Rieger, Carl Heinrich - Kurze Betrachtungen über die Psalmen – Der 89. Psalm.
1. Eine Unterweisung Etans, des Esrahiten. 2. Ich will singen von der Gnade des HErrn ewig, und seine Wahrheit verkündigen mit meinem Munde für und für, 3. Und sage also: Dass eine ewige Gnade wird aufgehen, und du wirst deine Wahrheit treulich halten im Himmel. 4. Ich habe einen Bund gemacht mit meinem Auserwählten, ich habe David, meinem Knechte, geschworen: 5. Ich will dir ewig Samen verschaffen, und deinen Stuhl bauen für und für, Sela. 6. Und die Himmel werden, HErr, deine Wunder preisen, und deine Wahrheit in der Gemeine der Heiligen. 7. Denn wer mag in den Wolken dem HErrn gleich gelten, und gleich sein unter den Kindern der Götter dem HErrn? 8. GOtt ist sehr mächtig in der Versammlung der Heiligen, und wunderbar über Alle, die um ihn sind. 9. HErr, GOtt Zebaoth, wer ist wie du, ein mächtiger GOtt? Und deine Wahrheit ist um dich her. 10. Du herrscht über das ungestüme Meer; Du stillst seine Wellen, wenn sie sich erheben. 11. Du schlägst Rahab zu Tode; du zerstreust deine Feinde, mit deinem starken Arm. 12. Himmel und Erde ist dein; Du hast gegründet den Erdboden, und was darinnen ist. 13. Mitternacht und Mittag hast Du geschaffen: Tabor und Hermon jauchzen in deinem Namen. 14. Du hast einen gewaltigen Arm; stark ist deine Hand, und hoch ist deine Rechte. 15. Gerechtigkeit und Gericht ist deines Stuhls Festung, Gnade und Wahrheit sind vor deinem Angesicht. 16. Wohl dem Volk, das jauchzen kann. HErr, sie werden im Licht deines Antlitzes wandeln; 17. Sie werden über deinen Namen täglich fröhlich sein, und in deiner Gerechtigkeit herrlich sein. 18. Denn Du bist der Ruhm ihrer Stärke, und durch deine Gnade wirst du unser Horn erhöhen. 19. Denn der HErr ist unser Schild; und der Heilige in Israel ist unser König. 20. Dazumal redetest du im Gesicht zu deinem Heiligen, und sprachst: Ich habe einen Held erweckt, der helfen soll, ich habe erhöht einen Auserwählten aus dem Volk; 21. Ich habe gefunden meinen Knecht David, ich habe ihn gesalbt mit meinem heiligen Öl. 22. Meine Hand soll ihn erhalten, und mein Arm soll ihn stärken. 23. Die Feinde sollen ihn nicht überwältigen, und die Ungerechten sollen ihn nicht dämpfen. 24. Sondern ich will seine Widersacher schlagen vor ihm her, und die ihn hassen, will ich plagen, 25. Aber meine Wahrheit und Gnade soll bei ihm sein, und sein Horn soll in meinem Namen erhoben werden. 26. Ich will seine Hand ins Meer stellen, und seine Rechte in die Wasser. 27. Er wird mich nennen also: Du bist mein Vater, mein GOtt und Hort, der mir hilft. 28. Und Ich will ihn zum ersten Sohne machen, allerhöchst unter den Königen auf Erden. 29. Ich will ihm ewig behalten meine Gnade, und mein Bund soll ihm fest bleiben. 80. Ich will ihm ewig Samen geben, und seinen Stuhl, so lange der Himmel währt, erhalten. 31. Wo aber seine Kinder mein Gesetz verlassen, und in meinen Rechten nicht wandeln, 32. So sie meine Ordnungen entheiligen, und meine Gebote nicht halten; 33. So will ich ihre Sünde mit der Ruthe heimsuchen, und ihre Missetat mit Plagen, 34. Aber meine Gnade will ich nicht von ihm wenden, und meine Wahrheit nicht lassen fehlen. 35. Ich will meinen Bund nicht entheiligen, und nicht ändern, was aus meinem Munde gegangen ist. 86. Ich habe einst geschworen bei meiner Heiligkeit: Ich will David nicht lügen; 37. Sein Same soll ewig sein, und sein Stuhl vor mir, wie die Sonne; 38. Wie der Mond soll er ewig erhalten sein, und gleichwie der Zeuge in den Wolken gewiss sein, Sela. 39. Aber nun verstößt Du, und verwirfst, und zürnst mit deinem Gesalbten. 40. Du verstörst den Bund deines Knechts, und trittst seine Krone zu Boden. 41. Du zerreißt alle seine Mauern, und lässt seine Festen zerbrechen. 42. Es rauben ihn alle, die vorüber gehen, er ist seinen Nachbarn ein Spott geworden. 43. Du erhöhst die Rechte seiner Widerwärtigen, und erfreust alle seine Feinde. 44. Auch hast du die Kraft seines Schwerts weggenommen, und lässt ihn nicht siegen im Streit. 45. Du zerstörst seine Reinigkeit, und wirfst seinen Stuhl zu Boden. 45. Du verkürzt die Zeit seiner Jugend, und bedeckst ihn mit Hohn, Sela. 47. HErr, wie lange willst du dich so gar verbergen, und deinen Grimm wie Feuer brennen lassen? 48. Gedenke, wie kurz mein leben ist. Warum willst du alle Menschen umsonst geschaffen haben? 49. Wo ist Jemand, der da lebt, und den Tod nicht sehe? Der seine Seele errette aus der Höllen Hand? Sela. 50. HErr, wo ist deine vorige Gnade, die du David geschworen hast in deiner Wahrheit? 51. Gedenke, HErr, an die Schmach deiner Knechte, die ich trage in meinem Schoß, von so vielen Völkern allen, 52. Damit dich, HErr, deine Feinde schmähen, damit sie schmähen die Fußstapfen deines Gesalbten. 58. Gelobt sei der HErr ewig, Amen, Amen.
Der 89. Psalm heißt 1) in seiner Überschrift: Eine Unterweisung Etans, des Esrahiten. Man kann daraus sehen, was auch Andere vor uns erfahren haben, wie sie durch Geduld in dem Kampf gelaufen, der ihnen verordnet war, und wie sie ihren Halt an die angebotene Gnade und Wahrheit GOttes behauptet haben. Der Psalm 2) fängt an mit einem herrlichen Lobspruch über die Gnade und Wahrheit GOttes ins Allgemeine, V. 2-19. 3) Sodann wendet sich der Vortrag auf eine nähere Beschreibung, wie sich die Gnade und Wahrheit GOttes, vornämlich in den Verheißungen, dem David und seinem Samen geschehen, geoffenbart habe. 4) Nun aber kommt V. 20-38. eine bewegliche Klage darüber, dass es sich nun so durch Alles zum Gegenteil von Gnade und Wahrheit, nämlich zum Zorn und zum Fehlschlagen aller guten Hoffnung anlas, V. 39-47. 5) Und daher schließt nun der Psalm mit einem ernstlichen Gebet und Erweisung der vorigen Gnade und Wahrheit, mit angehängtem zuversichtlichen Lob GOttes, V. 48-53. Wer sich die Geschichte des Volks GOttes, wie sie uns in den Büchern der Könige und Chronik beschrieben wird, in seinem Gemüt vorstellt, und darüber bedenkt, was die alte Schlange immer für einen Hass wider den Samen Davids um der auf demselben ruhenden Verheißung willen ausgelassen hat, der wird abnehmen können, was dieser Psalm zu allen Zeiten für Dienst zur Unterweisung hat tun können. Wenn z. E. sich in den letzten Regierungs-Jahren Davids selbst schon so viel Widriges erhoben hat, wenn auf den kurzen Wohl- und Ruhestand unter Salomo, bald so ein großer Sturm gekommen ist, durch Abreißung der zehn Stämme vom Hause Davids, wenn nachmals das Königreich Juda oft von den benachbarten Königreichen Israels, von Syrien und andern Völkern gedrängt worden ist; wie aber GOtt auch in der größten Gefahr an Seinen Bund gedacht, und die Herzen der Gläubigen auf den Immanuel vertröstet hat, der aus dem Samen Davids herkommen sollte, wie es aber doch zuletzt unter und nach der babylonischen Gefangenschaft mit David und seinem Hause bis auf die Wurzel Jesse heruntergekommen ist, den hat es freilich etwas gekostet, sein Vertrauen auf die Gnade und Wahrheit GOttes doch nicht wegzuwerfen, sondern der gewissen Gnaden Davids bei der geringen Leuchte, die noch da war, zu erwarten. Wer aber auch aus diesem Hergang dazu nimmt, was GOtt von Zeit zu Zeit für wunderbare Rettung verschafft, und wie Er den Abgang im Äußerlichen dazu gebraucht hat, dass man das verheißene Reich Seines Gesalbten, als ein Himmelreich hat glauben und annehmen lernen, und nun über der Hoffnung kämpft, dass dies Himmelreich beim Sieg der Gnade und Wahrheit GOttes auch ins Sichtbare durchbrechen und mit seinen Gütern der Erkenntnis und Furcht des HErrn, das ganze Land, die ganze Erde erfüllen wird; der wird von diesem Psalm auch noch heutigen Tags guten Gebrauch machen können, und seine Seufzer: Dein Reich komme, öfters daraus erweitern und ausbreiten.