Melanchthon, Philipp - Am dritten Adventssonntage. Evangelium Matth. 11, 2-10
Der Hauptgegenstand dieses Vortrags soll die Lehre vom Messias und Seinem Reiche und der daraus hervorgehende Trost, im Gegensatze gegen menschliche Einbildungen davon sein. Die Juden träumten, es werde der Messias ein weltlicher König sein. Auch wir mögen wohl dem Traum von einem blühenden Zustande der Länder und Staaten uns hingeben, wofern wir nur das Evangelium von Christus festhalten. Es war auch die Veranlassung zu der von den Jüngern des Täufers hier vorgelegten Frage keine andere, als weil sie, bei dem Anblick der niedrigen Erscheinung Christi, den sie gleich einem Arzte und Synagogenlehrer umherziehen sahen, schwankten, ob sie Ihn wirklich für den Messias zu halten hätten. Aber nicht bloß zur Widerlegung politischer Träume jener Zeiten ist dieser Text bestimmt, sondern er soll, seiner allgemeinen Bestimmung nach, uns Trost gewähren bei dem kampfvollen, traurigen Bilde, welches die Kirche zu allen Zeiten darbot und noch jetzt darbietet, und auch fernerhin, so lange die Welt bestehen wird, darbieten wird.
Im Anfange des Textes geschieht des Gefängnisses Johannis Erwähnung. Johannes hatte das Lehramt, zu dem er besonders berufen worden war, ungefähr zwei Jahre lang öffentlich verwaltet. Ins Gefängniß aber wurde er geworfen, weil er dem Herodes Antipas Vorwürfe gemacht hatte, daß er die Gemahlin seines Bruders Philippus widerrechtlich an sich gezogen, und mit ihr in blutschänderischem Umgange lebte. In diesem Gefängnisse wurde er einige Zeit verwahrt, und seine Schüler konnten ihn besuchen und sich mit ihm unterreden. Denn die gebildeten Völker vergruben die Menschen nicht in unterirdische Thurmverließe, wie es bei uns geschieht. Nur verwahrt wurden die Gefangenen in Oertern, welche für Andere zugänglich waren. So das Gefängniß des Joseph in Aegypten und des Apostels Paulus in Röm. Da saßen Mehrere beisammen und unterredeten sich. Andere näherten sich von Außen und verkehrten mit den Gefangenen. Im Demosthenes wird erwähnt, daß Aeschines, als er im Gefängnisse gewesen, von den übrigen Gefangenen ausgeschlossen worden sei, so daß Keiner mit ihm gegessen, Keiner ihm Licht gereicht habe. Woraus erhellt, daß auch die Gefangenen ordnungsmäßige Verfassung im Gefängnisse hatten. Es waren mit Einem Worte die Gefängnisse sonst nur Verwahrungsörter, wie auch die Rechtsgelehrten sagen, ein Gefängniß dürfe nur ein Verwahrungsplatz, nicht ein peinlicher Aufenthalt sein.
Weiter heißt es im Texte: „Den Armen wird das Evangelium gepredigt.“ Das Wort „Evangelium“ braucht aber die göttliche Offenbarung, um einen deutlichen Unterschied zwischen den Lehren und Verheißungen des Evangeliums und denen des Gesetzes fest zu stellen. Denn das Wort Evangelium bedeutet eigentlich eine gute, frohe Botschaft; bei Homer metonymisch den Lohn für eine solche, und Isokrates, Cicero und Livius bezeichnen mit diesem Worte elliptisch die Opferfestlichkeiten, welche man bei dem Empfange freudiger Nachrichten anstellte.
Es folgen im Texte die Worte: „Selig ist, der sich nicht an Mir ärgert.“ Der Sinn ist: Selig ist, wer an Meiner armseligen, niedrigen Erscheinung nicht irre wird, an ihr keinen Anstoß, kein Aergerniß nimmt. Ohne Zweifel entlehnte Christus diesen Ausdruck aus dem Jesaias, der in einer Weissagung vom Messias spricht: „Er wird sein ein Stein des Anstoßes und ein Fels der Aergerniß den zweien Häusern Israels, zum Strick und Falle den Bürgern zu Jerusalem, daß ihrer Viel sich daran stoßen, fallen, zerschellen, verstrickt und gefangen werden.“ (Kap 8, 14.15.) Hier könnte man fragen, wie das auf Christum passe, da ja Aergerniß etwas Böses, d. h. Etwas sei, was Andere täuscht und ihnen Schaden zufügt, Christus aber weder die Menschen täusche, noch ihnen Schaden zufüge, mithin nicht ein Aergerniß sei, Keinem ein Aergerniß gebe? Da ist nur in Beziehung auf die erstere Annahme zu antworten, daß ein Aergerniß doppelter Art sein kann: genommenes Aergerniß ist das pharisäische, wenn schlecht gesinnte Menschen an etwas Gutem Anstoß nehmen. Gegebenes Aergerniß aber ist das eigentlich so genannte Aergerniß, wenn Andere entweder durch schlechte Grundsätze oder durch böses Beispiel verderbt werden. Von diesem redet Christus Matth. 18, 7.: „Es muß ja Aergerniß kommen; doch wehe dem Menschen, durch welchen Aergerniß kommt,“ Wollte man nun obigen Schluß von dieser Art des Aergernisses verstehen, so kann man zugeben, daß Christus nicht ein Aergerniß, nämlich nicht im eigentlichen Sinne des Wortes sei. Wenn aber nicht nur Jesaias, sondern auch Christus sich selbst ein Aergerniß nennet, so ist das eine zufällige Benennung. Denn Er kommt, um Heil und Glück zu bringen; aber die Bösen widerstreben durch Wahn und Lasterhaftigkeit. Wollte man daher also folgern: Aergerniß ist etwas Böses, Christus ist ein Aergerniß, folglich ist Er etwas Böses, d. h. etwas Schädliches und Verderbliches: so läugne ich die zweite Behauptung, weil es oft der Fall ist, daß Böse an etwas Gutem Aergerniß finden. Es ist daher nicht immer der Gegenstand, woran ein Anderer sich ärgert, etwas Böses; sondern vielmehr ist der Wahn Solcher, die an etwas Gutem Aergerniß nehmen, etwas Böses. So ist das Evangelium etwas Gutes, denn es ist die göttliche Stimme, die das ewige Leben verkündet, es ist die sanfte Gewalt, mit welcher der heilige Geist uns zieht, es ist die Gotteskraft, selig zu machen Alle, die daran glauben. Aber es wird zum Aergerniß den Bösen in einer zufälligen Beziehung, d. h. böse Menschen widerstreben durch ihren Wahn und ungöttlichen Sinn, durch ihre Verstockung und Verachtung des Evangeliums und in ihnen ist der böse Wille an sich Ursache des Aergernisses.
Aber auch bei dem genommenen oder uneigentlich so genannten Aergerniß gibt es Grade. So nimmt man z. B. Aergerniß aus Schwachheit, wie damals auch viele Schwache an der niedrigen Erscheinung Christi sich ärgerten; und auch jetzt noch nehmen Viele an der Armuth und am Kreuze, an den Kämpfen und Zerrüttungen der Kirche Anstoß. Kommt aber hartnäckige Selbstverblendung hinzu, so entsteht das pharisäische Aergerniß, wie wenn jene Heuchler ihr Mißvergnügen ausdrücken, daß man ihre irrigen Meinungen antastet, ihrer Gewinnsucht entgegen tritt, und nun halsstarrig der Wahrheit sich widersetzen.
Man könnte jenen Schluß auch so bilden: Wer Ursache zum Aergerniß gibt, handelt böse; Christus gibt Ursache zum Aergerniß, folglich handelt er böse. Wahr ist der Obersatz, bezogen auf gegebenes Aergerniß, weil es etwas an sich Schlechtes ist, nämlich böse Grundsätze, böses Beispiel. Wiewohl es kann auch manchmal etwas Gutes, wenn es zur Unzeit geschieht, ein gegebenes Aergerniß sein, z. B. manche zu freie Aeußerungen oder Handlungen, die man sich nicht eben gegen Hartnäckige und Widerspenstige, sondern gegen Schwache und noch nicht hinlänglich Unterrichtete erlaubt. Davon redet Paulus Röm. 14, 20., wo er unter Anderm sagt: „Es ist zwar Alles rein, aber es ist nicht gut dem, der es isset mit einem Anstoß seines Gewissens.“ Es ist demnach das gegebene Aergerniß Etwas, was an sich oder seinem Wesen nach schädlich und verderblich ist. Hiervon gilt der Ausspruch Christi: „Wehe dem Menschen, durch welchen Aergerniß kommt!“ Wehe einem Arius, wehe einem Muhamed, durch den schädliche Lehre kam! Wehe dem David, durch den ein böses Beispiel, nämlich des Ehebruchs, gegeben wird!
Der zweite Satz aber in jenem Schlusse handelt vom genommenen Aergerniß, welches man ohne einen lauteren Grund nimmt, wie z. B. Vielen die Reden und Aussprüche Christi ärgerlich sind, weil sie über die Vernunft hinaus gehen, und sich nicht mit den vorgefaßten Meinungen, die von den Meisten hartnäckig vertheidigt werden, vertragen. Vielen ist der leidende Christus ein Anstoß und Aergerniß, gleichwie selbst Petrus es nicht begreifen konnte, daß der Messias sterben müsse. Deßhalb sprach er auch, als er vernahm, daß Christus leiden werde: „Herr, schone Dein selbst!“ Aber er muß das harte Wort vernehmen: „Hebe dich, Satan, von Mir!“ (Matth. 16, 22 f.) Nie ist ein strengerer Ausdruck des Tadels im Evangelium an ein Glied der Kirche gerichtet worden, als dieser an Petrus gerichtete ist. Bei vielen Andern aber ist es nicht Schwachheit, sondern Hartnäckigkeit und Bosheit, welche Anstoß oder pharisäisches Aergerniß erzeugt. So, wenn bei Streithändeln die Wahrheit an den Tag gefördert wird, murren Viele, ereifern sich, und fassen einen wahren Kainsgroll. Um solcher Aergernisse willen wird die gute Sache nicht schlecht. -
Wenn uns auch die Papisten vorwerfen, daß wir Lutheraner durch unsere Trennung von der römischen Kirche Aergernisse veranlaßt, und mithin übel gehandelt: so ist ihnen zu entgegnen, daß man allerdings vermeiden muß, durch eine Handlung Aergerniß zu geben, aber nur, in wie fern man sich dieselbe überhaupt niemals erlauben darf. Deßgleichen ist: Andern Schaden zufügen, oder durch verwerfliche Mittel, als falsche Lehrsatze, böses Beispiel, Unordnung und Zerrüttung anrichten. Anderer Art hingegen sind die pharisäischen Aergernisse, wenn nämlich Pharisäer und ihnen Gleichgesinnte an dem, was gut und nothwendig ist, Aergerniß nehmen. Solches kann man weder vermeiden, noch darf man hindern wollen, daß geschehe, was gut und recht ist, wofern man nicht Gott selbst und alle Religion von sich werfen will. -
So kann Spaltung in der Kirche allerdings Entschuldigung für sich haben, nie aber Aberglaube, - und obgleich Paulus spricht: „Thut Alles zur Ehre Gottes, und seid der Kirche nicht ärgerlich“ (1. Kor. 19, 31.): so trifft doch jener Vorwurf der Papisten wegen unserer Trennung von der römischen Kirche unsre Kirche nicht; es ist ein pharisäisches Aergerniß! Bei einem Solchen aber muß man unterscheiden, was nothwendig, was Befehl Gottes ist. Und das ist jenes Gebot: „So Jemand ein anderes Evangelium predigt, der sei verflucht.“ (Galat. 1, 19,) Und die Papisten predigen allerdings dem Evangelium entgegen. Denn sie lehren nicht richtig in Ansehung des Gesetzes, der Sünde, des Evangelium, der Sündenvergebung, und vertheidigen hartnäckig jene Irrthümer. Ihre Heiligenanrufung und Verehrung ist offenbare Abgötterei; sie hindern die Ehe, und das Mahl des Herrn verkehren sie in schmählichen Götzendienst. - Können wir auch, indem wir von jenen Irrthümern und Mißbrauchen uns lossagen, pharisäisches Aergerniß nicht vermeiden, so gehorchen wir doch darin dem Gebote Gottes: „Fliehet die Abgötterei!“ Auch ist grundlos, wenn die Papisten behaupten, daß, wer Anlaß zu Aergerniß gebe, seinen guten Namen Preis gebe, folglich nicht recht handle. Wohl muß man einen guten Namen erstreben; aber freilich nur in seiner Ordnung, und vor Allem dadurch, daß man die Gebote Gottes beobachte, und namentlich von diesem Ersten und Höchsten nicht weiche: „Fliehet die Abgötterei!“ Wer diesem Gebote folgsam, Abgötterei und Aberglauben meidet, der hat allerdings einen guten Namen, in der wahren Kirche nämlich, und bei Allen, die ein vernünftiges Urtheil anwenden. Freilich gibt es auch viele Schmäher, welche auch die redliche That schänden. Wiewohl es nun wahr ist, was Salome sagt: „Die Worte des Verleumders sind wie Schläge und gehen durchs Herz,“ (Sprichw. 26, 22.) und es überall Menschen gibt, welche von Natur schmähsüchtig, den Splitter im Auge des Nächsten wahrnehmen, den Balken im eigenen Auge aber nicht achten: so darf man jedoch auch die Lästerungen solcher Leute nicht so sehr fürchten, daß man das Nothwendige dabei vernachlässigte. Denn wir sollen unsere Absichten, Handlungen und Unternehmungen dem Gebote Gottes gemäß einrichten, wir sollen richtig lehren und eifrig beflissen sein, die wahre Lehre aufrecht zu erhalten und zu vertheidigen. Also werden wir vor Gott eines guten Gewissens uns erfreuen, und bei allen Wohlgesinnten in der Kirche eines guten Namens versichert sein dürfen. -
Weiter sagt Christus: „Johannes sei nicht ein Rohr, das vom Winde hin und her gewehet werde.“ Dieses Bild bezeichnet einen Menschen, der aus bloßer Sucht nach dem Neuen Etwas unternimmt. Denn alle menschliche Einrichtungen und Unternehmungen außer dem göttlichen Worte sind dem Schilfrohre gleich, das vom Winde hin und her gewehet wird, und es zeigt zuletzt der Erfolg, daß jener Ausspruch Christi wahr sei: „Alle Pflanzen, welche Mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, die werden ausgerottet“ Matth, 15, 13., und: „Was nicht aus Gott ist, wird vergehen.“ Johannes hingegen ist nicht ein von dem Winde hin und her gewehtes Rohr, d. h., der aus bloßem Streben nach Neuerungen ein neues Institut gegründet.
Zugleich aber stellt jenes Bild die Unbeständigkeit Derer vor Augen, welche ihre Absichten oder Lehre ihren Leidenschaften oder dem Beifall der Menge und der Mächtigen anbequemen. Wiewohl dieser Fehler richtiger auf das folgende Glied zu beziehen ist, wo Christus sagt: „Johannes sei nicht Einer, der in weichen Kleidern einher gehe.“ Er will nämlich ausdrücken, Johannes gleiche nicht jenen Schmeichlern an den Höfen der Fürsten, welche sich nach den Launen und Neigungen der Könige und Fürsten beugen. Es haben aber nicht nur die Mächtigen der Erde gern Schmeichler um sich, sondern auch dem thörichten Haufen ist Nichts lieber, als sie. Doch reden wir nun von den Höfen, welche Christus ausdrücklich erwähnt. Ein Mensch in weichen Kleidern ist also ein Hofschranz und Schmarotzer, der gegen seinen Herrn nicht rauh und stachlicht ist.
Aesop soll dem Solon auf die Frage, wie er mit dem Krösus reden solle, geantwortet haben: Entweder möglichst wenig, oder möglichst schmeichlerisch! Und ein in italischer Sprache geschriebenes Büchlein: vom Hofleben, betitelt, in welchem Viel von den Hofkünsten gesprochen wird, enthält unter Anderm auch diese Worte:
Gib, nimm an, frage, sehr Viel, Wenig, Nichts;
welche also zu verbinden sind: Gib möglichst Viel, nimm Wenig an, frage und bekümmere dich um Nichts; oder: „Wer zu Hof Viel fragen und reformieren will, der lauft scheußlich an,“ und nicht ohne Grund hat man gesagt: „Wer fromm sein will, meide den Hof.“
Wohl beruft Gott auch Fürsten und andere fromme Menschen, welche mit ihnen an den Höfen leben, zur Gemeinschaft der Kirche. Solche halten an Gott, und gewähren der Kirche Schutz und Pflege. Jedoch sind diese zu einer Zeit die Mehrern, zur andern die Wenigern. Jedoch schenkt Gott nach Seiner Güte immer Einige, wie geschrieben steht: „Die Könige der Heiden werden Ihn anbeten“ (Psalm 72,11.); und: „Wenn die Völker zusammen kommen, und die Königreiche, dem Herrn zu dienen“ (Psalm 102, 23.). Es enthielt dieser Ausspruch eine Schilderung des vollkommensten Zustandes im Menschengeschlecht!; denn da nur blüht wahrhaft ein Staat, wo König und Volk einträchtig sind, und in der Kirche zur wahren Verehrung Gottes sich vereinigen, wo die reine Lehre nicht durch Zwiespalt und Verfolgung gefährdet ist, wo jeder Einzelne seiner Pflicht lebt, sei es im Lehren oder im Regieren, in der Bestrafung, wie in der Abwendung öffentlichen Aergernisses.
Ein solcher Zustand ist in diesem geistesschwachen, unkräftigen Weltalter selten; und findet er sich auch hie und da: so hat er doch immer seine Unvollkommenheiten. Wir reden aber hier im Allgemeinen von den Höfen der Fürsten. Denn auch an guten Höfen findet ein großer Zusammenfluß schlechter Menschen Statt, und sehr wahr sagt Juvenal: „Wenn Einer ein Stalljunge zu Hofe ist, so ist er stolzer denn ein Anderer.“ Ein Ausspruch des Menander bringt die Hofleute in drei Klassen. Der ersten gehört der Schmeichler an, die zweite enthält die Sykophanten (Ränkeschmiede), in der dritten steht der Neidische, Eifersüchtige, der die schlauesten Künste, Andern zu schaden, in seiner Gewalt hat. - Johannes nun, spricht Christus, ist nicht ein Solcher, nicht weichlich und schmiegsam war er, sondern rauh und stachlicht vor seinem König Herodes, wie vor den Pharisäern.
Was die Worte betrifft: „Das Himmelreich leidet Gewalt, - so sind sie eigentlich so zu erklären: Das Himmelreich bricht mit Macht hervor, schreitet kräftig vorwärts, erweitert mit Gewalt seinen Umfang, und zwar nicht mit Hilfe physischer oder politischer, sondern geistiger und göttlicher Gewalt; „es dringet mit Macht oder gewaltig durch, daß man's nicht hindern kann.“ Weder die Macht des Teufels, noch der Welt vermag es aufzuhalten. Als Trost stehen also diese Worte da in Ansehung der Sammlung und Erhaltung der Kirche, gegen welche die Macht der Welt und die Pforten der Hölle toben und vergebens ankämpfen. Der einfältige Sinn jener Worte ist: Die Kirche wird durch göttliche Macht verwehrt und beschirmt. Gott sammelt die Kirche aus dem ganzen menschlichen Geschlechte, regiert und schirmt sie gegen das Wüthen des Satans und der Welt, und die Kirche wird bleiben, mag auch der Teufel und die Welt mit aller Macht und Bosheit sich dagegen auflehnen.
Bisher hat Er vom Himmelreich, d. i. vom Sohne Gottes selbst und von der Stimme des Evangelium geredet, durch welche die Kirche gesammelt wird, wie denn der Sohn Gottes selbst das Haupt der Kirche ist, der in göttlicher Gewalt dieselbe sammelt und beschirmt. Nun fügt Er die Worte hinzu: „Und die Gewalt thun, reißen es zu sich.“ Das sind nämlich alle die, welche sich nicht durch die Schrecknisse der Welt, durch Aergernisse, durch Widerstreit der Meinungen und durch andere Hindernisse entmuthigen und entkräften lassen. Sie werden vom Sohne Gottes gekräftiget zum Siege, und darum eben als Solche bezeichnet, „die Gewalt thun“, nämlich theils in Beziehung auf die Feinde, welche zurückgeschlagen und überwunden werden müssen, theils in Ansehung der Hindernisse und Hemmungen, welche allenthalben her der Teufel in den Weg legt. Es sind daher nicht Solche darunter zu verstehen, die von schwärmerischen Gefühlen fortgerissen werden, oder willenlos gewissen gewaltigen Eindrücken weichen. Eben so wenig ist jene Gewalt auf das Bestreben zu deuten, das Evangelium durch äußere Gewalt auszubreiten, sondern gilt nur von den Uebungen der wahren Buße, des Glaubens, des Gebetes, des Bekenntnisses. Denn das ist eben die Gewalt, mit der man unablässig gegen den Teufel und die Macht der Welt ankämpfen muß.
Es liegt demnach zugleich die Aufforderung in diesen Worten, daß fromme Christen wacker und beharrlich fortfahren sollen, die Wahrheit des Evangelium zu behaupten, zu reinigen, zu schützen, keinen Drohungen oder Schrecknissen der Feinde zu weichen, keinen Kampf, keine Gefahr zu fliehen, welche das Bekenntniß nothwendig herbeiführt. Denen, welche solches thun, ist die Verheißung gegeben, daß sie einst ewige Bürger des Reiches Gottes sein sollen, nach dem Ausspruche: „Gott, der das Wollen gibt, wird auch das Vollbringen geben“ (Philipp. 2, 13.). Es läßt sich nicht mit Worten sagen, wie Wohlthuend der Inhalt beider Glieder dieses Ausspruches, aus diese Weise gefaßt, dem Herzen ist. Der Sohn Gottes selbst und die Stimme des Evangelium dringen mit Macht hindurch und machen sich kräftig Bahn. Wie die Sonne am Horizont, durch kein Hinderniß aufgehalten, die Wolken durchbricht, so dringt das Himmelreich mächtig herein, und keine Gewalt widerstrebender Feinde mag es aufhalten. Es kommt nun die Zeit, spricht Christus, daß Ich die Stimme des Evangelium ertönen lassen und durch den ganzen Erdkreis verbreiten will. Niemand vermag Solches zu hindern, wie sehr auch der Teufel nicht nur, sondern auch die Macht der Welt, sich dagegen setzen wird. Durch Beispiele wird das anschaulicher. Die Synagoge leistete Anfangs den erbittertsten Widerstand, aber umsonst. Die Juden räumten Jesum hinweg; und ungeachtet sie wußten, daß Er Todte wieder belebt hatte: so war doch ihre feindselige Wuth und Verstockung so groß, daß sie Ihn hinwürgten. So wähnten sie ihre Macht wohl befestigt. Doch Christus erstand vom Tode, und das Grab mochte Ihn nicht zurückhalten. Nach Seiner Auferweckung predigten die Apostel. Auch diese begannen, die Juden zu verfolgen, und noch immer träumten sie von der Aufrechterhaltung ihres Reiches; doch die Predigt der Apostel drang mächtig durch, und die jüdische Verfassung ward zuletzt gestürzt.
Darauf, als das Evangelium unter den Heiden ausgebreitet worden, gedachten Nero, Diokletian und Julian den Christennamen zu vertilgen, und alle ihre Absichten und Unternehmungen waren darauf gerichtet, das Evangelium auszurotten; aber sie vermochten's nicht. So drang auch in den übrigen Zeiten der Sohn Gottes und die Stimme des Evangelium gewaltig durch, und machte sich mit Gewalt Raum in der Welt, trotz des Tobens und Gegenkampfes des Teufels und aller weltlichen Mächte, und die Gewalt keiner Kreatur vermag sie aufzuhalten.
Das ist eine weit stärkere Macht, als wenn weltliche Herrscher Heere zusammen ziehen, um ihre Feinde zu durchbrechen; und durch dieselbe mächtige Gewalt schirmt und behütet Gott auf wunderbare Weise auch die einzelnen Frommen, daß sie ihre Wallfahrt vollenden mitten unter dem Toben des Teufels und der Welt. Christus selbst verwaltet Sein Amt bis zur Vollendung Seines Laufes, und Paulus erfüllt mit dem Evangelium Asien, Italien, Illyrien, bis auch er am Ziele seiner Wallfahrt ist. Gott sammelt durch ihn die Kirche trotz dem, daß der Teufel, Fürsten und Irrlehrer ihm entgegen kämpfen.
Es erinnert uns aber auch jenes Wort: „Und die Gewalt thun, reißen es zu sich,“ an unsere Pflicht, daß wir nicht träge noch müßig, nicht schläfrig noch verzagt seien, sondern der Widerwärtigkeiten und Hindernisse, welche unserm Glauben, unserm Bekenntniß und unserer Anrufung entgegen stehen, stets eingedenk sein sollen. - Ja dem Allen sollst du kühnlich entgegen treten und durch den Trost dich kräftigen, daß, wofern du nur bei deiner Schwachheit den redlichen Eifer, gut zu handeln, besitzest, und dich nicht von der Bahn der Frömmigkeit abziehen lässest, die Kraft Gottes in dir wirksam fein werde.
Von einem Zwange, einer Nothwendigkeit, als ob dich Gott mit Gewalt und ohne Rücksicht auf die Theilnahme deines Willens zum Glauben ziehe, wie Einige den Sinn dieses Ausspruchs entstellen, ist hier nicht die Rede, und es wird solcher Wahn durch die geistige Erfahrung selbst widerlegt. Wir müssen dem gehörten Worte Beifall geben. Es gibt aber das Herz Beifall und wird bekehrt durch Antrieb des heiligen Geistes, und auch die guten Werke, welche darauf erfolgen, geschehen nicht mit unserm Widerstreben, sondern nur in wie fern wir wollen, und die Wiedergeburt des Willens in uns begonnen hat. Denn so lange der Mensch noch völlig widerstrebt, so lange ist noch keine Bekehrung erfolgt.
Immer reißen es also die, so Gewalt thun, zu sich, d. h., in welchen nicht ohne Kampf und Ringen die ersten Funken des Glaubens entzündet worden sind, die fahren auch unter göttlicher Mitwirkung fort, und lassen sich nicht hindern. Wende solches Jeder auf sich besonders an! Gott hat dir Gnade verliehen, daß du nicht ein epikurisch gesinnter Verächter des göttlichen Wortes bist; du hast schon ein Fünklein des Glaubens, du vernimmst die Stimme des Evangelium, und möchtest doch gern, daß dein Glaube lichte Flamme werde; du fühlst deine Schwachheit; dieser darfst du nicht gewähren, sondern mußt in Kraft des Geistes sie bekämpfen und im aufrichtigen Seufzen und Gebet flehen, daß der heilige Geist je mehr und mehr dich kräftigen wolle. So wirst du gewiß gerettet werden, wie sehr auch der Teufel sich dagegen setze.
So viel zum Verständniß der Worte: Es wird daraus einleuchtend, wie viel auf Sprachkenntniß und wissenschaftliche Genauigkeit ankomme, um die Eigenthümlichkeiten der biblischen Sprachweise zu verstehen, und gegen fanatischen Wahn gerüstet zu sein, zumal da in unserer Zeit gar Viele durch Herabsetzung der Wissenschaft bei der Menge Ansehen zu erlangen suchen. Aber solche Leute gefallen sich meistens in ihren vorgefaßten Meinungen, und weil sie selbst gelehrter Bildung ermangeln, wollen sie unter dem großen Haufen derer, die ihnen ähnlich sind, ihr verstecktes Spiel treiben.
Laßt uns noch auf einige Hauptpunkte in unserer Erzählung aufmerksam machen. Der erste ist: das Beispiel der Befestigung schwacher Gemüther, welche Wunsch und Verlangen zu lernen, haben, gleichwie die Jünger des Johannes hier zu Christo gesandt werden, um sich von ihm befestigen und in der Erkenntniß der Wahrheit fördern zu lassen. Laßt uns beherzigen, daß in der Kirche, d. h. eben in der Gesellschaft der zu Gott bekehrten Christen zu allen Zeiten große Schwachheit herrschte. Ja in den Heiligen selbst wohnt noch große Dunkelheit.
Wir sehen, mit welchen Schwierigkeiten wir bei der Beurtheilung der Dinge zu kämpfen haben, welche die menschliche Vernunft einiger Maßen begreifen kann. Um wie viel größer ist unsere Schwachheit, wenn es gilt, die evangelische Lehre uns fest anzueignen, welche über und außer der menschlichen Weisheit liegt und nur mit Hilfe göttlichen Lichts klar erkannt wird!
Gar schwach ist Anfangs das Fünklein des Glaubens in uns. Es will jedoch Gott, daß wir allmälig fortschreiten sollen, denn es heißt: „Wer da hat, dem wird gegeben werden!“ (Matth. 25, 29.) und ein altes Wort sagt: „Der Mensch schreitet entweder fort, oder er geht zurück. Dieß gilt von jeder Kunst schon, wo man bei unterlassener Uebung leicht einrostet. Weit mehr aber fordert es die Sache bei den Uebungen unsers Glaubens, daß wir nach Fortschritt streben. Denn die menschliche Natur ist im Allgemeinen so beschaffen, daß sie nicht in demselben Zustande verharrt, und wo wir nicht vorwärts schreiten, da werden wir je mehr und mehr unsern Rückschritt inne. -
Was die Frage betrifft, ob Johannes in Christus Zweifel gesetzt, so behaupte ich, daß er eben so wenig gezweifelt habe, als ihm die Person Christi unbekannt war. Er sandte daher nicht um seinetwillen, sondern seiner Schüler wegen dieselben an Ihn, da er in ihnen viele Schwachheit und Zweifel bemerkte. Sie sollten darum Christum selbst hören, und selbst sehen, worauf in allen Fällen gar Viel ankommt. Denn was man mit eigenen Ohren vernimmt, das dringt tiefer ins Herz, als was man von Andern erzählen hörte. Vorzugsweise aber sind Augenzeugen die sichersten, und es gilt auch ein Solcher mehr, als zehn Ohrenzeugen.
Mild und freundlich aber nimmt sie Christus auf, ganz übereinstimmend mit dem Ausspruche des Paulus: „Den Schwachen im Glauben nehmet auf, und verwirret die Gewissen nicht.“ (Röm. 14, 1.) Die Schwachen aber sind es eben, welche gelehrig sind, und nach Fortschritt streben. Die Andern, die sich nicht mögen belehren lassen, und der erkannten Wahrheit widerstreben, sind nicht als Schwache zu betrachten, sondern als Hartnäckige, Verstockte, wie die unbiegsamen Pharisäer. Und Solche sind insgemein dünkelhafte, eingebildete Bewunderer ihrer selbst, voll Eigenliebe, und aufgeblasen durch eine hohe Meinung von ihrer Weisheit. Sie wollen den Himmel erklimmen, und , stürzen am Ende tief herab, und werden von Gott zur Strafe gezogen. - ,
Der zweite Hauptpunkt enthält die Zeugnisse, welche Christus in Seiner Antwort anführt, um die Jünger des Johannes zu befestigen: Einmal, daß Er der gesendete Messias sei, daß Er aber auch der nämliche Messias sei, von dem die den Vätern gegebenen Verheißungen reden, und daß kein anderer Messias zu erwarten sei. Er bedient sich aber auch solcher göttlicher Zeugnisse, welche in den prophetischen Weissagungen vorher verkündigt worden waren, denn Er legt ihnen diesen Vernunftschluß vor: Es ist vorher verkündigt worden, daß der Messias bei seinem öffentlichen Auftreten mit diesen Wundergaben ausgerüstet sein werde: „Die Lahmen werden gehen, die Blinden sehen, die Todten werden auferstehen.“ Ihr seht nun, daß Gott Meine Berufung durch solche Zeugnisse bestätigt; darum sollt ihr also wissen, daß Der der Messias ist, den ihr sehet. Hierher gehört die Lehre von den Wundern. Gott, will in Seinen Werken erkannt werden, nicht nur in denen, welche Er an die Gesetze der Natur gebunden, sondern auch in denen, welche Er aus ihrem Zusammenhange heraus gestellt hat. Die ersteren bilden die gesammte Naturordnung. Die außerordentlichen Werke aber sind die Wunder, welche uns zeigen, daß Gott nicht an Mittelursachen gebunden, sondern ein durchaus frei waltendes Wesen ist, und diese Naturordnung abändern kann. Solche Werke verbindet Gott mit Seinem Worte, weil es der Vernunft unbekannt ist.
Solche Werke führt nun Christus auch von Sich an, und auch wir sollen jene Zeugnisse unablässig beherzigen und uns alle die vorhalten, welche vom Anbeginn der Kirche an ergangen sind, und uns durch das Wort Gottes und die von Gott beigefügten Zeugnisse befestigen. -
Christus schließt hier an die übrigen Wunder die Bemerkung an: „daß den Armen das Evangelium gepredigt wird.“ Er drückt damit aus, daß die Predigt des Evangelium an die Armen nicht nur an sich das größte Wunder sei, sondern auch, daß die übrigen Wunder zu dem Zwecke geschehen, damit die Kirche gesammelt und das menschliche Geschlecht zu Gott bekehrt werde. Solche Güte Gottes nun, der Seinen Sohn zur Sammlung der Kirche sendet, wollen wir zu Herzen nehmen, und die Ueberzeugung fest halten, daß der Sohn Gottes das „Wort“ und das „Leben“ sei, und daß das Menschengeschlecht gänzlich untergegangen sein würde, wofern nicht wäre beschlossen worden, daß der Sohn Gottes unsere menschliche Natur annehmen, sich zu uns gesellen und uns das Leben erwerben sollte. Dieser Rathschluß in Ansehung unserer Rettung aber wird durch die Predigt des Evangelium kund gethan, durch welche auch die Kirche, wie auch die Macht der Welt und des Teufels sich dagegen setze, gesammelt, und nicht nur gesammelt, sondern auch erhalten wird, wenn ihr auch kein menschlicher Schutz zu Gebote stände. Nicht ohne Grund zählt also Christus dieses Wunder den übrigen bei. Unter den „Armen“ sind zu verstehen die Armen am Geiste, d. h. die, welche um ihrer Sünden willen in tiefem Schmerz gebeugt sind, von denen es auch bei dem Propheten heißt: „Wo wird der Herr wohnen, außer bei denen, so zerschlagenen, demüthigen Geistes sind und sich fürchten vor Meinem Worte?“ (Jesai. 57, 15. vergl. 66, 2.)
Sodann mag man diese Benennung der Armen auch auf den Zustand der Kirche anwenden, welche keinen Schutz und Vertheidigung von äußerer Herrschaft und weltlicher Macht zu erwarten hat. Ein treffliches Bild davon ist im Zacharias, das uns unablässig vor Augen stehen sollte. Das Volk war aus Babylon heimgekehrt, eine große Menge von Greisen, Kindern und Frauen, unter denen viele schwangere und säugende Mütter waren. Sie hatten keine festen Oerter, kein Heer, das sie gegen die Nachbarvölker und andere Raubhorden geschützt hatte. Da ertheilte ihnen Gott den Trost, der zu der Erwähnung dieses Wunders von der Sammlung und Erhaltung der Kirche in unserer so großen Schwachheit paßt: „Nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch Meinen Geist will Ich euch erhalten; Ich will eine feurige Mauer um euch her sein“ (Sacharja 4, 6. vergl. 2, 5.). Aber auch das wollen wir bedenken, daß Christus durch die Erwähnung der Armen die Verschiedenheit der Kirche oder des Messiasreiches von weltlicher Herrschaft habe anzeigen wollen. Und weil die Welt nicht nur an der Niedrigkeit Christi, sondern auch an der kläglichen Verfassung und Erscheinung der Kirche sich ärgert, so fügt Er alsbald die Erinnerung hinzu: „Und selig ist, der sich nicht an Mir ärgert.“
Der dritte Hauptpunkt betrifft das Amt des Johannes, von dem hier Christus sagt: „Unter Allen, die von Weibern geboren sind, ist nicht aufgekommen, der größer sei, denn Johannes.“ Er redet aber von der Wichtigkeit und Erhabenheit seines Berufes, weßhalb Er auch hinzu setzt: „Der auch mehr ist, denn ein Prophet.“ Denn die alttestamentlichen Propheten lehrten nicht bloß, sondern leiteten such, die Angeseheneren wenigstens, wie Elias, Jesaias u. s. w., die Staatsangelegenheiten. Johannes aber ist nicht ein Solcher; er ist weder ein Diener in der levitischen Ordnung, noch beschäftigen ihn die politischen Angelegenheiten, Christus nennt ihn aber größer, als die Propheten, weil das Amt des Johannes der Beginn der Verkündigung des neuen Bundes, d. i. das Zeugniß von der Gegenwart des Messias, der Anfang der Taufe und der Sammlung der neuen Kirche aus Juden und Heiden ist, und zwar nicht, wie zuvor unter dem Volke des Gesetzes geschah, durch den levitischen Dienst, sondern durch die Predigt der Buße und der Vergebung der Sünden um jenes Lammes willen, auf welches Johannes mit dem Finger zeigte. (Joh. 1, 29.) Es haben aber die Apostel und die ihrer Lehre folgen, ein und dasselbe Amt mit Johannes, nur daß der Täufer der Anfänger dieses Amtes war, und zwar den gegenwärtigen Messias, jedoch als Den verkündigte, der noch leiden und auferweckt werden sollte. Die Apostel hingegen und wir bis heute predigen Christum als Den, der schon gelitten hat und auferweckt ist. Außerdem ist es dasselbe Wort des Amtes, dieselbe Wirkung. Alle, welche die Stimme des Johannes gläubig hörten, empfingen Vergebung der Sünden, und wurden durch den heiligen Geist geheiliget, gleichwie in der Folge die, welche der Stimme der Apostel glaubten. Man darf also nicht wähnen, die Lehre des Johannes sei nur eine Predigt der Buße, ohne die Predigt der Vergebung der Sünden gewesen. Denn die Predigt der Buße ohne die Predigt der Vergebung der Sünden ist nichts mehr, als eine tragische Declamation des Sophokles oder Euripides. Gerade darin aber unterscheidet sich die Lehre der Kirche von der Weisheit der Heiden. Die Heiden sehen wohl, daß schwere Strafen den Sünden folgen; sie predigen Buße, und fordern die Menschen zur Zügelung ihrer Leidenschaften auf; aber von Vergebung der Sünden sagen sie Nichts. Die göttliche Stimme in der Kirche prediget Beides, Buße und Vergebung. Sie mahnt an die Schuld, und weist zugleich auf den Sohn Gottes hin. Hätte Johannes nur Buße, nicht auch Vergebung gepredigt, was hätte er Anderes gelehrt, als daß die Menschen in Zweifel und Murren gegen Gott bleiben sollten? Aber bei der Taufe zur Buße wies er zugleich auf die Wohlthaten des nun erschienenen Messias hin, „von Dessen Fülle wir Alle nehmen Gnade um Gnade.“ (Joh. 1, 16.) Gnade, d. h. Vergebung der Sünden und Versöhnung mit Gott. Ferner wenn er spricht: „Das Gesetz ist durch Moses gegeben,“ d. h., durch das Gesetz werden wir nicht, gerecht, und die mosaische Verfassung wird untergehen, wie sie auch keinesweges jenes hohe, den Vätern verheißene Gut ist; „die Gnade und Wahrheit aber ist durch Jesum Christum geworden;“ d.h., wir müssen in Christus etwas Höheres und Herrlicheres anerkennen, als das Gesetz ist. Das ist aber die Gnade, nämlich die Vergebung der Sünden, und Wahrheit, d.i. nicht Schattenbilder, nicht vergängliche Güter dieses Lebens, sondern wahre, dauernde Güter, Weisheit, Gerechtigkeit, ewiges Leben und unvergängliche Freude. Solches muß man erwägen, um die Größe und Bedeutung des Amtes einzusehen, welches der Täufer verwaltet hat.
Aber warum setzt Christus hinzu: „Der aber der Kleinste ist im Himmelreich, ist größer denn Johannes?“ Wiewohl man noch andere Erklärungen aufstellen könnte, so glaube ich doch, daß Christus von Sich selbst und Seiner Person redet, welche Meinung, wie ich mich erinnere, auch von Luther gebilligt worden ist. Er nennt Sich aber den Kleinsten, weil Er Sich vor dem Vater und allen Engeln und Menschen erniedrigte. Denn Er kennt den Vater vollkommen; je besser man aber den Werth, die Vorzüge einer Sache kennt, desto mehr verehrt man dieselbe, und je weiser Einer ist, desto demüthiger ist er. Vielleicht daß der Sohn Gottes gerade darum von den Teufeln verachtet worden ist, weil sie in Ihm eine größere Demuth wahrnahmen, als in irgend einer Kreatur sein kann. Auch widerstreitet es einander keineswegs, daß der Sohn dem Vater gleich ist, und doch den Vater verehrt. Denn die Gleichheit bezieht sich auf das Wesen und die Macht, die Verehrung und Erniedrigung deutet die Folge, das Verhältniß der Personen an; denn es sind verschiedene Personen, und der Sohn hat sein Sein vom Vater.
Am meisten aber hat der Sohn Gottes Seine Demuth gezeigt, als Er die menschliche Natur annahm, und Sich unter alle Kreaturen erniedrigte, und unsere Strafe auf Sich nahm, gleich als ob Er selbst Sich mit meinen und deinen und aller Menschen Sünde befleckt hatte. Von dieser Erniedrigung des Sohnes Gottes reden folgende Aussprüche: „Ich ehre Meinen Vater!“ (Joh. 8, 49.) Ferner: „Er ist für uns zur Sünde, zum Fluch geworden!“ (2. Kor. 5, 21, vergl. Gal. 3, 13.) und jener herrliche Spruch des Paulus (Phil. 2, 6 ff,): „Ob Er wohl in göttlicher Gestalt war, hielt Er's nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein;“ d. h. ob Er gleich wahrhaftiger Gott war, und gleiche Weisheit, Gerechtigkeit und Macht besaß, wie der Vater selbst hat: so wollte Er doch jene Gleichheit mit Gott nicht als einen Raub festhalten, nämlich entgegen der Berufung, nach welcher Er zu einer bestimmten Zeit in die Erniedrigung gesandt ward. Welches aber diese Erniedrigung sei, lehrt Paulus in derselben Stelle: „Er äußerte Sich selbst und nahm Knechtsgestalt, d. h. die menschliche Natur an, und war in dieser einem wehrlosen Knechte gleich, und ward gleich wie ein anderer Mensch, und an Gebehrden als ein Mensch erfunden;“ d. i. Er empfand Schmerz und Betrübniß, litt und starb, gleich als ein Mensch. -
Aus der Betrachtung dieser Stelle ergibt sich, daß Christus etwas Besonderes ausdrücken wollte, wenn Er Sich „den Kleinsten im Himmelreiche“ nannte, und wenn auch dieß weit über menschliche Fassungskraft hinaus liegt, so muß es uns doch antreiben, dem Sohn Gottes brünstig zu danken, daß Er Sich auch um unsertwillen so tief erniedrigt hat. Zugleich wollen auch wir aus diesem Bilde der vollkommensten Demuth ein klein wenig Geduld, ich will nicht einmal sagen Demuth, lernen, und unsern abscheulichen, schmählichen Stolz nach jenem Gebote Christi selbst ablegen, wo Er sagt: „Lernet von Mir; denn Ich bin sanftmüthig und von Herzen demüthig!“ (Matth. 11, 29.)
Der letzte Hauptpunkt betrifft das Wort: „Das Gesetz und die Propheten haben geweissagt bis auf Johannes;“ worin Christus lehren will, das Reich des Messias beginne nun, und das Ende der mosaischen Verfassung, die Erfüllung Dessen, was im mosaischen Gesetze angedeutet worden und der prophetischen Verheißungen, so wie des ganzen levitischen Amtes sei nun da, und ein neues Amt, nämlich das des Neuen Bundes, werde nun beginnen.
Hier muß man das Wesentliche der Lehre von den Theilen des Gesetzes wiederholen, um folgendem Einwurf begegnen zu können: Was ewig und unveränderlich ist, kann nicht aufhören; das göttliche Gesetz ist ewig und unveränderlich, weil es die Weisheit und die Norm der Gerechtigkeit in Gott selber ist, welche eben so gewiß nicht kann geändert werden, als Gott selbst unveränderlich ist: folglich hört mit Johannes das Gesetz nicht auf.
Was nun die erste Behauptung betrifft, so ist es wahr, daß das Ewige nicht aufhört, nämlich das, was in Gott selbst ist; denn das ist unveränderlich. Was aber außer Ihm ist, betreffe es nun bürgerliche oder kirchliche Einrichtungen, das ist veränderlich. Es redet aber Christus in diesem Ausspruche nicht von jener Weisheit und Norm der Gerechtigkeit in Gott, welche das Sittengesetz ist, in wie fern es Gleichförmigkeit der vernünftigen Geschöpfe mit Gott fordert, sondern von dem Ceremonial- und gerichtlichen Gesetze, welches sich auf die äußerliche Verfassung dieses Volkes bezieht. Denn Er stellt diesen Ausspruch der thörichten Einbildung der Juden entgegen, daß die mosaische Verfassung sich über die ganze Welt verbreiten müsse. Diesem Wahn entgegen versichert hier Christus, mit der Ankunft Christi werde jene Verfassung aufhören, und weil Johannes schon predige, will Er sagen, so seien nun die prophetischen Weissagungen erfüllt, und Christus gesendet. -
Eben so reichen auch die Propheten bis auf Johannes, d. h. die Propheten haben von der Ankunft des Messias geweissagt. Diese Weissagungen sind jetzt erfüllt, und gleichermaßen wird auch was die Propheten von der Bedeutung des Gesetzes gelehrt haben, im Reiche des Messias erfüllt werden. Ja es wird endlich das Ende des ganzen levitischen Amtes eintreten, nicht nur in Ansehung der Ceremonieen, sondern auch der Belehrung über die äußere bürgerliche Zucht, in so fern sie sich auf die mosaische Verfassung bezieht, weil die Heiligen im neuen Bunde das haben werden, was das Gesetz vorschreibt, und was nach der Lehre der Propheten im Gesetze wesentlich angedeutet worden ist. Jetzt ist Christus unser Gesetz, d. h. das erfüllte Gesetz, und wir, die wir Christum haben, wir haben auch das, was durch das Gesetz angedeutet worden; denn die geschlachteten Opfer deuteten auf das Verdienst Christi und die Vergebung der Sünden, deßgleichen das Sittengesetz auf die durch Christus zu erhaltende Gerechtigkeit hin, in welchem wir nun zugerechnete Gerechtigkeit, Heiligung und ein ewiges Leben haben. Mit der Hinwegnahme des Schattens des Gesetzes wird nun die Hindeutung erfüllt, und Das in den Heiligen erneuert, was in Gott ewig ist; denn es wird den Heiligen die göttliche Gerechtigkeit mitgetheilt, damit sie Gott ähnlich werden. Doch hier drangt sich die Frage aus, die auch im Irenäus aufgestellt wird: Haben denn nicht Alles, was im Evangelium gelehrt, im neuen Bunde dargeboten wird, auch schon früher die heiligen Väter im alten Bunde gehabt? Haben nicht Adam, Abraham rc. Christum gekannt, die Segnungen des neuen Bundes besessen und empfunden, daß sie durch den heiligen Geist dem Tode entrissen wurden? Was hat denn also Christus Neues gebracht? Wir antworten am besten mit Irenäus: „Sich selbst hat Er gebracht;“ Er hat jenes Opfer erfüllt, um dessenwillen jene Vater mit Gott versöhnt und geheiligt worden sind, und hat in Seiner Auferstehung das voraus verkündigte neue, ewige Reich begonnen; denn Er ist der Erstling geworden unter denen, die vom Tode erstehen. Ueberdieß hat Er die Lehre des Evangelium unter den Heiden verbreitet, was vorher nicht geschah. Doch ich kehre zurück zur Unterscheidung der Theile des Gesetzes, welches in das Sittengesetz, Ceremonialgesetz und bürgerliche Gesetz zerfällt. Eine kindische Benennung ist's, wenn das Sittengesetz nur insofern so heißen soll, weil es lehre, wie unsre Sitten beschaffen sein sollen. Vielmehr muß unter der Sittlichkeit die ganze Gleichförmigkeit unsrer Natur mit der Weisheit und Gerechtigkeit Gottes begriffen, und das Sittengesetz als dasjenige aufgefaßt werden, in welchem dargestellt wird, wie Gott ist, und wie wir werden müssen. Denn die Lehren desselben haben das zum Gegenstand, was in Gott und in uns bleibend ist.
Das Ceremonialgesetz handelt nicht von Dem, was in uns ist, sondern von äußern Gebräuchen, weil alle Ceremonieen nur Handlungen der äußern Zucht, äußere Schatten waren, die auf etwas Anderes hindeuteten. Ferner beziehen sie sich nur auf eine bestimmte Zeit, und sind nichts Bleibendes, nur äußere Handlungen, die für den Menschen keinen beharrlichen Werth haben; darin liegt der klare Unterschied des Moral- und des Ceremonialgesetzes. Darum müssen wir uns gewöhnen, bei der Betrachtung des Sittengesetzes die Quelle desselben, d. h. die Weisheit und Gerechtigkeit in Gott, uns vor Augen zu stellen. Denn auf diese Weise wird die hohe Wichtigkeit dieser Dinge richtiger aufgefaßt, und es ist das Sittengesetz unbezweifelt darum bei der Schöpfung dem menschlichen Herzen eingepflanzt worden, damit es ein Zeugniß von Gott wäre.
Das bürgerliche Gesetz ist die zum Frieden unentbehrliche äußerliche Zucht eines äußerlichen Vereins. Auch dieses bezieht sich auf äußerliche Handlungen, im bürgerlichen Leben nämlich, gleichwie sich das Ceremonialgesetz auf den äußerlichen Cultus im kirchlichen Leben jenes Volks bezog. Auch die bürgerlichen Gesetze sind ein Ausdruck des göttlichen Willens, weil Alles, was die Förderung äußerer Zucht betrifft, Zeugniß ist, daß Gott die Sünden haßt und straft; denn Gott will, daß die bürgerliche Gerechtigkeit von Seiner eigenen Gerechtigkeit zeugen soll, und straft, nach den Lehren der Geschichte, da, wo die Obrigkeit Verbrechen nicht straft, die Obrigkeiten und ihre Untergebenen selbst.
Wiewohl aber die bürgerliche Gerechtigkeit ein Zeugniß von Gott ist, so ist doch die bürgerliche Zucht selbst noch nicht jenes Ewige, was das Sittengesetz als wesentlich fordert. Der Wille Gottes hat den Ceremonieendienst, wie die bürgerlichen Gesetze verordnet, um die Verfassung jenes Volkes zu stützen, und mit derselben zu fallen, wenn Christus kommen, und Sein Reich auf der ganzen Erde ausgebreitet werden würde. Die Ankunft Christi war daher das Ende jener Schatten und jener Verfassung, welche hauptsächlich zu dem Zwecke gegründet worden war, damit ein bestimmter Ort vorhanden wäre, wo Christus geboren würde, von Sich Zeugniß gäbe und das Leiden erduldete.
Aber redet Paulus nicht auch vom Sittengesetz, oder den zehn Geboten, wenn er spricht: „Ihr seid nicht unter dem Gesetze?“ (Röm. 6, 14.) und sind damit nicht auch die zehn Gebote aufgehoben? - Allerdings für den Gläubigen, der in Christus ist, was die Anklage, den Fluch, nicht aber, was den Gehorsam betrifft. Das Gesetz Gottes klagt die Gläubigen nicht an, es verdammt sie nicht, und es findet in Ansehung aller der Gläubigen, denen um Christi willen die Sünden vergeben werden, eine ganz besondere, der Vernunft unbekannte Freisprechung Statt. Weder Adam noch die Weisheit eines Engels vermochte diesen Schluß zu entkräften: Gott ist unveränderlich gerecht; die Gerechtigkeit Gottes muß den, der gesündigt hat, verstoßen: folglich ist Adam von Gott verstoßen; - aber der Sohn Gottes hat es vermocht durch die geoffenbarte Verheißung des Evangelium. Nun lautet der zweite Theil jenes Schlusses also: Die Gerechtigkeit Gottes muß den, der gesündigt hat, verstoßen, nämlich: „wo fern nicht der göttlichen Gerechtigkeit dadurch Genugthuung geschieht, daß die Strafe auf den Mittler übergetragen wird, durch Den das Lösegeld dargebracht wird.“
Auch folgt daraus, daß Gott die Sünden vergibt, keineswegs, daß falsch sei, was in Maleachi (3, 6) gesagt wird: „Ich bin der Herr, der Unveränderliche!“ Gott wendet Sein Mißfallen von denen, die an Seinen Sohn glauben; jedoch verändert Er Sich darum nicht, weil Er ja beschlossen hat, denen, welche Buße thun und an den Sohn glauben würden, die Sünde zu vergeben. So bleibt auch das Sittengesetz ewig und unveränderlich, obgleich in Ansehung der Gläubigen die deutliche Bestimmung des Evangelium dazu kommt. Und eben so bleibt in alle Ewigkeit der Wille Gottes, und die Verpflichtung, was den Gehorsam betrifft. Die Gläubigen, obwohl sie befreit sind vom Fluch des Gesetzes, sind sie doch nicht von der Verbindlichkeit des Gehorsams frei gemacht, und der Satz muß auch im Himmel wahr bleiben: Das Gesetz ist, was den Gehorsam betrifft, nicht aufgehoben, selbst nicht in Ansehung der Engel und seligen Menschen, und es bestehet für alle Seiten diese ewige Ordnung, daß die vernünftige Kreatur zum Gehorsam gegen Gott verpflichtet ist. Die Antinomer (Gesetzesfeinde) wenden ein: „Dem Gerechten ist kein Gesetz gegeben“ (1. Tim. 1,9). Hier verstehe man die Benennung „Gerecht“ so: in wie fern Einer gerecht ist; und die Worte: „ist - gegeben“ sind auf die Anklage und Verdammung des Gesetzes, gleichwie auf den Zwang zu beziehen.
Dieß Alles ist auch in dem Ausspruche Christi enthalten: „Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzulösen, sondern zu erfüllen.“ (Matth. 5, 17.) Er erfüllt aber das Gesetz nicht nur durch Seinen eigenen Gehorsam und durch die Uebernahme unsrer Strafe, auf daß um Seinetwillen uns Vergebung der Sünde und die Zurechnung Seiner Gerechtigkeit geschenkt werde, sondern auch dadurch, daß Er in uns eine neue, mit dem Gesetze übereinstimmende Gesinnung bewirkt, die jedoch in diesem Leben nur ein kleiner Anfang ist, bis sie sich in einem andern Leben gänzlich vervollkommnen wird. Dasselbe sagt auch der paulinische Ausspruch: „Christus ist des Gesetzes Ende“ (Röm. 10, 4), d. h. des Gesetzes Erfüllung. Aber auch diese verleihet Er uns theils durch Zurechnung, theils durch Seine Wirksamkeit in uns.
Richtig wird auch gesagt: „Christus erfülle das Gesetz,“ außer der schon abgehandelten Weise auch dadurch, daß Er das Gesetz lehre, es einschärfe und erkläre, weil Er nicht nur selbst das Gesetz wiederholt und dargestellt hat, sondern dasselbe auch durch das Amt das Evangelium unablässig wiederholt und dargestellt wissen will. Da nun dieses die Predigt der Buße und der Vergebung der Sünde ist, so wiederholt Er eben dadurch das Gesetz und verdeutlicht dasselbe.
Der Ausspruch des Jeremias aber: „Ich will kein Gesetz in ihr Herz geben, und wird Keiner mehr den Andern, noch ein Bruder den andern lehren und sagen: Erkenne den Herrn, sondern sie werden Alle von Gott gelehrt sein“ (Jer. 31, 33. 34), worauf die Wiedertäufer den Wahn bauen, als dürfe es im neuen Bunde kein Lehramt geben, und so weder Buße, noch Evangelium gepredigt werden, redet von der Vollendung des neuen Bundes im ewigen Leben. Diese wird jedoch hier durch die Stimme des Evangelium begonnen, durch welche der heilige Geist wirkt. Wahr aber bleibt jene Behauptung, daß Keiner vom Andern solle belehrt werden, einmal darum, weil, die Stimme des evangelischen Amtes nicht die eines Menschen, sondern des heiligen Geistes ist; sodann, weil die Bekehrung des Menschen durch das Evangelium nicht, eine solche Erziehungsweise ist, wie wenn der Lehrer einen ungerathenen Schüler durch Schläge zwingt, oder die Obrigkeit die Verbrecher ins Gefängniß setzt, oder den Dieb aufhängen läßt. Sondern von Innen regt der heilige Geist das Herz an, daß es durch Erkenntniß belebt, in Regungen der Furcht und Liebe Gottes flamme, die Vollendung wird aber erst im ewigen Leben erfolgen, wo kein Lehramt mehr nöthig sein wird, weil dann Gott Alles in Allem sein, d. h. unmittelbar Sich und Seine Güter uns mitthellen wird.
Aber auch der Grund der Gesetzesfeinde gilt nicht, welche, indem sie den Ausspruch Christi: „das Gesetz reichet bis Johannes,“ auch auf die zehn Gebote anwenden, nun weiter schließen, das Gesetz dürfe nicht ferner gepredigt werden. Wollte man auch jenen Zänkern zugeben, daß die zehn Gebote zugleich mit der mosaischen Verfassung fielen, in wie fern man sie nämlich als ein äußeres Zuchtmittel für die Bürger jener Verfassung oder das Volk des Gesetzes betrachtet, so gilt doch das geistige Amt, welches innere und äußere Sünden straft, für alle Zeiten bis zum ewigen Leben. Denn die Stimme Gottes bleibt, welche die Sünden straft, und die zehn Gebote werden im Amte des Evangelium wiederholt und erklärt, welches Johannes beginnt, damit nicht nur die Sünde aufgedeckt, sondern auch die dem Evangelium eigenthümliche Verheißung von der Vergebung der Sünden hinzu gefügt werde.