Mayfart, Johann Matthäus - Himmlisches Jerusalem - XII. Von der unaussprechlichen Lieblichkeit des himmlischen Jerusalems.

Mayfart, Johann Matthäus - Himmlisches Jerusalem - XII. Von der unaussprechlichen Lieblichkeit des himmlischen Jerusalems.

Auf Erden, wo wir pilgern, ist keine Glückseligkeit. Im Paradiese, aus welchem wir gefallen sind, war eine geringe Glückseligkeit. Im Himmel, nach welchem wir seufzen, wird die höchste Glückseligkeit sein. (St. Bernhardus.)

Im Propheten Jesaias (Kap. 33,20.) wird das himmlische Jerusalem eine Stadt der Feiertage genannt, weil in demselben Sabbat auf Sabbat, Fest auf Fest, Jubeljahr auf Jubeljahr gefeiert und ein Lobgesang nach dem andern gesungen wird. Darum wird sich die auserwählte Seele aufs höchste verwundern über die Lieblichkeit des himmlischen Jerusalems. Sie wird des irdischen Lebens ganz vergessen, wie die Sänger am Reigen eins ums andere singen und fröhlich sind. Sie wird nicht mehr gedenken an die Harfe Davids, an das Wohlleben des Ahasverus, an das Tal von Saron, an die Berge von Gilead, an die Gefilde von Jericho. Denn wo sie nur hinblickt, entdeckt sie immer neue und unendliche Reize des ewigen Lebens, die sie ganz erfüllen und einnehmen. Denn dies selige Eden wird nicht getrübt vom Regen der Traurigkeit, noch befallen vom Schnee der Vergänglichkeit, noch beunruhigt von dem Sturm der Feindschaft, noch erschüttert vom Donner der Verleumdungen, noch verwüstet vom Hagel der Verfolgung. Es ist das gelobte Land, wo die Ungewitter nicht etwa aufgehört, sondern nie gewesen sind; wo der Winter nicht etwa zu Ende gegangen, sondern wo er nie einen Anfang genommen hat.

Da sieht die auserwählte Seele die Paradieses - Rosen, den Rubin der Blumen, den Saphir der Gerüche, den Purpur der edenischen Gärten, das Auge des ewigen Mai, den Phönix des immerwährenden Lenzes und die ganz überwältigende Pracht der himmlischen Natur. Da schaut sie

Propheten groß und Patriarchen hoch,
Auch Christen insgemein,
Die weiland dort trugen des Kreuzes Joch
Und der Tyrannen Pein.
Schaut sie in Ehren schweben,
In Freiheit überall,
Mit Klarheit hell umgeben,
Mit sonnenlichtem Strahl.

Da hört sie die himmlische Musik

Mit Jubelklang, mit Instrumenten schön
Auf Chören ohne Zahl,
Dass von dem Schall und von dem süßen Ton
Sich regt der Freudensaal,
Mit hundert tausend Zungen,
Mit Stimmen noch vielmehr,
Wie von Anfang gesungen
Das himmlische Heer.

Ja es scheint ihr, als wenn die Mauern Jerusalems hüpfen wie die Lämmer und die Tore wie die jungen Schafe. Es bedünkt sie, dass der Strom des lebendigen Wassers, der so klar wie ein Kristall von dem Stuhle Gottes und des Lammes mitten auf den Gassen geht (Offenb. 22,12.), fliehe und zurück sich wende. Was ist dir, denkt sie, du Strom lebendigen Wassers, dass du fleuchst und zurück dich wendest? ihr Mauern, dass ihr hüpft wie die Lämmer, und ihr Tore, dass ihr springt wie die Schafe? Das ists, dass du, o Seele, mit Israel aus Ägypten gezogen und mit Jakob aus fremdem Volke gewandert; dass du nun mit Juda das Heiligtum Gottes und mit Israel die Herrschaft Jesu Christi worden bist.

Wie könnte nun die auserwählte Seele sich zurücksehnen, nachdem sie ein Mal diese himmlische Lieblichkeit geschmeckt! Muss ihr nicht der Erdkreis viel enger und unbehaglicher erscheinen, als weiland der Leib der Mutter? Und so wenig ein Mensch Verlangen hat, wieder in seiner Mutter Leib zurückzukehren, wenn‘s gleich ihm verstattet wäre; ebenso wenig wird sie Lust haben, sich in die irdische Welt zurückzuschwingen und in den verlassenen Leib wieder einzugehen, wenn‘s gleich ihr verstattet wäre, noch viele Jahre darin zu leben.

Kein Teil des ganzen Weltalls hat solche Lieblichkeit, wie die ewige Heimat. Die Erde, das Meer, die Luft, der äußere Himmel haben große Schönheiten und manchfache Reize, aber die Lieblichkeit des himmlischen Jerusalems haben sie nicht. Die Erde ist wohl ein gutes Land, aber Paradiesesland ist sie nicht; denn sie hat wohl vernünftige, aber keine selige Bewohner. Das Meer ist weit und eine Mutter aller Quellen und ein Schoß aller Flüsse und Ströme der Erde; aber paradiesische Lieblichkeit hat es nicht, denn es wimmelt in ihm von schrecklichen Ungeheuern und gräulichem Getier. - Die Luft ist rein und klarer, denn irgend ein Kristall; aber Paradieses-Glanz hat sie nicht; denn sie wird beunruhigt von den Winden, erschüttert vom Blitz und Donner, verdunkelt vom Regen, zerrissen vom stürzenden Hagel und in schrecklichen Aufruhr gesetzt von tosenden Ungewittern. Der azurene Himmel ist hell und glänzet von Millionen funkelnder Sterne, welche einherwandern zierlicher, als die Jungfrauen am Reigen, und in schönerer Ordnung, als die Kriegsleute in der Schlacht; aber er ist kein paradiesisches Gebäu; er wird seiner Zeit durch die mächtige Hand Gottes mit großem Krachen zergehen (2 Petr. 3,10.).

Im triumphierenden Jerusalem aber erfreut sich die auserwählte Seele ohne Ende. Da sieht sie die Schulen der Propheten und Prophetinnen, die Versammlung der Erzväter und Erzmütter, das Heer der Märtyrer und Bekenner. Da schaut sie in wonnevoller Freude, wie die Skythen mit Andreas, die Inder mit Thomas, die Äthiopier mit Bartholomäus, die Heiden insgesamt mit Paulus, die Juden mit Petrus, die Deutschen mit Luther, die gottesfürchtigen Böhmen mit Hus daherziehen und wallen.

In Summa es kann kein Wort der Sterblichen diese Lieblichkeit genugsam beschreiben; wie die Kinder müssen wir lallen. Mit Anselmus müssen wir seufzen und sprechen: wonniger lieblicher Ort! Wer hat jemals von dergleichen gehört? Wie wonnig und lieblich wird es sein, wenn wir haben Gott über uns, die Engel neben uns, so viel tausend Sonnen, so viel hunderttausend Sterne vor uns, andere Kreaturen unter uns.

Herr Jesu! der Du Deinen Diener Hiob (Kap. 5,19.) aus sechs Trübsalen dergestalt gerettet, dass ihn in der siebenten kein Übel berührt hat: errette mich, wo es Dein heiliger Wille ist, aus der fünften, dass ich zur Zeit der sechsten, die bald vorhanden sein wird, bei Dir wohne und Deiner lieblichen Ewigkeit und ewigen Lieblichkeit genieße. Amen.

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