Ohlhues, Johann Matthias Peter - Acht Betrachtungen über das fünfzehnte Kapitel des Evangeliums Lucas - Siebte Betrachtung - Des verlorenen Sohnes Wiederannahme

Ohlhues, Johann Matthias Peter - Acht Betrachtungen über das fünfzehnte Kapitel des Evangeliums Lucas - Siebte Betrachtung - Des verlorenen Sohnes Wiederannahme

Der Vater läuft ihm entgegen und sagt ihm seine väterliche Liebe zu mit Umarmung und Kuss; lässt den seine Sünde bekennenden Sohn als einen Sohn antun mit Kleidern und Geschmeide aus seinem Hause; heißt ein Freudenmahl bereiten; und stimmt an ein Freudenlied.

V. 20. Da er aber noch ferne von dannen war, sah ihn sein Vater, und jammerte ihn, lief und fiel ihm um seinen Hals, und küsste ihn.

Denken wir bei dem Vater im Gleichnis an einen Vater unter den Kindern der Menschen, so lässt sich nicht bestimmen, wie fern von dannen der Sohn noch gewesen, da der Vater ihn sah. Denn wie weit das Sehen eines Menschen reicht, hängt ab von der Kraft seines Auges und von vielen Zufälligkeiten, die entweder den Blick in die Ferne hemmen oder fördern. Wenden wir aber, wie wir nicht nur dürfen, sondern sollen, unsere Gedanken dem Vater zu, der der rechte Vater ist über alles, was Kinder heißt im Himmel und auf Erden, so sind wir nicht in Zweifel darüber, wie fern der Sohn, der Sünder, noch von dannen war, da dieser Vater ihn sah. Denn Sein Auge sieht Alles, Sein Blick dringt allenthalben hin; vor Ihm liegt der ganze Weg des Sünders vom ersten Anfang an aufgedeckt; Er begleitet den Sünder immer und allenthalben mit Seinem Auge, und sieht ihm nach mit einem Blick, der zugleich ernst und freundlich mahnt: „Kehre wieder, du Abtrünniger!“ Und dieser Blick dringt auch jedem Sünder in das Herz und macht ihn wenigstens zu Zeiten unruhig. Und lässt du ihn wirken, was er in dir wirken soll, da wird in dem Licht dieses Herz und Nieren durchforschenden Blickes vom Vater der verborgene Gräuel deines argen Herzens dir mehr und mehr offenbar; du erkennst dein Elend als Folge und Strafe deiner Sünde; es erwacht in dir ein Verlangen nach dem Vater, der dich angesehen hat. Diese Blicke des Vaters in das Herz sind die Züge, damit Er zum Sohn zieht. Viele freilich lassen sich nicht ziehen; sie fliehen bald in das Versteck der Arbeit, bald der Sorge, bald der Lust, um sich vor dem Blick des Vaters zu verbergen; aber zur Ruhe kommen sie nicht vor diesem Unruhe wirkenden Blick des Vaters, der den Sünder allenthalben hin verfolgt, seine Sünde offenbart, wider alle Entschuldigungen straft, zur Rückkehr mahnt. Da merken wir denn freilich, was es heißt, dass dieser Vater den verlorenen, aber umkehrenden Sünder gesehen habe, da er noch ferne von dannen war; Er hat ihn nicht nur auf allen seinen Sündenwegen gesehen, sondern auch alles, was in seinem Herzen vorgegangen ist; Er hat nicht nur gesehen, sondern auch durch Seinen Blick gewirkt die Gedanken an die Umkehr, wie sie anfänglich leise aufstiegen, danach den Entschluss erzeugten, endlich die Tat gebaren; Er hat gesehen, wie der Sünder auf dem Weg in das Vaterhaus von der Welt bestürmt ward, wie in ihm der Glaube an die Liebe des Vaters mit dem Zweifel rang. Und was fühlt denn der Vater dabei? Ihn jammerte sein, antwortet der Eingeborene vom Vater. Ja, wie Er ihn von Anfang gesehen, so hat Ihn von Anfang seiner gejammert; Er hätte Adam so gerne als einen gehorsamen Sohn im Haus behalten, aber Adam wollte nicht; Er hätte den durch die Taufe in die Kindschaft wieder aufgenommenen Menschen gerne bleibend in Seiner Vatergnade wandeln sehen, aber der Mensch wollte nicht; Er hätte den Abtrünnigen schon längst gerne wieder in Seine Arme geschlossen; aber - Er konnte ja nicht; die Sünde, die der Sünder nicht erkennen, nicht bereuen, nicht lassen wollte, war eine Scheidewand zwischen dem Vater und dem verlorenen Kind. Denn der Vater kann dich nicht aufnehmen, so lange du nicht mit ganzem Ernst der Sünde und der Welt den Abschied gegeben hast; das gehört zu den rechtschaffenen Früchten schon der ersten Buße. Viele denken freilich darüber anders; sie sagen, sie hätten ihre Sünde erkannt mit dem Schmerz der Reue, aber bleiben doch in der Sünde und laufen doch mit der Welt. Aber wo bleiben da die rechtschaffenen Früchte der Buße, die Gott doch fordert? Und wir wissen, mit welchem Ernst! Denn wo Er sie nicht findet, da lautet Sein Urteil: „Abgehauen und in das Feuer geworfen!“ Ohne diese rechtschaffenen Früchte ist die Buße nimmermehr, in der man zum Vater kommt; ja, in der allein, die Welt und Sünde fahren lässt. Denn wie wäre der verlorene Sohn zum Vater gekommen, wenn er freilich wohl gesprochen, oder auch gar gerufen hätte: „Vater, ich habe gesündigt in den Himmel und vor dir!“ aber dennoch in demselbigen fernen Lande bei den Träbern geblieben wäre? Nein, es gilt, mit der Welt und Sünde zu brechen, gleich im Anfang der Buße schon, und zwar mit dem Ernst des verlorenen Sohnes. Dann kann und wird der Vater tun, wozu Sein erbarmendes Herz Ihn treibt; kommt der Sünder mit aufrichtiger Buße, so kommt Er mit Vergebung zusagender Gnade. Und zwar wartet Er nicht, bis der bußfertig Kommende ganz zu Ihm gekommen ist! Nein, wir lesen: „Lief und fiel ihm um seinen Hals und küsste ihn.“ Warum bleibt denn der Vater nicht stehen, und lässt den verlorenen Sohn, den Sünder ganz zu Sich herankommen? „O, solltest du sein Herze sehn, wie sich's nach armen Sündern sehnet!“ antworten wir mit den Worten des bekannten Liedes. Der Vater kann nicht stehen bleiben; Sein Herz, Sein erbarmendes Herz treibt Ihn dem Bußfertigen entgegen. Wie Er in Seinem eingeborenen Sohn dem Sünder nachläuft, wenn er vor Ihm flieht, so läuft Er in Seinem eingeborenen Sohn ihm auch entgegen, wenn er zu Ihm kommt. Auch sind die letzten Schritte bis zu dem Vater für den Sünder die schwersten; je näher dem Vater, desto stärker die Anläufe des Satans, der seinen Raub nicht fahren lassen will; bliebe da der Vater stehen und käme nicht mit Vergebung verheißender Gnade entgegen, da würde vielleicht jetzt noch in dem Herzen des Sünders der Zweifel an der vergebenden Liebe durch Betrug des Vaters der Lüge überhand gewinnen, und ihn in die weltliche Traurigkeit stürzen, die da wirkt den Tod.

Damit das nicht geschehe, läuft der Vater und Sündern entgegen! Hast du es erfahren, dann weißt du, was es heißt. Innerlich bedrängt rangst du; dein Herz wurde geängstet von der Angst um die Sünde, umnachtet von dem Dunkel des Zweifels, ob dir könne vergeben werden; da brach plötzlich in die Finsternis deiner Seele ein Lichtstrahl; es wurde dir leicht um das Herz; du fühltest die Nähe des Vaters, bei dem viel Vergebung ist, denn er lief dir entgegen. Und nicht allein das; Er tat zugleich dir noch mehr, wie dem verlorenen Sohn: Und fiel ihm um seinen Hals und küsste ihn! Welche Gnade und Liebe des Vaters! Nicht mal mit strafendem Wort kommt er dem Sohn entgegen; wie werden aber grade diese erbarmenden Liebeserweisungen das Herz des Sohnes in Reue und Schmerz darüber zerbrochen haben, dass er wider einen solchen Vater mit sündlichem Trotz gefrevelt! Wir wissen, mit welchem Bekenntnis der Sohn zum Vater kommen wollte; und wir würden uns gewiss nicht verwundern dürfen, wenn das zum Wenigsten der Vater abgewartet hätte; aber er lässt ihm auch dazu keine Zeit; er weiß, wie dem Sohne zu Mute ist; er fühlt ihm in zarter Liebe das Leid ab, dass er in seinem Herzen über seine Sünde trägt; es genügt ihm, dass der Abtrünnige sich in umkehrender Buße zu ihm aufgemacht hat; deshalb eilt er ihm mit Zusicherung seiner Vatergnade entgegen, lässt sich weder durch den Schmutz, noch den üblen Geruch, diese Spuren des Lebens unter den Säuen, von dem Sohne fern halten, sondern umarmt ihn vielmehr, und verschließt ihm mit einem Kuss den Mund, der sich zum Bekenntnis, dass er nicht wert sei, ein Sohn des Vaters zu heißen, öffnen wollte. Ja, so geht der erbarmende Vater mit den Bußfertigen um! Sie erfahren noch immer an sich die Erfüllung der großen Verheißung: „Und soll geschehen, ehe sie rufen, will Ich antworten.“ (Jes. 65,24.) Aber ist denn nun schon die Wiederannahme zum Sohn vollendet? Nein, das nicht! Der Sohn ist ja noch nicht im Haus des Vaters; er hat noch Schritte, wenn auch nur wenige, zu machen, um in dasselbe zu kommen. Auch fehlt ihm noch die Ausstattung zum Sohn; noch steht er da, nicht als Sohn mit des Vaters Kleidern angetan, sondern als Bettler in seine eigenen Lumpen gehüllt. Aber die Zusicherung hat er, dass des Vaters Gnade ihn wieder ganz und gar zum Sohn machen werde; zweifle er nun noch daran, wenn er kann! Aber unter diesen Erfahrungen der entgegenkommenden Vaterliebe wird ihm solcher Zweifel unmöglich sein. Nun weiß er gewiss, dass der Vater ihn nicht als einen Bettler auf der Straße vor der Tür stehen lassen, noch ihn als Tagelöhner in sein Haus führen wird. Nein, als Sohn und gekleidet als Sohn soll er an der Hand des Vaters eingeben unter das väterliche Dach. Noch ist also freilich die Wiederannahme zum Sohn an ihm nicht vollendet, sondern erst angefangen, aber er hat nun die Bürgschaft, dass der Vater das angefangene Werk an ihm vollenden werde. Kennst du diese Erfahrung, da der Vater mit Umarmung und Kuss entgegen kommt, um eine vorläufige Versiegelung zur Kindschaft zu geben? Ja, wenn du deine Seele mit der Angst des ewigen Verlorengehens in den Händen getragen hast! Fasste Zweifel deine Seele, ob noch Gnade für dich zu finden; lagst du da wie ein zerstoßenes Rohr und glimmendes Docht; vielleicht ohne Worte, nur mit Seufzern um Erbarmen; schrie deine Seele zum lebendigen Gott um Gnade, da ist der Vater dir mit Umarmung und Kuss entgegen gekommen. Denn was sollte Ihn von dir ferne halten? Deine Sünde etwa? Die ist freilich eine Scheidewand zwischen deinem Gott und dir, aber eine solche, die ja du nicht, sondern Er allein abbrechen kann. Und wenn du nun mit dem Begehren, dass Er tun wolle, was Er allein kann, dich Ihm nahst, da sollte Er sich dir nicht nahen, sondern Sein Antlitz wider dich verstellen? Meinst du, dass Der, in dem alle Verheißungen Ja und Amen sind, an dir wolle zu Schanden werden mit Seinem Wort (Gal. 4,8.): „Naht euch zu Gott, so naht Er Sich zu Euch!“ und mit dem andern (Jer. 3,12.): „Kehre wieder, du abtrünniges Israel, spricht der Herr, so will ich Mein Antlitz nicht gegen euch verstellen!“? Nein, wahrlich, wenn du dich aufgemacht hast in erster, aber ernster Buße, und zu dem Vater gekommen bist, freilich in der Schande deiner Blöße, unrein und unheilig, aber verlangend nach den Kleidern des Heils, nach der Reinigung durch das Blut Jesu, und nach der Heiligung durch den Heiligen Geist, - dann, o ja dann gewiss hat der Vater dir durch Seinen und des Sohnes Geist in dem Herzen Zeugnis gegeben: „Fürchte dich nicht, du bist Mein; denn Ich habe dich erlöst zur Kindschaft!“ Diese erste Versiegelung, durch die der Vater deinem trotzigen und verzagten Herzen durch Gnade fest macht, dass Er dich zum Kind wieder annehmen, und als Kind ausstatten werde, ist die Umarmung und der Kuss, womit der Vater dem verlorenen Sohn entgegen läuft.

Und diese Erfahrung, die dem Bußfertigen das Herz leicht und fröhlich macht, erweckt sie auch den Leichtsinn zum frevelnden Denken: „O, wenn der Vater so bereit zum Vergeben ist, was habe ich mir denn so viele Angst und Qual um meine Sünde gemacht? Ich will mir hinfort keine schweren Gedanken mehr machen; umkehren will ich wieder in die Welt, und es aufs Neue mit dem alten Leben und Wandel nach dem Fleisch versuchen; vielleicht gelingt es mir jetzt besser, als das erste Mal; denn durch Schaden gewitzigt bin ich klüger geworden in der Klugheit der Welt; und sollte denn wider Erwarten wiederum mir die Welt mit Brettern vernagelt sein, dass ich in ihr die Wege des Glücks nicht finden kann, da ist es ja noch immer Zeit, das Glück in der Gottseligkeit zu suchen; gelingt es mir aber in der Welt, da genieße ich ihre Lust, so lange ich genießen kann, und danach, wenn ich alt und kalt geworden bin, und wenn es zum Sterben geht, komme ich denn zum Vater, tue kläglich, winsele: „Gott sei mir Sünder gnädig!“ finde ohne Zweifel dann Gnade und sterbe selig!“ Wird bis zu dem gottlosen Frevel solcher Gedanken der Bußfertige unter der ersten Versiegelung der Vatergnade sich verlieren können? Dachte, fragen wir antwortend, und konnte so denken der Sohn unter Umarmung und Kuss des Vaters? Wie er nicht, so auch der aufrichtig Bußfertige nicht. Wer noch an solchen Gedanken haftet, dessen Buße ist nicht wahr, der ist deshalb auch noch nicht bis zu dieser Erfahrung der entgegenkommenden Liebe des Vaters gekommen. Wohl ist freilich nach Erfahrung nicht nur dieser, sondern noch weiterer Gnadenerweisungen ein Abfall später möglich; aber den Entschluss zum Abfall fassen, wenn eben der Überschwang der göttlichen Gnade mit ihren Erquickungen das Herz des Mühseligen und Beladenen erfüllt, ist undenkbar. Denn die wahre Buße verflacht und verflüchtigt sich nicht unter den ersten Tröstungen solcher überschwänglichen Barmherzigkeit von Seiten des Vaters, sondern vertieft sich grade dann, dass der Sünder nun so wahr und aufrichtig, wie noch nie, im Herzen fühlt, was jetzt sein Mund bekennt. Und was bekennt er denn? Wir lesen:

V. 21. Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater! ich habe gesündigt in den Himmel und vor dir; ich bin fort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße.

Nun sagt er zum Vater, was er sagen wollte! Unter der Erfahrung der Vergebung zusagenden Gnade wird er erst seiner Sünde recht inne; nun ist seine Buße erst recht wahr. Hatte ihn bisher noch mehr die Not der Sünde, in der er weder aus noch ein wusste, getrieben, sich zum Vater aufzumachen, so erkennt er jetzt die Sünde selbst als Sünde, fühlt, was für eine Sünde dass sei, einen Vater verlassen und betrübt zu haben, der ein Herz voll solcher erbarmenden Liebe hat. So kann er denn nun mit Wahrheit bekennen: „Ich bin fort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße.“ Aber wo bleibt denn nun, was er noch weiter hatte sagen wollen: „Mache mich als einen deiner Tagelöhner!“? Vergisst er denn das? Da sehen wir nun, dass wir vorher diese Worte richtig verstanden haben. Sie klangen und schön beim ersten Hinhören; sie schienen von Demut zu zeugen; aber die rechte Demut war es nicht; denn wir fanden alsbald in ihnen die noch anhaftende Selbstgerechtigkeit, die als Tagelöhner zu verdienen begehrte. Nun aber hören wir den Sohn nicht mehr vom Tagelöhner reden. Weshalb denn nicht? Wäre jenes Wort der Bitte, dass er sagen wollte, nun aber doch nicht sagt, ein Zeugnis rechter Demut gewesen, da müssten wir sagen: Er ist jetzt nach Erfahrung der Gnade nicht mehr so demütig, als vorher; es ist mit ihm rückwärts gegangen. Aber nicht wahr? so wird doch Niemand in Wahrheit denken können! Er ist offenbar weiter gekommen! Und eben weil er weiter gekommen und also demütiger geworden ist, deshalb kann er die Bitte nicht mehr über seine Lippen bringen, die noch vom Verdienen als Tagelöhner redet. Und zu diesem Grund kommt noch ein anderer. In dem Wort lag nämlich auch ein Zweifel an der ganzen Gnade des Vaters; zum Sohn wieder angenommen zu werden, das wagte er nicht zu hoffen; deshalb stimmte er sich herab zu dem Wunsch, nur als Taglöhner im Hause des Vaters dienen zu dürfen. Aber nun ist aller Zweifel durch Umarmung und Kuss des Vaters genommen; seine Wiederannahme zum Sohn ist ihm gewiss; deshalb schweigt er vom Tagelöhner. Das ist die rechte Buße, die unter der Erfahrung der Gnade geboren wird, die Buße, die nicht an der vollen Gnade zweifelt, weil sie nicht verdienen will; die gläubige Buße, die, je tiefer sie den Sünder erkennen lässt, er sei es weder wert ein Sohn, noch ein Taglöhner zu heißen, desto mehr ihn treibt, sich auf die Gnade zu stellen, und zwar ganz und allein auf die Gnade, die dem Bußfertigen Alles, sei es Großes oder Kleines, Offenbares oder Verborgenes zu vergeben bereit ist. Kennst du diese gläubige Buße? Hast du, auch wenn du äußerlich vielleicht ehrbar wandelst, dich dennoch in himmelschreiender Sünde vor dem Vater gefangen und als höllenwürdig erkannt, und dich ganz und allein der Gnade übergeben, mit völligen Glauben, dass der Vater, der Seine eigenen Sohnes um deinetwillen nicht verschont hat, um Seinetwillen dich als Kind annehmen werde? Selig bist du dann! Dann wirst du alsbald weitere köstliche Gnadenerweisungen des Vaters erfahren. Lasst uns darüber den Herrn nun vernehmen!

V. 22-24. Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt das beste Kleid hervor, und tut ihn an, und gebt ihm einen Fingerreif an seine Hand, und Schuhe an seine Füße, und bringt ein gemästet Kalb her, und schlachtet's; lasst uns essen und fröhlich sein. Denn dieser mein Sohn war tot, und ist wieder lebendig worden; er war verloren, und ist gefunden worden. Und fingen an fröhlich zu sein.

Hier haben wir nun die Ausstattung des Sünders zum Sohn; wir lesen ähnlich davon Sach. 3. Der Vater wendet sich an seine Knechte, die seine Befehle auszurichten haben. Fragen wir, woran wir bei den Knechten in der Deutung zu denken haben, so haben wir uns wohl zu hüten, mit den vorher genannten Taglöhnern nicht diese Knechte zu verwechseln. Knechte hat der himmlische Vater im Himmel und auf Erden, in Seinem ganzen Haus, das nicht nur im Himmel, sondern auch auf Erden ist. Auf Erden heißen des Vaters Kinder auch Seine Knechte, weil sie Ihm dienen, nicht aber in knechtlichem Geist, dass sie sich abermals fürchten müssten, sondern in dem kindlichen Geist, der in ihren Herzen schreiet: Abba, lieber Vater! Nicht aber diese Knechte auf Erden, sondern die im Himmel sind es, an die der Vater sich hier wendet; hier sind gemeint die Engel, die Diener, die Seinen Befehl ausrichten und Seinen Willen tun (Ps. 103,20.21.), die dienstbaren Geister, die ausgesandt werden zum Dienst um derer willen, die ererben sollen die Seligkeit (Hebr. 1,14.), die auch wie in diesem, so in den beiden vorigen Gleichnissen zur Mitfreude über den Sünder, der Buße getan hat, aufgefordert werden.

An diese Knechte richtet der Vater Seine Befehle. Wir stehen hier vor einem Geheimnis; wagen wir nicht in Unausforschliches hineinzudringen, sondern bleiben wir demütig stehen bei dem, was und der Eingeborne vom Vater offenbart, wodurch wir so viel erfahren, dass die Engel, durch deren Geschäfte im alten Bund das Gesetz empfangen ist, auch im neuen auf mancherlei Weise geschäftig sind zum Dienst um derer willen, die ererben sollen die Seligkeit. Das ist es, was, wie anders. wo oft, so auch hier uns zu erkennen gegeben wird, wenn wir lesen: „Aber der Vater sprach zu seinen Knechten.“ Und wie hebt denn nun der Befehl an? „Bringt das beste Kleid hervor, und tut ihn an!“ vernehmen wir. Bis jetzt steht der Sohn da, noch nicht angetan als Sohn, sondern in zerrissenen und unreinen Kleidern, die von seiner Sünde und Schuld laut und vernehmlich reden; nun aber werden sie abgetan und er als Sohn gekleidet. So haben wir gewiss nicht falsch ausgelegt. Wir deuten also auch recht, wenn wir sagen: Bisher ist der Bußfertige noch gekleidet mit Sünde, Schuld und Fluch. Aber nun gebietet der Vater, natürlich in Seinem eingeborenen Sohn: „Tut die unreinen Kleider von ihm!“ und spricht zum Sünder: „Siehe, Ich habe deine Sünde von dir genommen!“ So Er aber so spricht, da (wie Sach. 3,4. zu lesen) fährt Er sogleich fort mit gnadenreichem Und: „Und habe dich mit Feierkleidern angezogen!“ Das lautet denn ganz, wie wir in unserm Text lesen: „Bringt das beste Kleid hervor, und tut ihn an!“ Das sind die weißen Kleider des Heils, die helle gemacht sind in dem Blut des Lammes, das erwürgt ist und hat uns Gott erkauft mit Seinem Blut; es ist der Rock der Gerechtigkeit; die reine und schöne Seide, welche ist die Gerechtigkeit der Heiligen. Diese Gerechtigkeit ist nicht eigene, menschliche, sondern Gottes Gerechtigkeit; darum gilt sie auch vor Ihm; sie kommt nicht aus dem Gesetz, sondern durch den Glauben an Christum, an welchem wir haben die Erlösung durch Sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden. Ja, die Vergebung der Sünden ist der Rock der Gerechtigkeit, damit der Vater den bußfertig und gläubig kommenden Sünder bekleidet, wenn Er in und durch Seinen Sohn zu ihm spricht: Sei getrost, Mein Sohn, Meine Tochter, deine Sünden sind dir vergeben!“1) Besseres Kleid gibt es für uns nicht, als diesen Rock der Gerechtigkeit Gottes; das ist das beste. Bist du damit angetan, dann jubelst du: „Ich freue mich im Herrn, Ich freue mich im Herrn, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn Er hat mich angezogen mit Kleidern des Heils, und mit dem Rock der Gerechtigkeit gekleidet.“ (Jes. 61,10.) So würden freilich die Glaubendgerechten nicht jubeln können, wenn die Tilgung ihrer Sünde und Schuld im Himmel geschähe, ohne ihrem Herzen bezeugt zu werden. Aber die Bezeugung bleibt nicht aus; die die Erfahrung gemacht haben, von der hier die Rede ist, die wissen und freuen sich, dass sie aus Gnaden gerecht gemacht sind; denn sie sind mit der Gerechtigkeit bekleidet; und von dem Kleid, das Jemand anhat, muss er doch wissen; bist du angetan mit Gerechtigkeit, so hast du Zeugnis darüber in deinem Herzen; denn das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, das uns rein macht von aller Sünde, reinigt unser Gewissen, dass wir besprengt in unsern Herzen und los von dem bösen Gewissen mit Paulus zum Preis Christi, der die Gottlosen gerecht macht, sprechen: „Nun wir denn sind gerecht worden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott, durch unsern Herrn Jesum Christum.2) Diese Gerechtigkeit aber wird dem Herzen versiegelt durch den Heiligen Geist, der mit der Vergebung gegeben wird. So bezeugt schon Petrus: „Tut Buße, und lasse sich ein Jeglicher taufen auf den Namen Jesu Christi, zur Vergebung der Sünde; so werdet ihr empfahen die Gabe des Heiligen Geistes.“ (Apost. 2,38.) Dieser Heilige Geist der Verheißung, den Gott in die Herzen der Gläubigen gibt, sie damit, als mit dein Pfand ihres Erbes zu ihrer Erlösung zu versiegeln, gibt unserm Geist Zeugnis, dass wir Gottes Kinder sind; denn der Geist des Vaters und des Sohnes ist in unsern Herzen als ein kindlicher Geist, durch welchen wir rufen, schreien: Abba, lieber Vater! Wo dieser Geist der Kindschaft ist, da ist Freiheit; da heißt es: „Also ist nun hie kein Knecht mehr, sondern eitel Kinder.“3) Auf diesen Kindschaft und Freiheit versiegelnden Geist deutet der Fingerreif in unserm Text, wo der Vater spricht: „Und gebt ihm einen Fingerreif an seine Hand!“ Denn der Ring wurde zum Versiegeln gebraucht, und war nicht ein Schmuck für einen Knecht, sondern die Zierde des Freien. Bon der Freiheit der Kindschaft gibt der Vater seinem Sohne weiter Zeugnis mit seinem Wort: „Und Schuhe an seine Füße!“ Die Schuhe werden natürlich ihm gegeben, damit er darin wandele, und zwar als Sohn, und nicht als Knecht; denn den Knechten fehlten meistens die Schuhe. Und wie nun zugleich mit dem Kleid der Fingerreif gegeben wird, so zugleich mit Beidem die Schuhe, wie wir aus dem verbindenden und sehen, und was wir uns merken sollen. Denn wie der Vater mit der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, zugleich den Heiligen Geist in unsere Herzen gibt, der und unsere Kindschaft bezeugt, so schenkt Er uns auch durch denselben Geist allerlei Seiner göttlichen Kraft, was zum Leben und göttlichen Wandel dient. So werden wir beschuht, an Beinen gestiefelt, als fertig zu treiben das Evangelium des Friedens; gestärkt mit Kraft aus der Höhe, zu leben und zu wandeln im Geist, und zwar nicht als Knechte, sondern als Kinder; denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.4)

„Und bringt ein gemästet Kalb her, und schlachtet's; lasst uns essen und fröhlich sein!“ so vernehmen wir weiter aus dem Mund des gnadenreichen Vaters. Der Sohn, als Sohn gekleidet, soll auch essen und trinken als Sohn an der Gnadentafel Des Vaters. Ja, so speist und tränkt der himmlische Vater Seine Kinder in Seinem Haus und an Seinem Tisch in dem heiligen Abendmahl mit dem Leib und Blut Seines Sohnes; doch nicht so und dann allein; nein, immerfort, in all unserm Hungern und Dürsten, das nach dem lebendigen Gott verlangt, speist und tränkt Er uns mit Seinem Sohn, der das lebendige Brot vom Himmel, das Brot Gottes und des Lebens, und das Wasser ist, das in das ewige Leben quillt. (Ev. Joh. 4,6.) Und diese Speisung und Tränkung genießt der also Begnadigte nicht für sich allein, sondern in der Gemeinschaft aller Heiligen, die ihre Knie im Namen Jesu beugen, in Gemeinschaft nicht nur der Heiligen, die auf Erden sind, sondern auch derer, die im Himmel sind; denn es ist doch nur Eine Gemeine Jesu, die Gemeine sowohl derer, die hier noch auf Erden wallen im Streit, als auch derer, die sich im Himmel schon des ewigen Sieges freuen als Überwinder durch des Lammes Blut. In dieser Gemeinschaft essen und trinken die Kinder Gottes, und Alle, die dieser Gemeinschaft im Himmel und auf Erden angehören, freuen sich mit dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, wenn ein bisher verlorener Sünder oder verlorene Sünderin nun als Sohn oder Tochter angenommen und bekleidet zum Mitgenuss an der Gnadentafel kommt. Das Eine, wie das Andere bezeugt und des Vaters Wort: „Lasst uns essen und fröhlich sein!“

Wie aber, liebes Menschenkind, steht es mit dir? Bist du ein Gotteskind geworden? Wandelst und pilgerst du mit dem Volk Gottes durch die Wüste nach dem himmlischen Kanaan und dem himmlischen Jerusalem in Kraft der geistlichen Speise und des geistlichen Trankes, nämlich Christi? Angetan mit den Kleidern und Schuhen, die nicht veralten?5) Selig du, wenn auch dir gilt der Freudengesang des Vaters: „Denn dieser mein Sohn war tot, und ist wieder lebendig worden; er war verloren, und ist gefunden worden.“ Der Sohn war tot, obgleich er lebte, denn er lebte ein Leben seiner Hand im fernen Land, nicht das Leben des Vaters, nicht in Gehorsam und Liebe des Vaters, nicht im Haus des Vaters; bei solchem Leben war er an sich ein verlorener Mensch, und auch dem Vater verloren; jetzt aber ist er zurückgekehrt in das Haus und das Leben des Vaters; er ist also nun wieder lebendig worden; und weil wieder lebendig, auch nicht mehr verloren, sondern gefunden, was auf vorhergegangenes Suchen deutet. Denn den Sünder suchend geht ihm der Mensch gewordene Sohn nach, ihn suchend leuchtet und lehrt der Heilige Geist in der Gemeine, ihn suchend zieht der Vater zum Sohne. Was tot und verloren, wie auch lebendig und gefunden bei dem Sünder heißt, wiederholen wir nicht; wir wissen es ja jetzt; die Gleichnisse vom verlorenen und wiedergefundenen Schaf, Groschen und Sohn haben es uns gelehrt; und wir haben hoffentlich so klar ausgelegt, dass Jeder, dem es aufrichtig darum zu tun ist, Antwort wird finden können auf die Fragen: Bin ich noch in der Welt? Oder auf dem Weg zum Vater? Oder schon bei Ihm als Kind in Seinem Haus? Wenn das Letzte, dann sitzt du an der Gnadentafel in der Gemeinschaft derer, von denen wir lesen: „Und fingen an fröhlich zu sein;“ in der Gemeinschaft des dreieinigen Gottes und aller Heiligen, die auch schon hier auf Erden durch die Gnade mehr und mehr dazu gestärkt werden, allezeit fröhlich zu sein, sich im Herrn zu freuen allewege. Wenn aber das schon hier mitten im Streit, was wird es denn für ewige Freude und Wonne über dem Haupt der Erlösten sein, wenn sie nun den neuen Himmel und die neue Erde und das neue Jerusalem haben, und sich ewig der Erfüllung der Verheißung freuen werden: „Siehe da, eine Hütte Gottes bei den Menschen; und Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden Sein Volk sein, und Er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein. Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen; und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerzen wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen!“ (Off. Joh. 21, 145.)

O barmherziger Vater, der Du mit Deinem Alles durchdringenden Blick die Herzen der Sünder durchforschst, Du wollest denen, die sich haben erwecken lassen, zu Dir sich aufzumachen, in Deinem Sohn entgegenlaufen, und wenn ihnen das Herz entfallen will, sie mit Gnadenblicken erquicken, damit sie nicht in weltlicher Traurigkeit von dem Weg des Heils wieder ablenken, sondern durch die Erlösung Deines Sohnes und die Kraft des Heiligen Geistes in der göttlichen Traurigkeit gläubiger Buße hindurchdringen zu Deiner vollen Vatergnade, die die kommenden traurigen Sünder zu fröhlichen seligen Kindern macht. Uns aber, die wir begnadigt sind, wollest Du stärken, barmherziger dreieiniger Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, dass wir unsern Pilgerlauf durch die Wüste dieser Welt selig vollenden und wohl behalten ankommen in dem himmlischen Kanaan der zukünftigen Welt. Amen!

1)
Off. Joh. 7,13.14; 5,9; 19,8; Phil. 3,9; Kol. 1,14; Ephes. 1,7; Röm. 3,23-26; Matth. 9,2.22; Luk. 7,48.50; 8,48.
2)
1 Joh. 1,7; Hebr. 9,14; 10,22; Röm. 4,5; 5,1.
3)
Ephes. 1,13. 14; 2 Kor. 1,22; 5,5; Röm. 8,15-17; Gal. 4,4-7; 2 Kor. 3,17.
4)
2 Petr. 1,3; Ephes. 6,15; Gal. 5,16.25; Röm. 8,14.
5)
1 Kor. 10; 5 Mos. 8,4; 29 5.
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