Scriver, Christian - Gottholds zufällige Andachten

Scriver, Christian - Gottholds zufällige Andachten

Vorrede

Dem einigen, ewigen, seligen, allein gewaltigen, allweisen, gütigen und barmherzigen G o t t Vater, Sohn und Heiligem Geist, Schöpfer und Erhalter aller Dinge, Könige aller Könige und Herrn aller Herren, meinem gnädigen Herrn und Vater.

Mein Gott! Es geschieht zweifelsfrei nicht ungefähr, daß ich dieses Werklein eben um diese Jahreszeit vollende und ans Licht bringe. Es ist eben die Zeit, da dein Knecht vorm Jahr dem Tode im Rachen steckte, da er in seinen und vieler andern Leute Augen schon todt war. Ich hatte das vierte Hundert dieser „Zufälligen Andachten“ angefangen und etwa bis auf die Ruthe1) gebracht, da du mich, was ich davon geschrieben, erfahren zu lassen gewürdigt hast; die Kräfte waren verloren, das Angesicht erblasset und verfallen, die Zunge klebte am Gaumen vor Mattigkeit und hatte fast nicht so viel Vermögen, daß sie des von der Hitze ausgezehrten Körpers Zustand den Aerzten entdecken konnte, die Nägel erbleichten, ja, wie etliche wahrgenommen, der Leichengeruch war schon da, das matte Herz schlug schwächlich und ließ sich kaum mehr spüren, ich hatte die liebsten Meinigen schon gesegnet und zählte mit freudigem Verlangen (Herr, du weißt es!) die Stunden, nach welcher Verfließung ich hoffte bei dir zu sein und deiner unaussprechlichen Herrlichkeit zu genießen. Weil dir aber viel gläubige Seelen mit viel tausend Thränen und Seufzen zu Füßen lagen und um Verlängerung meines mühseligen Lebens flehentlich anhielten, so hat dir in Gnaden gefallen, meinen Jahren noch einige Zeit hinzu zu thun; du hast mich gestärkt und aufgerichtet, du hast mich lebendig behalten und mich zum Wunder und Beweisthum deiner Allmacht und Güte gemacht, du hast mich und andere lassen wissen, daß wir einen Gott haben, der da helfen, und einen Herrn Herrn, der vom Tode erretten, ja mitten aus dem Tode einen Ausgang finden kann; du ließest mich erfahren viel und große Angst und machtest mich wieder lebendig und holtest mich aus der Tiefe der Erde herauf, du machtest mich sehr groß und tröstetest mich wieder. Wie kann ich denn anders, mein Gott, als dir danken für deine Treue? Meine Lippen und meine Seele, die du erlöset hast, sind fröhlich und lobsingen dir. Wie sollte ich anders, als mein Leben dir allstets aufopfern und heiligen, das du mir aus Gnaden wieder geschenkt hast? Wie sollte ich dir meine Gelübde vor allem deinem Volk nicht bezahlen?

Zwar, mein Vater! es hat mich nachher noch ein Härteres getroffen, du hast ein Kreuz das andere im Hause deines Knechts lassen ablösen, du hast mir meiner Augen Lust2) genommen, (ich hätte schier Herzenslust geschrieben, wenn ich nicht dächte, daß vielleicht ein solcher Name zu viel wäre für eine sterbliche Kreatur) du hattest mir ein Bild geschenkt, das ich als ein sichtbares Zeichen deiner Gunst auf meinem Herzen getragen und um der Gnaden, Gaben und Tugenden willen, die du darin geprägt und gepflanzt, wie mein Herz und Leben liebte.

Ach, mein Gott! Ich gedenke noch wohl daran, wie diese theure Seele, als sie mich in Todesgefahr sah, mit so vielen tausend ängstlichen Seufzern und heißen Thränen auf ihrem Angesicht vor dir lag und ihr Leben für das meinige dir zum Opfer darbot, wie sie ihrer selbst vergaß und nur auf dich und mich sah; auf dich, von dem sie Trost und Hülfe erwartete; auf mich, als welchem sie aus herzlicher Liebe zu dir und mir das Leben lieber, als ihr selbst gönnte. Nun es hat dir gefallen, einen Tausch zu halten und mich unter den Sterblichen zu deinem fernem Dienst in der streitenden Kirche zu lassen, sie aber zu deinem ewigen Preise den Unsterblichen in der triumphirenden Kirche beizufügen, sie ist aus der Angst gerissen, ihre Seele ist vom Tode, ihre Augen sind von den Thränen, ihre Füße vom Gleiten errettet, sie wandelt vor dir im Lande der Lebendigen. Sie war mir, wie dir bewußt, mein Gott! lieb über alles, was ich in und von der Welt habe, denn sie nöthigte mein Herz mit einem süßen Zwang ihrer Gottseligkeit und Tugend, daß ich sie lieben mußte, sie war meines Hauses Sonne und Wonne, meines Hauptes Krone; was soll ich, dein Knecht, mehr sagen? Herr! Herr! du stehest, wie mein Herz bei diesem Andenken wallt, und wie die Augen sich der Thränen nicht enthalten können! Warum bewein ich aber die, welcher du alle Thränen von ihren Augen abgewischt hast? Warum betraure ich die, welche von keiner Traurigkeit mehr weiß? Warum seufze ich über das Andenken der, welche ein heiliges und gesegnetes Gedächtniß in der Welt hinterlassend nunmehr ein neues Lied mit deinen Auserwählten singt und in der Mitte der Engel über deine Seligkeit jauchzt? Ich habe dies Kleinod in der Zeit verloren, weiß aber, daß es im Himmel aufbehalten ist, und hoffe, es bald nach deinem heiligen Willen in der seligen Ewigkeit wieder zu finden und nimmermehr zu verlieren. Indessen hab ich dich, mein Gott! und deine Gnade behalten; an dir hab ich Trost, Hülfe, Pflege, Liebe, Treue und alles, was meine Seele wünscht, gefunden. Herr! wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erden!

Mitten in solchem und anderm mitfolgenden Kreuz sind nun diese Andachten, als Blumen unter den Dornhecken, gewachsen und hervorgekommen. Haben sie einigen Geruch des Lebens, einige Kraft deines Geistes und einigen Honig deiner Güte (für die gläubigen Seelen, die es als die hungrigen Bienen emsig suchen) bei sich, so habe du Dank, mein Vater! und dein liebes Kreuz. Dir lege ich denn hiemit diese Hand voll Kreuzblumen zugleich mit meinem Herzen demüthig zu den Füßen, nichts mehr bittend, als daß du mein gnädiger Gott und Vater ferner allezeit sein und bleiben wollest.

Magdeburg, den 16. August 1671.
Dein ewiger Knecht
Christian Scriver.

Im Namen Jesu! Amen.

M. Christian Scriver
Gottholds zufällige Andachten
Herausgegeben und Verlag vom
Evangelischen Bücher-Verein
Berlin, 1853
Im Evang. Bücher-Verlage von Justus Albert Wohlgemuth

1)
Siehe die 21. Andacht des 4. Hundert.
2)
Den 13. August erkrankte ich, und mein werthester Eheschatz, Katharina Herphardin, stirbt sanft und selig den 6. November 1670.
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