen: „Ihr wolltet sie nicht austreiben, und nun will ich sie nicht austreiben. Eure Nachlässigkeit und Unbeständigkeit soll euch heimgegeben werden und Dornen in euer leidendes Fleisch bringen. Eure Unterlassung soll euch stechen, wo ihr es sichten werdet. Ihr habt Disteln gesät, und mit Dornen soll euer Kopfkissen gefüllt werden.“
Dann sagt er ihnen, wie scharf und spitzig diese Sünden für sie sein sollten. „Sie sollen wie Dornen in euren Seiten sein;“ euch pricken in einem eurer zartesten Teile — in dem eigentlichen Sitz des Lebens. Wohin ihr euch wendet, sollen diese eure Sünden — diese Feinde, die ihr schontet — euch in die Seite stechen, und ihre Götter sollen euer Verderben sein. Ihr liebäugelt mit ihren falschen Göttern und haltet sie für eure Ehre, aber sie sollen eure Unehre sein. Die Heiden mögen auf sie vertrauen, aber ihr sollt es nicht können. Sie sollen euch eine Schlinge und ein Schaden sein.
Was für eine Predigt war das! Wie ich schon gesagt, es war eine große Veranlassung, eine große Gemeinde, ein großer Prediger, eine große Predigt, und soweit man auf der Stelle wahrnehmen konnte, ward eine große Bewegung hervorgebracht.
Nun wünsche ich, dass ihr das beachtet, was aussieht wie ein großes Resultat; wir wollen in zwei Teilen davon reden. Das Volk, als es diese ernste Rede gehört, hob seine Stimme auf und weinte, dennoch blieben sie, wie sie waren. Wie hoffnungsvoll! Wie täuschend!
I.
Wie hoffnungsvoll! Man konnte anscheinend nichts Besseres wünschen. Sie waren alle aufmerksame Hörer. Es war nicht einer da, der umher blickte oder der die scharfen Worte vergaß, die gesprochen waren. Sie schienen alle ihre Ohren weit aufzutun und die göttliche Ermahnung aufzunehmen. Dort standen sie vor dem Herrn, alle erstaunt und verwirrt, während der Engel seine ernste Botschaft ausrichtete und dann zu dem zurückkehrte, der ihn gesandt hatte. Es ist ein Großes, die Aufmerksamkeit der Leute zu gewinnen, und nicht jeder kann dies tun; denn es gibt Gemeinden, die handeln, als wenn das Wort sie nichts anginge und die den armen Prediger vor toten Mauern weissagen lassen. Diese Israeliten nahmen die Warnung an und sogen die Wahrheit ein. Sie waren aufmerksame Hörer, und jeder würde gesagt haben: „Gelobt sei Gott, diese Predigt hat ein großes Werk getan. Gelobt sei Gott für eine so aufmerksame Gemeinde; die Nägel sind an einem sicheren Ort befestigt.“
Überdies waren sie sehr fühlende Leute, denn sie fühlten, was sie gehört hatten. Was würdet ihr heute abend denken, wenn die Versammlung plötzlich anfinge, zu weinen? „Sie hüben ihre Stimme auf und weinten“ — weinten laut. Die Orientalen sind, wie ihr wisst, gewöhnlich lauter in ihren Kundgebungen, als wir in unsrem kühleren Klima, aber dennoch muss es ein feierlicher Anblick gewesen sein, Männer und Frauen zusammen laut ihre Übertretungen beklagen zu sehen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass viele der Anwesenden, die zu Gott richtig standen, sprachen: „Was für eine wundervolle Begebenheit! Ehre sei Gott für eine solche Erweckung! Diese eine Predigt hat die Leute durch und durch ergriffen. Dank sei Gott, der einen solchen Boten mit einer so angemessenen Botschaft gesandt hat und sie so gesegnet, denn gewiss, diese Leute sind alle bekehrt, sonst würden sie nicht schreien und weinen.“
Sie waren alle trauernde Hörer ebensowohl wie aufmerksame und fühlende. In der ganzen Versammlung war nicht einer, der lachte, nicht einer, der gleichgültig war, nicht einer, der die Botschaft verhöhnte und verachtete, sondern nach dem Texte erhoben alle ihre Stimme und weinten. Ein schweres Gefühl lag auf ihnen. Ihre Seelen waren tief betrübt; sie drückten ihren Schmerz in einem tiefen und bitteren Schrei aus, und mittlerweile flossen ihre Tränen reichlich, wie da, als der Fels in der Wüste geschlagen ward und die Wasser herausströmten. Sie wurden alle in Weinende verwandelt, und nannten den Namen des Ortes Bochim oder den Ort der Weinenden. Ihr würdet denken: „Gewiss, dies ist verheißungsvoll, — jedes Auge ist mit Tränen gefüllt, nun sie vor Gott stehen.“ Ach! dass solche Tropfen nicht einem Schauer der Gnade vorangingen, sondern wie eine Morgenwolke vorüberzogen.
Ja, und sie wurden alle bekennende Hörer; denn sobald dieser Gottesdienst vorüber war, hielten sie einen anderen und „opferten daselbst dem Herrn.“ Sie bekannten sich als des Herrn Knechte, nahmen das Opfer, das Er bestimmt, und opferten es für ihre Sünden und äußerlich wurden sie alle warme Verehrer des Höchsten und aufrichtig Bußfertige.
Wohlan, lieben Freunde, all dieses sieht sehr hoffnungsvoll aus, weil es das ist, was wir erwarten dürfen, wenn Gott das Gesetz dem Gewissen der Menschen einprägt. Wenn die Sünde einem Menschen vorgestellt wird, sollte er da nicht weinen? Hoffnung glänzt in jeder Träne. O, dass die Menschen anständig genug wären, ihre Übertretungen zu beweinen! Mich wundert, dass einige von euch ihre Bibel mit trocknen Augen lesen können. Unerrettet und den Heiland verwerfend, könnt ihr da die vier Evangelisten ohne Tränen lesen? Diesen Heiland, den die Juden kreuzigten, verwerft ihr, und kreuzigt Ihn so in der Tat auch; könnt ihr die zehn Gebote lesen, ohne dass euch das Herz weh tut? Ihr wisst, dies sind zehn große Stücke Artillerie, die alle auf euch zu eurem Verderben gerichtet sind, da ihr Gott durch den Bruch seines Gesetzes beleidigt habt. Nun, gewiss, ihr solltet kaum bei Nacht schlafen aus Furcht, dass Gottes gewaltiges Gericht auf euer schuldiges Haupt fallen könnte, während ihr schlaft. Es ist durchaus nicht wunderbar, dass die Leute schreien und weinen; das Wunder ist, dass nicht jedes Heiligtum, wo das Gesetz gepredigt wird, und wo das Evangelium gepredigt wird, ein Bochim oder ein Ort der Weinenden wird.
Oftmals kommt diese tiefe Bewegung mit wahrer Bekehrung — oft, obwohl nicht immer, wie ich euch zu zeigen haben werde. Menschen, die von der Sünde überführt sind, mögen wohl weinen. Ich habe einen starken Mann unter einem Gefühl seiner Schuld weinen sehen — weinen, als wenn die Quellen seiner Augen vertrocknen und die Augen selber sich in Feuerkohlen verwandeln würden. Häufig sind die Leute unfähig, sich zurückzuhalten und wünschen sogar inmitten der Versammlung auszubrechen und zu Gott um Gnade zu schreien. Es ist nicht wunderbar. Es ist das, was wir erwarten sollten. Es ist nichts, was man nicht wünschen sollte, denn es ist eine Wirkung, die oft wahrhafte Bekehrung zu Gott begleitet. Sie mag wohl mit der Traurigkeit über die Sünde zusammengehen, und Traurigkeit über die Sünde ist notwendig zum ewigen Leben. Die Buße ist eine altmodische Lehre, die in diesen Tagen verachtet worden ist; aber wenn ich auch allein stände, so will ich doch Zeugnis dafür ablegen. Die Leute sagen, Buße sei gar nichts, — nach dem Griechischen sei sie nur eine Änderung des Sinnes. Das zeigt, wie wenig Griechisch sie können. Ein wenig Kenntnis ist ein gefährliches Ding. Schade, dass sie nicht mehr lernen. Buße ist eine Änderung des Sinnes: aber sagt ihr, dass es nur eine Änderung des Sinnes ist? Das ist ein sehr großes „nur.“ Eine Änderung des Sinnes, eine gründliche Änderung des Sinnes, von der Liebe zur Sünde zur Liebe der Heiligkeit, ist das eine geringe Sache? Sie ist immer von Schmerz und Reue über vergangene Sünde begleitet: und wenn hier ein Mann ist, der denkt, dass er durch einen Glauben mit trocknen Augen in den Himmel kommen wird, der irrt sich. Wer nie über seine Sünde trauerte, hat sich nie in dem Herrn gefreut. Wenn ich auf mein vergangenes Sündenleben zurückblicken und sagen kann: „Ich empfinde keinen Schmerz darüber,“ nun, dann würde ich dasselbe wieder tun, wenn ich die Gelegenheit hätte: und dies zeigt, dass mein Herz so verkehrt ist, als es je gewesen, und ich noch unwiedergeboren bin. Rowland pflegte zu sagen, dass Glaube und Buße seine täglichen Gefährten seien, so lange er lebe, und dass, wenn er beim Gedanken an den Himmel irgend ein Bedauern hätte, es dieses wäre, dass er sich von dieser lieben Gefährtin, der Buße, trennen müsste, wenn er durch die Pforte des Himmels ginge. Göttliche Traurigkeit ist ein gesegneter Schmerz. Möge niemand übel davon reden. „Tut Buße und bekehret euch,“ ist ebensosehr das Evangelium, als: „Glaubt an den Herrn Jesum Christum“ und es darf in unserer Predigt nicht ausgelassen werden auf die Gefahr hin, den Seelen der Menschen Schaden zu tun. Wer heiligen Schmerz über die Sünde empfunden hat, der wird fortfahren, ihn zu empfinden. Es sollte mich wundern, wenn er nicht oft die Schleusen aufzöge, und seine Seele in einer Flut der Reue und Liebe fließen ließe. Ein Weinender in diesem Sinne, der immer Buße tut, wächst auch immer in der Gnade. So sieht dieses Bochim sehr hoffnungsvoll aus, nicht wahr?
II.
Nun will ich mich zu der anderen Seite kehren und zeigen, dass nichts dauernd Gutes in Bochims plötzlichen Wasserfluten war. Diese Leute wurden zum Weinen gebracht dadurch, dass sie die Predigt des Engels hörten, aber ihr Weinen war sehr täuschend; ich vermute halbwegs, dass ihre Klagen und Tränen ebensosehr durch des Predigers Person als durch irgend etwas anderes hervorgebracht waren. Es war der Engel des Herrn, und wer würde in seiner Gegenwart nicht bewegt werden? Gott begabt gewisse Redner mit der Kraft, die natürlichen Gefühle zu bewegen, und diese Gabe ruhte in reichem Maße auf dem Boten des Bundes. Einige predigen so, dass es fast unmöglich ist, unempfindlich dabei zu bleiben. Es ist solche Stärke des Gefühls in ihnen oder ein so gewaltiger, so hervortretender Ernst, dass es eine ganz natürliche Folge ist, wenn das Herz des Hörers gerührt wird. Nun, ich fürchte, dass einige von euch durch mich bewegt werden, wenn ich predige, dass ihr Gefühl durch meinen Ton oder meine Manier hervorgebracht wird, oder weil sie Zuneigung oder Achtung für mich haben; seid dessen gewiss, das, was von einem Menschen zu euch kommt, wird binnen kurzem zu Ende sein. Eine zeitliche Ursache kann nicht eine ewige Veränderung hervorbringen. „Ihr müsset von neuem geboren werden,“ nicht von dem Fleisch, noch von dem Willen des Mannes, sondern von dem Geist Gottes. Alle gewählten Worte des Predigers, seine melodische Stimme, obgleich passend genug als eine Zugabe, wird doch, wenn es die Hauptsache wird und die Macht, die euch bewegt, mit Fehlschlägen enden. Was mit Wind anfängt, wird mit Sturm enden: was aus Worten kommt, wird allmählich in Worten verdampfen. Es mag ein großer Segen für euch sein, einen eindringlichen Prediger zu hören, aber wenn ihr euch im geringsten auf ihn verlasst, so wird es schädlich für euch sein. Geht und hört das Evangelium von irgend einem Knechte meines Herrn und verlasst euch nie im geringsten auf den Menschen, wer er auch sein möge. Strebt danach, dass eure Buße eine sei, die vom Geist Gottes in eurem Herzen und Gewissen gewirkt ist; denn wenn sie das nicht ist, so wird sie eines Tages sich in größere Verderbtheit wandeln. Falsche Religion ist mehr ein Schaden als ein Nutzen. Ich rate euch, eurem Herzen manche Frage zu tun und es zu prüfen, ob es wirklich über die Sünde trauert und weint.
Ferner fürchte ich, dass die Buße dieser Leute sehr viel mit ihrer natürlichen Weichheit zu tun hatte. Sie waren weich und erregbar, weil wenig Mark in ihren Knochen war, ihre Männlichkeit war einfacher Natur. Sie fürchteten sich, für Gott in die Schlacht zu gehen; sie waren bange vor dem Lärm und dem Würgen. Sie waren außerdem leicht durch ihre Mitmenschen bewegt und nahmen die Form von denen an, in deren Nähe sie lebten; sie gingen hin und dienten Baal, weil ihre Nachbarn sprachen: „Kommt und dient Baal.“ Und sie dienten Astharot, weil ihre Freunde sagten: „Kommt, lasst uns die Göttin verehren.“ Sie waren geschmeidig, biegsam, lenksam. Wir haben eine große Anzahl dieser Art um uns her. Wie soll ich sie nennen? — Menschen aus Wachs? Geschöpfe aus Gummi elastikum? Sie lassen sich sogar von eurem Finger formen, wie der Thon auf des Töpfers Rad, der noch nicht im Feuer gehärtet ist. Niemand weiß, was für eine Form sie haben werden, wenn sie vom Rade kommen. Einige sind hier viele Jahre gewesen und vom Prediger bewegt und geformt worden und sind dennoch nicht errettet, während trotzige Empörer in den Gängen gestanden haben mit einem halben Hohnlachen, und Gott hat den Hammer auf ihre steinernen Herzen fallen lassen, und sie in Stücke zerbrochen, und nun sind sie durch die Macht der Gnade errettet und freuen sich in dem Herrn. Einige haben eine natürliche Weichheit, welche das Erreichen der geistlichen Weichheit hindert. Nun, merkt euch, das Natürliche mag von Gott zur Erzeugung des Geistlichen gebraucht werden, aber doch ist es in sich selbst noch nicht geistlich. All diese Bereitwilligkeit, zu weinen, all diese Bereitwilligkeit, das Wort mit Freuden aufzunehmen und sofort in den Glauben hlneinzuspringen, mag vielleicht nichts als geistige Schwäche sein. Einige Menschen weinen überreichlich, weil sie Trunkenbolde gewesen sind und das ihnen einen Tropfen im Auge gibt: dies ist eine elende Sache. Ich liebe den starken Mann, der innerlich weint und sparsam mit dem äußeren Regenschauer ist. Ich kenne wahrhaft weichherzige Männer, die keine Träne vergießen könnten, wenn es ihr Leben gälte, aber einen viel tieferen Schmerz fühlen als die, deren Kummer flach und wässerig ist. Es ist sehr schön, von den Tränen zu reden, die über ihre Wangen strömen, aber viele Bekehrte haben nie eine Träne vergossen und werden es vielleicht nie; dies beweist nicht, dass sie nicht bekehrt sind; weit davon entfernt, die Träne ist nur ein natürlicher Tropfen Feuchtigkeit und verfliegt bald; ein Besseres ist der innerliche Strom des Schmerzes in der Seele, der ein unauslöschliches Merkmal zurücklässt. Ein Gran Glauben ist besser als eine Tonne Tränen. Ein Tropfen echter Buße ist köstlicher als ein Strom Weinens.
Es ist noch ein anderes bei dem Weinen dieser Leute, und das ist, dass es zum großen Teil durch die Drohung der Strafe verursacht war. Ich fürchte, sie weinten nicht, weil sie gesündigt hatten, sondern weil Gott gesagt hatte, dass Er nicht mehr Kanaaniter austreiben wollte. Sie wünschten, mehr von ihnen zu besiegen — mehr von der schändlichsten Art — aber sie wünschten nicht, sie alle auszutreiben; dennoch trauerten sie, weil die, welche sie verschont, nun die Oberhand über sie gewinnen sollten. Die anständigeren Kanaaniter waren sie willig, am Leben zu lassen; und als sie fanden, dass sie ihnen zu Dornen in den Seiten werden sollten, da zogen sie ihre Taschentücher heraus, denn es war Grund zu selbstsüchtigem Schmerz da. Ja, und ihr könnt die Höllenfeuer predigen, bis die Menschen willig sind, Lieblingssünden der grelleren Art aufzugeben. Solchen möchten wir prüfende Fragen vorlegen. Ist irgend welch heiliges Salz in euren Tränen? Ist es die Sünde, um die ihr weint? Ist es die Sünde, die ihr bereut? Jeder Mörder bereut unter dem Galgen, d. h., er bereut, dass er gehangen wird, aber er bereut nicht, dass er andere Leute getötet hat. Er würde dasselbe wieder tun, wenn er die Gelegenheit hätte. Wir sollten klar unterscheiden zwischen den natürlichen Schrecken, die aus der lebhaften Beschreibung des zukünftigen Zornes kommen und jener wirklichen geistlichen Berührung Gottes des Heiligen Geistes, welche das Herz bricht und schmilzt und es dann in eine andere Form gießt. Diese Leute täuschten sich über die Tiefe und Aufrichtigkeit ihrer eigenen Gefühle. Ohne Zweifel hielten sie sich für auserlesene Bußfertige, als sie nur zitternde Feiglinge waren, die unter Eindrücken litten, die ebenso unnütz wie vorübergehend waren. Ihr Gefühl war nur das Aufleuchten eines Meteors, das eine starke, aber nur einen Augenblick währende Helle verbreitet.
Wir sind ganz gewiss, dass diese Leute, obgleich sie weinten, darum nichts besser waren, denn sonst hätten sie ausgerufen: „Kommt, Brüder, greift zu den Schwertern. Lasst uns hingehen und mit den Hevitern und Hethitern streiten und ihre Altäre niederbrechen und ihre Bilder und Haine zerstören.“ Nein, sie behielten ihr faules Schwert in der Scheide und schlossen Verträge mit den verurteilten Völkern. Sie gebrauchten nicht ihre Äxte, die falschen Götter niederzuhauen; sondern sie sagten: „Lasst uns Achtung vor der Religion anderer haben. Ohne Zweifel ist ihr Götzendienst unrecht: in der Tat, ihre Gebräuche sind verdächtig, und es tut uns leid, dass sie dieselben haben, aber wir brauchen uns nicht darein zu mischen und Jehovahs Urteilsspruch mit kahler Buchstäblichkeit zu erfüllen.“ Überdies beklagten sie wahrscheinlich ihre eigene Lauheit und gingen so weit, zu sagen: „Es ist sehr traurig, dass wir so hartnäckig sind. Es ist wirklich eine schreckliche Sache.“ Ich hörte jemanden sagen: „Es ist furchtbar, ein Sklave des Weinbechers zu sein; ich wünschte, ich hätte ihn nie geschmeckt. Bei der ersten Gelegenheit, die sich mir bietet, soll es anders werden.“ Er sagte nicht, worin es anders werden sollte, aber er wollte sehr viel verbessern. Ach! er tat niemals etwas, denn er war den nächsten Tag wieder betrunken. Ein sehr Bußfertiger, dem Ansehen nach; aber ein elender Heuchler zu seiner Zeit, denn er fraß wie der Hund wieder, was er gespien und wälzte sich wie die Sau nach der Schwemme im Kot. Wenn ihr die Sünde bereut, nieder mit der Sünde! Wenn die Buße von Herzen kommt, so ist sie praktisch. Wenn ein Mensch sich wahrhaft zu Gott kehrt, so kehrt er sich von der Sünde weg. Wenn Satan wirklich aus einem Menschen ausgetrieben wird, so fegt der Befreite sein Haus und reinigt sich von dem Schmutz, den er früher beherbergt; er reißt das rechte Auge seiner Lüste aus und haut den rechten Arm seiner Sünden ab, denn er fühlt, dass er nicht länger wider seinen Gott handeln kann.
Ferner hatten diese Leute nicht Buße getan, denn sie erzogen ihre Kinder nicht gut. Das nächste Geschlecht, wird uns gesagt, kannte nicht den Herrn, noch die Werke, die Er an Israel getan hatte. Dies war, weil ihre Eltern sie nicht lehrten. Nicht, dass Eltern ihre Kinder so lehren könnten, dass sie den Herrn in ihrem Herzen kennten; aber Gott hat gesprochen: „Ziehe einen Knaben auf in dem Weg, den er gehen soll, und wenn er alt ist, wird er nicht davon weichen.“ (Spr. Sal. 22, 6.) Das ist die große allgemeine Regel in Gottes sittlicher Weltregierung. Wenn Eltern die Kinder mit den göttlichen Dingen bekannt machen, so kann nicht gesagt werden, dass die Kinder die Werke Gottes nicht kennen. Wenn die Eltern mit liebevollem Ernst lehren, so lernen die Kinder wenigstens den Buchstaben der Wahrheit. Ich glaube nicht an eure Reue über die Sünde, wenn ihr eurem Kinde gestattet, darin zu leben. Ich kann nicht glauben, dass ihr den Herrn kennt, wenn ihr nicht danach verlangt, dass eure Kinder Ihn kennen. Ein Mann sagt: „O, es ist ein böses Ding, aber man weiß, junge Leute wollen ihren eigenen Willen haben, und wir dürfen nicht zu strenge gegen sie sein.“ Mit Schmerzen sehen wir vorher, was aus jungen Leuten werden wird, die Eltern haben, welche sie nicht genug lieben, um sie vom Bösestun zurück zu halten. Wohl mögt ihr weinen, denn ihr mordet die Seelen von eurem eigenen Fleisch und Blut. Wehe euch, mit all euren Tränen, wenn ihr keine Rücksicht für euren Haushalt habt und keine Sorge, eure Kinder in der Furcht des Herrn aufzuziehen.
Ich weiß, dass diese Leute nicht die rechte Buße taten, weil sie von Schlechtem zu Schlimmerem gingen. Sie gingen vom Weinen vor Gott zur Verehrung des Baal, wie einige, von denen ich gehört, die man im Hause Gottes am Sonntag-Abend weinen sieht und im Theater am Montag-Abend lachen. O, niedrige Heuchler! Bußfertige — bei einem Tanze! Sünder mit gebrochenem Herzen am Sonntag, die rufen: „Herr, erbarme Dich unser, elende Sünder sind wir,“ und Trunkenbolde von ganzem Herzen, ehe die Woche vorbei ist, die heulen: „Wir wollen nicht vorm Morgen nach Hause gehen.“ Seht auf diese elenden Sünder, seht, was sie tun. Sind dies eure Weinenden? dieses eure Männer von zartem Gewissen? Ihr Bochim ist alles eine Lüge, — ein bloßer Vorwand. Je weicher ihr seid, desto größer wird, wenn ihr euch nachher verhärtet, eure Schuld sein; und wenn ihr bloß dem Scheine nach euch vor Gott demütigt, so wird euer Schicksal um so schrecklicher sein, wenn diese Demut schwindet und ihr zu der Sünde zurückkehrt, von der ihr behauptet, euch abzukehren.
Ich weiß, dass diese Leute nicht bußfertig waren, weil Gott nicht die Züchtigung hinwegnahm. Die Strafe, welche Er androhte, brachte Er über sie: Er „gab sie in die Hand derer, die raubten, und verkaufte sie in die Hände ihrer Feinde umher.“ Aber wo eine herzliche Reue über die Sünde ist, wird Gott nie Strafe auf den Menschen legen. Er will ihm vergeben, ihn an sein Herz ziehen und ihn wieder herstellen.
Um alles, was ich gesagt habe, in ein Wort zusammenzufassen, Errettung liegt nicht im Fühlen, sondern im Glauben; Errettung liegt nicht im Weinen, sondern im Vertrauen auf Christum. Die Buße ist nicht nach der äußeren Bezeugung der Trauer zu bemessen. Der Prophet sagt: „Zerreißet eure Herzen und nicht eure Kleider.“ Lasst eure Herzen von der Sünde gerissen werden und von allem, was zur Sünde führt; und dann werdet ihr vor Gott weinen, so dass ihr von Ihm angenommen werdet.
Der Herr segne dies Wort an denen, für die es gemeint ist. Ich weiß nicht, wer sie sind, aber Er weiß es; und möge Er seinen Segen durch seinen Heiligen Geist senden. Amen.