Molenaar, Isaak - Luc. 23,42.43.
„Darum, daß seine Seele gearbeitet hat, wird Er Seine Lust sehen, und die Fülle haben.“ Das ist eine köstliche Verheißung, die der Vater dem Sohne hier durch den Mund Seines Propheten gibt. Nicht vergeblich soll sie sein, die schwere, unaussprechliche, blutige Arbeit Seiner Seele am Kreuzesstamm. Sie soll ihren Lohn haben, ihren reichen, vollen Löhn, er soll die Fülle haben, die ganze Fülle der Seinen soll selig werden, und das wird Seine Seligkeit sein, daran wird Er Seine Lust sehen, denn darnach dürstet Er, darum hat Er es gethan. „Darum,“ heißt es, „will Ich ihm eine große Menge zur Beute geben, und Er soll die Starken, die ihm lang widerstanden haben, zum Raube haben; darum, daß Er sein Leben in den Tod gegeben hat, und den Uebelthätern gleich gerechnet ist, und Er Vieler Sünde getragen hat, und - für die Uebelthäter gebeten.
Wie köstlich und wie trostvoll ist darum die sonst so herzdurchschneidende Betrachtung Seines Leidens, nun wir wissen, daß Seine Seele nicht umsonst gearbeitet hat. Geliebte, o möchten auch wir zu Seinem Lohn gehören, möchten auch wir an jener Fülle nicht fehlen, und Er auch an uns Seine Lust haben ewiglich.
Und wie doppelt köstlich und trostvoll wird diese Betrachtung, wenn sie uns schon gleich einen Beweis, ein Unterpfand davon gibt, daß Keiner, nein Keiner, der nicht will und also nur glaubt, verloren gehen wird. Und das thut sie, Geliebte, und darum mag sie uns auch heute auf's neue willkommen und gesegnet sein. Laßt uns darum beten.
Nein, o Vater, du willst es nicht, daß Einer von uns verloren gehe, sondern daß sie Alle glauben und das ewige Leben haben. Nein, du hast uns nicht gehasset, da wir auch deine Feinde waren, nicht die Sünder, nur die Sünde hassest Du, darum hast Du deinen Sohn für uns zur Sünde gemacht, sondern die Welt, die sündige, hast du also geliebet, daß du deinen eingebornen Sohn dahin gabst. Ach! so ist es nicht deine, sondern seine eigene Schuld, wenn Einer verloren geht. Ach Vater, laß uns nicht dazu gehören, laß die Arbeit deines Sohnes, laß die Arbeit deiner Liebe, laß Dein Opfer, laß Alles, was du an uns gethan hast, nicht vergebens an unsern Herzen sein. Auch diese Stunde, segne sie, und erhöre uns, wenn wir beten im Namen deines Sohnes. Unser Vater rc. Amen.
Text: Lukas 23, 42. 43.
„Und sprach zu Jesu: Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommest. Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“
Hier haben wir den Beweis, meine Geliebte, hier haben wir schon das Unterpfand, von dem wir reden. - Es ist eine Seele, die wir für verloren halten würden, ein verurtheilter, sterbender Missethäter, der noch in demselben Augenblicke gerettet, ja beseligt wird, den der Herr vom Kreuz mit sich in's Paradies nimmt, eine köstliche Beute, ein seliger Raub, an dem Er seine Lust siehet.
Was beweist uns nicht dieses Eine Beispiel Seiner weltversöhnenden, sünderbeseligenden Majestät Und Herrlichkeit. Wie allmächtig die Gnade, aber auch wie gnädig die Allmacht ist. Welch ein Unterpfand liegt nicht darin für Alle? Was können alle Sünder, die gern selig wären, was können auch wir, meine Freunde, dann nicht hoffen, für uns, für unsere Geliebten, deren Seligkeit unser Wunsch, unsere Lust, unser Gebet ist. So laßt uns denn dieses herrliche, tröstende Beispiel, daß Jesus Christus die Sünder annimmt, die Sünder selig macht, mit Andacht erwägen!
- Wir betrachten zuerst den Sünder, der sich zu dem Heiland wendet,
- den Heiland, der den Sünder annimmt.
O Herr, segne diese Betrachtung, laß sie uns einen Blick öffnen in die unergründliche Tiefe deiner Gnade, daß wir erkennen mögen mit allen Heiligen, welches da sei die Breite, und die Länge, und die Höhe und die Tiefe Deiner Liebe, die alle Erkenntniß übertrifft. Amen.
I.
Was wir hier sehen, meine Freunde, ist wohl geeignet, uns einen Blick thun zu lassen in jene Tiefe, in jenen unergründlichen Abgrund der Gnade und Erbarmung. Von welcher Seite wir es betrachten, sei es, daß wir auf denjenigen sehen, der sich hier zum Heiland wendet, und demnach von ihm angenommen wird; fei es, daß wir auf den Heiland sehen, der einen solchen annimmt und begnadigt.
Denn zuerst, Geliebte, wer ist der, der zu dem Herrn am Kreuze spricht: „Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ Es ist ein Mitgekreuzigter, ein Verbrecher, einer von den Beiden, in deren Mitte der Heiland da hängt, nun Christus den Uebelthätern gleich gerechnet ist, und zwar ein solcher, der es selbst gestehen muß: „wir empfangen, was unsere Thaten werth sind.“
Wenn nun ein solcher noch angenommen wird, wenn der noch Gnade findet, und zwar in dem letzten Augenblicke, unmittelbar vor seinem Tode, wer braucht dann zu verzweifeln? So können wir mit vollem Recht schließen, Geliebte: Ist es nicht ein siegender Beweis, der alle Zweifel niederschlägt, daß es nie zu spät ist, daß Keinem, auch nicht dem größesten Verbrecher, dem ärgsten Sünder der Zugang versagt, die Gnadenthür verschlossen ist? Und ist das nicht für uns Alle tröstlich, erfreulich, beruhigend, ein Evangelium? Denn nun ist für Alle, auch für uns, meine Geliebten, wir mögen so sündig sein wie wir wollen, noch Hoffnung: für mich, für dich, mein Bruder, meine Schwester, du mögest gelebt haben, wie du wollest, du. mögest sein, du mögest gethan haben, was du wollest, wie tief du in die Sünde versunken seist, was du für eine Schuld haben mögest, und wären aller Wesen Sünde dein, wie lange du der Gnade widerstanden haben mögest, und war es bis zum letzten Augenblick. Aber was folgerst du nun daraus? Siehe, Geliebter, darauf kommt es an. Schläfert es dein Gewissen ein? Denkst du, nun kommt es nicht darauf an, nun habe ich noch Zeit genug: lasset uns denn nur noch lang, ja je länger je lieber in der Sünde beharren, auf daß die Gnade mächtiger wäre? In dem letzten Augenblick, auf dem Todtenbette wollen wir uns denn nur zu dem Heiland wenden, und wie dieser Schächer sprechen: „Herr, gedenke an mich!“ da wird es früh genug sein, und wir können bis dahin den Kelch der Sünde mit vollen Zügen trinken, der Welt genießen, wie unser Herz gelüstet und am Ende uns noch bekehren, da haben wir ja Beides, erst die Welt, und dann den Himmel. Was meint ihr, Geliebte, von einer solchen Rede? Was fühlt ihr dabei? Ist das der Eindruck, den dieser Anblick auf euer Herz macht? Ist das christlich, nein, ich will nur sagen, vernünftig geschlossen?
Wenn ihr sagen würdet: so sehe ich, daß es nie zu spät ist, sich zu bekehren, daß auch der größte Sünder, auch noch in dem letzten Augenblick des Sterbens, auch noch zur Buße und zum Glauben kommen soll, ja Geliebte, sprächet ihr so, dann hättet ihr Recht. Denn eben das ist es ja, was ihr hier wie vor Augen sehet, und wie mit Händen tastet. So bald Buße und Glauben da ist, so ist auch Gnade da, aber auch nicht eher.
Das wird uns ja hier in dem klarsten Licht gezeigt, und zwar durch den deutlichsten Gegensatz: zwischen den beiden Mitgekreuzigten. Der Eine ist und bleibt verstockt bis zum Ende. Von ihm heißt es: Aber der Uebelthäter Einer lästerte Ihn, und sprach: „Bist du Christus, so hilf dir selbst und uns.“ Schrecklich, o unaussprechlich schrecklich! Dahin kann es mit dem Menschen kommen, so lange kann er es aushalten, so weit kann er gegen Gott und seine Seele wüthen. Da hilft kein Körperschmerz, da hilft keine Schande vor der Welt, da hilft kein Stachel, keine Folter im Gewissen, kein Rückblick in ein ganzes Leben voll Sünde und Gräuel, kein Einblick in eine Ewigkeit der Verdammniß, keine Hölle, die sich öffnet, ihn zu verschlingen, kein Himmel, der ihn lockt und ruft, kein Heiland, der ihm zur Seite steht, der als Opfer für die Sünde der Welt blutet. Er sieht es nicht, er hört es nicht, er fühlt es nicht, er will es nicht sehen, hören, daß er sich bekehre und um Gnade flehe. Wie Kam rast er gegen Gott, wie Judas gegen sich selbst. Dagegen der Andere! Der strafte ihn und sprach: „Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott - wie jene lästernde Schaar, die am Kreuze stand und spottete - „der du doch in gleicher Verdammniß bist? und zwar wir sind billig darinnen, denn wir empfangen, was unsere Thaten werth sind, dieser aber hat nichts ungeschicktes gehandelt.“ Ist das nicht Buße?
Und nun wendet er sich von seinem verstockten Kameraden hinweg, da er sieht, daß es doch nichts hilft, und spricht zu Jesu: „Herr gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ Ist das nicht Glaube?
II.
Was sollen wir nun hiervon sagen, was über diesen Menschen und seine Bekehrung denken, was daraus folgern? Doch wir wollen uns lieber zu dem Heilande wenden, und sehen, wie der ihn beurtheilt und aufnimmt. Das ist ja eben auch der zweite Punkt unserer Bettachtung.
Was antwortet ihm der Herr? wendet er Sein heiliges Angesicht von einem solchen Sünder, der mit Recht verdammt ist? will er nichts mehr von ihm wissen? macht er ihm Schwierigkeiten und Bedingungen? sagt er, jetzt ist's für dich zu spät, nun kannst du ja nichts mehr gut machen; nun kannst du nicht beweisen, daß es dein Ernst ist; was wird die Welt denken, wenn ich einen solchen Sünder in mein Reich aufnähme? wie denkst du selbst über dieses Reich, daß es solche Leute, wie du dich selbst erkennst, aufnehmen sollte? Schreibt Er ihm wenigstens noch Bedingungen vor, z. B. ein gewisses Maaß von Zerknirschung, oder von guten Vorsätzen, oder doch Erkenntniß? Nichts von diesem Allen. Jesus spricht zu ihm: „Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein!“
O fallt nieder, Mitte Geliebten, laßt uns alle niederfallen vor dieser Majestät, vor dieser Königlichen Allmacht der Gnade am Kreuz? Seht, ja seht, das ist unser Herr, unser Heiland, unser Jesus; das ist der König der Liebe, der unumschränkte Herr und Gebieter im Reich der Gnade, dem der Vater alle Dinge übergeben hat, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden, der Macht hat das ewige Leben zu geben Allen, die Ihm vom Vater gegeben sind, der Monarch der Seligkeit, der öffnet und niemand schließt, fallt nieder, denn hier ist sein Thron; sein Kreuz ist der Gnadenstuhl. In uns sieht Er seine Lust.
Wie muß es dem Heiland dabei zu Muthe gewesen sein, als Er dieses Wort aussprach; dieses „Wahrlich, ich sage dir“ - Dafür war Er ja vom Himmel gekommen, dafür hing Er ja hier unter den Uebelthätern, dafür achtete Er dieser Schande nicht, ließ sich morden und verfluchen, zur Sünde machen und von den Sündern verdammen, verspotten und lästern, ja von Gott verlassen - um diese Seligkeit zu haben, Sünder selig machen zu dürfen, Verlorenen das Paradies zu öffnen. Was Er jetzt litt und noch leiden mußte, das war der unendliche Preis, den Er bezahlte, wofür Er sich dieses selige Recht nach den Gesetzen der ewigen Gerechtigkeit erkaufte und erwarb, und das ihm Niemand weder im Himmel, noch auf Erden, noch in der Hölle, kein Mensch, kein Engel, kein Teufel, ja Gott selbst, wenn ich so sagen darf, mehr streitig machen konnte, das Recht; diesen Seinen ewigen Durst zu befriedigen, Sünder zu begnadigen und das ewige Leben zu geben, wem Er wollte.
Wie mußte es Ihm also sein, welch eine göttliche Erquickung mitten in der brennenden Glut seiner Leiden, daß Er nun schon davon Gebrauch machen konnte, daß Er unter all' diesen verstockten Felsenherzen doch Eine Seele fand, die dafür empfänglich war, die ihre Sünde erkannte und sich nach Gnade sehnte.
Aber wie mußte es auch diesem zu Muthe sein, als Er jene Worte vernahm: „heute wirst du mit mir im Paradiese sein - wo ich bin, da sollst auch du sein!“ Könnt Ihr es Euch denken, Geliebte, welch eine selige Veränderung in Seinem Herzen muß vorgegangen sein, wie Er sich auf einmal von der Verdammniß in die Seligkeit, aus der Hölle in den Himmel versetzt fühlte? könnt ihr es denken, fühlen, wie es einem begnadigten Sünder zu Muthe sein muß? und wenn ihr es könnt, werdet ihr denn noch sagen: ich habe noch Zeit, ich brauche nicht zu eilen, diese Seligkeit zu empfangen? würde das nicht Spott, Lästerung, nicht Thorheit und Unsinn sein. Ja, es wäre Thorheit, solch eine Seligkeit, wenn man sie erlangen könnte, auch nur einen Augenblick ausschieben und die Hölle im Herzen herumtragen zu wollen, wenn uns der Himmel könnte aufgethan werden, aber es wäre auch Unsinn, denn du selbst kannst ihn ja nicht ausschließen; Er muß das Wort zu dir sprechen: „heute, ja heute sollst du mit mir im Paradiese sein“ und Er spricht es, wenn Er will; Er will aber, sobald Er kann und Er kann, so bald deine Seele darnach begehrt, so bald sie mit dem Schächer spricht: „Herr, gedenke an mich!“ oder mit dem Zöllner: „sei mir Sünder gnädig,“ d. h. so bald Er in deinem Herzen Buße und Glauben erblickt, so bald du selbst es Ihm möglich machst. Seht, so ist Seine freie Gnade dennoch zugleich die höchste Gerechtigkeit. Und diese Gerechtigkeit selbst ist doch nichts, als Gnade, als ewige Erbarmung, denn Er wartet nicht, bis du kommst, bis du um Gnade bittest und an Gnade glaubst, denn dann würde Er bis in Ewigkeit gewartet haben, und die ganze Welt wäre verloren geblieben, denn das eben ist die Sünde, unsere Unbußfertigkeit und unser Unglaube. Amen.