Mallet, Friedrich - Predigt am Schluss des Kirchenjahrs über Matth. 25, 1.
von
Friedr. Mallet,
Pfarrer zu St. Stephan in Bremen.
Evang. Matth. 25, 1.
„Dann wird das Himmelreich gleich sein zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen, und gingen aus, dem Bräutigam entgegen.“
Es gehört zur freundlichen Herablassung des Herrn der Herrlichkeit, dass er so viel Großes zu uns in Gleichnissen geredet, und die Dinge, Arbeiten und Verhältnisse des gewöhnlichen menschlichen Lebens zu Schatzgefäßen göttlicher Wahrheit und Weisheit geweiht hat.
Unser ganzes Leben ist mit Gleichnissen vom Himmelreich besetzt, so dass überall ein Spiegel des Unsichtbaren, ein Bild des Himmlischen aufgestellt, eine Mahnung an die Wahrheit, ein Zug nach der Ewigkeit bereitet ist.
Zu diesen holdseligen Reden des Herrn, so demütig der Form so unaussprechlich reich dem Inhalte nach, gehört auch das Gleichnis von den zehn Jungfrauen, dem wir unsre Andacht zuwenden wollen. Es ist nicht leicht zu verstehen, aber auch da, wo das Wort Gottes schwer ist, ist's ein Licht, und wir wollen uns nicht in das heilige Dunkel des Gleichnisses hineinwagen, sondern uns in seinen lichten hellen Strahlen sonnen.
„Ich komme wieder“ - das ist das Thema der letzten Reden unsers Herrn an seine Jünger. Er will's ihnen tief ins Herz einprägen, wie seine Wiederkunft zur Vollendung des Werks, das ihm der Vater aufgetragen hat, nicht weniger notwendig ist als sein erstes Kommen in die Welt. Sie ist aber eine zwiefach: Die Zukunft des Menschensohns, da er kommt als der Bräutigam seine Braut heimzuholen und königlich zu herrschen auf Erden, und seine Erscheinung zum Gericht, da er kommt als König in seiner Herrlichkeit, und seine heiligen Engel mit ihm, zu richten den Kreis des Erdbodens mit Gerechtigkeit, und zu erfüllen das Wort, das er von seinem Thron herab zu Himmel und Erde geredet hat: Siehe, ich mache alles neu!
In dem vorhergehenden Kapitel ist von den Zeichen und Zeiten die Rede, die seiner Zukunft vorhergehen und sie begleiten. Zu diesen Zeichen gehört auch die Verkündigung des Wortes Gottes in der ganzen Welt, verbunden mit einem großen Abfall vom Christentum. Beide Zeichen sind dem Anfang nach schon da. Seit der apostolischen Zeit ist kein solches Regen und Bewegen in der Gemeinde des Herrn gewesen, sein Reich zu verbreiten, als in unsern Tagen. Das Wort Gottes läuft schnell, und in den finstern Orten der Erde wirds helle. Dagegen ist der entschiedenste Abfall von unserm teuren hoch erhabenen Oberhaupt Christo Jesu sehr groß, und wenn der Antichrist erst sein Panier entfaltet, findet er mitten in der Christenheit ein großes Volk, das längst bereit ist ihm zu huldigen. Unsre Stadt ist eine der christlichsten Städte auf Erden, Gott sei dafür gepriesen, und wie groß ist auch hier die Masse der Abtrünnigen, wie klein dagegen die Zahl derer, die ihre Knie dem Herrn gebeugt haben und sagen und schwören können: Im Herrn haben wir Gerechtigkeit und Stärke. Mags aber auch noch schlimmer werden, und so auf den Abend die Nacht und die Mitternacht folgen, die christliche Kirche wird nicht untergehn, und sich grübe zur Zeit des allgemeinen Abfalls, bestürmt von aller Macht des Antichrists, als die Gemeine zeigen, die auf den Felsen gegründet ist, und darum von den Pforten der Hölle nicht kann überwältigt werden. Der Herr redet hier von ihrem Dasein in der letzten Zeit, und beschreibt ihre Gestalt und ihre Geschichte in den Tagen seiner Zukunft, damit ist der Inhalt unserer Betrachtung ausgesprochen.
Dass hier unter dem Himmelreich nicht das Reich und Volk Gottes im Himmel, sondern sein Reich und Volk auf Erden verstanden wird, bedarf keines Beweises. Auch brauchen wir es kaum zu bemerken, dass das Wörtlein „dann“ dieses Gleichnis an das vorhergehende knüpft und damit die Tage der Zukunft Christi als die Zeit bestimmt, von der es redet: „Dann wird das Himmelreich gleich sein zehn Jungfrauen.“ Zehn bezeichnet eine Gesamtheit; nach Israelitischer Weise wurde in der apostolischen Zeit, wo sich zehn Gläubige zusammenfanden, diese eine Gemeine genannt. So bezeichnet also diese Zahl nicht die verschiedenen kirchlichen Parteien, die als solche dem Fleisch und der Welt und nicht dem Geist und dem Himmelreich angehören, sondern die Gesamtheit der christlichen Kirche. Der Herr, der Eine Hirte, der nur Eine Heerde will, kennt und nennt keine Parteien, sondern nur sein Volk, keinen Glauben und Bekenntnisse, sondern nur den Glauben und das Bekenntnis, keine Kirchen, sondern nur die Kirche. Sie wird in der letzten Zeit eine andere Gestalt haben als jetzt, denn sie wird gleich sein zehn Jungfrauen. In dem Wort Jungfrau liegt der Begriff der Reinheit und Unbeflecktheit, und der eigentümlichen stillen Schönheit, die aus allem Reinen uns entgegen scheint. Jetzt ist die Kirche in ihrer äußern Erscheinung nicht rein, und daher auch nicht schön; denn sie ist vermischt mit der Welt. Mag sie auch in die Welt hinein scheinen wie ein Licht in die Nacht, die Welt bedeckt sie mit ihrem Schatten, und weltliches und kirchliches geht in unnatürlicher unreiner Verbindung und Vermischung so durcheinander, dass man die Grenze nicht mehr sehen kann, wo Welt und Kirche sich voneinander scheiden. Daher machen auch die Ungläubigen kirchliches und die Gläubigen weltliches mit, und man muss erstaunen so verschiedene Leute oft Arm in Arm auf einem Wege zu sehen. Das Unkraut steht auf dem Acker des Herrn mitten unter dem Weizen und will nicht hinweg, ja es verlangt, man soll's für Weizen gelten lassen und man tut es auch. Aber es wird einmal anders werden. Der Abfall bleibt nur so lang in der Kirche, bis er sich stark genug fühlt sie umzuwerfen. Dann wird die Welt auch den Namen und Schein des Christentums für eine Schande halten, und während jetzt noch die entschiedensten Unchristen sich für beleidigt halten, wenn man ihnen den heiligsten Namen verweigert, werden sie ihn dann als eine Schmach von sich werfen, und der Name wird nur da bleiben, wo die Sache ist. Mit diesem entschiedenen Abfalle beginnt der Untergang der Welt und die Erlösung der Gläubigen. Sie können nicht mehr bleiben, wo man ihren Herrn so entschieden verläugnet und mit allen Waffen wider ihn kämpft, und wo ihnen das Losreißen schwer wird, erzeigt ihnen die Welt den Liebesdienst, sie von sich weg und auszustoßen. Da wird die Kirche wieder los und frei von der so unglücklichen unreinen Verbindung und Vermischung mit der Welt. Zurückgezogen und unbefleckt von dem weltlichen Wesen und Treiben, nur dem Herrn verlobt, nur einer andern Welt angehörend, nur dem Licht des göttlichen Wortes folgend, steht sie wieder da in einer schönen Gestalt:
„Zu der Zeit wird das Himmelreich gleich sein zehn Jungfrauen.“
Aber die Gläubigen sind noch in der Welt, und so lange sie in ihr sind, sind sie in Gefahr zurückzufallen, und in das Wesen dieser Welt wieder verflochten zu werden; ihr Weg führt durch Versuchungen, Nöten und Nächte zum Ziel, darum nehmen sie ihre Lampen! um feste und gewisse Schritte zu tun auch da, wo es dunkel und der Weg nicht leicht zu finden ist. Das Wort „Lampe“ muss hier im weitesten Sinn genommen werden, da es nicht nur das Gefäß bezeichnet, worin das Oel und der Docht sich befindet, sondern alles zusammen: Gefäß, Oel und brennender Docht. So sind hier unter den Lampen die Herzen zu verstehen mit dem lebendigen Glauben darinnen, der eben nichts anders ist, als das durch die Kraft des Heiligen Geistes in uns zum Licht und Leben gewordene Wort und Zeugnis Gottes von seinem Sohn, wie Paulus sagt: „Gott, der da hieß das Licht aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben.“ Die Lampen nehmen heißt: den Glauben der im Herzen leuchtet, im Leben bekennen, so dass uns sein Licht umscheint, wie einem Menschen die brennende Lampe in seiner Hand bei dunkler Nacht, wodurch er selbst ein Licht wird in der Finsternis, und die Blicke derer auf sich richtet, die im Dunkeln wandeln. Je entschiedener die Welt den Herrn verleugnet, um so lauter und lichter wird das Bekenntnis der Gemeine werden, und sie am Abend der letzten Zeit umleuchten wie ein Licht. Ein Bekenntnis, das, als ein Abglanz des innern Lichts und Lebens, unmöglich bestehen kann in frömmelnden Redensarten ohne Licht und Salz, überhaupt nicht in bloßen Worten, nicht in einem bloßen Herr, Herr sagen, sondern wo neben dem Wort die Tat steht und auf das entschiedene Bekenntnis des Mundes das ganze Leben sein Siegel drückt, so dass Inneres und Äußeres Eins wird, das ganze Leben des Menschen ein Ganzes, ein Leben aus einem Stück, wo in allen Lagen und Verhältnissen, unter Vertrauten und Brüdern, wie unter Feinden und Freunden, in der Kammer wie auf dem Markt, an der Wiege wie am Sarg, in guten wie in bösen Tagen, unser Reden und Schweigen, unser Tun und Lassen, unser Leiden und Dulden bezeuget: Wir gehören dem Herrn Jesu an, und wollen keines andern sein. Mit diesem seligen Bekenntnis geht man aus, aus der Welt hinaus und sollte man auch Vaterhaus und Freundschaft in ihr zurück lassen, und sollte auch außer ihr nur der Dornen- und Tränenweg der Entsagung und Verleugnung, der Trübsal und Verfolgung vor uns liegen. Man kann nicht mehr in ihr bleiben, sie selbst leidet's nicht; denn nur durch Akkommodation und Verleugnung hangen wir mit ihr zusammen. Ein völliges Bekenntnis, dass ihre Wahrheit Lüge, und ihr Wesen Sünde nennt, kann sie nicht vertragen. Sie erwidert es mit bitterem Hass, aber selbst in ihrem Hass muss sie ein Zeuge für den Glauben werden, den sie lästert, und ein Hüter für den Bekenner, den sie verfolgt. Denn sie kann sich des Geständnisses nicht erwehren, dass mit dem Glauben an das Evangelium Reinheit und Heiligkeit unauflöslich verbunden ist, und es geht durch sie ein Schrei des Entsetzens, wenn man versucht, mit dem Glauben den Sündendienst zu verbinden, und Gräuel und Finsternis mit dem Evangelium zu schmücken. Sie hat daher ein scharfes Auge auf den Bekenner; bei sich selbst übersieht sie Berge von Sünden, aber in dem Lichte seines Bekenntnisses erblickt sie jeden Fehler an dem Gläubigen, richtet unerbittlich jede Sünde, deren er sich schuldig macht und fragt verwundert, wenn er sich auf ihre Wege irrt: wie kommst du hierher?
So geht man mit brennender Lampe aus, und es tritt durch das völlige Bekenntnis der Zustand entschiedener Scheidung und Trennung ein, wo es heißt: Die Welt ist mir gekreuzigt und ich der Welt. So steht die Gemeinde da, die ganze Welt hinter sich - aber wohin will sie denn? -Dem Herrn entgegen! „Das Himmelreich ist gleich zehn Jungfrauen, die nahmen ihre Lampen und gingen aus, dem Bräutigam entgegen.“
Die christliche Kirche hat in den verschiedenen Perioden und Stufen ihrer Entwickelung, obgleich im Wesentlichen immer dieselbe, doch durch einen vorherrschenden Charakterzug sich immer besonders ausgezeichnet und gestaltet. In der apostolischen Gemeinde zu Jerusalem erschien sie zuerst als eine frohe glückliche Braut, die den Verlobungsring empfangen hat, das Bild des Bräutigams an goldener Kette an der Brust trägt, in bräutlichem Gewande und in bräutlicher Sehnsucht und Hoffnung dem Tage der Vermählung entgegen harrt, bereit mit dem Verlobten durch Meere und Wüste, durch Feuer und Wasser zu gehn. Als aber das Schwerdt der Verfolgung wider sie gezogen ward und blutig über ihrem Haupte hing, und sie fliehen musste in die Wüste und wandern in der Nacht, da erschien sie in der Gestalt eines Märtyrers, der, geächtet von der Welt, überall nur das Beil des Henkers aber auch die Krone des Lebens vor Augen hatte, und auf alle Lockungen und Drohungen der Welt keine andre Antwort kennt, als immer nur die eine: Lieber sterben als ohne Jesus leben!
Wie aber die Welt das blutige Schwerdt der Verfolgung unter das Kreuz Christi niederlegte und selbst seinen Namen annahm, nun aber auch die weltliche Macht in die Regierung der Kirche und die weltliche Weisheit in ihre Lehre eindrang, und den reinen Fluss der göttlichen Weisheit zu trüben drohte, da wechselte der Kampf für das Leben des Glaubens mit dem Kampf für die Lehre des Glaubens und die Kirche erschien in der Gestalt eines ernsten, tiefen, reichen Gottesgelehrten, der die Lehre festhält, für ihre Reinheit wider jeden andringenden Irrtum kämpft, und von dem Wort Gottes keinen Buchstaben fallen lässt, von der Wahrheit keinen Haarbreit weicht. Aber während man für das Kleinod der Wahrheit kämpfte, ging das Kleinod der Freiheit verloren in de« halbgelungenen Versuch, das Himmelreich in ein Weltreich umzuwandeln. Unter Zions Namen und Fahne wurde ein Babylon gebaut, dass zwar alle Heiligtümer besaß, aber nur als Raub und als Siegeszeichen über Jerusalem. Da erschien die Kirche Christi als ein Gefangener, der durch Menschensatzungen an Handelt und Füßen gebunden, und mit eiserner Gewalt an den Thron eines geistlich weltlichen Königs geschmiedet war. Jede Klage des edlen Gefangenen wurde mit dem Bannfluch, jeder Schrei nach Erlösung mit Feuer und Schwert erwidert; aber er wurde stark unter Tränen und fand wie Simson seine Kraft wieder in der Gefangenschaft. Im gesegneten Zeitalter der Reformation stand die Gemeine des Herrn da als ein Held, der seine Ketten zerbrochen, seinem Feinde eine tödliche Wunde geschlagen und sich seine Heiligtümer und seine Freiheit wieder erkämpft hat. Aber es ging nun wieder herab und statt einer Kirche mit dem siebenstrahligen Lichte des göttlichen Wortes in ihren hohen heiligen Hallen Und mit dem reichen Tische des Herrn, gedeckt für alle, welche von Herzen bekennen: „all' Schuld hat er getragen, sonst müssten wir verzagen“ wurde eine Schule gebaut, wo die Gemeine Christi als ein Schüler erschien, der das Wort Gottes buchstabieren und lesen, singen und beten und den Katechismus auswendig lernen musste, und unter strenger Aufsicht und Zucht seiner Lehrer stand. Aber wo das Wort Gottes frei walten darf, da geht das göttliche Licht und Leben nicht aus und zerbricht immer wieder jede Form, die es sich nicht selbst bereitet hat, sobald sie eine Fessel für seine freie Entwickelung geworden ist. So wuchs der Schüler vor hundert Jahren zu Speners Zeit zum Jüngling heran, der aus der Schule ins freie Leben und Wirken hinausbrach und natürlich zuerst in Streit mit seinen alten Lehrern geriet, denen bei aller Feindschaft wider die Hierarchie, doch auch die Herrschaft über die Seelen gar lieb geworden war. Jetzt aber ist der Jüngling zum Manne herangereift, der mit der einen Hand das Schwerdt des Geistes kräftig gegen die Feinde schwingt, welche ins Heiligtum Gottes verwüstend eingedrungen sind, während er die andere Hand weit ausstreckt über den Acker der Welt, um da, wo er so lange brach lag, den unvergänglichen Samen der göttlichen Wahrheit auszustreuen, damit die Wüste aufblühe zum Garten Gottes. Je mehr sich aber die letzte Zeit naht, je mehr verwandelt sich die Gestalt der Gemeine in die der ersten Zeit, das Ende geht in den Anfang zurück. Wie in dem apostolischen Zeitalter die Verheißung: Der Herr kommt! in aller Herzen wiedertönte, und das Wesen des Christentums ein Warten auf den Herrn, das ganze Leben der Gemeine ein Hinsehen und Hinkämpfen auf die Zukunft Christi war, so wird es auch in der letzten Zeit sein, und die Gemeine wird in der Welt dastehen, wie die Cherubim im Allerheiligsten des Tempels, die Füße auf der Erde, das Angesicht gen Himmel gerichtet, die Flügel ausgebreitet, um sich dem entgegen zu schwingen, der da kommt: Das Himmelreich wird gleich sein zehn Jungfrauen, die nahmen ihre Lampen und gingen aus, dem Bräutigam entgegen.
Aber eine Gemeine ohne Flecken findet sich nie auf Erden, erst vor dem Throne Gottes wird sie einst dastehen ohne Tadel, heilig und unsträflich, ein Gegenstand seines ewigen Wohlgefallens. So ist auch zur letzten Zeit das Licht nicht ohne Schatten. „Aber fünf unter ihnen waren töricht und fünf waren klug.“ Wir dürfen hier klug und töricht nicht mit gerecht und sündig, gut und böse verwechseln. Der Herr würde ja sonst das widerrufen haben, was er so eben erst gesagt hat. Alle, auch die Törichten sind Jungfrauen, alle haben jeder unreinen Verbindung mit dem Fleisch und der Welt entsagt, und sich dem zum Eigentum übergeben, der sie mit seinem Blut erkauft bat, alle sind mit dem Bekenntnis seines Namens von der Welt ausgegangen und gehen ihm entgegen mit dem sehnlichen Verlangen: Herr Jesu, komm bald! Von dem allen nimmt der Herr durch diesen Zusatz nichts zurück, und damit wir es nicht tun, setzt er hinzu: Die Törichten nahmen ihre Lampen, aber sie nahmen nicht Oel mit sich. Die Klugen aber nahmen Oel in ihre Gefäße, sammt ihren Lampen. Das ist also der einzige Unterschied: fünf haben sich mit Oel wohl versehen, das haben die andern vergessen oder nicht für nötig gehalten. Und was kann anders das Oel hier bezeichnen als die Salbung des Heiligen Geistes, wodurch das göttliche Licht und Leben in uns genährt, zu einem alle Unreinigkeit verzehrenden Feuer angefacht und der Mensch wieder zum Bilde Gottes erneuert wird. Der Herr selbst rechnet alle Wunder seines hohenpriesterlichen Amtes der Salbung mit diesem wunderbaren Öl zu, wenn er spricht: Der Geist des Herrn Herrn ist über mir, darum hat mich der Herr gesalbt. Er hat mich gesandt den Elenden zu predigen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu predigen den Gefangenen eine Erledigung, den Gebundenen eine Öffnung, zu predigen ein gnädiges Jahr des Herrn und einen Tag der Rache unsers Gottes, zu trösten alle Traurigen; zu schaffen den Traurigen zu Zion, dass ihnen Schmuck für Asche, und Freudenöl für Traurigkeit, und schöne Kleider für einen betrübten Geist gegeben werde; dass sie genennet werden Baume der Gerechtigkeit, Pflanzen des Herrn zum Preise. Jes. 61. Diese Salbung ergießt sich von dem, der das Haupt der Gemeine ist, in alle seine Glieder. Er salbt sie, damit ihre Gestalt schön werde. „Ihr habt die Salbung von dem, der da heilig ist“ sagt daher Johannes den Gläubigen. Auch die törichten Jungfrauen haben Oel in den Lampen, es ist in ihnen ein durch Gottes Wort und Geist gewirktes Licht und Leben, wie könnten sie sonst zu den Jungfrauen gehören, welche ausgehen, dem Bräutigam entgegen; aber sie haben nicht bedacht, dass wir nichts Eigenes vor den Herrn bringen dürfen, kein eigenes Wissen, Wollen, Wirken, Haben, Sein, dass alles Rühmen eigner Weisheit, eigner Gerechtigkeit, eigner Kraft und eigenen Verdienstes bis in die unterste Tiefe, bis zur letzten Wurzel vernichtet und unser ganzes Wesen durch das Blut des Lammes gereinigt, und von Oben her durch die Salbung des Heiligen Geistes erneut, geheiligt und verklärt werden muss, wenn das Oel des Lebens sich nicht verzehren, und das Licht des Glaubens so stark werden soll, dass es in dem Sturme der letzten Zeit nicht erlöscht, und in dem Glanz der Herrlichkeit Jesu Christi nicht abbleicht, weil es selbst ein Lichtstrahl der ewigen Sonne Jerusalems ist, ein Abdruck ihrer Schönheit, ein Abglanz ihrer Herrlichkeit. Wer vor der Torheit bange ist, und gern klug werden will zum ewigen Leben, der merke sich nur, dass die geistliche Torheit immer mit geistlichem Dünkel und die Klugheit immer mit Herzensniedrigkeit verbunden ist. Wo neben Golgatha sich noch eine andere Höhe erhebt, wo man außer und neben dem Ruhm des Kreuzes und dem Trost der widerfahrenen Barmherzigkeit noch einen andern Ruhm und Trost kennt und festhält, mag's auch eine besondere Reinheit der Lehre, oder eine ausgezeichnete Tiefe der Erkenntnis, oder eine außerordentliche Stufe der Heiligkeit, oder eine ausgezeichnete Tätigkeit in den Angelegenheiten des Reiches Gottes sein, deren man sich rühmt und tröstet, da ist die Torheit, die das Eigene festhält, das Menschliche überschätzt und dabei die eigenen großen Mängel übersieht und nicht bemerkt, wie das Oel sich verzehrt, weil die Salbung des Geistes nicht das ganze Herz einnehmen, nicht das ganze Wesen durchdringen kann. Gerade wie die Korinther so töricht waren, dass sie, statt für das Licht und Leben des Glaubens zu sorgen, sich unter einander zankten und „nach menschlicher Weise“ in fleischlichem Sinne Parteien bildeten, waren sie so voll Dünkel, dass Paulus genötigt war, sie daran zu erinnern, er habe auch den heil. Geist. Und wie der Engel der Gemeine zu Laodicäa aus dem überschwänglichen Reichtum Jesu Christi bis in die äußerste Armut hinabgesunken war, stand er auf einer Höhe, wo er sprach: Ich habe genug und bedarf nichts. Die Klugheit aber, welche uns täglich wiederfährt, in der täglichen Vergebung der Sünde (Ephes. 1,7.8.) wandelt nie auf Höhen, sie hat ihren Sitz unter dem Kreutz Christi, ihre Wohnung in der Niedrigkeit, ihre Wege gehen durch das Tal der Demut, wo der Herr den Armen mit seinen Schützen, den Leidtragenden mit seinem Trost, den Hungernden und Durstenden mit seiner Erquickung begegnet, und den Traurigen Schmuck für Asche und Freudenöl für Traurigkeit und schöne Kleider für einen betrübten Geist gibt, dass sie frohlocken können: Ich freue mich im Herrn und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott, denn er hat mich angezogen mit Kleidern des Heils und mit dem Rock der Gerechtigkeit bekleidet. (Jes. 61, 10.)
So beschreibt uns der Herr seine Gemeinde in ihrer Licht- und Schattenseite zur letzten Zeit und erzählt dann ihre Geschichte, indem er fortfährt: Da aber der Bräutigam verzog, wurden sie alle schläfrig und entschliefen. Es ist nicht zu leugnen, dass sehr erleuchtete und gottselige Menschen sich in Beziehung auf den Tag der Zukunft Christi oft getäuscht haben. Was sie so sehnlich unter den Druck und Kampf schwerer Zeiten wünschten, das haben sie nahe geglaubt, da es noch ferne war. Diese Täuschung ist nicht wider, sondern für das göttliche Wort. Denn, wenn es auch stark genug bezeugt, dass des Herrn Tag und mit ihm das Ende aller Dinge, uns nahe gekommen ist, eben darum, weil wir seit der Erscheinung des Sohnes Gottes auf Erden dem Ende der Welt näher, als ihrem Anfang stehn, so weist sie doch genugsam darauf hin, dass die sehnsüchtigen Erwartungen der Gläubigen sich oft verrechnen werde. Wie wichtig ist auch in dieser Hinsicht dieses Wort: Als der Bräutigam verzog. Also selbst dann, wenn die letzte Zeit wirklich da ist, wenn sich der Tag der Welt geneigt hat und der Abend hereinbricht, dem die Mitternacht folgt - selbst dann wird die Erwartung der Erfüllung verweilen und die Klage laut werden: Ach Herr, wie so lange! Der Bräutigam verzieht, und die Folge davon ist, dass sie schläfrig werden und alle entschlafen, nicht nur die törichten, auch die klugen Jungfrauen, Die Nähe ihres Herrn hat sie so munter gemacht und mach erhalten; da es sich aber wieder verzieht und was ihnen so nahe schien, wieder in die Ferne hinausgerückt wird, so werden sie des Wartens und Wachens müde, die Augen werden ihnen schwer, sie fallen ihnen zu, und endlich schlafen sie alle ein. Ach schwerer als Arbeiten und Kämpfen ist Warten und Wachen; denn die Arbeit ermüdet nicht nur, sondern ermuntert und stärkt auch; es liegt eine Freude in ihr, man hat etwas daran, wenn man arbeitet, und jeglicher Kampf regt alle Lebenskräfte auf, treibt zur göttlichen Waffenrüstung, lohnet mit reicher und seliger Erfahrung der Macht und Treue unsers Gottes; aber das Warten und Wachen scheint ein Nichtstun zu sein und ist's in gewisser Hinsicht wirklich, darum ist's so schwer und machts so müde, und es tut doch so Not zu warten auf das, was Gott verheißen hat, und sich allewege bereit zu halten für die Stunde der Erfüllung, unter allen Arbeiten und Kämpfen zu wachen über das eigene Herz, und den Blick unverwandt hinzurichten auf das vorgesteckte Ziel oder vielmehr auf den, der da kommt zum Lohn allen denen, die auf Ihn warten. Darum wird so oft in der Schrift zum Warten und Wachen ermahnet und gerade dann, wenn eine Stunde der Versuchung für die Seinen gekommen ist, wie einst in Gethsemane, wo durch die Nacht und Finsternis das Wachen so schwer wurde, dass es von den vertrautesten Jüngern heißt: „Und ihre Augen waren voll Schlaf“ und der Herr klagen musste: „Könnet ihr nicht eine Stunde mit mir wachen!“ - gerade dann ermahnet er am dringendsten: Wachet und betet, damit ihr nicht in Anfechtung fallet.
So geht die letzte Versuchung, in der die Macht der Finsternis einen kurzen Triumph feiert über das Wachen, aber nicht über den Glauben der Gemeinde, über die Erde hin. Auf den Abend ist die Nacht gefolgt; ihre dunklen Schatten verhüllen alles, aller Augen sind voll Schlafs und fallen zu; überall herrscht tiefe Stille, die Stille des Todes in der Welt, die Ruhe des Schlafes im Lager Israels. So bricht die Mitternacht herein, auf Zions Uhr schlägt die letzte Stunde, und alle Wächter Jerusalems erheben ihre Stimmen: Zu Mitternacht war ein Geschrei: Siehe, der Bräutigam kommt! Gehet aus, ihm entgegen. Diese Stimme ist nie ganz verstummt, sie tönt durch alle Jahrhunderte, doch wären es immer nur einzelne Knechte Gottes, welche in der langen Wartezeit an das Nahen und Kommen des Herrn mahnten; aber zur Mitternacht wird sich ein Geschrei vieler Stimmen erheben und in die Stille der Nacht hinein über die Erde hin der vereinigte Ruf aller Wächter Zions erschallen. Der Herr, der Hüter Israels, der über sein Volk wacht, bat sie es geheißen; denn der Augenblick der Entscheidung soll die Seinen nicht im Schlaf überraschen, sondern wachend finden.
Aber welch ein Erwachen folgt diesem Ruf! Voll Entzücken und voll Entsetzen! Die fliehenden Welten, der geöffnete Himmel, die zitternde Erde, das Geschrei der Wächter, - alles verkündet von Pol zu Pol, dass der Tag des Herrn gekommen ist. Die Welt erbebt, denn ihr König naht, den sie verworfen hat; seine Gemeinde aber findet sich nach dem ersten Schrecken bald wieder zurecht und macht sich bereit den zu empfangen, den ihre Seele liebt. Die klugen Jungfrauen haben bald wieder ihre Lampen geschmückt und gehen dem Bräutigam entgegen, zu erscheinen mit Freudigkeit und Frohlocken vor seinem Angesicht. Sie dürfen es, denn sie bringen nicht Eignes und nicht Fremdes vor ihn, sondern nur was sein ist, seine Braut, die er sich selbst zur ewigen Gemeinschaft auserkoren, mit feinem Blute erkauft, mit seiner Gerechtigkeit bekleidet und mit seinem Bilde herrlich geschmückt hat. Die törichten Jungfrauen aber sind in großer Not und Verlegenheit. Ihre Lampen erlöschen, sie sind zu schwach diesen Sturm auszuhalten, sie brennen zu dunkel, um in diesem Glanze noch zu leuchten. Das Oel fehlet ihnen. Sie sind kein Licht in dem Herrn, darum können sie vor ihm nicht erscheinen. Der Geist hat sie nicht ganz verlassen, aber es fehlet ihnen das leuchtende Siegel des Geistes, wovon Paulus Ephes. 4, 36. redet. Sie entdecken erst jetzt mit Schrecken ihren Mangel; aber diese Entdeckung macht sie noch nicht klug. Sie sind's so gewohnt, bei sich selbst oder den Menschen so viel zu suchen, dass sie sich auch jetzt nicht geradezu an die rechte Quelle wenden, um ihrem Mangel abzuhelfen. Sie bitten die klugen Jungfrauen: Gebt uns von eurem Oel.
Aber wenn diese Stunde geschlagen hat, dann ist keine Zeit mehr, andern zu helfen; da hat jeder genug zu tun, um selbst bereit zu sein, und bedarf selbst alles, was er hat, um zu erscheinen vor dem Menschensohn. Darum antworten sie: „Nicht also, auf dass nicht uns und euch gebreche. Gehet aber hin zu den Krämern, kaufet für euch selbst.“ Und damit eilen sie dem entgegen, dem sie nichts darbringen als den Ruhm seiner Barmherzigkeit und das Werk seiner Liebe.
Ach, wie viel würden nun die Armen, die sich selbst so sehr getäuscht haben, nur für einige Minuten so vieler versäumter Stunden und Tage geben! aber keine Träne ruft sie wieder zurück, und der Herr, der so lange gewartet hat mit großer Geduld, wartet nicht mehr. Da sie hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam und welche bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Türe ward verschlossen. Die Erscheinung des Herrn und die Heimholung seiner Gemeinde geschieht in einer Kürze; denn der Tag seiner Zukunft ist wie der Blitz (Luc. 24, 27.), der plötzlich aus der dunkeln Wolke hervorbricht, den ganzen Himmel rötet, die ganze Erde überstrahlt, die finstere Nacht erhellt, das blödeste Auge blendet, aber sich nicht verweilet, sondern plötzlich wieder verschwindet und nur indem rollenden Donner noch seine Macht verkündigt und in der gereinigten Luft seinen Segen zurücklässt. So wird der Herr am Tage seiner Zukunft nicht auf Erden verweilen, sondern mit seiner bereiteten Gemeinde in den Himmel zurückkehren, in dieser Welt zurücklassen den Schrecken, aber auch den Segen seiner Erscheinung, während in der andern Welt vor den staunenden Blicken der Seinen sich alle Wohnungen im Hause seines Vaters öffnen und ihnen der himmlische Hochzeitssaal entgegenstrahlt, wo Gott alle Wunder seiner Macht, alle Gaben seiner Liebe vereinigt hat und all die unaussprechlichen Dinge, für welche Paulus auf Erden kein Bild, in menschlicher Sprache kein Wort fand (2. Kor. 12, 4.); wo die Engel ihm dienen, das dreimal selig der Seraphim ertönt, die vier Lebendigen und die vier und zwanzig Ältesten das Amen sprechen und das Halleluja jauchzen, und eine unzählige Schaar einstimmt in das himmlische: Herr, großer Gott, dich loben wir! (Offb. Joh. 19,3.-9.) Der Glaube ist zum Schauen geworden, die Hoffnung zum Genuss, die Tränensaat zur Freudenernte; aber herrlicher als die Harmonie der himmlischen Chöre tönt ihnen jedes Wort aus seinem Munde, entzückender als der geöffnete Himmel ist der Blick in sein Angesicht, und alle Wonnen des ewigen Lebens vereinigen sich in dem Bewusstsein: Wir sind bei unserm Herrn, und sehen Ihn, wie er ist.
Und zu dieser, über alle Maßen große Herrlichkeit gesellt sich die Sicherheit, denn die Tür ward verschlossen. Hienieden können wir die Tür nicht hinter uns zuschließen, wenn wir der Welt den Rücken gewandt haben und eingegangen sind in das Himmelreich. Sie dringt uns nach mit ihrer Macht, ihren Stürmen, ihrem Zauber, ihrem Jammer; Gefahren und Nöte lagern sich auf unsern Weg, Verführungen aller Art umgeben uns, wir sind nie und nirgends sicher, selbst nicht vor einem Rückfall aus dem Licht in die Finsternis, aus dem Leben in den Tod, aus dem Himmelreich in das Höllenreich, dem wir entronnen waren. Selbst ins Paradies fand der Versucher einen Weg, und riss die Menschen los vom Herzen Gottes, wo sie so selig waren; aber dann und dort ists anders. Die Tür ward verschlossen. Sie können nicht mehr zurück, die drinnen sind, und die ganze Welt, die sie durchkämpft haben, liegt draußen und nichts kann mehr zu ihnen dringen, was ihre Ruhe stören, ihren Himmel trüben, ihre Seligkeit gefährden könnte.
Aber schrecklich ist dieses Wort für diejenigen, welche draußen sind und so sicher auf den Eingang rechneten, dass sie sich das Gegenteil gar nicht denken können. Die törichten Jungfrauen kehren zurück und sehen mit Entsetzen, was geschehen ist. Sie sind ausgeschlossen. Die Tür ist zu; aber sie geben die Hoffnung nicht auf. Es kann ja wieder aufgetan werden sie einzulassen, und das wird man ihrer Bitte nicht versagen: „Herr, Herr, riefen sie, tue uns auf. Ach, sie sind noch nicht klug geworden. Obgleich ihnen ihr Mangel nicht verborgen geblieben ist, sind sie doch noch nicht gebeugt und gedemütigt, sie machen noch Ansprüche, sie halten noch was von sich selbst, sie meinen noch immer, sie seien es wert und hätten ein Recht dazu, eingelassen zu werden. Herr, Herr, tue uns auf, - wir sind ja vor der Tür, wie kannst du uns draußen lassen. Ach, sie haben das rechte Gebet nicht gelernt, oder wie, der verlernt, das durch alle Himmel dringt, dem der Herr sein Herz nie entzieht und verschließt, dem er sich zuwendet mit seiner ganzen Liebe, das er belohnt mit seinem ganzen Heil - das Gebet: Herr, erbarme dich mein. Dieser Schrei des gänzlichen Verzagens an sich selbst, dieser Schmerzensruf der heiligsten Traurigkeit, dieses Gebet der tiefsten Angst und Not, das ist der Schlüssel, der alle Türen öffnet; aber er wird nur gefunden von einem gebrochenen Herzen. Dieses Gebet würde auch hier nicht vergebens gewesen sein; aber sie können nicht beten, es steht nicht in der Liturgie ihres Herzens, sie müssens erst wieder lernen, denn sie haben es längst vergessen, dass die Erleuchtung, Rechtfertigung, Heiligung und Erlösung des Menschen ganz allein des Herrn Werk ist, von der ersten Träne, die er im Auge des bekümmerten Sünders hienieden trocknet, bis zum Halleluja an seinem Throne ein Werk seiner Erbarmung, ein Wunder seiner Macht und Liebe ist, und dass unter allen, welche durch diese verschlossene Tür eingegangen sind, sich nicht eine einzige Seele befindet, welche nicht ohne irgend einen Rück- und Vorbehalt zur Ehre des Herrn bekennt: „aus Gnaden sind wir selig geworden und dasselbe nicht aus uns, Gottes Gabe ist es.
Aber es ist in ihnen doch nicht ganz verschwunden, was einst durch den heiligen Geist in ihnen gewirkt war. Es glüht doch noch ein Fünklein des Glaubens in ihrem Innern, es ist doch noch eine Richtung nach Oben da, ein Verlangen nach dem Herrn und seine? Gemeinschaft, darum erhalten sie doch eine Antwort. Er antwortete aber und sprach: wahrlich, ich sage euch: ich kenne euch nicht.
Es ist ein erschütternder Ernst in diesem Worte; aber es enthält doch kein Urteil der Verwerfung und Verdammnis. Der Herr nennt sie nicht, wie später die zu seiner Linken (V. 41.): „Verfluchte“ - er weist sie nicht von sich hinweg wie jene, zu denen er spricht: „Gehet hin von mir.“ Seine Antwort ist das Echo ihrer Bitte. Indem sie bitten: Herr, tue uns auf! sprechen sie ja die Überzeugung aus, dass sie. als seine Freunde, als seine Vertrauten den Eingang erwarten könnten. Da antwortete der Herr: „ich kenne euch nicht“ - es ist mir nicht bekannt, dass ihr in einem solchen innigen vertrauten Herzensverhältnis mit mir stehet, um an dem Fest meines Herzens Teil zu nehmen, ich kenne euch nicht als meine Freunde, Vertraute und Geliebte, denen natürlich mein Herz immer offen steht und keine Tür meines Hauses verschlossen ist; ihr seid mir fremd, wie könnte ich euch auftun. Ernstes Wort! Es schneidet ihnen jede Ausflucht ab; sie sollen nicht denken als liege es an ihrem zu späten Kommen, oder an irgend etwas äußerlichem, dass die verschlossene Türe nicht wieder aufgetan wird, sondern ihre ganze bisherige hohe Meinung von sich selbst, von ihrem Wert, von ihrer Gemeinschaft mit dem Herrn, von ihren Ansprüchen auf den Lohn der Herrlichkeit Christi soll eingeworfen und vernichtet werden. Es spricht der Ernst der Erbarmung aus diesem Wort, der unerbittlich die Sünder von allen Höhen herabstürzt in die Tiefe wahrhaftiger Herzensniedrigkeit, wo man vor ihm und zu ihm weinen lernt, wo er sich offenbart in seiner hohenpriesterlichen Liebe, die alle Sünden vergibt und alle Gebrechen heilt, wo jedes ernste, erschütternde: ich kenne euch nicht-sich verwandelt in ein freundliches, seliges: kommt her zu mir, ich habe euch bei euerm Namen gerufen, ihr seid mein. Dahin will er noch diese törichte Menschen führen, und wenn sie diese seine ernste Antwort nicht klug macht, dann werden sie es freilich in Ewigkeit nicht.
Nimmt es aber der Herr so ernst mit denen, die doch an ihn glauben, die doch nach ihm verlangen, denen sein Evangelium doch lieb ist, die auf seinen Tag gewartet und ihre Herzen aus dem Staub der Erde zu der Herrlichkeit seiner Verheißung emporgerichtet haben; wie will es dann einst am Tage seiner Erscheinung zum Gericht euch pharisäische und sadduzäische Menschen ergehen, denen das Evangelium vom Kreuz und das Wort und Zeugnis von dem Gericht und der. ewigen Vergeltung ein Ärgernis und eine Torheit ist; ein Ärgernis für euer stolzes Herz, eine Torheit für euer dummes Fleisch. Es ist euch auch im vergangenen Kirchenjahre so oft zugerufen, aber ihr wollt nicht kommen, weil ihr die Lust und den Betrug der Sünde der Gnade und Wahrheit Jesu Christi und jede Nichtswürdigkeit der Welt der euch angebotenen ewigen Herrlichkeit vorzieht. Wie wollt ihr entrinnen, wie wollt ihr dem zukünftigen Zorn entrinnen, wenn ihr eine solche Seligkeit nicht achtet. Ihr geht dem Wort entgegen: weichet von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln - das der Herr euch jetzt schon entgegenruft, um euch zu bewegen, euch über euch selbst zu erbarmen und zu bedenken, was zu eurem Frieden dient. Das Jahr 1836, worauf so viele Blicke in Hoffnung und Sehnsucht gerichtet waren, ist vorübergegangen und hat den Schmerz getäuschter Erwartung in den sehnenden Gemütern, und das Hohngelächter der Welt über die Hoffnung der Gläubigen hinter sich zurückgelassen. So ist's recht und eine Erfüllung der Schrift; denn der Bräutigam verzieht zu kommen. Das bereitet seiner Gemeinde manche Täuschung, ohne dadurch die Hoffnung zu erschüttern, welche auf den Felsen des Wortes Gottes gegründet ist und daher nimmer kann zu Schanden werden; denn der Herr ist wahrhaftig, und was er zusagt, das hält er gewiss. Die Welt aber jauchzt über unsere getäuschte Erwartung und statt unsere Torheit zu verspotten, welche rechnet wo man nicht zählen kann, verlacht sie Gottes Wahrheit und verhöhnt die höchste Verheißung Gottes und die seligste Sehnsucht der Menschenseele. Auch das ist Erfüllung der Schrift und ein Zeichen der nahenden Zukunft des Herrn; „denn gleichwie sie waren in den Tagen vor der Sündflut; sie aßen, sie tranken, sie freiten und ließen sich freien, bis an den Tag, da Noah zu der Arche ging; und sie achteten es nicht, bis die Sündflut kam und nahm sie alle dahin; also wird auch sein die Zukunft des Menschensohnes.“
Was aber die Welt so entschieden leugnet und so laut verhöhnt, das soll von uns um so entschiedener und lauter bekannt werden, damit es in der hereinbrechenden antichristischen Nacht nicht an den leuchtenden Sternen fehle, die den zerstreuten Kindern Gottes zeigen, wovon sie sich trennen und wozu sie sich sammeln müssen. Lasst uns bedenken, dass das Gericht, welches am letzten Tag über den Kreis des Erdbodens ergeht, am Tage der Zukunft Christi am Hause des Herrn anfängt, und dass wir uns durch den Ernst weniger schnell dahineilender Tage einen tiefen, heißen, bangen Schmerz ersparen und eine unaussprechliche Freude und Herrlichkeit bereiten können. Es ist hohe Zeit für uns, von allen Höhen herabzusteigen, alle Torheit in Israel abzutun, alles Fremde zu verlassen, alles Eigene abzulegen, alle Nebendinge aus den Augen zu lassen, und mit ganzem Herzen, mit anhaltendem, großem, seligem Ernst uns auf das Eine Notwendige hinzurichten: „Allewege und ganz in Christo Jesu erfunden zu werden“ und einherzugehen in dem Glauben, der eine Geburt aus Gott, ein Sieg über die Welt, eine Arbeit der Liebe unter den Menschen, und eine brennende Lampe ist, der es nie an Oel gebricht, die in keinem Sturm erlischt, selbst im Glanze des Tages Jesu Christi nicht erbleicht, in deren Licht und Schein wir auch in tiefen Nöten und dunkeln Nächten das Haupt als Solche emporheben können, die es wissen, dass mit den Leiden, Kämpfen und Stürmen einer bewegten Zeit ihre Erlösung sich naht und um Mitternacht der Tag anbricht, auf den kein Abend und keine Nacht mehr folgt. Amen.