Parry, William Edward - Der Vatersinn Gottes - Siebentes Kapitel.

Parry, William Edward - Der Vatersinn Gottes - Siebentes Kapitel.

Wenn dein Wort offenbar wird, so erfreut es, und macht klug die Einfältigen. Ps. 119,130.

Bittet, so werdet ihr nehmen: suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Matth. VII. 7.

Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses, und den Ort, da deine Ehre wohnt. Ps. XXVI, 8.

Tut dies zu meinem Gedächtnis. 1 Kor. XI. 24.

Welche der Geist Gottes treibet, die sind Gottes Kinder. Röm. VIII. 14.

Nicht nur hat es unserm himmlischen Vater zur Erreichung Seiner Gnadenabsicht an Seinen Kindern gefallen, selbst durch Mittel zu wirken, sondern Er hat auch ihnen solche vorgeschrieben, die sie gleichsam als Gottes Mitarbeiter gebrauchen sollen. Sehr richtig sind diese alle Gnadenmittel bezeichnet worden, indem sie die von Gott bestimmten Kanäle zur Mitteilung jedes geistlichen Segens und deshalb auch alles echten Glückes sind, das ja Gottes Gnade allein der Seele zu gewähren vermag. Hier nun, wie im oben behandelten Fall, könnte Er zwar den Rat Seines Willens erfüllen, und Seine väterlichen Liebeszwecke ohne die Dazwischenkunft irgend eines solchen Mittels erreichen. Wer wollte auch bezweifeln, dass die Allmacht seiner vermittelnden Hilfe bedarf? So wie in der dürren Wüste das Manna den Wolken entfiel um das hungernde Volk Gottes zu speisen eben so leicht könnte auch das Samenkorn befähigt werden zu sprossen und dem Menschen ohne alle seine Arbeit, ja ohne einige Einwirkung inwohnender Wärme der Erde, noch befruchtenden Regens vom Himmel, Brot zu erzeugen. Wir wissen jedoch, dass Solches nicht das gewöhnliche Walten göttlicher Vorsehung ist, und erwarten also dasselbe auch nicht. Aber im gleichen Verhältnis dürfen wir auf dem Gebiet göttlicher Wirkungen der Gnade keine geistliche Ernte ohne den vorherigen treuen Gebrauch derjenigen Mittel erwarten, die uns Seine Güte angewiesen hat. Und unter diesen Mitteln sind die vornehmsten das Wort Gottes und das Gebet.

Die Bibel ist uns gegeben zu unseres Fußes Leuchte, und zu einem Licht auf unserm Pfade1)„. Sie soll unsere Füße richten auf den Weg des Friedens2)“. Als die Trägerin einer Offenbarung von Demjenigen, Der da ist „der Hohe und Erhabene, Der ewiglich wohnet3)“, einer Offenbarung, die unserm Geschlecht eine Botschaft innigen Erbarmens von oben bringt, hat sie wahrlich die gerechtesten Ansprüche auf unsere tiefste Ehrfurcht sowie auf die ausdauerndste Erforschung und herzlichste Annahme ihres Inhaltes. Oder dürfte wohl ein Bote des Himmels gefahrlos zurückgewiesen und verachtet werden? Sollte Sich der Allmächtige vergeblich so weit herablassen in menschlichen Worten voll des innigsten Mitleidens und der erbarmendsten Liebe zum Menschen zu sprechen; dieser aber „elend, jämmerlich, arm, blind und bloß4)“ wie er in seinem geistlichen Zustand es ist, sich ungeahndet erfrechen dürfen, diesen Mitteilungen nur ein taubes Ohr zu leihen? Das sei ferne! Die gewaltigen Wirkungen, welche die vom heiligen Geist getriebenen Schriftsteller dem Wort Gottes zuschreiben, kennen keine Grenzen. Paulus nennt es das „Schwert des Geistes,“ die mächtige Waffe, durch welche der heilige Geist in der Seele des Menschen einen Sieg nach dem andern vollbringt. Der Apostel schildert es als „lebendig und kräftig, und schärfer denn kein zweischneidiges Schwert, das da durchdringt, bis dass es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Gebein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens5)“. Jakobus und Petrus schreiben seiner Vermittlung den ersten Keim jenes geistlichen Lebens in jeder begnadigten Seele zu, auf welchem ihre ganze Hoffnung für die endlose Ewigkeit beruht. „Er hat uns gezeugt nach Seinem Willen, durch das Wort der Wahrheit, auf dass wir wären Erstlinge Seiner Kreatur6)“. „Als die da wiederum geboren sind, nicht aus vergänglichem Samen, nämlich aus dem lebendigen Wort Gottes, das da ewiglich bleibt7)“. Und wie überwallend und herrlich zeugt nicht der königliche Sänger von den nie versiegenden Strömen himmlischer Leitung, Erleuchtung und Freude, göttlichen Trostes und Friedens, die dem unerschöpflichen Schatz des Wortes seines Gottes entquillen! Wohl mochte seine eigene Erfahrung von dessen Wert und Segen die Erfahrung Tausender und Zehntausender unter den Kindern Gottes aller Zeiten - ihm den Ausruf entlocken: „O! wie habe ich dein Gesetz so lieb! Täglich rede ich davon. Deine Zeugnisse sind mein ewiges Erbe; denn sie sind meines Herzens Wonne8)“.

Allein, wie unschätzbar auch das Vorrecht sei, eine unmittelbare Offenbarung vom Himmel zu besitzen, und wie köstlich der an ein aufmerksam demütiges Erforschen der Schrift geknüpfte Segen, so wird doch jenes Vorrecht so wie dieser Segen uns fremd bleiben, wenn wir es versäumen, mit ernstem und inbrünstigem Gebet nach Beiden zu ringen. Gott könnte sie uns auch ohne unsere Bitten gewähren, wenn es Ihm so wohlgefiele, denn „Er weiß, wessen wir bedürfen, ehe wir Ihn darum bitten9)“. Dies ist indessen nicht Seine Weise. Er will, dass Seine Kinder Ihn bitten um was sie bedürfen; und dass sie „im Glauben bitten und nicht zweifeln10)“. Es ist einer der besonderen Züge von Gottes Vatersinn, dass Er von denjenigen „angerufen“ werden will, die den Wunsch haben oder das Vorrecht in Anspruch nehmen Seine Kinder zu sein. Unser Herr Selbst erinnert uns an die merkwürdige Analogie, die in dieser Hinsicht zwischen irdischen Eltern und unserm himmlischen Vater besteht; und Er stützt auf dieselbe einen unwidersprechlichen Beweggrund zum eifrigen Flehen vor dem Gnadenthron um die Befriedigung aller unserer Bedürfnisse, sie mögen nun leiblicher oder geistlicher Art sein. „Welches ist der Mensch unter euch, der, so ihn sein Sohn um Brot bittet, ihm einen Stein böte? Oder so er ihn um einen Fisch bittet, der ihm eine Schlange gäbe? So denn ihr, die ihr arg seid, könnt euren Kindern gute Gaben geben, wie viel mehr wird euer Vater im Himmel gute Gaben geben denen die Ihn darum bitten11)?“ Und dürfen wir nicht hinzusetzen welches ist das Kind unter uns, das da zögerte einen zärtlichen Vater um dasjenige zu bitten, wessen es bedarf, und auf die Erfüllung seiner Wünsche und Lieblingspläne mit all dem Eifer kindlicher Zutraulichkeit zu bringen, die liebendes Vertrauen ihm einflößt?

Das Gebet ist für die Seele des Menschen, was seinem Leib das Schöpfen des Atems. Ohne dasselbe findet in ihr nicht bloß eine allmählige Schwächung jener Grundsätze und Früchte des Geistes statt, welche die Tatkraft und sogar das Leben der Seele bedingen, sondern vielmehr ein völliges Verlöschen derselben; nicht Mattigkeit nur, sondern der Tod. Mit Recht nennt es daher ein Dichter12): „des Christen Lebenshauch;“ denn ohne Gebet kann es kein wahres geistliches Dasein geben.

Wer indessen Gottes Wort hochverehrt und den Wert innerer Gemeinschaft im Gebet mit Ihm zu schätzen weiß, der wird nicht ermangeln, auch die von dem Herrn eingesetzten Anordnungen wert zu halten, wodurch die Kraft und Wirkung jener zwei vornehmsten Gnadenmittel erhöht werden soll, weshalb sie schon an und für sich selbst eine bedeutende Wichtigkeit erlangen. Wie sollten auch Gottes Kinder nicht „lieb haben die Stätte Seines Hauses, und den Ort, da Seine Ehre wohnt?13)“ Sie werden „sich freuen, wenn man zu ihnen sagt: Lasst uns gehen zum Hause des Herrn;14)“ und aus der Fülle ihres Herzens stimmen sie ein in die Worte des königlichen Sängers: „Ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser denn sonst tausend; ich wollte lieber die Tür hüten in dem Hause meines Gottes, als wohnen in den Zelten der Gottlosen15)“.

Als ein ganz besonderes Gnadenvorrecht und Labsal aber werden sie es achten, sich häufig der Tafel des Heilandes nahen, und hier die heiligen Pfänder und die Gemeinschaft Seiner Liebe bis in den Tod - dieses Kleinod der Kirche Christi empfangen zu dürfen, um so jener unaussprechlich innigen und rührenden testamentlichen Verordnung zu genügen: „Tut dies zu meinem Gedächtnis16)“, „zu essen das Fleisch des Menschensohnes und zu trinken Sein Blut17)“ und Ihn durch den Glauben in ihren Herzen mit Danksagung zu genießen.

Solches sind die vornehmsten Gnadenmittel, welche es Gott gefallen hat einzusetzen und zu segnen, um uns mit ihm zu versöhnen, und als geliebte Kinder in die Familie Seines Sohnes aufzunehmen. Durch den redlichen und anhaltenden Gebrauch derselben wird unsere Vereinigung mit dem Erlöser begonnen und fortwährend unterhalten; unser geistlicher Mensch erstarkt, und wir „wachsen in allen Dingen an Dem, der das Haupt ist, nämlich Christus18)“.

Doch Eines noch darf nicht vergessen werden. Während Keiner, dem es aufrichtig um den Endzweck - seiner Seele Seligkeit - zu tun ist, gegen die zur Erlangung derselben eingesetzten Mittel Einwendungen machen, oder sie auch nur nachlässig benutzen wird; während das wahre Kind Gottes, im Geiste von Pauli Ermahnung19), sich um dieselbe mit eben so großem Eifer anstrengt, als sollte Alles von seinem eigenen, durch keine andere Kraft unterstützten Ringen abhängen; so bleibt es ihm dennoch eben so unumstößlich wahr, dass kein äußeres Mittel und keine eigene Anstrengung ohne die Vermittlung des göttlichen Geistes ihm einen wahren Segen zuzusichern vermag. Sein Amt ist es, uns als „Geist der Wahrheit“ „zu leiten in alle Wahrheit20)“ „zu nehmen die Dinge, die Christi sind, und sie uns zu offenbaren21)“. Gleich wie in Hezechiels Gesicht die dürren Gebeine, auch dann, als sie bereits mit Nerven und Fleisch überwachsen waren, noch leblos und ohne Regung blieben, bis der Geist Gottes „sie anblies, dass sie lebten,22)“ also bleibt uns auch die Bibel so lange ein versiegeltes Buch und ein toter Buchstabe, unser Gebet kalt und geistlos, und die anderen Gnadenmittel ohne innere Kraft und Wirkung, bis der heilige Geist sie fruchtbar belebt. Ähnlich dem Regen und Tau vom Himmel muss Er Sich auf das dürre und unfruchtbare Gefilde des menschlichen Herzens herniedersenken, bevor der ausgestreute Samen keimen und irgend welche Frucht zur Reife bringen kann. Ist es uns einmal recht klar vor die Seele getreten, wie diejenigen, „welche der Geist Gottes treibt (und nur diese). Gottes Kinder sind,23)“ wie unendlich wichtig wird uns dann erst das Gebet um Seinen belebenden und heiligenden Einfluss, und wie ermunternd die Zusicherung, dass Er Sich nie vergebens „im Geist und in der Wahrheit24)“ suchen lässt!

Haben nun obige, in demütiger Liebe dem Herzen angefochtener Mitpilger nahe gelegten Betrachtungen einigermaßen dargetan, wie auch die schwersten irdischen Leiden vom christlichen Dulder nur als unmittelbare und sorgfältig berechnete Fügungen der treuen Hand seines allweisen wie allgütigen Vaters zu betrachten sind, die alle sein größtes Wohl befördern; ist ihm einmal klar, dass, obschon „sie zur Zeit nicht Freude, sondern Traurigkeit bringen,“ sie dennoch in einem Geist kindlicher und demütiger Ergebung aufgenommen werden sollten, um wie viel weniger dürfte er sich dann durch die zahllosen, seinen Lebenspfad stündlich durchkreuzenden kleinen Widerwärtigkeiten, die indessen einen so bedeutenden Teil seiner „Geistesplage“ bilden, irre machen lassen! Wir lächeln über die tausend Kleinigkeiten, welche täglich die Tränen oder den kindischen Jubel unserer Kleinen veranlassen. Aber, o wie bald kommt die Zeit, da unser Auge seiner sinnlichen Hülle einmal entledigt, es alles Irdische endlich in dessen wahrer Gestalt und Größe erblickt, und kleinlicher noch ihm alsdann die zahllosen, winzigen Tändeleien erscheinen, welche jetzt selbst des Christen Seele so oft noch überwältigend erfüllen! jene Liliputenstricke, deren Menge die Schwäche jedes Einzelnen aufwiegend, die Flügel des Glaubens zu hemmen, den unsterblichen Geist an den Staub zu fesseln, dessen Flug himmelan zu beschweren, ja sogar den innersten Aufschwung jener unaussprechlichen Seufzer des Geists niederzuschlagen vermag!

Während indessen die Kinder Gottes, so lange sie hienieden wallen, sich stets über das Irdische zu erheben, und so viel Himmelsluft als immer möglich einzuatmen trachten, so sind sie gleichwohl sorgfältig darauf bedacht, keine einzige Pflicht desjenigen Berufes zu versäumen, welchen Gott ihnen auf Erden einmal anwies. Man wähne auch nicht, dass, weil sie den Interessen eines endlosen Lebens den ersten Platz einräumen, sie deshalb die ausgezeichnetern Erzeugnisse des menschlichen Geistes, die Entdeckungen auf dem Gebiet der Wissenschaft, oder den Scharfblick eines durchdringenden Verstandes geringschätzen. Sie wünschen bloß, dass diese Dinge höheren und edleren Gegenständen, als sie diese vergängliche Welt darbieten kann, untergeordnet und wo möglich dienstbar gemacht werden. Sie besitzen einen eben so feinen Geschmack als andere Leute für die Schönheiten der Kunst, die Erhabenheit der Poesie oder die Gegenstände der Literatur; aber sie wissen auch, dass, „es seien Sprachen, so sollen sie aufhören, es sei Erkenntnis, so wird sie verschwinden25)„. Niemand ist williger als sie, den gerechten Tribut des Dankes und der Anerkennung denjenigen zu zollen, welche an der Spitze alles dessen stehen, was das zeitliche Wohl ihrer Mitmenschen befördert und die deshalb mit Recht die Wohltäter derselben genannt werden. Allein, auch dieses von einem mehr als menschlichen Standpunkt aus beurteilend, wissen sie, dass den Bewerbern um eine ewige Herrlichkeit ein noch höheres Ziel gesteckt ist, und dass am Ende der Christ das höchste menschliche Wesen ist. Sie zeichnen sich zwar eben so gerne als Andere in jeder Eigenschaft aus, welche den Menschen in der Waagschale der Trefflichkeit als ein geistiges, vernünftiges und geselliges Wesen zu heben vermag: allein ihr vornehmstes Streben bleibt stets, sich unter der Zahl derjenigen zu befinden, welche der Heiland, mit Seinem eigenen Blut Gott erkauft hat; ununterbrochen den freien Zutritt zum Allmächtigen im Geist der Kindschaft zu haben, der da ruft: Abba, lieber Vater; ihre Rechte auf ein „unbeflecktes, unverwelkliches und unvergängliches Erbe im Himmel“ mit klaren Schriftzügen zu lesen; mit Einem Wort, die höchste Würde zu erlangen, deren die menschliche Natur fähig gemacht worden ist, Söhne und Töchter des Herrn, des allmächtigen Gottes zu werden.

1)
Ps. CXIX. 105
2)
Luk. 1.79.
3)
Jes. LVII. 15.
4)
Offenb. III.17.
5)
Eph. VI.17.
6)
Jak. I.18.
7)
1 Petr. I.23.
8)
Ps. CXIX,97.111
9)
Matth. VI.8.
10)
Jak. I.6.
11)
Matth. VII. 9-11. oder nach Luk. XI. 13. „den heiligen Geist geben“ die beste aller Gaben.
12)
Montgommery
13)
Ps. XXVI,8.
14)
Ps. CXXII,1.
15)
Ps. LXXXIV,10.
16)
1. Kor. XI,24
17)
Joh. VI,33
18)
Eph. IV,15
19)
Schafft euer Heil mit Furcht und Zittern, denn Gott wirkt beides in euch, das Wollen und das Vollbringen, nach Seinem Wohlgefallen. Phil. II. 12. 13.
20)
Joh. XIV,17 XV,26
21)
Joh. XVI,13.15
22)
Hes. XXXVII,9
23)
Röm. VIII,14
24)
Luk. IX,13
25)
)1. Kor. XIII,8)“; während das Wort unseres Gottes ewiglich bleibt((Jes. XL,8
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