Petri, Ludwig Adolf - Der Glaube in kurzen Betrachtungen - 5.
Mit Himmel und Erde ist auch der Mensch insonderheit von Gott; ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat, und das ist meine Ehre und meine Demut, meine Freude und mein Trost.
Ich bin nicht von mir selbst, ein ohnmächtiger Gott, dem seine Herkunft wie seine Zukunft finster, und sein Gang Schritt vor Schritt eitel Unvermögen wäre. Nein, Er hat mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben. Ich bin samt allen Kreaturen seiner Hände Werk bis auf das Härlein auf meinen Haupte, und Er hat mich über sie alle erhöht. Denn er hat mich nicht lediglich aus den Elementen hervorgehen Lassen, wie die Fische im Wasser und die Vögel unter dem Himmel und das Getier der Erde, Vieh, Gewürm und Tiere auf Erden; sondern da er mich schuf und machte, sprach er bei sich selbst: lasst uns Menschen machen, und nahms aus der Tiefe seiner göttlichen Gedanken und machte ein Neues, das über allen Anderen schwebe.
Der Mensch ist nicht eine höhere Stufe der Tierwelt, nur edler gebildet und reicher begabt als die armen Wesen, die er Tiere nennt; er ist von anderer Art, ewig unerreichbar für das Tier; gleichwie der Engel nicht eine höhere Stufe des Menschen ist, sondern von anderer Art, ewig verschieden von dem Menschen, unser Mitknecht wohl, aber nicht unser Bruder.
Die Tiere sind nicht meines Gleichen; sie sind meine Knechte, Habe und Nahrung, gleich der übrigen, empfindungslosen Natur. Ich habe gegen sie keine Pflichten, sondern nur Rechte, über deren Gebrauch ich nicht ihnen verantwortlich bin, sondern allein Dir, mein Gott, der sie für mich geschaffen und mir gegeben hat. Und mein Recht das Du mir gegeben hast, geht über ihr Leib und Leben und ganzes Dasein; ich erhalte oder vertilge sie zu meinem Nutzen; ich ziehe und füttere sie zu meinem Gebrauch; ich esse ihres Fleisches und bekleide mich mit ihrer Haut, und habe gar kein Gewissen gegen die Tiere; denn es ist auch in ihrer keinem ein Gewissen, ein Anspruch der mich in Pflicht nähme; aber vor Gott fürchte ich mich, dass ich Deine Kreatur erkenne und ihr nicht missbrauche.
Und weil die Tiere nicht meines Gleichen sind, so sind sie auch nicht mein Nächster. Denn als Gott der Herr gemacht hatte von der Erde allerlei Tiere auf dem Felde und allerlei Vögel unter dem Himmel, und der Mensch einem jeglichen seinen Namen gab, da konnte er seinen eigenen Namen nicht rufen, seines Gleichen kam ihm nicht vor, es ward für den Menschen keine Gehilfin gefunden, die um ihn wäre. Da machte Gott die Männin und nahm von dem Manne, Bein von seinem Bein und Fleisch von seinem Fleisch1). Von dem an hatte der Mensch einen Nächsten, und die Liebe zündete in ihren Herzen: Du sollst Deinen Nächsten lieben als Dich selbst. Weil also die Tiere nicht mein Nächster sind, so liebe ich sie auch nicht mit der Gottes- und Nächstenliebe. Nein, ich schände mich selbst nicht, dass ich mein Herz sollte hingeben an mein Pferd oder Kind, oder an das Hündlein auf meinem Schoße oder das Vögelchen in meinem Käfig; ich mache mich nicht gemein, dass ich einen Hund oder Esel als meine Brüder hielte und darob vertierte. Ich habe meine Lust an ihnen und halte sie Wert als meines Gottes wundersame Kreatur und Gabe; aber meine Liebe will ich allein dem lebendigen Gott und seinem Gleichnis in meinem Nächsten heiligen.
So diene ich Gott, der mich dazu geschaffen hat; aber die Tiere dienen mir, denn sie sind für mich geschaffen. Sie reden von Gott, aber nur wenn ich sie frage; sie wissen nicht was sie sagen, nur ich verstehe ihre Predigt, denn mir wird sie gehalten. Sie loben nicht ihren, sondern meinen Schöpfer, denn sie kennen ihn nicht, ich aber kenne ihn, und in mir wird das Lob der Kreatur Sinn und Verstand und Anbetung vor seinem Throne. Wohl, ihm ragen die Berge, ihm rauscht der Wald; die Vögel singen seine Ehre und die Wüste erbebt vom Gebrüll der wilden Tiere zu seinem Ruhme; aber ich allein bin der Priester, der in ihrer aller Namen in das Allerheiligste geht, den Schöpfer Gott zu opfern Preis und Ehre und Kraft und Dank. Sie alle tun seinen Willen ohne Willen; ich aber sage: das ist meine Speise, dass ich tue den Willen des der mich gemacht hat.
Ich würde es nicht verstehen, wenn ein Mensch Verlangen, ja nur den Gedanken haben mag sich zu vertieren und das Vieh zu Vater und Mutter zu begehren, wenn ich nicht aus Schrift und Erfahrung wüsste, dass dieses Mittelwesen, Mensch, in demselben Maße weltlich, irdisch, tierisch wird, als es aufhört himmlisch und göttlich zu sein. Wer an Dir sein A und O und das Zentrum seines Lebens verloren hat, und sein Gewissen zu Deiner Heiligkeit ist erloschen und die Liebe zu Dir, Du himmlische Liebe, ist erkaltet - der baut und gründet, und leibt und lebt und gehret und saugt sich ein in die Elemente und stellt sich zu dem Getier, das auch isst und trinkt und ohne Gott lebt in der Welt. Denn auf sich selbst kann der Mensch nicht stehen, sich selbst kann er der Welt gegenüber nicht behaupten, weil er das Leben nicht in sich selber hat; ohne Dich, mein Gott, wird er mit Notwendigkeit erst weltlich, dann irdisch, dann tierisch. Und weil er auch darin keine Genüge und keine Ruhe hat kraft seiner Natur, denn Du hast ihn von Gott und zu Gott geschaffen, so wird er Feind, Spötter oder Hasser derer, die da haben was er nicht hat, und danach ein Lästerer Gottes, der da gibt, was er nicht annehmen kann. Und dann wird es ihm Bedürfnis, viele und immer mehrere zu verführen in denselben Irrtum und zu sich zu reißen in seine einsame Gottesferne und in die Freiheit der Lüste, um durch die große Menge sein Herz zu täuschen, sein Gewissen zu bannen und sich bei gutem Mute zu erhalten. Und dann zu gelegener Zeit fährt ein Anderer unter diesen Haufen und schürt das Feuer, und zeigt ihnen alle Herrlichkeiten der Welt, und drängt und stürmt, dass sie Arges und entsetzliche Dinge sinnen. So ist es heute; die von den Tieren stammen wollen, die sind tierisch gesinnt und werden teuflisch handeln, wo Gott ihnen Raum gibt. Und also stellt nicht Wissenschaft und Forschung, sondern Entfremdung von dem Leben das aus Gott ist stellt dieser Lehre Zeugnis aus.
O ich will meine Ehre bewahren. Ich will vor meinem Schöpfer anbeten, knien und niederfallen; aber über die Kreatur will ich mein Haupt erhöhen und will auf sie herabsehen, und sie soll zu mir aufsehen. Denn ich bin ihr Haupt und Zentrum, und wie ich sie verwickelt habe in meinen tiefen Fall, so wird sie auch wieder frei werden mit mir, frei von dem Dienste des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes2).
Zwar den Leib mit Augen, Ohren und allen Gliedern hat der Schöpfer auch mir aus Erde bereitet, wie geschrieben steht: Gott der Herr machte den Menschen aus einem Erdenkloß3). Denn er sollte sein Wesen auf der Erde haben, ihrer Frucht sich nähren und seine Hand ausstrecken über alles was auf Erden ist. Also musste er der Erde verwandt sein, und es lag auch noch kein Fluch auf ihr. Aber die Seele mit Vernunft und allen Sinnen hat Gott aus der Erde nicht genommen und konnte sie aus der Erde nicht nehmen, denn Vernunft war noch nicht geschaffen; sie sollte erst in dem Menschen zur Erde kommen. Die Seele mit Vernunft und allen Sinnen, die Menschenseele, schuf er frei und als ein Neues; er wollte dass sie entstünde und sie entstand, denn er blies ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase, und also ward der Mensch eine lebendige Seele. Das ist herablassend als zu den Kindern geredet; mit Augen sehe ich mich selbst, Dein Werk, unter Deinen schaffenden Händen hervorgehen und sich beseelen und Odem schöpfen und die Augen aufschlagen gegen Dich, den Vater Schöpfer, und Vernunft entsteht, aus Gott zu Gott. Denn das allein ist Vernunft; alles andere sind Streiflichter in der Finsternis, zerfahrene Gedanken ohne Zusammenhalt, Schlüsse ohne einen Abschluss, eine Leiter in den blauen Himmel hinein. Geist aus Gott und zu Gott das allein ist Vernunft und meiner Seele Art und Gabe. Und diese also geartete Seele ward bis zur Schöpfung des Menschen auf Erden nicht gefunden; sie ist ein Wunder unter den Wundern der Schöpfung. Sie ist nicht gleichartig mit der Tierseele und nur eine Steigerung derselben; sie ist von der Tierseele so weit verschieden als der Inhalt, den sie aufnehmen, und der Beruf, den sie erfüllen sollte, ein wesentlich andrer war als bei den Tieren.
„Lasst uns Menschen machen, ein Bild das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh, und über die ganze Erde und über alles Gewürm das auf Erden kreucht. Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er sie, und er schuf sie ein Männlein und Fräulein4)“. Das ist der Mensch, ein König; mit Ehre und Schmuck hast Du ihn gekrönt; Du hast ihn zum Herrn gemacht über Deiner Hände Werk; alles hast Du unter seine Füße getan5). Das war der Mensch, da er aus Gottes Hand hervorging, ein König der Ehren. O Du entthronter König, weine und verhülle Dein Angesicht.
Der Mensch sollte also herrschen im Bilde und Gleichnis Gottes über die Kreaturen d. h. mit seinem Geiste sie erkennen, mit seinem Willen sie umspannen und unter seine Hand sie beugen. Konnte er das ohne das aufgeschlossene Geistesauge? Ohne sich selbst zu verstehen und zu besitzen? Und konnte er auf dieser schwindelnden Höhe sich halten ohne sich selbst von Gott gehalten, von Gott erkannt und geliebt und mit Kräften Gottes angetan zu wissen? Und wenn er in seinem Reiche erschien, seine Herrschaft auszuüben, würden sie ihn anerkannt haben ohne Brief und Siegel von seinem und ihrem Schöpfer und Herrn, und gehorcht haben ohne die Kräfte Gottes in ihm zu empfinden und zu erfahren? Warum anders empören sie sich denn jetzt gegen mich und widerstreben mir allenthalben, als weil ich den Lehnbrief nicht vorzeigen kann und die Mitgift des väterlichen Guts vertan habe?
Also hat Gott den berufenen Herrscher abbildlich gemacht; Gott hat sich selbst dem Menschen eingebildet, damit der Mensch Gott abbilde und darstelle in der Welt.
Der Schöpfer Gott hat den Geist des Menschen wirksam angeschaut, damit der Mensch Gott wisse und in dieser Wissenschaft den Schlüssel der Erkenntnis und das Verständnis der Welt und seiner selbst habe; denn die Wahrheit aller Dinge ist die, dass sie aus Gott, in Gott und zu Gott sind, und ich habe Augen und sehe nicht, wenn ich nicht vom wesentlichen ewigen Lichte erleuchtet bin und damit seine ewige Kraft und Gottheit ersehe an der Schöpfung. Und Gott hat seine Liebe, die er selber ist, in das Herz des Menschen ausgegossen, dass der Mensch das wahre, ewige, einige Gut empfinde und erfahre und dadurch befähigt werde, die erschaffenen Güter zu genießen und alles Erschaffene als ein Gut und nichts als ein Übel, als eine Freude und nichts als ein Leid, als ein Befreundetes und nichts als ein Feindliches zu empfinden und zu erfahren. Denn es kommt alles her von derselben schaffenden Liebe, die mich erschuf; es kann nicht Streit und Widerspruch geschaffen sein zwischen den Werken; es muss mir alles süß sein, so lange ich rein die reine Schöpferliebe genieße. Und Gott hat seine heilige Majestät und Herrlichkeit in Sinn und Gemüt des Menschen eingeführt, dass in ihm ein ehrfürchtiges Gewissen entstände, und Dichten und Trachten und Wollen und Wirken als ein reiner und freudiger Gottesdienst daher gingen, und des Menschen Wille durch seinen vollkommenen Einklang mit dem Willen Gottes bei allen Kreaturen und in der ganzen Welt Anerkennung und Gehorsam fände. So lange, aber auch nur so lange kennt die Kreatur den Menschen, als er im Namen und der Kraft ihres Schöpfers zu ihr kommt; seinen Menschennamen verwirft sie und der Menschenkraft spottet sie. Bild Gottes war der Mensch; das war seine königliche Ehre; wo er ging und stand, leuchtete sie.
Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde; zum Bilde Gottes schuf er sie. Nicht steckte er dem Menschen dies ferne, hohe Ziel und hieß ihn mit allen Kräften Leibes und der Seele danach jagen, ob er es möchte erreichen. Er warf ihn nicht als ein hilfloses Würmlein auf den Boden, dass er krieche bis er gehen lerne, und Staub esse bis er den Arm nach der Frucht der Bäume ausstrecken lerne. Er machte nicht eine lebendige Seele ohne Gestalt und Schöne, ohne Bild und Bildung, dass sie die Kreatur verstandlos anstiere, ihren Schöpfer nicht ahne und sich selbst nicht fasse noch besitze, Generationen hindurch, Jahrhunderte lang - was sage ich? - immer! Denn wer erzog sie, wenn sie roh war? Wer nahm sich ihrer an und lehrte sie Weisheit und Recht, wenn sie leer war? War sie ohne Bild, wer bildete sie? War sie ohne Vernunft, wer weckte sie auf zum Blick in Gott? War sie unter den Tieren des Feldes und selbst minder ausgestattet als diese, die doch von Anfang an fertig und gewesen sind was sie geblieben sind, wer erhöhte sie über die Tiere? Gedankenloser Wahn, der den König und Herrn der Welt in gestaltloser, bildloser Rohheit anfangen lässt, um ihn für immer darin zu erhalten! Gedankenloser Wahn, der die Bildung aus der Bildlosigkeit, die Kultur aus der Wildheit, den Geist aus dem Fleische und die Vernunft, die Gottesgemeinschaft, aus der Natur her: vorgehen lässt! Sind jene armen versprengten, verwilderten, in tierischer Gemeinheit verkommenen oder von zornigen Leidenschaften zerfleischten Häuflein unsrer Brüder, sind diese sogenannten Wilden die Kinder des Anfangs? Warum sind sie denn die Jahrtausende hindurch nicht weitergekommen, kommen vielmehr vor unsern Augen und trotz unserer Bemühungen um sie niederwärts, und neigen sich dem Untergange zu? Und wodurch sind wir, die wir uns die Kulturvölker nennen, ihnen vorgekommen? Haben wir Glück gehabt, mehr Glück als sie? So scheint es; ein unbekannter Zufall in unbekannter Zeit muss uns begünstigt haben; denn von Parteilichkeit Gottes darf ich nicht reden, weil es bei einer solchen Weltgeschichte keinen Gott mehr gibt. Der den Menschen zu sich geschaffen und doch von vornherein fern von sich gehalten hätte, der hätte nicht einmal den Verstand eines Menschen gehabt, geschweige denn göttliche Weisheit und väterliche Liebe. Nein, nicht die Anfänge des Menschen stehen in diesen jämmerlichen Haufen vor unsern Augen, sondern seine Rückgänge, fein Herabsinken von der Höhe, seine Verbildung der göttlichen Ebenbildlichkeit. Sie wussten dass ein Gott ist, und haben ihn nicht gepriesen als einen Gott noch gedankt, sondern sind in ihrem Dichten eitel geworden und ihr unverständiges Herz ist verfinstert. Darum hat sich auch Gott dahingegeben in ihres Herzens Gelüste, und offenbart seinen Zorn vom Himmel über ihr gottloses Wesen und Ungerechtigkeit6). Meine Kindheit, meine Jugend, das Paradies sind sie nicht; ihre Geschichte spielt auf dem verfluchten Acker, und das Ende weiß der gerechte Richter, dem ichs heimstelle. Shin sind alle seine Werke bewusst, und feine Gerechtigkeit wird sich vor seiner Barmherzigkeit rechtfertigen; wenn ich aber frage: Herr, wie so lange? Hüter, ist die Nacht schier hin? - so bist Du mir keine Rechenschaft schuldig. Aber Dein Werk im Menschen hat mit dem Bilde angefangen, mit Wahrheit, Liebe, Heiligkeit; denn Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er sie, steht geschrieben. Und da der undankbare Mensch seine höchste Ehre verscherzte und die Kreatur für Gott und die Erde für den Himmel und den Unverstand für die Vernunft erwählte, so sehen wir nun mit Furcht und Grauen das Geheimnis der göttlichen Gerichte auf jenen dahinsterbenden Stämmen unseres Geschlechts, und beugen aber unsere dankbaren Knie vor ihm, dass er uns gnädig geworden ist und uns erneuert hat zu seinem Bilde. Denn wie wirs von ihm ursprünglich hatten, so konnte es auch nur durch ihn hergestellt, und kann nur durch sein und unser gegenseitiges Anschauen herausgebildet werden, bis es auf der neuen Erde unter dem neuen Himmel in Klarheit leuchtet.
O Du erschienenes Bild des unsichtbaren Gottes, Glanz seiner Herrlichkeit und Ebenbild seines Wesens, lass uns leuchten Dein Angesicht, so genesen wir; schaue uns an mit Deiner kräftigen Gnade, so werden wir Dir gleichförmig; bilde uns nach Deinem Bilde, so sind wir gebildet, rein von der verlogenen Schminke und ungeschändet von der hässlichen Missgestalt, womit die Kinder der Welt die Blöße ihrer Armut verdecken.
Denn Bildung fordert die Welt; Bildung ist die Losung der Zeit; Bildung ist beides, ihre Genüge und ihr Mittel zur Genüge. Was ists? Was meinen sie? Zivilisation, sagen die Gewaltigen und bezeichnen ihren Beruf an ihren Völkern; Fortschritt, sagt der rasende Haufen und jauchzt vor Lust. Was ists? Entfaltung der Menschenkräfte, Ergründung und Bewältigung der Naturkräfte, Wissenschaft der kreatürlichen Dinge, Künste des Genusses, Gestaltung des Menschenlebens aus seinem eigenen Inhalte heraus und Befreiung des Menschen von jedem Recht und Gesetz das er nicht selbst gesetzt hat - das ist die Bildung dieses Geschlechts, eine Bildung ohne Vorbild, ein Gewebe ohne Muster, ein Formen ohne Modell. Denn von Dir, Du einiges, heiliges, seliges Urbild, das bei Gott war und ist uns erschienen, wollen sie nichts wissen. Menschen wollen sie sein, menschlich in allem, aber in nichts göttlich, und irdisch, denn auf Erden wohnen sie, aber nicht himmlisch. Frage ich sie: wie dünkt euch um Christo? so ist eben dies das Zeichen eines Gebildeten, dass er über solche Fragen hinaus ist; diese Fragen gehören auf einen niedrigeren Standpunkt, der in gebildeter Gesellschaft nicht mehr berechtigt ist. Denn wenn man nach dem Gesetz ihrer Bildung auch jedem frei lassen muss, bei sich selbst über das Heilige zu denken wie er will, so ist es doch unschicklich und ein Mangel an Rücksicht für die Anderen, die jedenfalls die Mehrzahl sind, solche Fragen aufzubringen und den guten Ton zu verderben. Der Gebildete hat keinen Schriftglauben; er hat überhaupt keine Religion mit Namen, fester Satzung und Lehre, von den Vätern her, für alle Zeiten und Völker gültig und in gemeinsamer öffentlicher Übung. Er ist nicht so beschränkt, alle Geister aller Menschen an eine Wahrheit zu binden; der Gebildete hat Gedankenfreiheit auch von Gott; er beugt sich nicht unter Gott, er denkt über ihn, wenn er überhaupt sich für Gott interessiert - mich schaudert, indem ich dies ausspreche und von Deiner ewigen Majestät, o Gott, ihre verächtliche Rede melde. Und nun gar Orthodoxie, Konfession, Luthertum - er ist darüber hinweg und lacht über die Borniertheit, oder verspottet und geißelt sie wenn sie sich hervor wagt, oder zertritt sie wenn sie ihm lästig wird. Der Gebildete geht also auch nicht zur Kirche, das Wort Gottes zu hören und mit seinen Brüdern anzubeten, wenigstens nicht regelmäßig; er muss da an zu Vielem Anstoß nehmen, und das wenige Gute das vorkommen mag, weiß und hat er ohnehin. Er bedarf der Lehre nicht. Er geht auch nicht zum heiligen Abendmahle, außer etwa bei der Konfirmation eines Kindes aus fleischlich gerührter Liebe zu seinem Kinde, oder weil er dem allzu früh und stark treibenden Bildungsdrange seines Sohns in der Religion noch etwas einen Dämpfer auflegen und durch das Gewicht seines eigenen heuchlerischen Beispiels verstärken möchte; oder er will in freier Herablassung die Sitte seines Volks ehren, um von diesem Volke wieder geehrt zu werden. Zu suchen hat er für sich selbst hier nichts. Der Pfarrer hat von seinetwegen guten Frieden; er sucht ihn nicht, er lässt ihn nicht an sich kommen außer etwa bei der Taufe eines Kindes, da der Mann bei diesem schönen Familienfeste nicht umgangen werden kann. Die Religion des Gebildeten im besten Falle ist, wie Einer aus ihnen gesagt hat, nicht Unchristentum und nicht Widerchristentum, aber entschiedenes Nichtchristentum; für gewöhnlich ist er von dieser Schwäche frei, und ein lebendiger, persönlicher Gott über der Welt, Schöpfer und Heiland aller Menschen, hat für ihn kein Interesse.
So weiß er auch nichts von Sünde und hat kein Gewissen von Sünde und kennt kein Gottesgebot, dem er pflichtig wäre. Er hat Grundsätze; Grundsätze der Ehre, das ist sein Dünkel und der Respekt von jedermann; er hat Grundsätze des Rechts, auch wohl der Billigkeit; er hat Grundsätze der Humanität; er ist milde gegen Übeltäter und Verbrecher und gelind in ihrer Strafe; er ist nachsichtig gegen alle Fleischeswerke und entschuldigt sie; er lobt und fördert alle Anstalten zur Milderung leiblicher Not; er ist empfindsam und zärtlich gegen die Tiere. Aber er hat darum nicht aufgehört ehrgeizig und zornig zu sein gegen alle Widerwärtigen, hochfahrend und heftig gegen alle Anmaßung, tyrannisch im Hause, hart und ein Bedrücker derer die ihm diensten und schulden. Denn Fleisch ist die Bildung der Welt; wie sollte sie über das Fleisch Gewalt haben?
Diese weltliche Bildung ist eine Schminke des Fleisches; sie ist eine Tünche der Gräber, darin der inwendige Mensch tot und begraben liegt. Sie wird auch das Ende alles Fleisches haben. Was sie hervorbringt und erarbeitet an Erkenntnis der Werke Gottes, an Gewinn ihrer Schätze und Gebrauch ihrer Kräfte, darin tut sie unwissentlich Taglöhnerdienste zur Ehre Gottes und seiner Kinder; aber sie selbst und ihre Herrlichkeit wird verwelken wie des Grases Blume. Denn vor Dir nichts gilt als Dein eigen Bild. Ich habe es am Anfang gehabt und bin darin schön gewesen und heilig vor den Engeln Gottes und aller Kreatur; ich soll es wieder haben durch die Gnade meines Schöpfers in Christo Jesu durch die Kraft seines Geistes; erneuere mich nach Deinem Bilde und bewahre mich vor der Bildung der Welt, Gott Vater, Sohn und Geist -
Dir bin ich was ich bin;
Ach drücke selbst Dein Bild
Recht tief in meinen Sinn.
Erwähle mein Gemüte
Zum Tempel Deiner Güte;
Verkläre an mir Armen
Dein gnadenreich Erbarmen.
Wohl mir, wenn Du der meine heißt,
Gott Vater, Sohn und Geist.