MacDuff, John - Bethanien - II. Das traute Heim.

MacDuff, John - Bethanien - II. Das traute Heim.

Siehe da, eine Hütte Gottes bei den Menschen!
(Offenb. 21,8.)

Wir befinden uns in einem Dorfe Judäas. Hier wohnen unsere Freunde: Martha, Maria und Lazarus.

Martha, die ältere (wahrscheinlich die Älteste der Familie), ist das Bild reger Tätigkeit. Sie ist fleißig, energisch, lebhaft, eifrig, dem Herrn zu dienen, eine praktische Natur, und dadurch zur Führung des Haushalts wohl befähigt. Sie rechnet mit der Wirklichkeit, mit den Tatsachen. Entschlossen vorgehend und entschieden zugreifend, verlangt sie auch dasselbe von ihrer anders angelegten Schwester.

Die stille Maria ist dagegen eine mehr innerlich gerichtete Natur. Sie ist eine der zarten Pflanzen, welche der Stütze bedürfen und darum sich um so fester anranken an den Stamm, der ihnen einen Halt bietet. In stiller Ergebung beugt sie sich unter den rauen Lebensstürmen, aber gerne lässt sich das zarte Pflänzchen auch wieder aufrichten von der Hand des himmlischen Gärtners. So sitzt Maria zu des Herrn Füßen, sie hängt an seinen Lippen und bewegt seine Worte in der Tiefe des Herzens. So ganz ist sie davon hingenommen, dass sie alles andere darüber vergessen kann. Martha kann sich beherrschen, dem Herrn entgegeneilen, sich ihm aussprechen, ihr Herz ihm ausschütten, ja ihn fragen über Tod und Auferstehung ganz von ihrem Schmerz überwältigt, kann ihn nur erwarten und ihn mit Tränen empfangen. Jesus spricht mit Martha, er tadelt, hört ihre Widerreden. Marias Herz war zu voll, die Wunde zu tief, der Herr verstand sie, mit ihr redete er nicht, aber „ihm gingen die Augen über.“ Martha hält den Kopf oben, so groß auch ihr Schmerz ist. Sie schafft und wirkt, sie redet und handelt. Das kann Maria nicht. In ihrer tiefen Trauer sucht sie die Stille und weint.

Von Lazarus, dem Mittelpunkte unserer Betrachtung, ist uns wenig gesagt. Aber der von den Schwestern so zärtlich geliebte Bruder war der Freund des Herrn und seiner Jünger (Joh. 11,11). Und der Herr hatte ihn lieb (Joh. 11, 5). Welch herrliches Lebensbild zeichnet uns doch von ihm die Schrift in diesen wenigen Zügen!

Auch die menschliche Natur unseres Heilandes offenbart sich in dieser Geschichte auf eine köstliche Weise. Er, der ein Herz hatte, um die ganze Menschheit zu lieben, hatte doch eine besondere Zuneigung zu seinen Freunden. Jesus weinte, so heißt's von ihm, und wir sehen darin sein menschlich teilnehmendes Herz. Der Heiland liebte Lazarus, sowie die menschlichen Freunde. Er hatte auch eine herzliche Liebe zu seinen Jüngern, aber unter ihnen erwählte er einen kleinen engeren Kreis, einen Petrus, Jakobus und Johannes, und aus dieser heiligen Dreizahl war einer ganz besonders geliebt. So war unter den geheiligten Höhen Palästinas, den Städten in Judäa und Galiläa nur ein Bethanien.

Wir sehen, dass Jesus uns in allem gleich war, ausgenommen die Sünde. Er lebte mit seinen Freunden wie wir, hielt sich nicht in geheimnisvoller Abgeschlossenheit, sondern nahm innigen Anteil an Freude und Leid des menschlichen Lebens. Wie ging unser erbarmungsreicher Heiland in den Tagen seines Fleisches auch denen in Liebe nach, welche ihn verließen. Was war es anders, als ein Verlangen seiner heiligen Seele nach menschlicher Freundschaft, als er in der Leidensstunde in Gethsemane zu seinen Jüngern sprach: „Bleibt hier und wacht mit mir!“

Doch nun zurück nach Bethanien, der Heimstätte solcher Freundschaft. Maria, Martha und Lazarus, alle drei im Genuss derselben Gnade Pilgrimme nach Zion, geheiligt durch die heilige Freundschaft mit ihrem Herrn, dessen Verheißung an ihnen in besonderer Weise in Erfüllung ging: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ Diese drei Seelen hatte sich der Herr erwählt, hier war er als Freund unter Freunden. Wie oder wo Jesus sie zuerst sah, wissen wir nicht.

Wahrscheinlich gehörten sie zu jenen frommen Juden, welche betend auf den Trost Israels warteten. Hier war der Herr ein seit lange gern gesehener Gast, hier brachte er nach des Tages Mühe und Arbeit manche Stunde der Ruhe zu. Wir können uns denken, wie dies glückliche Zusammensein beschaffen war. Mit welcher Sehnsucht mögen die Geschwister des Herrn Ankunft immer erwartet haben, wie mag jedes bemüht gewesen sein, ihn von dem flachen Dach ihres Hauses zuerst zu erblicken. Dann welch herzlicher Empfang! Und dann: welche Stunden köstlicher Gemeinschaft!

Wir können uns denken, wie Maria sich ganz vergessen konnte, wenn sie so zu des Meisters Füßen saß und seiner Rede zuhörte.

Ihr alles war gänzlich in Jesum versenkt, Drum ward ihr auch alles in Einem geschenkt.

Warum war wohl Lazarus nicht auch als Jünger des Herrn berufen und den Aposteln zugezählt? Warum wurden Petrus und Andreas, Johannes und Jakobus von ihren Booten und Netzen geholt, um Jesu zu folgen, und Lazarus zurückgelassen in seiner Heimat?

Der Herr stellt jeden an seinen Posten. Dieser dient dem Herrn durch Wirken, jener durch Gehorsam im Leiden. Die einen sind berufen, als geduldige Kreuzträger, die andern in stillem Mariendienst den Herrn zu verherrlichen. Die einen sind mit besonderen Gaben ausgestattet wie Paulus, um gegenüber der Weisheit der Welt Christum den Gekreuzigten als die höchste Weisheit zu predigen. Andere müssen auf ihren Krankenbetten seine Zeugen sein (Ps. 149,5). Der Grundton des täglichen Lebenswandels der Kinder Gottes muss immer mehr heilig und Gott wohlgefällig sein, immer selbstloser und ergebener in Gottes heiligen Willen.

Wie selig ist's zu glauben, dass Dein Lebenspfad mit allen seinen Einzelheiten vom Herrn vorgezeichnet ist. Denke nicht in deiner Kurzsichtigkeit, dass du Gott in einer andern Lebenslage mehr verherrlicht hättest. Du kannst dem Herrn in jeder Stellung dienen, in der niedrigsten wie in der höchsten. Das unscheinbarste Blatt oder der kleinste Stern verkündet den Ruhm des Schöpfers ebenso, wie der höchste Berg oder die strahlende Sonne. So erkennt Gott den geringsten Dienst der Liebe ebenso an, wie die größte und kostbarste Gabe, die ihm gegeben werden kann. Lass es daher deine größte Sorge sein, ihm an der Stelle zu dienen, wohin er dich gestellt. Wie begrenzt auch dein Wirkungskreis sein mag, so kann doch ein geheiligter, unberechenbarer Einfluss von dir ausgehen auf die kleine Welt, die dich umgibt. Wo du auch stehst, wo du auch bist, was dir auch zu tun obliegt, erweise dich als einen treuen Diener deines Herrn in dem Beruf, darin du berufen bist. Gott zu verherrlichen allenthalben und auf allerlei Weise, ist der selige Beruf der Kinder des Höchsten.

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