Spener, Philipp Jakob - Zitate aus der "Pia desideria"

Spener, Philipp Jakob - Zitate aus der "Pia desideria"

Bei alledem aber bilden sie sich aber eine feste Zuversicht ein, daß sie dennoch selig werden. Fragt man sie, worauf sie sich gründet, so wird man feststellen, wie sie selbst es eingestehen, daß sie sich darauf verlassen, daß wir nicht durch unser Leben selig werden. Doch würden sie ja an Christus glauben und all ihr Vertrauen auf ihn setzen. Daher könnte es nicht fehlen, daß sie aus solchem Glauben selig würden. Dabei halten sie die fleischliche Einbildung eines Glaubens (denn der göttliche Glaube ist nicht ohne den Heiligen Geist, der aber bei vorsätzlichen und herrschenden Sünden nicht vorhanden ist) für den Glauben der selig mache. Das aber ist ein schrecklicher Betrug des Teufels als je ein Irrtum sein kann, ein solches Hirngespinst eines sicheren Menschen, so die Seligkeit zu beschreiben. Ach wie redet unser teurer Luther so ganz anders von dem Glauben.

Sehen wir in die Heilige Schrift, so haben wir nicht zu zweifeln, daß Gott noch einen besseren Zustand seiner Kirchen hier auf Erden versprochen hat.

(1. Reformvorschlag: Wort Gottes)

Daß man dahin bedacht wäre, das WORT GOTTES reichlicher unter uns zu bringen. Wir wissen, daß wir von der Natur nichts Gutes an uns haben, sondern soll etwas an uns sein, so muß es von Gott in uns gewirkt werden. Dazu ist das Wort das kräftige Mittel, denn der Glaube muß aus dem Evangelium entzündet werden. Das Gesetz aber, die Regel, gibt die guten Werke und viel herrlichen Antrieb, denselben nachzujagen. Je reichlicher also das Wort Gottes unter uns wohnen wird, je mehr werden wir des Glaubens Früchte zuwege bringen. Nun sieht es aus, als ob das Wort Gottes reichlich genug unter uns wohne. An verschiedenen Orten und zwar auch in hiesiger Stadt) wird es täglich - anderwärts gleichwohl öfters - von der Kanzel gepredigt. Wenn wir aber der Sache reiflich nachdenken, werden wir auch bei diesem Stück vieles finden, das noch mehr nötig sei. Ich verwerfe durchaus nicht die Predigten, die gehalten werden, wo man aus einem gewissen vorgelegten Text und dessen Erklärung die christliche Gemeinde unterrichtet. So trage ich es auch vor und verrichte es. Aber ich finde nicht, daß dies genug sei.

Zuerst: Wir wissen, daß alle Schrift von Gott eingegeben ist, nützlich zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit. 2.Tim 3,16. Daher sollte ALLE Schrift ohne Ausnahme der Gemeine bekannt sein, um den nötigen Nutzen zu haben. Denn wenn man alle die texte, die in vielen Jahren nacheinander an einem Ort der Gemeinde vorgetragen werden, zusammennimmt, so wird es nur ein recht geringer Teil der uns vorgelegten Heiligen Schrift sein. Das andere hört die Gemeinde gar nicht oder nur den einen oder anderen Spruch oder sonsten Allegata, die für die Predigten herangezogen werden. Auch dabei vernimmt man keine großen Teile.

Zweitens haben die Leute wenig Gelegenheit, den Sinn der Schrift anders zu fassen als nach den Texten, die ihnen etwas ausgelegt werden. Noch weniger Gelegenheit finden sie, sich darin so viel zu üben, als die Erbauung erfordert. Gewiß lesen einige zu Haus die Schrift, was an sich herrlich und löblich ist. Aber das mag doch nicht bei allen genug zu tun.

Daher ist zu überlegen, ob nicht der Kirche wohl geraten wäre, wenn neben den gewöhnlichen Predigten über die verordneten Texte auch noch auf eine andere Weise die Leute weiter in die Schrift geführt würden.

- 1. Mit fleißiger Lesung der Schrift selbst, sonderlich aber des Neuen Testaments. Das ist ja nicht schwierig, daß jeder Hausvater seine Bibel oder wenigstens sein Neues Testament bei der Hand habe und täglich etwas in solchem lese oder wenn er des Lesens unerfahren, sich von andern vorlesen lasse. (…)

- 2. Neben dem, daß also die Leute zur privaten Lektüre angetrieben werden, wäre ratsam: Wo man es einführen könnte, daß zu gewissen Zeiten in öffentlicher Gemeinde die biblischen Bücher nacheinander ohne weiter Erklärung verlesen würden. Es wäre zu erwägen, daß man kurze Summarien dazu tun wollte. Dies diente zu aller, vornehmlich aber derjenigen Erbauung, welche gar nicht oder nicht bequem und wohl lesen können oder auch die Bibel nicht zu eigen hätten.

- 3. Sollte auch (was ich zum reiflichen Nachdenken übergebe) vielleicht nicht undienlich sein, daß wir wiederum die alte apostolische Art der Kirchenversammlungen in Gang brächten: Also daß neben unseren gewöhnlichen Predigten auch andere Versammlungen gehalten würden, auf die Art, wie sie Paulus 1. Kor 14 beschreibt, wo nicht einer allein auftritt zu lehren (welches ja bleibt an anderer Stelle), sondern auch andere mit dazu reden, die mit Gaben und Erkenntnis begnadet sind. Gewiß ohne Unordnung und Streitigkeiten sollen doch auch sie ihre gottseligen Gedanken über die vorgelegten Materien vortragen und die anderen darüber ihre Urteile abgeben. Das soll alles in der rechten, geordneten Art geschehen. Zu gewissen Zeiten könnten verschiedene aus dem Predigtamt (nämlich an Orten, da mehrere nebeneinander bestehen) oder unter der Anleitung des Predigers andere, mehr aus der Gemeinde, die von Gott mit ausreichender Erkenntnis begabt oder in ihr zuzunehmen begierig sind, zusammenkommen. Sie nehmen dann die Heilige Schrift vor, lesen daraus öffentlich vor und unterreden sich brüderlich untereinander über jegliche Stelle derselben auf schlichte Weise und was an ihr zu unserer Erbauung dienlich wäre. Es könnte dann auch jeder, der die Sache nicht genug versteht, seine Dubia (Zweifel) vortragen und ihre Erläuterung erbitten. Dann hätten diejenigen, die weitergekommen sind, einschließlich der Prediger, ihre Auslegung bei der Stelle beizubringen. Was dabei der Meinung der Heiligen Schrift gemäß sei, würde dann von den übrigen, sonderlich von den berufenen Lehrern, geprüft und damit die ganze Versammlung erbaut.

Es müßte aber alles in rechter Absicht auf Gottes Ehre und das geistliche Wachstum, daher in diesen Schranken, eingerichtet werden. Wo sich hingegen Vorlautes, Zanksucht, Ehrsucht und dergleichen einschleichen sollte, muß es verhütet werden. Hier sollte es sorgfältig von den Predigern (=Gemeindepfarrer), die die Direktion dabei behalten, abgeschnitten werden. Daraus wäre nicht geringer Nutzen zu erhoffen.

Die Prediger selbst lernten ihre Zuhörer, ihre Schwachheiten oder ihr Zunehmen in der Lehre der Gottseligkeit kennen. Auch würde ein für beide Teile zum Besten dienendes Vertrauen zwischen ihnen gestiftet werden. Dazu hätten die Zuhörer eine ausgezeichnete Gelegenheit, ihren Fleiß über dem Wort Gottes zu üben und sich dazu aufzumuntern, ihre vorhandenen Skrupel bescheiden vorzutragen und die Beantwortung anzuhören. Denn sie nehmen sich doch sonst kaum das Herz, sie auszusprechen. So wachsen sie selbst dabei innerlich und werden tüchtiger, in ihrer Hauskirche Kinder und Gesinde besser zu unterrichten. Weil solche Gelegenheiten fehlen, werden die Predigten, wo einer allein in stets fließender Rede seinen Vortrag tut, nicht eben allemal so recht und genügend gefaßt. Es ist keine Zeit dazwischen, der Sache nachzudenken und wenn man dem nachdenkt, entgeht einem das Folgende (was bei dergleichen Unterredung nicht geschieht).

Dann kann er auch bei der Privat- und Hauslektion, wo der Gottesdienstbesucher niemanden dabei hat, der ihm den Sinn und die Absicht jeglicher Schriftstelle mit zeigen hilft, dem, der da liest, das, was er gern verstehen möchte, erläutern. Hingegen würde, was an beiden mangelt, durch solche Übungen ersetzt werden und weder dem Predigtamt noch den Zuhörern große Arbeit gemacht werden. Es geschieht dann aber manches zur Erfüllung der Ermahnung des Apostel Paulus, der da sagt Kol 3,16: „Lasset das Wort Christi unter euch reichlich wohnen in aller Weisheit. Lehret und vermahnet euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern.“ Das möchte auch bei diesen Versammlungen zum Lobe Gottes und zur Aufmunterung gebracht werden.

(…) Und werden wir die Leute zu einem Eifer bringen, darin fleißig zu sein und in solchem Buch des Lebens ihre Freude zu suchen, wird das geistliche leben bei ihnen herrlich gestärkt, und sie werden zu ganz anderen Leuten werden.

(…) Das ist doch ein Hauptzweck (…) der Reformation gewesen, die Leute zu dem Worte Gottes, das fest unter der Bank versteckt gelegen ist, wiederum zu bringen. Das ist das kräftigste Mittel gewesen, wodurch Gott sein Werk gesegnet hat. (…)

(2. Reformvorschlag: Geistliches Priestertum)

Das soll das zweite sein: die Aufrichtung und fleißige Übung des GEISTLICHEN PRIESTERTUMS. (…) Da wird er sehen, wie stattlich erwiesen sei, daß allen Christen insgesamt ohne Unterschied alle geistlichen Ämter zustehen, obwohl deren ordentliche und öffentliche Verrichtung den dazu bestellten Dienern befohlen ist. Doch im Notfall können sie auch von anderen verrichtet werden. Was aber nicht zu den öffentlichen Verrichtungen gehört, soll immerfort zu Hause und in dem alltäglichen Leben von allen getrieben werden.

(3. Reformvorschlag: Lebensführung)

Zu diesen Stücken gehört auch drittens, daß man den Leuten wohl beibringen und sie bald daran gewöhne, zu glauben, daß es mit dem WISSEN im Christen durchaus nicht genug sei, sondern es vielmehr in der PRAKTIZIERUNG bestehe.

(5. Reformvorschlag: Theologiestudium)

Will man solche tüchtigen Personen zum Kirchendienst heranziehen, so muß man sie auch haben und daher auf den Schulen und Universitäten erziehen. (…) Es sollte so gebessert werden, daß die Akademien, wie es recht und billig ist, auch als rechte Pflanzgärten der Kirche in allen Ständen und als Werkstätten des Heiligen Geistes erkannt werden. Nicht aber sollte der Weltgeist, der Ehrgeiz-, der Sauf-, der Zank-, der Balge-Teufel im äußeren Leben der Studenten bestimmend sein.

Die Herren Professoren können mit ihrem Vorbild selbst viel dazu tun (…)

So wäre ihnen (Theologiestudenten) stetig vorzuhalten, daß es im menschlichen Leben heißt: Wer an Geschicklichkeit wächst und nicht an guten Sitten, der schreitet mehr rückwärts, nicht vorwärts. (…) Das gilt vor allem im Geistlichen, weil Theologia ein HABITUS PRACTICUS ist, wo alles zur Praxis des Glaubens und Lebens gerichtet werden muß. (…)

Um dieser Ursachen willen, daß die Theologie ein habitus practicus ist und nicht in bloßer Wissenschaft besteht, reicht das bloße Studieren und anderseits das bloße Zustimmen und Sich-Informieren nicht zu. Es müßten allerhand Übungen bedacht werden, in denen das Gemüt zu den Dingen, die zur Praxis und eigenen Erbauung gehören, gewöhnt und darinnen geübt werden.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/s/spener/spener-pia_desideria.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain