Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Die Apostelgeschichte.

Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Die Apostelgeschichte.

Lukas hat seinem Evangelium ein zweites Buch als Fortsetzung folgen lassen. Denn wenn einem Griechen das Bild Jesu vorgehalten war, so war ihm damit das Christentum, wie er es in seiner Gemeinde vor Augen hatte, noch nicht vollständig erklärt. Jesu Leben und Sterben gehörte Israel an; seither waren die Gemeinden draußen in den griechischen Ländern entstanden. Wie war das gekommen? Da hatte sich ein wichtiges Stück göttlicher Regierung vollzogen. Dasselbe erkennbar zu machen und den Weg darzustellen, auf dem die erste Kirche geleitet worden war, das ist der Zweck dieses zweiten Buchs.

Sein griechischer Titel „Handlungen der Apostel“ gibt die Art und das Ziel des Buchs vortrefflich an, besser als unser deutsches „Apostelgeschichte.“ Denn es enthält im Grunde nicht eine Geschichte der Apostel. Einmal lernen wir nur zwei derselben daraus kennen, im ersten Teil Petrus, im zweiten Paulus. Und auch bei Petrus geht die Erzählung keineswegs seinen Erlebnissen nach, sondern verläßt ihn ganz, sowie die Gemeinde in Jerusalem begründet und ihre Stellung zur Judenschaft entschieden ist. Hernach wird nur noch sein Anteil an der Befreiung der heidenchristlichen Gemeinden vom Gesetz erwähnt. Eher ist der zweite Teil des Buchs eine Geschichte des Apostel Paulus. Und doch bildet auch hier das persönliche Schicksal des Paulus nicht den Hauptgegenstand der Erzählung. Dies zeigt sich anschaulich darin, daß sie vor dem Ende des Apostels abbricht. Nicht auf die Person der Apostel ist der Blick gerichtet, sondern auf das, was sie in Gottes Auftrag und Kraft zur Begründung und Entwicklung der Kirche gethan haben. Wir sollen erkennen, welches der Weg war, den Gott ihnen zur Ausrichtung ihres Auftrags wies und ebnete, wie sie's mit der Verkündigung des Evangeliums hielten, wie sie die Gemeinden ordneten und in welche Bahn sie dieselben leiteten.

Der erste Teil des Buche beschreibt:

Die Begründung der Gemeinde in Jerusalem, Israels Kampf gegen sie und die Vorbereitungen zur Heidenchristenheit. 1-12.

Der Anfang der Apostelgeschichte wiederholt das Ende des Evangeliums. Christus erweist sich den Jüngern als auferstanden, sagt ihnen das Kommen des Geistes zu, geht von ihnen weg in den Himmel, und Engel verheißen ihnen seine Wiederkunft1). Wir kennen damit die Grundlage, auf der die Gemeinde steht: die Gewißheit der Auferstehung und Erhöhung Christi, die Zusage des heiligen Geists und der Ausblick auf Jesu königliche Erscheinung, das sind die wirksamen Mächte, welche die erste Gemeinde schufen und regierten. 1,1-11.

Im verborgnen ist als die Frucht der Arbeit Jesu schon eine kleine Gemeinde vorhanden, deren Kern die Elfe bilden. Die von Jesus geordnete Zwölfzahl der Jünger wird durch Matthias ergänzt. Die Jünger haben die Last, die der Verrat in ihrer eignen Mitte und der Tod Jesu auf sie warfen, überwunden und fassen ihren Beruf fest und entschlossen in's Auge. 1,12-26.

Nun kommt auch die Ausrüstung zu demselben, der Geist. Die Zeichen, mit denen er erscheint, versammeln Israel um sie. Petrus verkündigt ihnen den Geist als Jesu Gabe und dessen Tod und Auferstehung als übereinstimmend mit Gottes Rat und der Schrift. Eine große Schar aus Israel läßt sich sofort auf Christi Namen taufen, und es besteht nun in Jerusalem eine Christenheit. 2.

Durch die Heilung eines Lahmen im Tempel herbeigerufen, hört Israel wieder das Zeugnis von Christo und die Gemeinde erfährt nochmals einen großen Zuwachs. Aber die Botschaft vom Auferstandenen erregt den Widerstand der Sadducäer. So werden Petrus und Johannes dem Rat als Jesu Apostel bekannt und dieser verbietet ihnen die Predigt. Die Gemeinde bittet ergeben und gläubig um Stärkung in dem beginnenden Kampf. 3,1-4,31.

In der Gemeinde lebt eine opferwillige Hingebung, die sich freudig zu Gunsten der Armen des irdischen Besitzes entäußert. Als Beispiel derselben wird uns Barnabas genannt, der zugleich zeigt, wie sich der Kreis derer mehrt, die dem Werke Christi thätig dienen. Neben dem hellen Licht findet sich auch der dunkle Schatten. An Ananias wird die Gefahr sichtbar, welche die Gemeinde von innen bedroht. Die ehrgeizige Heuchelei begehrt statt des Wesens den Schein, wird aber von Petrus ernst gerichtet und Gott bestätigt sein Urteil. 4,32-5,11.

Der Kampf, den die Machthaber Israels mit der Gemeinde begonnen haben, steigert sich. Der Rat bringt die Apostel in's Gefängnis; aber Gott kennzeichnet sie offenkundig als seine Boten, und die Pharisäer können sich dieses Eindrucks nicht völlig erwehren. So rettet ihnen der vorsichtige Rat Gamaliels das Leben. 5,12-42.

Die Erhaltung der Einigkeit in der Gemeinde stößt auf Schwierigkeiten; denn sie enthält bereits zwei verschiedene Nationalitäten in sich, hebräische und griechische Juden. Das ist der erste Schritt auf dem Wege zu den Griechen hin. Zugleich macht es ihre Ausdehnung den Aposteln unmöglich, allen Anliegen derselben zu dienen. Dies führt zum Ausbau der Gemeindeverfassung. Das Armenpflegeramt wird eingerichtet; die Apostel dagegen bleiben bei der Verwaltung des Worts. 6,1-7.

Einen weiteren Schritt in der innern Entwicklung der Gemeinde bezeichnet die Predigt und das Schicksal des Stephanus. Es kommt an's Licht, wie das Bekenntnis zu Christus der alten Ordnung Israels ein Ende macht. Seine Predigt scheint den Juden das Gesetz und den Tempel anzutasten, und er zeigt seinerseits dem Rat in der Verwerfung Christi das zusammenstimmende Ende und Ergebnis der ganzen Geschichte Israels. Darauf fließt das erste Blut Jesu wegen und die Verfolger sind nicht mehr bloß die Sadducäer, unter ihnen ist auch Saul. 6,8-8,3.

Je mehr sich Israel vom Evangelium entfernt, um so mehr nähert sich dasselbe den heidnischen Landen. Das große Wunder im Gang der ersten Christenheit war die Entstehung der Heiden-Kirche, der Übergang des Evangeliums in's römische Reich. Das bildet den wichtigsten Gesichtspunkt, nach dem die Erzählungen ausgewählt und angeordnet sind. Wir sollen erkennen, wie Gott Schritt um Schritt das Evangelium den Heiden zuleitet. Die nächste Station ist Samarien mit seinem halben Juden- und halben Heidentum. Durch Philippus entsteht eine Samariterkirche und die Apostel selbst erfahren es, wie unter ihrem Gebet der Geist Gottes sichtbar in derselben zu walten beginnt. Zugleich zeigt sich hier sofort die neue Gefahr, die dem Evangelium auf dem heidnischen Boden entgegentritt. Es stößt hier auf ein unreines, unechtes Gegenbild, auf das zauberische Haschen nach göttlichen Kräften zur eignen Erhöhung. Simon trägt dasselbe auch in die Gemeinde hinein und wird von Petrus gestraft. 8,4-24.

Eine andre Thüre in die Weite öffnet sich dem Evangelium durch die Proselyten. Darum ist neben die Samariter der Kämmerer aus Aethiopien gestellt, der einstige Heide, der zunächst zum Gott Israels herzutrat und ihn in Jerusalem suchte und nun auf dem Heimwege durch offenbare Fügung Gottes Christum fand. 8,25-40.

Noch kam das Evangelium zu keinem Heiden. Aber nun beruft Jesus durch seine eigene Erscheinung den künftigen Apostel der Heiden. Paulus beginnt sein Werk vorerst noch in den Schulen der Judenschaft, wird aber von ihr schon in Damaskus auf den Tod verfolgt. Durch Barnabas wird er mit der Gemeinde in Jerusalem verbunden; aber vor dem Haß der Judenschaft muß er nach Tarsus entweichen. Die Judenschaft hatte für Paulus keinen Raum; er war hinausgetrieben zu den Heiden. 9,1-30.

Aber auch die Gemeinde Jerusalems muß der Berufung der Heiden zu Christo gewiß werden. Indem Petrus die Orte des jüdischen Landes unter großen Zeichen besucht, wird er bis an die Grenze desselben nach Joppe und von hier ins heidnische Haus nach Cäsarea geführt. Gott weist seine Furcht vor der Unreinheit der Heiden zurecht und besiegelt seine Predigt dadurch, daß Kornelius und sein Haus den Geist Gottes empfängt. Die Gemeinde in Jerusalem widerspricht zunächst, weil hierin eine Übertretung des Gesetzes lag, beugt sich aber unter Gottes Führung, die sich im Gang der Dinge offenkundig bezeugt hatte. 9,31-11,18.

Nun entsteht die erste überwiegend griechische Gemeinde. Griechische Juden sammeln sie in Antiochien. Zu derselben wird durch Barnabas Saulus berufen und sie tritt mit Jerusalem zur Zeit der Not durch thätige Hilfe in Gemeinschaft. 11,19-30.

Darauf wird uns noch ein letztes Bild aus Jerusalem gegeben. Man rechnet es dort Herodes zum Verdienste an, wenn er die Christen hinrichtet. Jakobus stirbt und Petrus wird nur durch den Engel Gottes vor dem Tode bewahrt. 12,1-19.

Derselbe Herodes läßt sich selbst von der Menge als Gott feiern und wird von Gottes Gericht dahingerafft. 12,20-25.

Mit diesem Bilde verläßt die Erzählung die Judenschaft und auch die jüdische Christenheit. Wir haben Schritt um Schritt die Feindschaft jener entstehen und wachsen sehen. Nun ist die Lage der dortigen Gemeinde entschieden. Ihr sind die Thüren zu ihrem Volk verschlossen; ihre Aufgabe heißt dulden und leiden, und über Israel stehen die Zeichen des göttlichen Gerichte.

Der zweite Teil des Buche führt uns

das Missionswerk des Paulus, 13-28,

vor. Im Prophetenkreise Antiochiens bezeichnet der Geist Barnabas und Paulus als Christi Boten an die Heiden. Sie ziehen durch Cypern, brechen den Widerstand des jüdischen Zauberers und dringen ins Innere Kleinasiens ein. In der Schule des kleinasiatischen Antiochien stellt Paulus an das Ende der Geschichte Israels Jesum, der mit seiner Auferstehung die Weissagung erfüllt und die Rechtfertigung gewährt, die das Gesetz nicht verschaffte. Weil er von der Judenschaft verstoßen wird, nehmen ihn die Heiden auf. In derselben Weise entstehen die Gemeinden in Ikonium, Derbe und Lystra, wo er wegen der Heilung des Lahmen zuerst als Gott geehrt und hernach gesteinigt wird. 13 u. 14.

In Antiochien fordern jüdische Christen die Beschneidung der heidnischen Gläubigen, und da Paulus ihnen widersteht, wird die Sache nach Jerusalem gebracht. Petrus und Jakobus sprechen die Heiden von der Beobachtung des Gesetzes frei und stellen die wesentlichen Punkte einer christlichen Lebensordnung für die Heiden unabhängig vom Gesetze fest. 15,1-34.

Paulus zieht zu neuer Arbeit aus mit neuen Gehilfen. Barnabas trennt sich von ihm; dagegen tritt Silas zu ihm und in Lystra findet er Timotheus. Die Weisung Gottes führt ihn nach Macedonien. Es wird uns erzählt, wie die Gemeinde von Philippi im Hause der Lydia ihren Anfang nahm, wie sich gegen Paulus die Verfolgung erhob und wie dieselbe durch Gottes Zeichen dem Evangelium dienstbar wird. Sein Weg führt ihn über Thessalonich und Beröa nach Athen. Dort lernen wir ihn kennen, wie er im Heiden die Erkenntnis Gottes zu erwecken versucht, um ihn von hier zur Buße und zum Glauben zu Seiten im Blick auf Christi Auferstehung und Gericht. In Korinth schließt sich Aquila an Paulus an und gesichert vor Verfolgung sammelt er dort eine große Gemeinde. 15,35-18,21.

Während er wieder Jerusalem und Antiochien aufsucht und sodann Kleinasien durchwandert, wird in Apollo für die griechischen Gemeinden ein neuer Lehrer gewonnen. Hierauf wird Ephesus der Mittelpunkt einer mächtigen Arbeit des Paulus, deren siegreiche Kraft in mehreren Bildern uns vorgeführt wird. Einem in der Erinnerung an den Täufer vereinigten Jüngerkreise vermittelt er den heiligen Geist. Seine Heilungen reizen sogar jüdische Zauberer zum Gebrauch des Namens Jesu, jedoch ihnen selbst zur Beschämung. Die christliche Gemeinde reinigt sich dagegen von allem heidnischen und jüdischen Zauberwerk. Die vom Tempel der Diana lebenden Arbeiter werden für ihren Erwerb besorgt und erregen einen Tumult gegen Paulus, der ihn aber nicht gefährdet. Mit dem Plan nach Rom zu gehen, verläßt Paulus Ephesus und besucht zunächst Macedonien und Korinth. 18,22-20,2.

Von Korinth zieht Paulus nach Jerusalem. Zu Milet gibt uns Lukas das dritte Beispiel einer Predigt des Apostels, die Abschiedsrede an die Ältesten von Ephesus. Das erste Beispiel war eine Missionsrede an die Juden in Antiochien, das zweite eine Missionsrede an die Heiden in Athen; hier ist's ein abschließender Rückblick auf die Treue seines apostolischen Wirkens in Ephesus und ein Vorblick auf sein eigenes schweres Geschick und auf das Zerstörungswerk, das nach seinem Weggang an den Gemeinden verübt werden wird. Je näher er Jerusalem kommt, um so deutlicher verkündigt ihm die Weissagung seine Gefangenschaft; aber Paulus bleibt fest. In Jerusalem räth ihm Jakobus die Darbringung eines Opfers zur Widerlegung der Verdächtigung, als wäre er ein Verächter des Gesetzes und als wende er die glaubenden Juden von demselben ab. Im Tempel wird er von den Juden überfallen, von den römischen Soldaten vor dem Tode geschützt und ins Gefängnis gebracht, an dessen Eingang er Israel erzählt, wie er ein Apostel Christi geworden ist und wie ihn dieser zu den Heiden sandte. Vor dem Rat bezeugte er seine Einigkeit mit der Hoffnung Israels, wie sie die Pharisäer als das teuerste Heiligtum des Volkes in Ehren hielten, und diese geraten seinetwegen mit den Sadducäern in Streit. Er soll durch Meuchelmord fallen; aber dieser wird verraten und Paulus deshalb nach Cäsarea gebracht. Die beiden Statthalter sind von des Paulus Unschuld überzeugt, doch zugleich auch den Juden willfährig. Deshalb beruft sich Paulus auf den Kaiser, und wird nach zweijähriger Gefangenschaft nach Rom gebracht, nachdem er vor Festus und Agrippa nochmals den Quell und Grund seiner ganzen Thätigkeit, seine Bekehrung durch Christi Erscheinung, ans Licht gestellt hat. 20,3-26,32.

Sehr ausführlich mit der sichersten Erinnerung an deren ganzen Verlauf wird die Fahrt nach Rom erzählt, bei der sich wiederum zeigt, wie in aller Gefahr dennoch Gottes schützende Hand über Paulus steht und ihn seinem Beruf erhält. In Rom wendet er sich zuvörderst an die Judenschaft, damit er ihr nicht als ihr Feind und Verkläger erscheine. Sie kommt ihm nicht von Anfang an feindselig entgegen, erträgt aber auch hier das Evangelium von der Berufung der Heiden nicht. Die milde Haft, in der Paulus gehalten wird, ermöglicht ihm während zwei Jahren die ungehinderte Predigt des Evangeliums in Rom. 27 u. 28.

Damit schließt der Bericht. Paulus predigt das Evangelium in Rom! Das ist das inhaltsreiche bedeutungsvolle Ergebnis, zu dem uns Lukas hingeleitet. Er stellt den überraschenden Weg der Kirche ins Licht, der alle menschlichen Gedanken durchkreuzt hat. Er zeigt, wo ihr Gott den Boden bereitet hat, nachdem Jerusalem sie von sich ausgestoßen hat, wo das Evangelium trotz aller Verfolgung, ja vielmehr durch deren Dienst seinen Sieg errungen hat. Nun läßt freilich dieser Schluß, so gewiß er dem Buche ein wohl erwogenes Ende gibt, eine Frage unbeantwortet, die sich von jeher aufgedrängt hat. Warum erzählt Lukas nicht, was fernerhin mit Paulus geschah? Wurde er wieder frei? Konnte er sein früheres Arbeitsfeld nochmals besuchen? Sein Prozeß lag ja günstig. Der Statthalter berichtete nichts Schlimmes von ihm; Agrippa war ihm nicht feindselig und seine Feinde in Jerusalem hatten ihm keine Verkläger nachgesandt. Aber stellt uns Lukas nicht den Abschied von den Ältesten zu Ephesus als endgültig dar? Sagt ihnen Paulus nicht, sie werden sein Angesicht nicht mehr sehen? Wurde er also nach jenen zwei Jahren aus der von ihm selbst gemieteten Wohnung ins Gefängnis und von dort auf den Richtplatz geführt? Aber wenn dies der Gang der Dinge war, warum führt uns Lukas nicht bis zum Ende des Apostels hin? That er's nicht, weil Theophilus dasselbe selber kannte? Allein dachte er denn nur an ihn, nicht auch an seine anderen Leser? Oder waren die Dinge noch unentschieden, als Lukas schrieb? Als das Buch verfaßt worden ist, war Paulus jedenfalls nicht mehr in seiner eigenen Wohnung in Rom. Aber war er noch im Gefängnis, ohne daß sich schon ermessen ließ, wie sich sein fernerer Lebensgang gestalten würde? Nirgends kommen hier die Erwägungen über Vermutungen hinaus. Lukas genügte es, uns vorzuführen, wie Paulus sein längst erstrebtes Ziel, die weltbeherrschende Hauptstadt des Reichs, erreicht hat und den Namen Christi dort verkündigte. Auf den Verlauf seines persönlichen Geschickes richtet er unsern Blick nicht hin. Die späteren griechischen Lehrer sagen, daß Paulus in Rom hingerichtet worden sei; sie haben aber keine bestimmten Nachrichten mehr gehabt, die uns den Hergang der Ereignisse genauer erkennen ließen.

Unter den Erzählungen aus dem Missionsleben des Paulus zeichnen sich einige dadurch aus, daß sie in der ersten Person abgefaßt sind. Dieses „Wir“ begegnet uns zum erstenmal bei der ersten Überfahrt von Troas nach Macedonien, 16,10, und hört wieder auf, nachdem die Veranlassung zum Aufruhr in Philippi erzählt ist, 16,18. Es beginnt wieder bei der Abreise von Philippi nach Jerusalem, 20,5, und erstreckt sich bis zum Besuch des Paulus bei Jakobus, 21,18, und setzt sich sodann wieder durch den ganzen Bericht über die Reise nach Rom fort, 27,1-28,16. Hier spricht ohne Zweifel ein Begleiter des Paulus, der während der zweiten Missionsreise vielleicht in Troas von Paulus in seinen Dienst gezogen worden ist und bleibend mit ihm in Verbindung blieb, wenn er ihn auch nicht immer begleitet hat. Nichts in diesen Berichten widerspricht der Überlieferung der Kirche, daß dieser Begleiter Lukas gewesen sei. Man hat freilich diese Berichte als Einlagen zu betrachten versucht, welche der Geschichteschreiber aus den Schriftstücken, die ihm vorlagen, unverändert aufgenommen habe. Dann wäre für den Hauptteil der Apostelgeschichte nicht Lukas der Erzähler, sondern ein späterer Mann. Es ist jedoch eine unnatürliche Vermutung, daß der spätere Verfasser in den Berichten, die er seiner Erzählung einfügte, das „Wir“ unverändert stehen ließ. Wie soll Theophilus oder irgend ein Leser dieses „Wir“ nicht auf jenes „Ich“ beziehen, das in der Vorrede spricht und das ganze Buch verfaßt hat? Auch sind diese Abschnitte mit dem Plan und der Art des übrigen Buchs völlig übereinstimmend. Die Bekehrung der Lydia und die Heilung des besessenen Weibes in Philippi oder die Erweckung des Knaben in Troas unterbrechen den kurz zusammenfassenden Bericht genau ebenso, wie Lukas jeweilen die summarische Berichterstattung durch einzelne ausführlichere Bilder illustriert. Die Rede in Milet läßt sich schwerlich vom Reisebericht abtrennen, steht aber zu den anderen Reden, die uns von Paulus berichtet werden, offenbar in enger Beziehung. Die Abschnitte mit dem „Wir“ heben hervor, wie treu Paulus die Gemeinschaft mit Jerusalem sucht, durch keine noch so düstere Aussicht von seinem Besuch sich abschrecken läßt, und sofort mit Jakobus und den Ältesten Jerusalems in Verbindung tritt. Diese Treue hervorzuheben, mit der Paulus die Verbindung mit Israel festhielt, bildet aber einen Hauptgesichtspunkt, der sich durch die ganze Erzählung hindurch erstreckt. Endlich zeigen auch diese Abschnitte, wie Gottes Schutz und Vorsehung Paulus durch alle Verwickelungen hindurch nach Rom geleitet, und nach Rom zielt das ganze Buch. Die Apostelgeschichte ist eine Schrift aus einem Guß.

Zum Gedanken, der Verfasser der Apostelgeschichte könne nicht selbst ein Begleiter des Apostel Paulus gewesen sein, ließ man sich namentlich deshalb leiten, weil die Apostelgeschichte mit großem Nachdruck die Treue und Sorgfalt hervorhebt, mit der Paulus das Evangelium immer wieder der Judenschaft nahe zu bringen und ihr allen Anstoß so weit möglich aus dem Wege zu räumen suchte. Er geht überall zuerst in die Synagoge und zu den Heiden erst dann, wenn ihn Israel abgewiesen hat. Er beschneidet den Timotheus, übernimmt bei der Abfahrt von Korinth ein Gelübde, daß ihn nötigt, nach Jerusalem zu gehen, und ist auf den Rat des Jakobus sofort bereit, darzuthun, daß er keinen Abfall vom Gesetz lehre, zu welchem Zweck er die Opfer für vier Nasiräer bringt. Er tritt vor den Rat als ein Pharisäer und erklärt in den Gerichtsverhandlungen wiederholt, daß er lediglich der Hoffnung Israels wegen gefangen sei. Auch in Rom bemüht er sich sofort, allen Argwohn von Seiten der Juden zu verhüten und sie für das Evangelium zu gewinnen.

Zeigen uns aber nicht die Briefe des Apostels, daß Paulus vom Gesetz gänzlich abgelöst war? Gewiß! Sowie das Gesetz als Mittel Gottes Gnade und Gabe zu erwerben, gebraucht wurde und an Christi Statt gesetzt wurde als ein Weg ins Leben, oder auch nur neben ihn als eine Nachhilfe zu Christi Gabe und Werk, dann kannte Paulus keine Nachgiebigkeit, sondern achtete solche Verehrung des Gesetzes als eine Verleugnung Christi und eine Preisgabe des Glaubens nach dem Wort: ihr seid aus der Gnade gefallen, die ihr euch beschneiden wollt. Und wenn der Jude sein eigenes Werk und natürliches Wesen pries und herrlich machen wollte, so lautete des Apostels Antwort: haben wir einen Vorzug? Gar keinen! aus des Gesetzes Werken wird kein Fleisch gerecht. Allein deshalb stand Paulus dennoch das Gesetz allezeit als Gottes Gesetz in seiner Heiligkeit und Würde vor Augen und Israel blieb ihm Gottes Volk - in der Unwandelbarkeit seiner Berufung. Der Apostel war vollkommen überzeugt, daß in Christi Reich Israels Berufung zur höchsten Erfüllung kommt und in Christi Werk, in seinem Sterben und Leben, der ganze Inhalt des Gesetzes wiedererscheint und als das Gesetz des Geistes zu Kraft und Wesen gelangt. Deshalb war des Apostels Antwort auf die Frage: hat Gott sein Volk verstoßen allezeit dieses sei ferne! ich bin ja auch ein Israelite; und auf die Frage: heben wir das Gesetz durch den Glauben auf? hat er nie anders geantwortet als: das sei ferne! vielmehr richten wir das Gesetz auf.

Darum war Paulus in Bezug auf die Ordnungen des Gesetzes wahrhaft frei. Er wäre nicht wahrhaft frei gewesen, wenn er das, was das Gesetz vorschrieb, seines Gewissens halber hätte meiden müssen. Er konnte aber beides, jene Dinge beobachten und sie versäumen. Er konnte den Sabbath halten und brechen, das Opfer darbringen und unterlassen, die unreine Speise meiden und essen, die Beschneidung vollziehen und nicht vollziehen. Er stand über dem Gesetz, weil er in Christo Gottes und seines Reiches vollkommen gewiß und sicher war, und Christo war er nicht durch das Gesetz, sondern im Glauben verbunden. Was sollte er noch beim Gesetz suchen und vom Gesetz hoffen? Er konnte mit ihm Christum nur verlieren. Und dennoch vermochte er mit voller Freiheit allen Ordnungen des Gesetzes sich unterthan zu machen, sofern keine Geringschätzung Christi darin lag. Er fügte sich ja damit nur in diejenigen Ordnungen, die Gott selbst dereinst seinem Volk bereitet hatte. Und Paulus hatte sein Volk lieb. Er sagt selbst, er gäbe gerne sein ewiges Leben dahin, wenn er Israel damit helfen könnte, Röm. 9,3. Das war nicht nur ein leerer Wunsch und ein müßiger Schmerz. Es war Paulus ernst bei seinem Leid um Jerusalem, und dieser Ernst erwies sich zuvörderst darin, daß er jeden Anstoß vermied und zu allem bereit war, was Israel den Zugang zu Christo erleichtern konnte. Der Treue, mit der er überall die Synagoge aufsuchte, hat er selbst ein Denkmal gesetzt: von fünf Synagogengerichten ward er als Ketzer verurteilt zu 40 Streichen weniger einen, 2 Kor. 11,24. Es bedarf keines anderen Beweises für die Energie der Liebe, mit der Paulus Israel nachgegangen ist.

Wenn Lukas diese Seite am Leben des Paulus so geflissentlich hervorhebt, so verfolgt er damit sicherlich den Zweck, anklagenden Gedanken zu wehren, die Paulus aus seiner Heidenmission einen Vorwurf machen möchten. Wir haben hiebei nicht nur an das Schelten und Murren der Juden oder auch jüdischer Christen zu denken; auch den Männern, die selbst die Heidenpredigt betrieben, war es naturgemäß ein Bedürfnis, sich selbst zu prüfen und die Frage ins Reine zu bringen, ob es denn beim Übergang des Evangeliums zu den Heiden mit rechten Dingen zugehe und Israel empfange, was ihm gebührt. Darum zeigt uns Lukas, daß Paulus Israel alle Treue und Liebe gehalten hat, so daß dessen Verstockung keine Schuld auf ihn fallen läßt. Das erstaunliche Resultat der apostolischen Predigt, daß Israel draußen stund und die Heidenkirche aufblühte, ist zu Stande gekommen, trotzdem Paulus mit der zähesten Energie an Israel festhielt und es mit allen Mitteln zu Christo herzubringen wollte. Die Juden trieben ihn selber zu den Heiden, und in dieser Nötigung wird Gottes Walten offenbar und ruhte das gute Gewissen derer, die jenes Resultat durch ihre eigene Arbeit herbeiführten.

Deshalb zeigt uns Lukas nicht bloß, wie Paulus die Juden nicht fahren ließ, sondern auch wie Petrus mit der ersten Gemeinde den Heiden entgegengeleitet ward. Auf des Petrus Gebet erhalten die Samariter Gottes Geist; Petrus tauft die ersten Unbeschnittenen und des Petrus und Jakobus Wort stellt die heidnischen Gemeinden in die Freiheit vom Gesetz. So sehr sich Petrus für Israel berufen weiß, muß er sich doch auf Gottes Weisung der Heiden annehmen, und so sehr Paulus in den Heiden sein Arbeitsfeld sieht, so wenig verachtet und versäumt er die Judenschaft. So tritt die gehorsame Treue der apostolischen Männer gegen Gottes Weisung ins Licht und es wird offenbar, daß die Kirche nach Gottes Willen in diese Bahn geleitet ward.

Man hat auch diese Freiheit des Petrus, die den Heiden um seines Glaubens willen für ein Glied des Reiche Christi achtete, unglaublich genannt. Wir sehen nämlich aus den Paulinischen Briefen, daß es vielen jüdischen Christen schwer geworden ist, sich am Bestehen der Heidenchristenheit zu freuen, daß sie vielmehr hartnäckig und eifrig versuchten, dieselbe jüdisch zu machen. Diese jüdischen Eiferer beriefen sich dabei auf Jakobus und Petrus, und suchten die Gemeinden mit ihrer Autorität einzuschüchtern und von Paulus loszureißen. Von diesem Widerstand in der jüdischen Christenheit gegen die Heidenkirche und ihre Freiheit vom Gesetz berichtet uns aber auch Lukas in aller christlichen Offenheit. Er zeigt uns ja, wie ferne Petrus der Gedanke lag, in ein heidnisches Haus zu treten, und wie stark seine Furcht war, die Ordnungen des Gesetzes zu übertreten und unreine Speise in seinen Mund zu nehmen. Er berichtet uns auch von den Männern, die der Gemeinde von Antiochien rundum erklärten: ohne Beschneidung werdet ihr nicht selig; das Himmelreich ist nur für Juden da. Er sagt uns auch, wie stark der Argwohn und Anstoß war, den Paulus in der jüdischen Christenheit wider sich erregte, so daß sich Jakobus und Paulus veranlaßt sahen, alles zu thun, um demselben die Spitze abzubrechen. Den Apostelkreis stellt Lukas freilich über diesen blinden Eifer und zeigt die Einheit des Geistes zwischen Petrus und Paulus. Auch damit sagt er nichts anderes als Paulus selbst. Dieser bezeugt, Gal. 2, daß es nur nebenein gedrungene falsche Brüder waren, welche die Freiheit der Gemeinden verderben wollten, und nicht die Apostel in Jerusalem, daß dieselben keinerlei Zumutungen an ihn gestellt haben und von den Heiden weder Beschneidung, noch Sabbath, noch Reinigkeit forderten, daß sie Paulus als einen Apostel ihres eigenen Herrn und Meisters gleich wie sich selber schätzten und ehrten und die Gemeinschaft zwischen ihnen ausdrücklich und offen anerkannten, wenn auch ihr Beruf und das Feld ihrer Arbeit ein verschiedenes war. Daß sie hiebei ernst und aufrichtig handelten, daran zu zweifeln hat niemand Grund. Petrus, Jakobus, Paulus waren Männer, die mit ihren Überzeugungen nicht spielten, und nicht mit dem Mund zustimmten, im Herzen aber protestierten im selben Atemzug. Sie hießen den nicht einen Apostel Christi, dem sie Verkehrung des Evangeliums zur Last legten. Paulus hat jeden, der das Evangelium verdrehe, verflucht, und ob es ein Engel vom Himmel wäre; Petrus dagegen hat er einen Apostel und Diener Christi genannt. Die Einheit, in der uns die Apostelgeschichte Petrus und Paulus zeigt, ist nicht aus irgend welchen Parteirücksichten erfunden, sondern einfach wahr2).

Auf diese Einheit und Gleichartigkeit zwischen den beiden Aposteln macht uns die Apostelgeschichte auch in Bezug auf ihre Erlebnisse aufmerksam. Lukas scheint einen Parallelismus der Geschichten zwischen dem ersten und zweiten Teil zu beabsichtigen. Petrus und Paulus heilen beide einen Lahmen, und wecken beide einen Toten auf. Petrus vollzieht an Ananias Gottes Gericht, Paulus an Elymas, und beide liegen mit der Zauberei im Streit. Petrus vermittelt den Samaritern den Geist, Paulus den Johannisjüngern. Beide erfahren im Kerker Gottes wunderbaren Schutz, und die erste Predigt des Petrus am Pfingstfest und die erste Predigt des Paulus vor den Juden Antiochiens bezeugen in ganz ähnlicher Weise die Auferstehung Jesu nach der Schrift. Diese Parallele hat ihren Grund darin, daß mit dem großen Wunder der apostolischen Zeit, mit dem Übergang des Evangeliums von den Juden zu den Heiden, in der Kirche zwei Gruppen, man könnte fast sagen, zwei Konfessionen, neben einander stunden: dort die jüdische Christenheit und hier die heidnische, und beide waren von einem Apostel geleitet, dort Petrus, hier Paulus. Lukas will uns nun zeigen, wie beider Thätigkeit in gleicher Weise Gottes Siegel empfängt und der eine und selbe Christus sich hier und dort offenbart.

Weiter geht Lukas mit besonderer Sorgfalt auf die gedrückte und verfolgte Lage der Kirche ein. Wir sollen sehen, wie in Jerusalem der Haß gegen die Christenheit entbrannte, wie er sich zuerst in den sadducäischen Priestern erregt, dann die Pharisäer mitreißt, dann den Herodes sich dienstbar macht und schließlich das ganze Volk erfüllt, und wie auch in den griechischen Städten aus mancherlei Ursachen und in verschiedener Form die Verfolgung gegen die Gemeinden sich erhob. Wir werden ihm schwerlich die Hoffnung beimessen dürfen, daß er mit seinem Bericht die römischen Behörden erreichen und ihnen die Unschuld der Gemeinde darthun könnte. Der Beweggrund zu seiner Darstellung liegt auch in dieser Hinsicht im Bedürfnis der Gemeindeglieder selbst. Die Verfolgung stellte ihnen eine schwere Aufgabe; es stärkt sie bei derselben die Gewißheit, daß diese Lage der Kirche nicht durch Übermut und Verfehlungen geschaffen wurde, sondern auf dem Weg der Treue und im Gehorsam gegen Christi Gebot unvermeidlich war. Insbesondere wird die lange Gefangenschaft des Paulus eingehend nach ihren Ursachen erklärt. Es soll sich keinerlei Anstoß, Zweifel und Verzagtheit an dieselbe hängen, sondern der Wille Gottes und des Apostels Größe auch in diesem Gang der Dinge uns erkennbar sein.

Die Berichte der Apostelgeschichte sind selbstverständlich unvollständig, auch in dem Abschnitt, der von Paulus handelt. Eine geistvolle, wohl erwogene Auswahl gestaltet sie. Darum können wir manches, was die Briefe des Apostels andeuten, aus der Apostelgeschichte nicht nachweisen oder erklären. Lukas hat uns nicht alle Stäupungen und Geißelungen des Paulus erzählt; aber die Hauptsache, daß ihn die Juden selber zu den Heiden trieben, hat er uns anschaulich dargestellt. Die inneren Erschütterungen der Gemeinden in Galatien und Korinth hat er übergangen. Sein Zweck ist, uns zu zeigen, daß und wie Paulus die Gemeinden frei gemacht hat. An diesem Resultate änderten jene Stürme in den einzelnen Gemeinden nichts. Wenn die Auswahl der Mitteilungen, die er uns gibt, nicht immer dem entspricht, was ein moderner Geschichtsforscher gern wissen möchte, so bleibt es deshalb doch unzweifelhaft, daß Lukas das, was er uns zeigen will, mit lauterer Wahrhaftigkeit und tüchtiger Kenntnis der Ereignisse zur Darstellung bringt.

Einige Irrungen werden sich in seinen Berichten finden; doch ist dessen, was sich sicher als unzutreffend bezeichnen läßt, im Grunde sehr wenig. In der Rede des Gamaliel wird jener messianische Schwärmer Theudas vor Judas aus Galiläa gestellt, Ap. 5,36, während er nach dem Berichte des Josephus erst nach demselben und überhaupt erst nach jener ganzen Verhandlung aufgetreten ist. Lukas scheint die Beispiele religiöser Bewegungen in Jerusalem, die in nichts zerfielen, selbst ausgewählt und sich dabei über die Zeit des Theudas getäuscht zu haben. Zwischen dem Reden mit neuen Zungen, wie es Lukas am Pfingsttage beschreibt, und demjenigen, wie es Paulus von sich und den Korinthern aussagt, 1 Kor. 14, besteht ein deutlicher Unterschied. Bei Paulus sind die Worte, die aus der vom Geist gewirkten Versenkung in Gott hervorbrechen, für die anderen unverständlich; bei Lukas sind sie in mancherlei Sprachen gefaßt und für die Hörer verständlich. Allein es sind nun einmal in der ersten Christenheit sehr wunderbare Dinge geschehn und es läßt sich nicht mit Zuversicht behaupten, daß nicht unter den aus dem Geist geschöpften Worten auch fremdsprachige Rufe gewesen sind. Man kann es nach Gal. 2,1 wahrscheinlich finden, daß Paulus die Liebessteuer, welche die Antiochenische Gemeinde im Blick auf die Hungersnot unter Klaudius gesammelt hat, nicht selbst nach Jerusalem brachte, vgl. Ap. 11,30 mit Gal. 2,1. Doch ist diese Vermutung nicht erweisbar3). Und wenn sich Lukas in dieser Angabe getäuscht hätte, so hätte er doch nur in frühere Zeit hinaufverlegt, was später wirklich geschehen ist.

Was wir an der Apostelgeschichte haben, das lernt man ermessen, wenn man auf die zweite Hälfte des ersten Jahrhunderts und den Anfang des zweiten blickt, auf die Dunkelheit, die uns jene Zeit der Kirche verbirgt. Lukas hat mit seinem Wert der Kirche für immer die Kenntnis ihrer Anfänge eingepflanzt und ihr damit einen unschätzbaren Dienst gethan.

1)
Der Schluß des Evangeliums, Luc. 24,50, könnte auf den Gedanken bringen, die Himmelfahrt bei Bethanien sei auf den Ostertag selber zu verlegen. Es braucht deshalb nicht von einem Zwiespalt zwischen dem Ev. und der Ap. gesprochen zu werden. Wir haben lediglich ein Beispiel vor uns, wie sorglos oft die äußere Form der Erzählung ist.
2)
Über die drei Forderungen, welche man in Jerusalem nach des Jakobus Rat an die heidnischen Gemeinden stellte, Ap. 15,20.28 u. 29, ist viel gestritten worden. Paulus sagt nämlich, Gal. 2,6, einfach: man habe in Jerusalem nichts hinzugefügt zu dem, was er selbst als richtig erkannt und in den Gemeinden angeordnet habe. Dieses summarische „Nichts“ hat seine volle Wahrheit darin, daß in den Beschlüssen der Apostel, wie sie Lukas gibt, die grundsätzliche Anerkennung der Stellung des Paulus lag. Beschneidung, Sabbath, Speiseordnung rc. waren abgethan; die Griechen blieben Griechen und hießen sich als Griechen Kinder Gottes und Erben des Himmelreichs. Buchstäblich nichts von dem, was die jüdischen Evangelisten in Galatien begehrten, ist in Jerusalem gefordert worden. Daß man aber in Jerusalem nicht bloß davon sprach, daß die Heiden nicht nach dem Gesetz zu wandeln hätten, sondern auch davon, wie sie denn zu wandeln haben, darin hat Lukas sicher Recht. Die beiden ersten Punkte, Hurerei und Götzenopfer, sind ohne alle Schwierigkeit. Nur der dritte Punkt ist auffällig: die Apostel verlangten Enthaltung vom Blutgenuß und darum auch vom Genuß erstickter Tiere, weil diesen das Blut nicht entzogen war. Diese Vorschrift entspringt einer Empfindung, die das Gesetz in Israel herangebildet hatte, daß das Blut als der Träger des Lebens und der Beseelung und antastbar und heilig sei, auch am Tier, und dem Altar gehöre und nicht dem profanen Genuß und Gebrauch. Wir haben keine Äußerung von Paulus über den Blutgenuß. Es ist sehr wohl möglich, daß er hierin genau ebenso wie die Männer in Jerusalem urteilte. Jedenfalls wissen wir dies, daß Paulus in Dingen der Nahrung die schonlichste Rücksicht auf das sittliche Urteil der andern nahm. Die Regeln des Apostels über die Schonung der Schwachen machen zweifellos, daß weder er selbst noch seine Gemeinden das Blutessen betrieben haben, einerlei ob die jüdischen Christen sich daran ärgerten oder nicht.
3)
Im Galaterbrief beweist der Apostel seine Selbständigkeit und Unabhängigkeit und stellt dazu zwei Hauptepochen seines Lebens dar, seine Bekehrung mit seinem ersten Besuch in Jerusalem und die Verhandlung in der Heidenfrage. Er ist nicht durch die Apostel bekehrt und unterwiesen worden, und hat in der Heidenfrage nicht Belehrung, sondern volle Zustimmung gefunden. Die Wahrhaftigkeit und Beweiskraft dieser Erzählung wird nicht berührt, wenn auch Paulus zwischen beiden Ereignissen noch ein oder mehrere Male in Jerusalem gewesen ist. Daß ein solcher Besuch seine Selbständigkeit nicht schwächte, daß er nicht des halb nach Jerusalem ging, um sich Unterweisung zu holen, ist durch das, was er über den Anfang seines Apostolats erzählt hat, nicht mehr zweifelhaft.
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