Quandt, Emil - 1. Die Geschichte des heiligen Kreuzes.

Quandt, Emil - 1. Die Geschichte des heiligen Kreuzes.

Kreuz - wie klingt dieses Wort so sanft und so wonniglich uns in's Ohr und in's Herz! Aber dieser milde Klang des Wortes Kreuz ist nicht der ursprüngliche. Im Alterthum klang dieses Wort hart und widerwärtig, tausendmal harter und widerwärtiger, als heute das Wort Galgen klingt. Denn die Kreuzigung war im Alterthum die schimpflichste Todesstrafe. Ihr verfielen die gemeinsten Verbrecher aus dem Sclavenstande, die Meuchelmörder und Schurken, der Auswurf der Menschheit. Es gab zwei Arten des Kreuzes, das einfache Kreuz und das zusammengesetzte. Ersteres war irgend ein Baum, eine Myrthe oder Palme, oder ein besonderer Pfahl, an den man den Verbrecher band und an dem man ihn hängen ließ, bis er verschmachtet war. Das zusammengesetzte Kreuz bestand aus zwei Holzstämmen, die entweder schrägliegend an einander befestigt waren (solches Kreuz in Schragenform heißt Andreaskreuz, weil der Apostel Andreas sich an einem solchen Kreuze verblutet haben soll), oder so, daß das Querholz oben den Hauptstamm deckte, oder endlich so, daß der gerade Hauptbalken das Querholz oben ein wenig überragte. Die beiden letztgenannten Formen des Kreuzes waren die gewöhnlichsten.

Solcherart ist denn auch das heilige Kreuz gewesen, an dessen Stamm das Lamm Gottes unschuldig für uns den Sühnetod starb. Die Geschichte dieses Kreuzes, wie sie die Bibel uns giebt, ist kurz und keusch; desto ausgedehnter und ausgeschmückter ist die Geschichte des heiligen Kreuzes, wie sie aus den Quellen außerbiblischer Nachrichten zusammenfließt.

Wir finden in der Bibel das heilige Kreuz zuerst auf dem zermarterten Rücken des Heilands, dann auf den Schultern Simons von Cyrene, dann auf dem Hügel Golgatha während sechs bis acht Stunden den sterbenden Christus tragend.

Nachdem der Heiland verhört und verspottet, gegeißelt und verurtheilt war, nahmen sie ihn, führeten ihn hin und Er trug sein Kreuz, betrauert von den Weibern Jerusalems. Schmählich zum Tode verdammet, hart mit der Kreuzlast beschweret, blutig vom Dornenkranz versehret, schleppt' er zum Berg sich für uns. Aber nicht die ganze Wegesstrecke entlang vom Richthause Pilati bis Golgatha, nicht die ganze via dolorosa hindurch trug der Herr das Kreuz. Wahrscheinlich schon in der Mitte des Weges sank er ohnmächtig unter der Kreuzeslast zusammen. Da ergriffen die begleitenden römischen Soldaten einen Mann aus dem afrikanischen Cyrene Namens Simon, der, vom Felde gekommen, vielleicht ein heimlicher Anhänger des Herrn, Mitleid gezeigt haben mochte, und zwangen ihn, daß er das Kreuz dem Heilande nachtragen mußte. Derselbe trug es dann bis hinauf nach Golgatha, der Schädelstätte, entweder so genannt von ihrer schädelartigen Gestalt oder von den Schädeln der hier Hingerichteten. Auf Golgatha ward nun der Herr gekreuzigt. Das heißt:, Das Holz ward auf die Erde gelegt und der Herr mit dem Rücken darauf niedergeworfen; seine Hände und Füße wurden ergriffen und sein heiliges Fleisch viermal durchnagelt, daß das Blut herniederrann; dann ward er sammt dem Kreuze hoch in die Luft emporgehoben und das Kreuz mit einem schrecklichen Schwünge festgerammt in einer vorher dazu zubereiteten Grube. So steht nun das Kreuz auf Golgatha, und an ihm hängt von etwa Vormittags neun Uhr bis Nachmittags um drei Uhr an dem mitternächtigsten Tage der Weltgeschichte der Welterlöser, dahinsterbend in brennender Sonnengluth unter unnennbaren Qualen als ein Verworfener und Verfluchter; wie geschrieben steht: Verflucht ist, der am Holze hängt. Die Felsen spalten sich während seiner Kreuzespein; die Sonne am Himmel verdunkelt, Thränen weinend ihr großes lichtes Auge, und der Tempel zerreißt seinen prunkenden Vorhang. Himmel und Erde voll Schrecken haben den Schmerz mit empfunden, als in der letzten der Stunden Er ist verschieden für uns. Aber der verscheidende Sohn Gottes und der Jungfrau verwandelte, indem er daran hing, das Holz des Fluchs in ein Holz des Segens. Er sprach die sieben Worte am Kreuz; man hat sie sieben immergrüne Reben genannt, die unser Weinstock trieb, da er an's Kreuz erhöhet ward, durch diese sieben Worte ward das heilige Kreuz der erhabenste Prophetenstuhl der Welt. Er versöhnte sterbend am Kreuze eine ganze sündige Welt mit dem heiligen Gotte des Himmels; so ward das heilige Kreuz der hehrste hohepriesterliche Altar im Erdenrund. Er besiegte sterbend am Kreuz den Fürsten dieser Welt, die Sünde und den Tod und erwarb sich die Weltherrschaft über alle Sünder, die Ihm vertrauen; so ward das heilige Kreuz der majestätischste Königsthron. Als nun der Herr Alles vollbracht und seinen Geist befohlen hatte in die Hände des Vaters, hatte er auch sterbend nicht, wo er sein Haupt hinlegte, sondern starb am Kreuze. Ein Speerstich noch in seine Seite vergewisserte die Römer seines Todes. Als die Sonne sich ihrem Untergange zuneigte, ward der heilige Leichnam vom Kreuze abgenommen und zweien Freunden des Herrn, dem Joseph von Arimathia und dem Nicodemus übergeben. Diese wickelten ihn in reine Leinewand und Specereien und legten ihn in ein neues Grab und wälzten einen Stein davor. Der Herr aber, der um unserer Sünde willen am Kreuze gestorben war, ward am dritten Tage um unserer Gerechtigkeit willen aus dem Grabe auferweckt durch die Herrlichkeit des Vaters. Seines Kreuzes aber wird in der Bibel nicht weiter Erwähnung gethan; es verschwindet aus der biblischen Geschichte.

Es giebt aber außer diesem engen und knappen neutestamentlichen Berichte vom heiligen Kreuze eine Fülle außerbiblischer Nachrichten über dasselbe. Dichtung und Wahrheit ist in ihnen in einander gewoben, so daß von ihnen gilt, was von den Apokryphen gilt: sie sind den Nachrichten der heiligen Schrift nicht gleich zu achten, aber doch gut und nützlich zu lesen oder zu hören. Sie bilden ein Blumengewinde, das das heilige Kreuz vom Stamm bis zur Krone umrankt; nicht alle diese Blumen sind von gleichem Werthe, es giebt auch taube Blüthen unter ihnen, aber manche von ihnen duften auch einen Geruch des Lebens zum Leben aus.

Zunächst haben die Alten über das Holz, aus dem das heilige Kreuz gezimmert ward, manches Schöne gesagt und gesungen. Es begegnet uns bei ihnen die Meinung, das heilige Kreuz sei aus viererlei Holz zusammengesetzt gewesen, aus Cedernholz, Palmenholz, Cypressenholz und Olivenholz, und sei damit versinnbildet die Liebe des Sohnes Gottes nach ihrer vierfachen Ausdehnung, nach ihrer Länge und Breite, Tiefe und Höhe. Sinnvoller aber ist eine andre, vielbesungne Sage. Als Adam, so wird erzählt, fast 930 Jahre alt war, erklärte er, er werde sterben, aber er leide au schwerer Krankheit, bis er den Geruch des Baumes spüre, an dem er Gott im Paradiese beleidigt habe. Und er sprach zu seinem Sohne Seth: Wandre gen Osten an das Ufer des Oceans und rufe mit zum Himmel gebreiteten Händen Gott an, und du wirst vielleicht Hülfe in dieser Sache finden. Der Sohn that, wie der Vater geboten, und siehe, ein Engel trug ihn in's Paradies; durfte sich dort von jenem Baume einen Zweig abbrechen, ward dann zurückgebracht und kehrte zu seinem Vater heim. Adam erquickte sich an dem Geruch des Holzes und starb. Darauf pflanzte Seth den Zweig, und er wuchs zu einem Baum und stand bis auf die Zeiten Salomos. Die Baumeister des Tempels, da sie das Holz des schönen Baumes sahen, fällten ihn; aber es wurde von den Bauleuten verworfen, wie der Stein, der zum Eckstein geworden ist. Und so lag es denn da ungenutzt eine Zeit von 1090 Jahren, nämlich bis auf Christus. Von diesem Holze ist dann das Kreuz Christi gemacht, damit an demselben Holz, woher der Tod gekommen, die Erlösung geschähe. Das Sinnige und Zarte dieser Sage springt Jedem von selber in die Augen und auch die biblische Wahrheit, die unter ihrer träumerischen Hülle liegt, daß nämlich, was Adam schlecht gemacht hat am verbotenen Baume, Christus gut gemacht hat am Stamme des Kreuzes. - Auch unsere deutschen Vorfahren machten sich Gedanken über das Holz, aus dem das heilige Kreuz geschnitzt worden. Sie sahen die deutsche, immergrüne Tanne an, wie sie in Kreuzgestalt dasteht, ihr Haupt hoch empor tragend und ihre Aeste kräftiglich gerade hin vom Stamme hinausstreckend, gleich weitaufgethanen Armen. Da sagten sie: Die Tanne ist der Baum gewesen, an welchem unser Erlöser den Sühnetod für unsere Sünden erlitten hat; sein Blut ist an ihr hinabgeflossen, von daher grünet sie immerdar. Und wahrlich, es ist ein frommer, sinnvoller Brauch, Tannen auf Christengräber zu pflanzen; sie predigen, daß auch unser Fleisch wird sicher liegen, weil es vom Fleisch und Blut des Sohnes Gottes gegessen und getrunken hat, daß auch unser Gebein ergrünen wird zu unvergänglichem Leben, weil wir an den geglaubt, der am Stamme des Kreuzes das Leben, das kein Tod zerschneidet, an's Licht gebracht hat.

Nicht minder bedeutungsvolle Sagen schmücken die Periode des heiligen Kreuzes, da der Herr es trug und da es den Herrn trug. Unter den Weibern, die den göttlichen Kreuzesträger auf seinem Schmerzenswege betrauerten, wird Veronika mit Namen genannt. Als Jesus unter der Last des Kreuzes auf dem Wege zusammenbrach, soll sie mit zerrissenem Herzen gesehn haben, wie der Schweiß von seinem heiligen Angesichte in schweren Tropfen niederrann. Da hat sie ihm ihr linnenes Tüchlein dargereicht, und der Herr hat es angenommen mit dankendem Blicke und sein Antlitz darein gedrückt und es ihr wiedergegeben. Da gewahrte Veronika das Wunder, womit der Herr ihren Liebesdienst vergolten; denn in dem Tuche war das Bild des leidenden Angesichts des Erlösers abgedrückt, ein Bild seiner heiligen Marterschöne, welches ihr zum Andenken dessen blieb, den sie auf seinem Leidenswege erquickt hatte. Wollte Gott, die Herzen aller Christenheit wären solche Veronikatücher, in denen Christi Bild sich abprägte. - Während das Kreuz auf Golgatha stand, gesalbt mit dem heiligen Blute, das das Opferlamm vergoß, geschahen nach der biblischen Geschichte Wunder der Theilnahme an der Sonne, an den Felsen, am Vorhang des Tempels. Die fromme Sage zieht auch die Thierwelt mit in die Theilnahme hinein. Von dem Vogel Kreuzschnabel wird erzählt, daß er herzliches Mitleiden gehabt mit dem Herrn am Kreuze und sich viele Mühe gegeben, um mit seinem Schnabel die grausamen Nägel herauszuziehn, womit der Erlöser an das Holz geheftet war. Er vermochte es aber nicht, und über der vergeblichen Anstrengung hat er seinen Schnabel kreuzweis ganz verbogen, wie noch heutiges Tages an ihm zu sehen ist. Seitdem hafte, setzt die Sage hinzu, an diesem Vogel eine sonderliche Gunst des Himmels; in ein Haus, worin man einen Kreuzschnabel hält, schlage niemals der Blitz ein. Ebenso wird dem Rothkehlchen nachgesagt, daß es Liebe gezeigt hat zum gekreuzigten Mittler. Um die Nägelwunden flatterte es hin und her, sich ängstlich bemühend, das blutende Opfer loszumachen; und davon rührt es her, daß sein Gefieder um die Brust noch roth ist. Aber es hat ihn auch müssen hängen und sterben lassen; seitdem kann das Rothkehlchen keinen todten Menschen ansehen, sondern es ist der Tobias unter den Vögeln, der die Erschlagenen und Todten seines Volkes aufhob und begrub. Wenn wo ein Erschlagener im Walde liegt, von dem Niemand weiß, daß man ihn aufhebe und bestatte, fliegt es herzu und legt ein Zweiglein oder einige Blätter auf sein Gesicht, um ihn, so gut es kann, zuzudecken. O du liebes Vöglein mit deinen milden, treuherzigen Augen; unsere Väter haben dich wohl erkannt, du versinnbildest kleine Kraft und große Liebe!

Aber auch der Ort selbst, an dem das Kreuz aufgerichtet war, der Hügel Golgatha, ist von tiefsinniger Sage geziert. Man findet oft auf Abbildungen des Gekreuzigten am Fuße des Kreuzes mit Blut besprengte Knochen liegend. Diese Darstellung hat ihren Grund in der weitverbreiteten Ueberlieferung, die durch die alte Kirche ging, daß unter dem Hügel, auf welchem Christi Kreuz gestanden, die Gebeine Adams ihre Ruhestätte gehabt hätten und mit dem sühnenden Blute, das vom Stamme des Kreuzes mildiglich herniederfloß, benetzt worden seien. Es ward sogar im Mittelalter, zur Zeit der fränkischen Herrschaft, im Glauben an diese Sage auf dem Hügel Golgatha eine Adamskapelle errichtet, die zur Zeit der Kreuzzüge von vielen Andächtigen besucht ward. Der gedankenvolle Inhalt dieser Legende ist der, daß der erste Adam durch den andern Adam erlöst und selig geworden.

Das sagenhafte Gewand der außerbiblischen Erzählungen über das heilige Kreuz macht einem mehr oder minder geschichtlichen Platz in dem, was über die Schicksale des Kreuzes nach der Abnahme des heiligen Leichnams berichtet wird. Wohl ist auch das noch Sage, was Chrysostomus und Andere erzählen, als habe unser Herr sein Kreuz nicht auf Erden gelassen, sondern mit in den Himmel genommen, und er werde einst bei seiner Zukunft wieder erscheinen mit dem Kreuze von Golgatha, als mit dem Zeichen des Menschensohnes. Dagegen wird, was von der sogenannten Kreuzerfindung und Kreuzzertheilung und Kreuzerhöhung erzählt wird, von Vielen als geschichtliche Wahrheit angesehen, da es, wenn auch nicht von allen, so doch von mehreren gleichzeitigen Schriftstellern behauptet ist. Die Erzählung, die wir meinen, ist folgende:

Im Jahre 326 nach Christo stellte sich die fromme, fast 80 jährige Greisin Flavia Julia Helena, die Mutter des ersten christlichen Kaisers, Constantin des Großen, mit jugendlicher Begeisterung an die Spitze einer christlichen Pilgergesellschaft, welche die heiligen Stätten, an denen der Heiland gelitten hatte, gekreuzigt, gestorben, begraben und auferstanden war, aus dem Schutt und heidnischen Gräuel hervorziehen wollte, mit dem dieselben im Laufe der Zeit von den fanatischen Christus- und Christen-Feinden bedeckt waren. Es hatte nämlich der heidnische Kaiser Adrian im Anfang des zweiten Jahrhunderts die heiligen Orte, an denen die Erlösung der Welt vollbracht war, durch Aufrichtung heidnischer Tempel, Altäre und Götzenbilder schmählich verunreinigt. Das Forschen der frommen Kaiserin war lange umsonst. Endlich stellte sich ein hochbetagter Jude ein, welcher im Besitz vieler alten Handschriften mit Nachrichten aus der Vorzeit war, und dieser bezeichnete ziemlich genau die Stelle des heiligen Grabes. Während nun der Schutt und die Trümmer über dem Grabe weggeräumt wurden, fanden die Arbeiter eine Höhle, in welcher wunderbar frisch erhalten, gleichwie in einem luftdichten, verschlossenen Raume, drei Kreuze lagen, das Kreuz Christi und die beiden Kreuze der Schacher. Die Überschrift mit dem J.N.R.J. aber lag besonders, und so wußte man nicht, wie man das heilige Kreuz von den Schächerkreuzen unterscheiden sollte. Da fiel der Bischof von Jerusalem, Macarius, der mit anwesend war, auf seine Knie und bat um himmlische Erleuchtung; und es wurde ihm der Gedanke eingegeben, die Kreuze unter Gebet und Flehen als Heilmittel an einem Kranken zu erproben. Hatte Gott im alten Testamente in die Gebeine des Propheten Elisa die Kraft gelegt, einen Todten zu erwecken; hatte derselbe Gott im neuen Testamente den Schweißtüchern, ja dem Schatten der Apostel Kraft verliehen, Kranke gesund zu machen: so konnte er gleiche Kraft auf das Gebet suchender Seelen auch in das heilige Kreuz legen, an dem sein eingeborner Sohn sich für die Welt zu Tode geliebt hatte. So wurden denn die drei Kreuze in die Stadt getragen zu einer alten, vornehmen Matrone, die todtkrank darniederlag. Als man sie mit den ersten beiden Kreuzen berührte, vermehrten sich ihre Leiden; als aber das dritte ihre schmerzlich zitternden Glieder berührte, da strömte Kraft auf sie aus; sie erhob sich und war geheilt. So war das heilige Kreuz gefunden. Zum Gedächtniß dieser Kreuzerfindung feierte die spätere abendländische Kirche ein eignes jährliches Fest am dritten Mai.

Auf die Kreuzerfindung aber folgte unmittelbar eine Kreuzzertheilung. Die fromme Helena sandte einen Theil des Kreuzes sammt den dazu gehörenden Nägeln sofort an ihren kaiserlichen Sohn Constantin nach Constantinopel. Dieser ließ seinen Antheil am heiligen Kreuze seiner Bildsäule einfügen, die auf dem Markte seiner Residenz stand; die Nägel aber ließ er in seinen Helm und in den Zaum seines Streitrosses verarbeiten; später wurde dies Eisen in einen feinen Reifen verwandelt und schmückt jetzt die goldene, lombardische Krone in Mailand, die davon den Namen der eisernen Krone erhalten hat. Einen andern Theil des Kreuzes gab Helena der von ihr zu Rom erbauten Kirche, die noch heute den Namen vom heiligen Kreuze trägt. Den beträchtlichsten Theil des Kreuzes Christi aber that sie in einen kostbaren silbernen Kasten und händigte diesen dem Bischof Macarius ein für die in Jerusalem zu erbauende heilige Grabeskirche.

Gerade dieser letzte und größte Theil des heiligen Kreuzes fiel später bei der Eroberung Jerusalems durch die Perser in deren Hände. Kaiser Heraclius aber zog gegen die Perser zu Felde, besiegte sie und gewann das geraubte Kleinod wieder von ihnen zurück. Er trug es dann selbst am 1l. September des Jahres 629, nach abgelegtem kaiserlichen Schmuck und Schuhen, in tiefer Demuth auf eigner Schulter nach Jerusalem an den Ort, wo es zuerst gewesen. Man nannte dies die Kreuzerhöhung und feierte zu ihrem Gedächtniß im Morgenlande, wie im Abendlande, den 14. September jedes Jahres als das Fest der Kreuzerhöhung.

Wenn ein evangelisches Gemüth aller dieser genannten Vorgänge sich unbefangen freuen und mit Theilnahme dieselben verfolgen mag, so müssen wir um so mehr vom evangelischen Standpunkte aus trauern und bedauern, daß schon die alte, viel mehr aber noch die mittelalterliche und moderne katholische Kirche das aufgefundene und erhöhte Kreuz von Golgatha je länger, je mehr in den Dienst schriftwidriger und abergläubischer Reliquienverehrung gezogen hat. Es ward den Pilgern, die von ferne nach Jerusalem kamen, erlaubt, von dem Kreuzesholz kleine Splitter mit in ihre Heimath zu nehmen, und von dieser Erlaubniß wurde mit abergläubischer Begehrlichkeit bald ein ausgedehnter Gebrauch gemacht. So finden wir denn bald an allen Enden der Welt Splitter vom Kreuze Christi. So ließ z. B. der Bischof Paulinus von Nola schon im Jahre 402 in dem Altar einer von ihm neugebauten Kirche einen solchen Kreuzesspahn niederlegen, den ihm eine fromme Pilgerin aus der Kirche des heiligen Grabes in Jerusalem mitgebracht hatte. Derselbe Bischof Paulinus theilt dann schon den Aberglauben, nicht nur daß solche Kreuzesspahne allerlei Heilkräfte besäßen, sondern auch daß, das Kreuzesholz Christi in's Unendliche theilbar sei, damit allen frommen Wünschen genügt werden könne, und daß, so viel auch davon abgetheilt und weggetragen werde, es sich doch fort und fort ergänze. Dieser Aberglaube des Paulinus ist nicht der Glaube eines Paulus, wohl aber noch heute der Glaube Vieler in der katholischen Christenheit.

Nicht so darf und kann der evangelische Christ zum heiligen Kreuze von Golgatha sich stellen. Wie wir nicht die heilige Mutter anbeten, die Christum unter dem Herzen getragen, so beten wir noch viel weniger das Holz an, das den sterbenden Christus an seinem Stamm getragen. Denn wir wissen, daß unser Herr seine Ehre keinem Andern geben will, auch nicht dem Kreuzesstamme, an dem er uns mit Gott versöhnt hat. Und dennoch giebt es auch eine rechte, evangelische Feier der Kreuzerfindung und der Kreuzerhöhung und auch eine evangelische Kreuzeszertheilung. Wo im Herzen das Kreuz Christi erfunden wird, daß man singen und sagen kann mit Valerius Herberger: „In meines Herzens Grunde dein Nam' und Kreuz allein funkelt allzeit und Stunde, deß kann ich fröhlich sein!“ - da ist die rechte Feier der Kreuzerfindung. Wo das Herz ein Altar ist, auf dem täglich und stündlich das Kreuz Christi erhöht wird - da geschieht die rechte Feier der Kreuzerhöhung. Und wo das Herz sich durch den heiligen Geist zum Helenakästchen machen läßt, darin das Kreuz aufbewahrt wird, und wo ein solches Herz von den ihm widerfahrenen Gnaden täglich Ströme oder Bächlein überfließen läßt auf Andre, wie geschrieben steht: Wer an mich glaubt, von deß Leibe werden Ströme lebendigen Wassers fließen - da stehet man die rechten Splitter und Spähne vom Kreuze Christi, da ist die rechte Kreuzestheilung!

Möge die Geschichte des heiligen Kreuzes zu solchen evangelischen Kreuzesfeiern uns entflammen! Möge sie für die diesjährigen Passionsfeiern uns mit evangelischer Liebe und evangelischem Ernste erfüllen, daß wir, Angesichts des Kreuzes von Golgatha, mit dem Sänger geloben:

„Zum Kreuz will ich voll Andacht schauen, Wo mein Erlöser litt und starb, Und nur allein auf den vertrauen, Der mir die Seligkeit erwarb.“

Amen.

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