Schlatter, Adolf - Der erste Brief des Johannes. - Kap. 4, 1-6. Das Kennzeichen des göttlichen und ungöttlichen Geists.
Es können sich unter uns Kräfte regen, die sich unzweifelhaft als Geist darstellen, weil sie gesteigerte Erkenntnis verleihen und starken Willen, Glut im Wort und überraschende Wirkungen, und doch sind sie nicht aus Gott. Auch in der damaligen Gemeinde gab es Männer, die auf den Geist pochten und auch unzweifelhaft solchen hatten, und nicht nur das träge, stumpfe Fleisch und die menschliche Schwachheit aufwiesen. Dennoch durfte die Gemeinde ihnen nicht schon deshalb trauen und sich nicht sofort der Leitung dieses Geistes hingeben. Geist für sich allein gibt uns noch nicht das Recht, Vertrauen zu dem zu fassen, der ihn hat. Nicht jedem Geist glaubt. Er muss zuerst geprüft und erprobt sein, ob er aus Gott ist. Dann erst ist die Bahn frei, dass wir ihm glauben dürfen.
Glauben ist eine große Sache; es gibt dem, dem wir glauben, Macht über uns. Er macht uns für ihn offen und empfänglich, verknüpft uns mit ihm und zieht uns auf seinen Weg. Darum hat hier jeder Missgriff böse Folgen. Wer seinen Glauben dem schenkt, der seiner nicht würdig ist, so dass ihm sein Glaube zerbricht und enttäuscht wird, der zerstört sich die Glaubensfähigkeit. Zum Glauben haben wir aber noch nicht den rechten Grund, wenn wir bloß sehen: in dem ist Geist, ihn bewegt und hebt eine höhere Hand. Ist's Gottes Hand, die ihn bewegt? Erst wenn wir dessen sicher sind, dann freilich ist volle Offenheit und Willfährigkeit Recht und Pflicht. Die Erfahrung hat gezeigt, wie verschiedenes sich als Geist darstellt und fälschlich Glauben in der Kirche sucht. Viele falsche Propheten sind in die Welt hinausgegangen. Mancher Mann sah aus wie ein Bote des göttlichen Worts, redete in Gottes Namen, forderte Glauben und Gehorsam, dünkte sich ein Besitzer des Geists und hatte auch in gewisser Art solchen, und war von einer höheren Macht bewegt, die ihn durchdrang und fortgetrieben hat. Und doch waren es falsche Propheten, getäuschte und täuschende Leute, das gerade Gegenteil zu einem rechten Glaubensgrund.
Woran sollen wir den Geist aus Gott erkennen? Nicht Macht ist sein Zeichen, nicht staunenerregende Begabung oder rätselhafte, geheimnisvolle Erlebnisse, nicht dass er den, der ihn empfängt, neue überraschende Wege führt, sondern aus Gott ist jeder Geist, der sich zu Jesus Christus bekennt, als zu dem, der im Fleische gekommen ist, V. 2. Ein Geist, der sich nicht zu Jesus bekennt, ist nicht aus Gott, sondern ist das, was den Widerchrist erfüllt und zu Jesu Widersacher macht.
Vater, Sohn und Geist sind der Dreieinige. Wie der Sohn den Vater verklärt und offenbart, so bekennt und bezeugt der Geist den Sohn. Wo diese Einheit gebrochen und aufgelöst wird, da ist nicht Gott der wirkende. Gott gibt uns nicht dazu den Geist, um uns Jesus entbehrlich zu machen, als wären wir nun durch den Geist selbst zu Gott erhoben und mit himmlischem Wesen erfüllt, selbst erleuchtet und imstande, uns selbst zu führen, weshalb wir nicht mehr Jesus bedürften, um von ihm Verzeihung und Begnadigung, Heiligung und Regierung zu empfangen. Ein hochfahrender Geist, der sich selber preist, ist nie von Gott. Gott, der den Christus gemacht hat, macht nicht auch zugleich den Widerchrist. Der Sohn und der Geist sind die beiden einträchtigen Zeugen und Boten Gottes auf Erden, die nie widereinander sind; denn sie kommen beide vom selben Gott. Der Sohn dient dem Geist und macht ihm durch sein Sterben und Leben die Bahn zu uns frei. Und der Geist dient dem Sohne, bringt uns zu ihm, gibt uns das Auge, dass wir an Jesus die Herrlichkeit Gottes erkennen, und das Herz, dass wir an ihm Gottes Gnade spüren und gläubig begehren, und schafft in uns das Verlangen, ihm nachzufolgen und zu wandeln, wie er gewandelt hat. So vollführt der Geist den gnädigen und königlichen Willen des Sohns, und wird uns dazu gegeben, damit Jesu Werk an uns durch ihn geschehe und unsere Gemeinschaft mit Jesus durch ihn lebendig sei. Deswegen hat er sein Merkzeichen darin, dass er das Bekenntnis zu Jesus erweckt.
Zu dem, der im Fleisch gekommen ist, bekennen wir uns durch den Geist. Er führt uns nicht in die Himmelshöhe, sondern zum Menschen Jesus hin, wie er in der völligen Gleichartigkeit mit uns in unsrer irdischen und leiblichen Natur lebt, in der Knechtsgestalt steht, dem Gesetz der Natur und dem Gesetz der Schrift untergeben, ein Mensch, ein Jude, ein Gekreuzigter und als solcher Gottes Sohn. Die hoffärtigen Geister ärgern sich fortwährend an der Menschlichkeit Jesu und fühlen sich über ihn erhaben. Gottes Werk und Gabe müsse lauter Geist sein, lauter Kraft, lauter Himmel, lauter Ewigkeit; für den, der ins Fleisch gekleidet, in die Schwachheit gesetzt, auf die Erde und in die Zeit hinein gestellt ist, fehlt ihnen der Glaube. Und wenn sie von Jesus als dem Anfänger der Kirche und dem Boten Gottes reden, so unterscheiden sie an ihm zwischen seinem Fleisch, das uns nichts helfe, und dem in ihm wohnenden Geist, oder sie machten ihn damals, wo sie noch kindlicher phantasierten, als es wir Moderne tun, zu lauter Geist, ohne Fleisch, so dass er nur in der Figur eines Menschen erschienen sei. Gottes Geist, sagt Johannes, tut uns das, dass er uns glaubend und anbetend vor den ins Fleisch gekommenen stellt. Denn hierin offenbart sich Gottes Gnade und Gottes Herrlichkeit, dass das irdische Menschenkind der Träger seines ewigen Worts geworden ist und der ewige Sohn ein menschliches Leben geführt hat, so dass Gott und Mensch hier eins geworden sind.
Der hoffärtige Geist, der Jesus leugnet, und der Geist, der ihn bekennt, liegen miteinander in Streit. Der eine redet wider den andern. Der hoffärtige heißt den, der sich zu Jesus bekennt, finster, abergläubisch und schwach; der sich zu Jesus Bekennende bezeugt dem andern, dass er nicht aus Gott, nicht Gottes Gabe und Wirkung sei. Johannes tröstet die Gemeinde: ihr habt sie besiegt. Ihr werdet euch gegen sie schützen und den Glauben trotz ihrer Einreden bewahren; ja noch mehr, ihr habt sie ohnmächtig gemacht und den Erfolg ihnen aus der Hand genommen. Das liegt nicht an dem, was sie selber sind, an der Geschicklichkeit ihres Verstands oder an der Kraft ihres Glaubens, sondern daran, dass der, der in euch ist, größer ist, als der, der in der Welt ist, V. 4. Johannes hat mit seinen weissagenden Worten recht behalten. Die falschen Propheten, die damals die Gemeinde störten, sind vergangen; wir wissen nicht einmal ihre Namen mehr. Das Wort des Apostels ist geblieben und Jesu Name hat alles überdauert, was gegen ihn geredet war, und wird auch jetzt wieder alles überwinden, wodurch er erniedrigt und entwertet werden soll.
Der Sieg gehört dem, der uns trägt und leitet und uns zu seinem Werkzeug braucht. Ihr seid aus Gott, sagt Johannes der Gemeinde, und weil ihr euch von Gott brauchen lasst im Dienst seiner Wahrheit, darum seid ihr euern Widersachern überlegen und der Sieg ist euch geschenkt. Auch die Gegner Jesu geben sich ihre Gedanken nicht selbst und dienen nicht bloß ihrer eigenen Absicht, sondern sind die Werkzeuge eines andern Gedankens und einer ihnen überlegenen und verborgenen Macht. Sie dienen dem, der in der Welt ist. Der, der die Welt inwendig stößt und für seinen Zweck benützt, ist der Böse. Aber zwischen Gott und dem Bösen ist der Kampf von Anfang an entschieden. Der Sieg bleibt in Gottes Hand. Geist preisen sie als ihren kostbaren Besitz und zeigen ihn auch in ihrer Regsamkeit und fortreißenden Macht, und gehören doch bloß zur Welt und sind aus der Welt und haben nichts in sich, was die Welt nicht geben und erzeugen könnte. Der Geist, der sie treibt, steht mit dem Fleisch, dessen Begierde die Welt treibt, in gutem Frieden und enger Gemeinschaft und macht zwischen ihnen und den andern keinen reellen, soliden Unterschied. Darum soll sich die Gemeinde nicht über die Macht ihres Worts verwundern. Weil sie aus der Welt sind, reden sie aus der Welt und die Welt hört sie. Sie finden überall einen empfänglichen Boden für ihr Wort. Es trifft zusammen mit dem, was der Mensch nach seiner ungöttlichen Art überall denkt und will. Er besitzt inwendig die Vorbereitung und Übung zu einer solchen Frömmigkeit schon längst.
Wir sind aus Gott. Johannes fasst die Gemeinde mit sich zusammen, weil sie eines Sinnes mit ihm ist und sich wie er zu Jesus bekennt. Sie hat das Wort des Apostels aufgenommen und bewahrt. Mit dem apostolischen Wort verhält es sich aber anders, als wie mit dem Wort der falschen Geister. Die Welt hört es nicht und hat bei sich für dasselbe keinen Raum, so lange sie der Welt Art an sich hat. Um es zu hören und aufzunehmen, muss der Hörer selber aus Gott sein und Gott kennen, V. 6. Das apostolische Wort lässt sich nicht durch die Welt hin ausbreiten und zum allgemeinen Besitz aller machen, die zur Welt gehören, so dass es die ganze natürliche Gemeinschaft der Menschen durchdringen würde. Auf diesen sichtbaren und blendenden Erfolg muss es verzichten. Um so herrlicher und größer ist das, was es wirklich kann und tut. Es erreicht, nährt, stärkt und einigt die, welche Gott kennen, die, für welche Gott die Wurzel ihres Lebens ward, die aus ihm empfangen haben, was sie innerlich bewegt. Sie sind zum Hören des Evangeliums bereitet; für sie ist es verständlich, bei ihnen findet es Glauben, sie nährt es und wird für sie zum Lebenswort.
Zwei Dinge leiten uns zu Gott. Die eine Leitung wird uns von außen her gegeben durch das Wort der Schrift, wie es durch den Unterricht der Kirche sich forterhält. Dem Zeugnis, das uns von außen her erreicht, steht die Wirkung Gottes zur Seite, die uns von innen her bewegt. Nachdem Gott sein Wort durch seine Boten in die Welt hineingepflanzt hat, ist er nicht untätig und abwesend geworden. Er selbst ist allezeit am Wert und belebt die Geister, so dass sie aus ihm ihren Trieb haben und ihr Trachten ziehen, und darum auch ihn erkennen, ihn spüren und greifen, wie Paulus sagt, und sich ihn nicht verbergen noch ihn vergessen können. Gottes eigene Wirksamkeit im Grund der Geister macht, dass das Wort nicht vergebens in der Welt ist, sondern in dieselben eindringt und drin heimisch wird und Glauben schafft.
Derselbe Gott erweckt den Hunger und schafft die Speise, die ihn sättigt, bringt die Empfänglichkeit hervor und schickt ihr seine Boten mit seinem Wort, das dieselbe erfüllt und befriedigt. Darum kann hier niemals ein Zwiespalt und Widerstreit entstehen. Wer Gott kennt, der hört das Wort der Apostel, und wer dieses hört, der kennt Gott. Deswegen zeigt die Weise, wie wir uns zum Worte halten, welcher Art der Geist ist, der sich in uns regt. Daran, ob die Apostel gehört werden oder nicht, ob ihr Wort aufgenommen wird oder nicht, erkennen wir den Geist der Wahrheit und den Geist der Verführung.
Als das erste Merkmal, woran man die Geister erkennt, hat uns Johannes das Bekenntnis zu Jesus in seiner Fleischesgestalt genannt. Als das zweite Merkmal nennt er, ob sie das apostolische Wort hören und fassen oder nicht; denn dieses stellt Jesus dar und bezeugt seinen heiligen Beruf. Wird es aufgenommen, so gibt es uns das Bekenntnis zu ihm.
Geist der Wahrheit, das gehört auch zu den Worten Jesu, durch welche er seinen Jüngern Gottes Gabe beschrieben hat. Es ist uns damit klar bezeichnet, was für Geist wir allein begehren dürfen. Auch Gottes Geist ist Macht, welche die Persönlichkeit beherrscht, die Herzen bewegt und mit sich fortzieht und von uns ausströmt und in die andern übergeht. Aber der Geist, den Gott gibt, übt seine Macht durch die Wahrheit. Nur durch sie regiert und treibt er uns. Er erregt unsere Gedanken dadurch, dass er Wahrheit in unsere Erkenntnis bringt, entzündet unsere Begehrung dadurch, dass er sie auf die Wahrheit richtet und ihr gehorsam macht, und gibt uns auf die andern dadurch Einfluss, dass er uns in den Dienst der Wahrheit stellt. Hat der Geist nicht in der Wahrheit seine Eigenschaft, so wird er, weil er Macht ist und uns mit sich fortreißt und viele mit uns, zur verführerischen Gewalt, durch die wir selbst verführt werden und die andern mit uns.