Schrenk, Elias - Sendschreiben an die Gemeinde in Laodicea
In diesem Sendschreiben erscheint der Herr als der Amen, d.h. als der Wahrhaftige, wie er sich selbst die Wahrheit nennt. In ihm sind alle Gottesverheißungen Ja und Amen, und so ist er auch der treue und wahrhaftige Zeuge; was er ausspricht, das ist gewiß. Er ist der Anfang der Kreatur Gottes; denn durch ihn ist alles geschaffen. Diese Namen waren gerade für die Vorsteher und die Gemeinde in Laodicea sehr bedeutsam; denn sie waren satt und selbstzufrieden, sie standen in direktem Widerspruch gegen den Herrn. Mit diesen vier Namen erklärt er ihnen feierlich, daß er ihnen die Wahrheit sagt; daß sie von ihm, dem Anfang der Kreatur Gottes, ganz und gar abhängen und es deshalb keine Bedeutung hat, wenn sie das Gegenteil sagen und denken. So öffnet er ihnen gleich zum Eingang Augen und Ohren. Für alle, die aus der Wahrheit sind, sind diese Namen köstlich; Jesus will Amen sein in unserm Leben, der endgültige Abschluß. Er will sich in unserm ganzen Lauf Tag für Tag erweisen als der treue und wahrhaftige Zeuge, dem wir unentwegt vertrauen dürfen. Mit allem, was wir sind und haben, wurzeln wir in ihm, dem Anfang, so daß er in Wahrheit A und O, für uns ist.
Für diese Gemeinde und ihren Hirten war es keine angenehme Sache, wenn er als der Wahrhaftige, als der treue und wahrhaftige Zeuge zu ihnen redete; denn der Inhalt seiner Rede war: Ihr steckt im Selbstbetrug, in der Selbsttäuschung. Gerade darin erweist sich Jesus an ihnen als der treue Zeuge, daß er ihnen unverblümt die Wahrheit sagt. Selbsttäuschung gehört zum traurigsten für den einzelnen und eine ganze Gemeinde; denn Selbsttäuschung ist Lüge. Die Laodiceer waren weder kalt noch warm, sondern lau; sie befanden sich in einem ekelhaften Zustande, würdig ausgespieen zu werden. Ihre Sprache, die sie führten, zeigt klar, daß sie selber gar nichts merkten von ihrem traurigen Zustande, -sie sprachen: Ich bin reich und habe gar satt und bedarf nichts; und doch waren sie in Jesu Augen elend, arm, jämmerlich, blind und bloß. Diese Tatsache nötigt zu der Frage: Wie kann eine ganze Gemeinde in einen solchen Zustand der Lauheit und des Selbstbetruges geraten? Der Apostel erwähnt Laodicea in Kol. 3,13.15.16. Er schrieb damals zu gleicher Zeit nach Kolossä und Laodicea, und beide Briefe sollten in beiden Gemeinden gelesen werden. Daraus können wir schließen, daß der geistliche Lebensstand beider Gemeinden in jener Zeit verwandt war. In Kol. 2 sagt er uns, in welchen Gefahren sie damals waren; eine falsche Prophetie und eine falsche Askese suchten unter ihnen einzudringen und Christum zu verdunkeln. Darum macht er ihnen Christum groß, zeigt ihnen, daß sie in ihm alles haben und keine neuen Lehren brauchen.
Es ist immer so gewesen, daß Menschenweisheit und äußerliche, einseitige Enthaltsamkeit vorgaben, sie führten den Menschen zu tieferer Erkenntnis und vermehrter Kraft, während sie tatsächlich verflachen und veräußerlichen. Keine Erkenntnis läßt sich an Tiefe mit der Erkenntnis Jesu Christi vergleichen, und keine Kraft kommt der Kraft gleich, die der Glaube in Christo findet.
Offenbar war es dem Feind gelungen, im Laufe der Zeit die Gemeinde immer mehr zu verflachen, von Christo zu entfernen und ihr Genüge finden zu lassen an einem Formenwesen, bei dem man sich reich und satt dünkte. Es muß beim Hirten und der Herde traurig stehen, wenn ein solcher Zustand eintreten kann und keine Wächterstimme mehr da ist, die die Gewissen weckt. Es macht tiefen Eindruck, zu sehen, wie der Herr mit dieser Gemeinde redet, nachdem er den Schaden ihrer Lauheit und ihres Selbstbetruges aufgedeckt hat. Er erscheint ihr nicht mit Donner und Blitz; er gibt ihr einen dreifachen barmherzigen Rat. Darin sehen wir sowohl die Majestät Jesu als seine herablassende, erbarmende Liebe, die retten will. Der erste Rat, den er ihr gibt, ist: Gold von ihm zu kaufen, das im Feuer durchläutert ist. Diese Worte erinnern an Ps. 19,11: „Deine Rechte sind köstlicher den Gold und viel feines Gold.“ Laodicea mußte sich vor allen Dingen vom Herrn sagen lassen; es mußte sein Wort annehmen und sich unter dasselbe beugen. Nur dann konnte es zur wahrhaftigen Buße kommen. Es ist sehr wichtig, das klar fest zu halten: keine äußeren Künste, kein Gesetz kann einem herabgesunkenen Menschen wieder aufhelfen; nur Gottes Wort kann es tun, wenn man es richtend und scheidend wirken läßt. Dann kommt es zu wahrhaftiger geistlicher Armut und zum Verlangen nach neuer Gnade.
Nahm die Gemeinde diesen ersten Rat an, so war sie fähig, auf den zweiten zu hören. Dieser lautet: sie soll weiße Kleider von ihm kaufen, daß sie sich antue, und nicht offenbar werde die Schande ihrer Blöße. Durch ihre Lauheit, Oberflächlichkeit und Weltförmigkeit hatte die Gemeinde ihr weißes Kleid verloren. Wie schwer war dieser Verlust … Die Laodiceer mußten aufs neue zu ihrem gekreuzigten Heiland zurückkehren und sich neue Vergebungsgnade und neue Reinigung schenken lassen. O, wie barmherzig ist der Herr, daß er ihnen das weiße Kleid wieder anbietet …
Hat eine Seele auf Golgatha neue Bedeckung und Reinigung empfangen im Blute des Lammes, so kann der dritte Rat des Herrn erfüllt werden! „Salbe deine Augen mit Augensalbe, daß du sehen mögest.“ Der Heilige Geist war gewichen von der Gemeinde, sie hatte kein Licht mehr. Alle aber, die jetzt den doppelten Rat des Herrn annahmen, auf sein Wort hörten und sich weiße Kleider schenken ließen, bekamen wieder helle Augen. In ihrem Herzen konnte der Geist der Wahrheit von neuem wohnen und Christum verklären. So kamen sie zu einer gründlichen Erneuerung, und der treue und wahrhaftige Zeuge, der sich ihrer so treulich annahm, wird es auch an der nötigen Zucht nicht haben fehlen lassen. Das können wir aus Vers 19 schließen, in dem der Herr sagt: „Welche ich lieb habe, die strafe und züchtige ich, so sei nun fleißig und tue Buße.“ Das ist ja in tausend Fällen so: Wenn der Mensch für die innere Zucht kein offenes Ohr mehr hat, so kommt der Herr mit äußerer Zucht. Gerade diese tut oft recht weh und erscheint nicht sofort als Liebe. Aber im tiefsten Grunde ist sie doch Liebe; denn ihr Zweck ist unsre Rettung … Für uns ist es keine Ehre, wenn der Herr uns züchtigen muß; aber ihm macht es Ehre, wenn er uns züchtigt, um uns zu gehorsamen Kindern zu erziehen.
Wenn wir den Verlauf des Sendschreibens an Laodicea betrachten, so bekommen wir den wachsenden Eindruck, daß Jesus ganze Arbeit an der Gemeinde tun will; seine Liebe wird immer herzandringender. Nachdem er Vers 19 versichert hat, daß auch in der Züchtigung sich seine Liebe offenbare, tritt er in Vers 20 als Anklopfender vor die Tür. Er möchte einkehren in den Herzen, um sich aufs innigste mit ihnen zu verbinden. Es ist tiefbeschämend, wenn er, der Herr der Herrlichkeit, sich stellt wie ein Bettler, der Einlaß begehrt bei solchen, deren Liebe lau geworden war, die ihm als Untreue gegenüberstanden. Er bedarf ihrer ja nicht; er ist der Allmächtige, der Ewige, der Vollkommene, auch ohne sie. Weil aber auch sie durch ihn geschaffen und erlöst sind, so jammert ihn der Gemeinde, und er wirbt um sie mit Barmherzigkeit und mächtiger Leibe. Wenn trotz dieser Liebe jemand verloren geht, so hat er keine Entschuldigung.
Der ganze Inhalt von V. 20 bezeugt uns, daß dem Herrn bei seiner Gemeinde nichts genügt als innige Gemeinschaft mit den Seelen; sie sollen ihn in der Tat erfahren als den, der Leben und volles Genüge gibt. So ist ihm die Bußpredigt an die Gemeinde nur Mittel zum Zweck, und dieser ist die innige Vereinigung mit ihm.
Quelle: Gärtner - Eine Wochenschrift für Gemeinde und Haus 1913