Spitta, Carl Johann Philipp - Herr! du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen!

Spitta, Carl Johann Philipp - Herr! du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen!

Der Prophet Jeremias hatte den göttlichen Befehl bekommen, einem unbußfertigen und ungehorsamen Volke Gottes Gericht und Strafe zu verkündigen. Er sah voraus, welchen Widerspruch und Widerstand bei Vornehmen und Geringen er durch seinen Gehorsam gegen den göttlichen Befehl wider sich erregen werde. Menschenfurcht und Leidensscheu nahmen sein Herz ein. Er fühlte eine starke Neigung, es mit den Menschen nicht zu verderben und den drohenden Leiden zu entgehen. Ja er war nahe daran, daß er die Menschen mehr als Gott gefürchtet, und den Herrn verläugnet hätte, denn er dachte: ich will seiner nicht mehr gedenken, und nicht mehr in seinem Namen predigen. Es entstand in ihm ein gewaltiger Kampf des Fleisches wider den Geist. Gottesfurcht und Menschenfurcht, Licht und Finsterniß, Wahrheit und Lüge kämpften in ihm um den Sieg. Es war wie ein brennendes Feuer in seinen Gebeinen verschlossen, daß er's nicht leiden konnte und schier vergangen wäre. Aber die Rechte des Herrn behielt den Sieg. Alle Einreden und Widerreden, alle Einwände und Verwände konnten nicht Stand halten gegen das klar erkannte Wort Gottes. Da betete er (Jer. 20, 7.): „Herr, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen; du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich!“ Das ist uns zur Lehre geschrieben. Gott redet zu uns durch sein Wort, und knüpft daran die größesten und theuersten Verheißungen, um uns zu überreden, seinem Worte gehorsam zu sein. Aber weil wir Menschen von Natur es viel mehr mit der Welt als mit Gott halten, so sind wir bei ihrer Widerrede furchtsam, und erschrecken vor ihrem Mißfallen. Können wir uns nun des Wortes, das Gott zu uns redet, nicht erwehren, haftet es im Gewissen, daß wir gestehen müssen, das Wort sei wahr und gut: so entsteht im Herzen Unruhe und Kampf. Von der einen Seite steht Gottes Rede und Verheißung, fest haftend in unserm Gewissen; von der andern Seite der Welt Widerrede mit ihrem Hohn und Spott, fest haftend an unserm Fleische. Da sind wir in unserem Wesen wie getheilt und zerrissen, da denken wir wohl voll Unmuths wie Hiob: „War ich nicht glückselig? War ich nicht sein stille? Halte ich nicht gute Ruhe? Und kommt solche Unruhe.“ - Da entsteht wohl gar der Gedanke, sich der Rede des Herrn ganz zu entschlagen. O dankt es dem Herrn, wenn es euch nicht gelingt, wenn er euch nicht dahin giebt in verkehrten Sinn, wenn er nicht nachlasset mit Reden und Ueberreden. Lasset nur den Herrn bei euch recht zu Worte kommen; lernet nur einmal ehrfurchtsvoll vor ihm stillschweigen und anhören, wie er euch zur Wahl vorlegt Leben und Tod, Segen und Fluch, Himmel und Hölle. Wahrlich, seine Verheißungen sind doch ganz anderer Art als der Welt Verheißungen , es sind Verheißungen dieses und des zukünftigen Lebens. Ober schrecken euch der Welt Drohungen und die feurigen Pfeile des Bösewichts? Sind seine Drohungen nicht noch schrecklicher? Kann er nicht Leib und Seele verderben in die Hölle? Stehet nicht geschrieben Ps. 7, 12-14: „Gott ist ein rechter Richter, und ein Gott, der täglich drohet. Will man sich nicht bekehren, so hat er sein Schwert gewetzet, und seinen Bogen gespannet, und zielet, und hat darauf gelegt tödtliche Geschosse; seine Pfeile hat er zugerichtet, zu verderben!“ - Ja, in überredender Liebe und schreckender Macht ist ihm keiner gleich. Darum lasset euch von ihm überreden, zu thun, was ihm wohlgefällt. Lasset euch von ihm überwinden, denn in seinem Siege über euch besiegt er zugleich alle eure Feinde. Und wenn ihr als die von ihm Ueberredeten und Ueberwundenen zum Spott der Menschen, und von jedermann verlacht würdet - was liegt daran? „Siehe,“ spricht der Herr Jes. 41, 11: „sie sollen zu Spott und Schanden werden alle, die dir gram sind, sie sollen werben als nichts, und die Leute, so mit dir hadern, sollen umkommen. - Ach, daß bald die Stunde käme, wo du nicht blos wie jener König Agrippas (Apost. Gesch. 26, 28.) sagst: „Es fehlt nicht viel, du überredest mich, daß ich ein Christ würde!“ sondern wo du sagst: „Herr, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen; du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen.“

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